Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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27

Der junge Mann hatte seine Erzählung mit einem Feuer vorgetragen, das ihr große Wahrheit verlieh und wenigstens auf den weiblichen Teil der Gesellschaft tiefen Eindruck zu machen schien. Josephe weint heftig und auch die andern Fräulein und Frauen wischten sich hin und wieder die Augen. Die Männer waren ernster geworden, und schienen mit großem Interesse zuzuhören, nur der Baron lächelte hin und wieder seltsam, stieß bei dieser oder jener Stelle seinen Nachbar an und flüsterte ihm seine Bemerkungen zu. Jetzt, als Fröben geschlossen hatte, brach er in lautes Gelächter aus; »Das heiße ich mir sich gut aus der Affaire ziehen!« rief er, »ich hab es ja immer gesagt, mein Freund ist ein Schlaukopf. Seht nur, wie er die Damen zu rühren wußte, der Schelm! wahrhaftig meine Frau heult, als habe ihr der Pfarrer die Absolution versagt. Das ist köstlich, auf Ehre! Dichtung und Wahrheit! ja das hast du deinem Goethe abgelauscht, Dichtung und Wahrheit, es ist ein herrlicher Spaß.«

Fröben fühlte sich durch diese Worte aufs neue verletzt: »Ich sagte dir schon«, sagte er unmutig, »daß ich die Dichtung oder Erdichtung gänzlich beiseite ließ und nur die Wahrheit sagte; ich hoffe, du wirst es als solche ansehen.«

»Gott soll mich bewahren!« lachte der Baron. »Wahrheit! das Mädchen hast du dir unterhalten, Bester, das ist die ganze Geschichte, und aus deinen Abendbesuchen bei ihr hast du uns einen kleinen Roman gemacht. Aber gut erzählt, gut erzählt, das lasse ich gelten.«

Der junge Mann errötete vor Zorn; er sah, wie Josephe ihren Gatten starr und ängstlich ansah; er glaubte zu sehen, daß auch sie vielleicht seinen Argwohn teile und schlecht von ihm denke; die Achtung dieser Frau wenigstens wollte er sich durch diese gemeinen Scherze nicht nehmen lassen. »Ich bitte, schweigen wir davon«, rief er, »ich habe nie in meinem Leben Ursache gehabt, irgend etwas zu bemänteln oder zu entstellen, kann es aber auch nicht dulden, wenn andere mir dieses Geschäft abnehmen wollen. Ich sage dir zum letztenmal, Faldner, daß sich, auf mein Wort, alles so verhält, wie ich es erzählte.«

»Nun dann sei es Gott geklagt«, erwiderte jener, indem er die Hände zusammenschlug; »dann hast du aus lauter übertriebenem Edelsinn und theoretischer Zartheit ein paar hundert Francs an ein listiges Freudenmädchen weggeworfen, das dich durch ein gewöhnliches Histörchen von Elend und kranker Mutter köderte; hast nichts davon gehabt als einen armseligen Kuß! Armer Teufel! in Paris sich von einer Metze so zum Narren halten zu lassen.«

Noch mehr als die vorige Beschuldigung reizte den jungen Mann dieses spöttische Mitleid und das Gelächter der Gesellschaft auf, die auf seine Kosten den schlechten Witz des Barons applaudierte. Er wollte eben aufs tiefste gekränkt die Gesellschaft verlassen, als ein sonderbarer, schrecklicher Anblick ihn zurückhielt. Josephe war, bleich wie eine Leiche, langsam aufgestanden; sie schien ihrem Gatten etwas erwidern zu wollen, aber in demselben Moment sank sie ohnmächtig, wie tot zusammen. Bestürzt sprang man auf, alles rannte durcheinander, die Frauen richteten die Ohnmächtige auf, die Männer fragten sich verwirrt, wie dies denn so plötzlich gekommen sei, Fröben hatte der Schrecken beinahe selbst ohnmächtig gemacht und der Baron murmelte Flüche über die zarten Nerven der Weiber, schalt auf die grenzenlose Dezenz, auf die ängstliche Beobachtung des Anstandes, wovon man ohnmächtig werde, suchte bald die Gesellschaft zu beruhigen, bald rannte er wieder zu seiner Frau; alles sprach, riet, schrie zusammen und keiner hörte, keiner verstand den andern.

Josephe kam nach einigen Minuten wieder zu sich; sie verlangte nach ihrem Zimmer, man brachte sie dahin und die Mädchen und Frauen drängten sich neugierig und geschäftig nach; sie gaben hunderterlei Mittel an, die wider die Ohnmacht zu gebrauchen, sie erzählten, wie ihnen da oder dort dasselbe begegnet, sie wurden darüber einig, daß die große Anstrengung der Frau von Faldner, die vielen Sorgen und Geschäfte an diesem Tage diesen Zufall notwendig habe herbeiführen müssen, und die Sorge, der Baron möchte sich vielleicht blamieren, da er ohnedies schon recht unanständig gewesen, habe die Sache noch beschleunigt.

