Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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26

Acht Tage zuvor sagte ich es dem Mädchen, sie erschrak, sie weinte. Ich bat sie ihre Mutter zu fragen, ob ich sie nicht besuchen dürfe, sie sagte es zu. Das nächste Mal aber brachte sie mir sehr betrübt die Antwort, daß mich ihre Mutter bitten lasse, diesen Besuch aufzugeben, der für ihren Gemütszustand allzu angreifend sein würde. Ich hatte jenen Besuch eigentlich nur darum nachgesucht, um mein Mädchen bei Tag und ohne Schleier zu sehen; ich verlangte dies also aufs neue wieder; aber sie bat mich, am Abend vor meiner Abreise noch einmal zu kommen, sie wolle ihre Mutter so lang bestürmen, bis sie die Erlaubnis erhalte, den Schleier aufzuheben. Unvergeßlich wird mir immer dieser Abend sein. Sie kam, und meine erste Frage war, ob die Mutter es erlaubt habe; sie sagte ja, und hob von selbst den Schleier auf. Der Mond schien helle, und zitternd, begierig blickte ich unter den Hut. Aber die Erlaubnis schien nur teilweise gegeben zu sein, denn meine Schöne trug sogenannte Venezianeraugen, die den obern Teil ihres Gesichtes verhüllten. Doch wie schön, wie reizend waren die Partien, welche frei waren! eine feine, zierliche Nase, schöngeformte blühende Wangen, ein kleiner, lieblicher Mund, ein Kinn wie aus Wachs geformt, und ein schlanker blendend weißer Hals. Über die Augen konnte ich nicht recht ins reine kommen, aber sie schienen mir dunkel und feurig.

Sie errötete, als ich sie lange, entzückt betrachtete; ›Werden Sie mir nicht böse‹, flüsterte sie, ›daß ich diese Halbmaske vornahm; die Mutter wollte es von Anfang ganz abschlagen, nachher gestattete sie es nur unter dieser Bedingung; ich war selbst recht ärgerlich darüber, aber sie sagte mir einige Gründe, die mir einleuchteten.‹

›Und was sind diese Gründe?‹ fragte ich.

›Ach mein Herr!‹ erwiderte sie wehmütig, ›Sie werden ewig in unserem Herzen leben, aber Sie selbst sollen uns ganz vergessen; Sie sollen mich nie, nie wieder sehen, oder wenn Sie mich auch sehen, nicht erkennen!‹

›Und meinen Sie denn, ich werde Ihre schönen Züge nicht wiedererkennen, wenn ich auch Ihre Augen, Ihre Stirne nicht sehen darf?‹

›Die Mutter meint‹, antwortete sie, ›das sei nicht wohl möglich; denn, wenn man ein Gesicht nur zur Hälfte gesehen, sei das Wiedererkennen schwer.‹

›Und warum soll ich dich denn nicht wiedersehen, nicht wiedererkennen?‹

Sie weinte bei dieser Frage, sie drückte meine Hand und sagte: ›Es darf ja nicht sein! was kann Ihnen denn daran liegen, ein unglückliches Mädchen wiederzuerkennen; und – nein die Mutter hat recht; es ist besser so!‹

Ich sagte ihr, daß meine Reise nicht lange dauern werde; daß ich vielleicht schon nach zwei Monaten wieder in Paris sein könne, daß ich sie wiederzusehen hoffe. Sie weinte heftiger und verneinte es. Ich drang in sie, mir zu sagen, warum sie glaube, ich werde sie nicht mehr sehen.

›Mir ahnt‹, erwiderte sie, ›ich sehe Sie heute zum letztenmal; ich glaube meine Mutter wird nicht lange mehr leben, der Arzt sagte es mir gestern und dann ist ja alles vorbei! und wenn sie auch länger lebt, in London werden Sie ein so armes Geschöpf, wie ich bin, lange vergessen.‹

Ihr Schmerz machte mich unendlich weich; ich sprach ihr Mut ein; ich gelobte ihr, sie gewiß nicht zu vergessen; ich nahm ihr das Versprechen ab, immer den Ersten und Fünfzehnten eines jeden Monats auf diesen Platz zu kommen, damit ich sie wieder finden könnte; sie sagte es unter Tränen lächelnd zu, als ob sie wenig Hoffnung hätte. ›Nun so lebe wohl auf Wiedersehen‹, sagte ich, indem ich sie in meine Arme schloß und einen kleinen, einfachen Ring an ihre Hand steckte, ›lebe wohl und denke an mich und vergiß nicht den Ersten und Fünfzehnten.‹

›Wie könnte ich Sie vergessen!‹ rief sie, indem sie weinend zu mir aufblickte. ›Aber ich werde Sie nimmer wiedersehen; Sie nehmen Abschied auf immer.‹

Ich konnte mich nicht enthalten, ihren schönen Mund zu küssen; sie errötete, ließ es aber geduldig geschehen; ich steckte ihr einen Tresorschein in die kleine Hand, sie sah mich noch einmal recht aufmerksam an und drückte sich heftiger an mich. ›Auf Wiedersehen‹, sprach ich, indem ich mich sanft aus ihren Armen wand. Der letzte Moment des Abschieds schien ihr Mut zu geben; sie zog mich noch einmal an ihr Herz, ich fühlte einen heißen Kuß auf meinen Lippen, ›Auf immer! Lebe wohl auf immer‹, rief sie schmerzlich, riß sich los und eilte über den Platz hin.

Ich habe sie nicht wiedergesehen! Nach einem Aufenthalt von drei Monaten kehrte ich von London nach Paris zurück; ich ging am 15. auf den Platz de l'École de Médecine, ich wartete über eine Stunde, mein Mädchen erschien nicht. Noch oft am 1. und 15. wiederholte ich diese Gänge, wie oft ging ich durch die Straße St. Séverin, blickte an den Häusern hinauf, fragte wohl auch nach einer armen, deutschen Frau und ihrer Tochter, aber ich habe nie wieder etwas von ihnen erfahren, und das reizende Wesen hatte recht, als sie mir beim Abschied zurief: › Auf immer.‹«


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