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Motto:
So ist es, war's und wird es sein:
Gebt Freiheit! rufen die Partei'n.
Mit was für Farben sie sich schmücken;
Das heißt: Gebt uns das Reich allein,
Daß wir die Andern unterdrücken!
So ist es, war's und wird es sein!
Nun ist geschürzt vom Bösen
Der Knoten also fein,
Kein Rat mehr kann ihn lösen,
Er muß zerhauen sein!
Geibel
»Habt Ihr es gelesen?« rief der Bäcker in seiner weißen Schürze und mit seiner weißen Mütze seinem Nachbar, dem Küfer mit der runden Kappe und mit dem braunen Schurzfell, über die Straße hinüber zu.
»Was denn?«
»Nun, was heute im Blatt steht: die Verordnung oder das neue Gesetz gegen die Christen.«
»Ach so! Ja, das habe ich gelesen.«
»Man hat es sich eigentlich denken können, daß es so kommt ...«
»... und kommen mußte. Es hat ja so nicht bleiben können.«
»Es geschieht den Leuten ganz recht; sie sollen ruhig sein und sich in die Verhältnisse finden.«
»Ja! Was braucht es diese Querköpfe mit ihrer immerwährenden Widerspenstigkeit!«
»Das meine ich auch. Kein Mensch thut ihnen etwas; so sollen sie auch Ruhe halten!«
»Das wird einschlagen! Jetzt werden sie sich verkriechen.«
»Das weiß man erst noch gar nicht. Das sind Starrköpfe. Die können noch zu schaffen machen!«
»Nun, dann wird es ihnen darnach ergehen. Da wird jetzt kurzer Prozeß gemacht.«
»Je kürzer, je besser! Aber Widerwärtigkeiten wird es schon geben.«
»Warum?«
»Nun, sie haben auch Anhang.«
»Aber doch eigentlich nur unter dem geringen Volk.«
»Das ist nicht so, sondern eigentlich unter allen Ständen.«
»Davon habe ich noch nicht viel gemerkt.«
»Nun, die wissen eben mehr still zu sein. Es wird sich aber schon zeigen.«
»O ich denke, das Häuflein wird klein werden, wenn es jetzt ernst wird.«
»Das glaube ich auch, – aber mancher wird auch erst jetzt offenbar werden.«
»Mancher aber auch zu Kreuz kriechen, der vorher das Maul gebraucht hat.«
»Schon! aber es ist wirklich so, – sie haben auch Anhang! Und dann das Mitleid; – denkt an die Frauen! da ist immer viel Mitleid.«
»Das ist wahr und manche können einen auch wirklich dauern. Aber vielen von ihnen geschieht es ganz recht.«
»Gewiß! und in der Hauptsache muß es eben sein. So kann es doch nicht fortgehen! Die Welt will Ruhe haben und will dessen sicher sein, daß jetzt Ruhe bleibt. Es ist ohnedem immer 'was los. Es wird nicht recht Ruhe in der Welt; man hat es ja gemeint, aber es wird nicht recht Ruhe.«
»Nun, mit anderen politischen Richtungen wird man schon fertig werden; wenn nur diese Christen einmal klein beigeben! Das ist eigentlich doch die Hauptsache.«
»Ja, es ist aber sonderbar. Man hat gemeint, so etwas passiere gar nimmer in unserer Zeit, – es ist ja doch eigentlich eine Art Verfolgung, – und jetzt wird es fast zur Notwendigkeit. Und diese Leute sind jetzt so zäh, so eigensinnig! Ich habe auch einen solchen im Hinterhaus wohnen,« setzte er leise hinzu.
»Ah so, der? Ja, das ist ein ganzer!«
»Man merkt es den Leuten sonst nicht an. Sie gehen still ihrer Wege.«
»Sie sind auch fleißig; aber immer diese Geschichte! immerfort!«
»Schließlich könnte man auch denken: was thut's? Wollen sie es so, so sollen sie ihren Kopf haben, diese Dickköpfe!«
»Nein, nein! so kann man doch nicht sagen. Es liegt eine Widerspenstigkeit gegen die öffentliche Ordnung in der Sache, da muß man heutigentags unerbittlich sein, bis ein ganz neues Geschlecht herangezogen ist, das von den alten Sachen nichts mehr will.«
»Ja, ja, ich habe auch nur so gemeint. Und sie sollen sich eben geben!«
»Das meine ich auch! Sie sollen sich endlich in die Ordnung finden!«
»Der tausend noch einmal! Der errungene Weltfriede ist das größte Glück nächst der Gesundheit. Den zu wahren, mag es kosten, was es wolle, und dafür ein ganz neues Geschlecht heranzuziehen, um das handelt es sich jetzt; darauf läuft die Proklamation des Weltregenten und auch das Dekret hinaus!«
»Und damit hat er jedenfalls recht!«
*
So und ähnlich lautete das Gespräch in allen Gassen und in fast allen Häusern. So in der Stadt und nicht anders auf dem Dorf. So im ganzen Land und eigentlich in allen Ländern.