Der Baron suchte indessen unter den Männern die vorige Ordnung wieder herzustellen. Er ließ fleißig einschenken, trank diesem oder jenem tapfer zu, und suchte sich und seine Gäste mit allerlei Trostgründen zu beruhigen. »Es kömmt von nichts«, rief er, »als von dem Unwesen der neuern Zeit; jede Frau von Stande hat heutzutage schwache Nerven, und wenn sie die nicht hat, so gilt sie nicht für vornehm; ohnmächtig werden gehört zum guten Ton; der Teufel hat diese verrückten Einrichtungen erfunden. Und auch daher kömmt es, daß man nichts mehr beim rechten Namen nennen darf. Alles soll so überaus zart, dezent, fein, manierlich hergehen, daß man darüber aus der Haut fahren möchte. Da hat sie sich jetzt alteriert, daß ich einigen Scherz riskierte, was doch die Würze der Gesellschaft ist; daß ich über dergleichen zarte, feingefühlige Geschichten nicht außer mir kam vor Rührung und Schmerz und mir einige praktische Konjekturen erlaubte. Was da! unter Freunden muß dergleichen erlaubt sein! Und ich hätte dich für gescheuter gehalten, Freund Fröben, als daß du nur dergleichen übelnehmen könntest.«

Aber der, an den der Baron den letztern Teil seiner Rede richtete, war längst nicht mehr unter den Gästen, Fröben war auf sein Zimmer gegangen im Unmut, im Groll auf sich und die Welt. Noch konnte er sich diesen sonderbaren Auftritt nicht ganz enträtseln, seine Seele halb noch aufgeregt von dem Zorn über die Roheit des Freundes, halb ergriffen von dem Schrecken über den Unfall der Freundin war noch zu voll, zu stürmisch bewegt, um ruhigeren Gedanken und der Überlegung Raum zu geben. »Wird auch sie mir nicht glauben«, sprach er kummervoll zu sich, »wird auch sie den schnöden Worten ihres Gatten mehr Gewicht geben, als der einfachen ungeschmückten Wahrheit, die ich erzählte? Was bedeuteten jene seltsamen Blicke, womit sie mich während meiner Erzählung zuweilen ansah? wie konnte sie diese Begebenheit so tief ergreifen, daß sie erbleichte, zitterte? sollte es denn wirklich wahr sein, daß sie mir gut ist, daß sie innigen Anteil an mir nimmt, daß sie verletzt wurde von dem Hohn des Freundes, der mich so tief in ihren Augen herabsetzen mußte? Und was wollte sie denn als sie aufstand, als sie sprechen wollte? wollte sie den unschicklichen Reden Faldners Einhalt tun oder wollte sie mich sogar verteidigen?«

Er war unter diesen Worten heftig im Zimmer auf und ab gegangen, sein Blick fiel jetzt auf die Rolle, die jenes Bild enthielt, er rollte es auf, er sah es bitter lächelnd an. »Und wie konnte ich mich auch von einem Gefühl der Beschämung hinreißen lassen, mein Herz Menschen aufzuschließen, die es doch nicht verstehen, von Dingen zu reden, die solch überaus vornehmen Leuten so fremd sind; das Schlechte, das Gemeine ist ihnen ja lieber, scheint ihnen natürlicher als das Außerordentliche; wie konnte ich von deinen lieben Wangen, von deinen süßen Lippen zu diesen Puppen sprechen? O du armes, armes Kind; wie viel edler bist du in deinem Elend als diese Fuchsjäger und ihr Gelichter, die wahren Jammer und verschämte Armut nur vom Hörensagen kennen und jede Tugend, die sich über das Gemeine erhebt als Märchen verlachen! Wo du jetzt sein magst? und ob du des Freundes noch gedenkst und jener Abende, die ihn so glücklich machten!«

Seine Augen gingen über, als er das Bild betrachtete, als er bedachte, welch bitteres Unrecht die Menschen heute diesem armen Wesen angetan. Er wollte seine Tränen unterdrücken, aber sie strömten nur noch heftiger. Es gab eine Stelle in der Brust des jungen Mannes, wohin, wie in ein tiefes Grab, sich alle Wehmut, alle zurückgedrängten Tränen des Grames still und auf lange versammelten; aber Momente, wie dieser, wo die Schmerzen der Erinnerung und seine Hoffnungslosigkeit so schwer über ihn kamen, sprengten die Decke dieses Grabes und ließen den langverhaltenen Kummer um so mächtiger überströmen, je mehr sein gebrochener Mut in Wehmut überging.


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