Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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2. Die Kritiker

Doch die Forschungen des Herrn Kaper wurden hier auf eine unangenehme Weise durch einen Lärm unterbrochen, der im Laden des Italieners entstand. Neugierig sah man nach der Türe, welche durch ein Glasfenster einen Überblick über den unteren Teil des Gewölbes gewährte. Ein ältlicher und zwei jüngere Herren schienen im heftigen Streit begriffen; jeder sprach, jeder focht mit den Händen; der eine stürzte endlich mit hochgeröteten Wangen aus dem Laden, die beiden andern, noch keuchend vom Wortkampf, traten in das Gewölbe, wo die Freunde saßen.

»Herr Rat! was ist mit Ihnen vorgefallen!« rief Doktor Zundler beim Anblick des älteren Mannes, der, ein gedrucktes Blatt in der Hand zerknitternd, atemlos auf einen Stuhl sank. »Haben Sie denn nicht gelesen, Doktor Zundler«, antwortete für den älteren der jüngere Mann, der unmutig und dröhnenden Schrittes im Zimmer auf und ab ging, »nicht gelesen, wie wir blamiert sind, nicht gelesen, daß man uns alle zusammen hier eine poetische Badegesellschaft, eine Bänkelsängerbande nennt?«

»Tod und Teufel!« fuhr der Doktor auf. »Wer wagt es, diese Sprache zu führen? wer wagt die ersten Geister der Nation auf diese Art zu benennen? Ich will nicht von mir sagen; was habe ich viel getan um auf einigen Ruhm Anspruch machen zu können? aber was für andere Männer finden sich hier! Sind es nicht – die schönsten Zierden der Nation? So jung Sie sind, Professor, sind denn nicht alle Blätter voll Ihres Lobes wegen Ihrer Trauerspiele, und unser Rat –«

»Aber büßen sollen sie es mir, büßen«, rief der letztere, »so wahr ich lebe, und Zundler, Sie müssen mithelfen und alle, die ins Freitagskränzchen kommen. Hab ich es mir darum sauer werden lassen zwanzig Jahre lang, daß man jetzt über mich herfällt, und wegen nichts, als wegen der Rezension über den dummen Roman ›Die letzten Ritter von Marienburg‹ sonst wegen nichts!«

»›Die letzten Ritter von Marienburg‹«, fragte der Buchhändler, der als Mann vom Fache mitsprechen zu müssen glaubte; »mich gehorsamst zu empfehlen Herr Rat, aber ist es nicht bei Wenz in Leipzig erschienen, 3 Bände Oktav, Preis 4 Taler netto?«

»Und ich will nun einmal diese Schule nicht aufkommen lassen«, fuhr der Erboste fort, ohne auf Herrn Kaper zu hören; »woher kommt es, daß man keine Verse mehr lesen will, daß man die Lyrik verachtet, sei sie auch noch so duftig und gefeilt, daß man über die tiefsinnigsten Sonette weggeht, wie über Lückenbüßer, woher, als von diesen Neuerungen?«

»Aber so zeigen Sie doch, ich bitte«, flüsterte der Doktor, das zerknitterte Papier fassend; »ist es denn wirklich so arg, so niederschlagend?«

»Lesen Sie immer«, erwiderte der Rat gefaßter, »lesen Sie meinetwegen laut, es ist doch in jedermanns Händen; die Herren sind ja ohnedies Zeugen meines Schmerzens gewesen, und mögen auch Zeugen sein, wie man Redakteure und Mitarbeiter eines der gelesensten Blätter behandelt!«

Der junge Mann entrollte das Blatt. »Wie? in den ›Blättern für literarische Unterhaltung‹? Nein, das hätte ich mir nicht träumen lassen; die waren ja sonst immer so nachbarlich, so freundlich mit uns! Ist es die Kritik, die anfängt ›Ehe wir noch dieses Buch –‹«

»Ebendiese, nur zu!«

»›Die letzten Ritter von Marienburg‹, historischer Roman von Hüon. 3 Bände. Leipzig. Fr. Wenz.

Ehe wir noch dieses Buch in die Hände bekamen, lasen wir in den ›Blättern für belletristisches Vergnügen‹ eine Kritik, welche uns beinahe den Mut benahm, diesen dreibändigen historischen Roman nur zu durchblättern. Man kann zwar gewöhnlich auf das Urteil dieser Blätter nicht viel halten. Es sind so wenige Männer von Gehalt damit beschäftigt, daß der wissenschaftlich Gebildete von diesen Urteilen sich nie bestimmen lassen kann; doch machte diese Kritik eine Ausnahme. Es ist nämlich eine Seltenheit, daß die ›Blätter für belletristisches Vergnügen‹ etwas durchaus tadeln; selten ist ihnen etwas schlecht genug; aber diesmal hieben sie so unbarmherzig und greulich ein, daß wir im ersten Augenblick, auf die kritische Ehrlichkeit solcher Leute trauend, glaubten, dieser Roman müsse die tiefste Saite der Schlechtigkeit berührt haben. Doch zu einer guten Stunde entschlossen wir uns, nachzusehen, wie tief man es in der deutschen Literatur dermalen gebracht habe. Wir lasen. Aber welch ein Geist wehte uns aus diesen Blättern an! Welch mächtiges, erhabenes Gebäude stieg vor unseren Blicken auf; ein Gebäude in so hohem, erhabenen Stil, wie die Marienburg selbst; wir fühlten uns fortgerissen, versetzt in ihre Hallen; der letzte Großkomtur und seine Ritter traten uns lebend entgegen und noch einmal ertönte jene alte Feste vom Waffenspiel und den kräftigen Stimmen ihrer tapfern Bewohner. Wir wollen den Dichter nicht tadeln, daß ein Hauch von Melancholie über seinem Gemälde schwebt, der keine laute Freude, kein behagliches Vergnügen gestattet. Wo ein so großartiges Schicksal waltet, wo ein ganzes, großes Geschlecht untergeht, da muß ja wohl auch die zarte Liebe, die nur einen Frühling blühte, mit zu Grabe gehen. In diesem außerordentlichen Buche ist ein Geist unter uns getreten, so originell, so groß, so frei, daß er keine Vergleichung zuläßt. Er nennt sich Hüon, zwar ein angenommener Name, aber gut gewählt, denn der Verfasser scheint uns nicht minder würdig, von Oberen mit Horn und Becher beschenkt zu werden, als jener tapfere Paladin Karls des Großen. Mit Vergnügen müssen einen solchen Jünger Meister wie Goethe und Tieck willkommen heißen, und unsere Zeit darf sich glücklich preisen, einen Mann wie diesen geboren zu haben.

