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VIII. Kapitel.
Ein geheimnisvoller Vorgang.

Motto:

Wo ist ihr Leid nun? Wie ein Traum zerronnen!
Wo bleibt ihr Seufzer? Er verging in Wonnen!

Geibel.

Kuno und Leon standen an jenem großen Tag auch in Reih' und Glied im Heere ihres Volkes. Alle diese Völkerheere standen ja bereit, den Weltregenten heute festlich zu empfangen. Aber es kam kein weiterer Befehl mehr von dort herüber. Die einzelnen Lager waren sich jetzt selbst überlassen, alles in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Der Spott hatte ein Ende, die Stimmung war ernst, wenn sich auch noch nicht viel herauswagte, weil ja die Massen noch im Gehorsam gehalten waren. Schon das ›Zeichen des Menschensohnes‹ war ja ihnen allen auch erschienen, schaubar für jedermanns Auge durch Tage hindurch. Dessen Erscheinen war ein Schrecken, seine Deutung freilich eine verschiedene gewesen. Es wagten sich anfangs nur wenige Stimmen hervor, welche eine schlimme Wendung voraussagten, und es gab auch solche, die bereit waren, die arglistige Deutung selber zu geben, welche der Weltregent ernstlich vorhatte.

Aber nun heute gar die Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn selber! Sie hatte alles übermocht, – alles verstummen gemacht! Den Völkerheeren schaubar auf dem ganzen weiten Plan, bot sie einen überaus überwältigenden Anblick dar. –

Was will nun dieses ganze mächtige Völkerheer heute gegenüber dem Herrn des Himmels? was will dieses Völkergemenge hier unten gegenüber der Menge der himmlischen Heerscharen dort oben! Was will selbst ihr stolzes Haupt, ihr mächtiger Regent, gegen den Herrn aller Herren und König aller Könige?!

Kein Wunder, daß kein Befehl mehr ausging. Der jähe Schrecken ist auch hier ringsum unverkennbar auf allen Gesichtern, auch bei Tollkühnen und bei wirklichen Helden nicht ohne den tiefsten Eindruck. Der Gehorsam hält die Massen wohl noch zusammen, aber ›an die Rippen pocht das Männerherz‹. Gedanken sind frei, es könnte jeder denken, was er will, – aber es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen! Der Plan des Weltherrschers, was er auch sei, ist im voraus zunichte, – jetzt triumphiert ein anderer!

Soviel ist allen klar. Aber was wird denn nun werden?! –

Kuno und Leon standen nahe beisammen, doch nicht so nahe, daß sie miteinander hätten reden können. Und so stand noch mancher Bruder bei dem Bruder, mancher Freund bei dem Freund. Hier ein Christ, dort sein Feind, hier ein Spötter, dort ein Mitleidiger. Der Herr aber kennt die Seinen.

Horch! da ertönt ein majestätischer Donner; es dröhnt wie Posaunenton, der Schall scheint alle Himmel zu erfüllen und über die ganze Erde hinzugehen. Und wieder und wieder erschüttert der Donnerton Himmel und Erde und geht durch Mark und Bein. Was ist das! Wieder eine Offenbarung aus der Höhe, ein Zeichen der Majestät des Herrn vom Himmel! Die Pferde stampfen und die Männer greifen ans Schwert. Dumpf liegt die Schwüle über dem ganzen, gewaltigen Heer, dumpf über der Erde weitem Rund! Weiter ist aber nichts mehr zu hören, und nichts ist zu sehen, als die Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn in der Höhe wie vordem.

Aber was ist das? Kuno sieht seinen Bruder nicht mehr, mancher Freund den Freund, mancher Spötter den Verachteten nicht mehr! – Wo sind sie geblieben, als vorhin alles sich erhob? wohin haben sie sich verkrochen, als alles im Schrecken durcheinander fuhr? – Es sammeln sich die Mannschaften, es rüsten sich die Gewappneten wieder, die Pferde stehen wieder ruhig, in kriegerischer Aufregung allerdings; die Anführer übersehen ihre Scharen, die Hauptleute zählen ihre Reihen, aber was ist das? was ist das gewesen? Dieser fehlt und jener ist nicht mehr hier! Dort fragt man um und überall ist es so! Nirgends findet man sie, – die Christen, die Christen!! überall sind sie verschwunden!

Es geht ein Schrecken durch die Reihen, ein Fluchen soll sie zusammenhalten; sie drängen sich auch zusammen, sie gehorchen wie vorhin, – aber es fehlt hier einer, und da einer, – immer die Christen, die verachteten Christen! – Ja, der Herr hat auf sie geachtet und hat sie gerufen! Es fehlen nur die Ausgestoßenen, – der Herr hat sie auserwählt!

Kuno hatte vorhin noch nach seinem Bruder gerufen, jetzt preßt der Schmerz sein Herz; er merkt es: Leon ist dahin!

Da ist geschehen, was jener Krieger mit dem Harnisch Gottes, jener rechte Streiter Christi einst gesagt hat: ›Wir, die Christen, werden alle verwandelt werden, und dasselbige plötzlich in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen und – wir werden verwandelt werden‹, – ja noch mehr: ›die Toten in Christo werden auferstehen zuerst; darnach diejenigen, die noch leben und überbleiben, werden zugleich mit denselben hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft, und werden also bei dem Herrn sein allezeit. So tröstet euch nun mit diesen Worten untereinander.‹

Das ist nun alles wahr geworden, wirklich und wahrhaftig. Und nicht nur hier um Jerusalem her, und unter dem Völkerheer des Weltregenten, sondern überall in der weiten Welt, überall wo Christen auf Erden noch lebten, zerstreut in alle Winde, überall geschah ganz dasselbe, ›plötzlich in einem Augenblick‹! Der Bruder sah den Bruder nicht mehr, der Genosse in der Arbeit den andern nicht mehr. Das war auch auf Tag und Stunde genau dieselbe Zeit, wo der arme Matthi ›nicht mehr gesehen ward‹. So sammelte der Herr die Seinen aus aller Bedrängnis ›zu seiner Zeit‹, an seinem großen Tag! Und waren es auch die ›Geringsten unter seinen Brüdern‹, kaum beachtete Leute in der allerschlichtesten Lebensstellung, – der Treue und Wahrhaftige machte sein Wort wahr, jenes so merkwürdige Prophetenwort: ›Dann werden zwei auf dem Feld sein, der eine wird angenommen, der andere wird da gelassen werden! Zwei werden mahlen auf der Mühle, eine wird angenommen, die andere wird da gelassen werden!‹ – – Herr, Herr! wer ist dir gleich?!


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