Aber mit tiefer Indignation müssen wir hiebei einer Klique von Menschen gedenken, die diese edle Blume schon in ihrem Keim in den Staub drücken wollten. Freilich ist er euch zu groß, zu erhaben, ihr kleinen belletristischen Seelen; möge immer diese poetische Badegesellschaft in ihrem lauen Versewasser auf und nieder tauchen, nur bespritze sie nicht mit ihrem Schlammwasser den Wanderer, der am Ufer geht und sich verachtend abwendet. Ein Glück ist es übrigens, daß man anfängt in der guten Gesellschaft auf reinere Melodien zu horchen, daß man diese Bänkelsänger dem Straßenpöbel überläßt.«

Für den Stallmeister war es ein interessantes Schauspiel, die Gesichter der Zuhörer zu mustern, während der Dichter mit schnarrendem Tone diese Kritik ablas. Der Buchhändler, der ihm zunächst saß, versteckte schlecht seine Neugierde und eine gewisse Behaglichkeit hinter einer unmutigen Miene. Vielleicht hatte ihm der Hofrat einmal ein Verlagswerk schlecht rezensiert, oder der Theaterdichter hatte ihm nichts zum Verlegen gegeben, oder irgendeiner der »Badegesellschaft« hatte ihn beleidigt; er dachte, wie so viele kleine Seelen im ähnlichen Falle: Gottlob, es ist dafür gesorgt, daß die Rezensenten sich immer selbst wieder rezensieren. Der Rat hatte den Mund auf seinen Stockknopf gepreßt und seine Augen irrten auf dem Boden, der Theaterdichter zwang sich zu einer Art von vornehmer Ruhe, die ihm vorhin völlig gefehlt hatte; sein »Ohe!« oder »Ei!« das er hin und wieder mit einem kurzen Lachen herauspreßte, klang unnatürlich. Am merkwürdigsten war dem jungen Rempen ein stiller Zuhörer, der scheinbar ohne Teilnahme in der Ecke saß, der Referendär Palvi. Als der Doktor zu lesen anhub, lauschte er mit niedergeschlagenen Augen, dann ergoß sich plötzlich eine brennende Röte über seine Stirne und Wangen; sie verschwand ebenso schnell als der glänzende Blick seiner großen Augen, den er auf den Lesenden warf, und wer diesen Blick, dieses flüchtige Erröten nicht gesehen, konnte vor- und nachher glauben, er schenke weder diesen Literatoren noch der Ursache ihres Aufbrausens einige Aufmerksamkeit.

»Nun was sagen Sie dazu?« fragte der Theaterdichter, nachdem Dr. Zundler geendet hatte. »Sie sind ja auch mit gemeint, denn zahlreiche Stanzen, Sonette, Triolette und Kritiken finden sich von Ihrer Arbeit in den ›Blättern fürs belletristische Vergnügen‹.«

»Schweigen kann man nicht!« rief der Doktor entrüstet. »Ja, wir stehen alle für einen, und alle, die ins Freitagskränzchen kommen, müssen beleidigt sein, müssen sich rächen. Ich habe in Berlin einen Bekannten, in den ›Gesellschafter‹ laß ich es rücken durch die dritte Hand, oder vielleicht nimmt es Dr. Saphir in die ›Schnellpost‹ auf, ich kenn ihn noch von Wien.«

»In meinen Theaterkritiken mache ich Ausfälle«, fuhr der Theaterdichter fort; »ach! wenn nur Marienburg nicht preußisch wäre, ich wollte mich rächen, wollte, oh! aber so könnte man alles für Anzüglichkeit nehmen. Und gegen die ›Blätter für literarische Unterhaltung‹ kann ich nicht schimpfen, ich habe noch drei Trauerspiele dort liegen, die noch nicht rezensiert sind. Aber wo ein Loch offen ist, will ich einen Ausfall machen!«

»Ich will untergehen«, sagte der Rat pathetisch, indem er seinen Wein bezahlte und den Hut ergriff, »fallen will ich, oder siegreich hervorschreiten aus diesem Kampf. Die ganze Lyrik ist in mir beleidigt, auch alle Romantiker, denn wir haben auch Romanzen gemacht, und diese Hermaphroditen von Geschichte und Dichtung, diese Novellenprosaiker, diese Scott-Tieckianer, diese – genug, ich werde sie stürzen; und damit guten Morgen!«

Als dieser Rat nach seinem dixi mit vorgeschobenen Knieen aus dem Zimmer ging, war er zwar nicht anzusehen, wie ein Ritter, der zum Turnier schreitet, der Professor aber und der Doktor Zundler folgten ihm in schweigender Majestät; sie schienen als seine Knappen oder Pagen Schild und Lanze dem neuen Orlando furioso nachzutragen.


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