Weit und breit über die Erde hin hatten alle einerlei Meinung, einen Wahn, – gerade wie ein Gesetz galt, eine gleiche Ordnung.
Religionsverflachung und Christenhaß passen immer gut zusammen. So kraß zwar werden sie ja nicht zu allen Zeiten offenbar; und daß sie wirklich zusammengehören, wird vollends nicht immer erkannt. Das erste, die Religionsverflachung, scheint ja recht duldsam zu sein, während das andere, der Christenhaß, doch wirklich etwas Fanatisches ist. Aber wenn auch das eine lau und das andere heiß ist, das eine kalt, das andere glühend heiß erscheint, so kommen doch beide eigentlich aus einer Quelle. Wenn auch das eine blaß und das andere schwarz aussieht, es sind doch zwei Geschwister, – gerade wie die zwei Ausdrücke ›von Gott los‹ und ›gottlos‹ noch verschiedene Seelenzustände bezeichnen und doch zugleich die innigste Verwandtschaft beider beweisen. Bringe das eine auf die Siedhitze, so verwandelt es sich sofort ins zweite; kühle das zweite für gewöhnlich ein wenig ab, so wird es bald nur das erste zu sein scheinen; und doch bleibt beides nahe beisammen. –
Der Weltregent war setzt auf der Höhe seiner Macht angekommen, er gedachte den entscheidenden Schlag zu thun.
Die Massen waren ja bezaubert von seinem ganzen Wesen und seiner großen Macht, von dem Glanz, der ihn umgab, und von der Klugheit seiner Maßnahmen. Die Völker waren gewöhnt an den völlig neuen Zustand eines großen, einigen Weltreichs; es imponierte ihnen die Allgewalt eines einzigen Willens, welcher so gigantisch zum Himmel ragte. Da war alles so menschlich schön und so göttlich großartig; es war eine so herrliche Erfüllung vieler alter Hoffnungen der Menschheit und vieler erhabener Völkerideale. Diese Einheit und diese Allgewalt war auch so reich an Garantien für eine immer herrlichere Zukunft der Menschheit. Warum sollte da der Weltregent nicht der Abgott der Menschheit, der Angebetete der Massen sein?
Nur diese eine zerstreute Schar stiller Widersacher war überall eher im Wachsen als im Abnehmen, eher stärker als schwächer! Äußerlich friedlich und unanfechtbar durch die Welt hingehend, waren sie innerlich unbeugsame Gegner seiner Macht und seiner Person. In der That! das war für ihn eine mehr und mehr unerträgliche Gegnerschaft. Jeden offenbaren Widerstand hätte er mit Gesetzesgewalt oder gar mit Waffengewalt niederschlagen können; aber dieser in jeder Beziehung rein unfaßbare Widerstand der Christen, diese im eigentlichen Sinn des Worts ›ungreifbare‹ ›Körperschaft‹, diese Leute in ihrer unangreifbaren Stellung, welche einem andern, eigentlich einem unsichtbaren Reiche anzugehören schienen, – das war ihm längst rein unerträglich! Wie lange sollte das noch dauern und was sollte noch daraus werden?
Jetzt aber, auf der Höhe seiner Macht, und in aller Welt legitimiert durch große Erfolge, jetzt konnte er etwas Entscheidendes wagen! Er war ja, wie längst schon von einem seiner begeistertsten Anhänger ausgesprochen wurde, ›ein Geheimnis‹, ›der ganze Mensch ein Geheimnis‹, – er wußte zu schweigen, wenn er wollte, und wußte zu reden, um seine Gedanken vollends ganz zu verbergen; so viel aber war ja doch immer mehr offenbar geworden und bei Einsichtigeren längst kein Geheimnis mehr, daß er die Christen hasse, was hassen heißt! Er war viel zu klug, um nicht längst zu durchschauen, daß in ihnen sich die geistig unabhängigste Macht finde, und er wußte von Anfang an wohl, welche ihn nicht aufnehmen würden.
Lange hatte er die Dinge ihrer inneren und äußeren Entwicklung überlassen, – nicht aus Feigheit, sondern aus Schlauheit, nicht aus Planlosigkeit, sondern in lauernder Klugheit. Er hatte sich gesagt, daß die Gegensätze ganz naturgemäß von selbst reif werden und ganz allmählich der Entscheidung entgegengehen, – und er gedachte zu siegen, denn ihm war gegeben alle Gewalt auf Erden! Er sah mit grauser Freude den Geisterkampf auf der ganzen Erde. Er durchschaute die Massen und erkannte wohl, daß er warten könne, bis der Zauber um ihn her vollends seine Schuldigkeit thue und die bethörten Massen vermöge innerer Notwendigkeit und geistiger Gesetzmäßigkeit irgend einmal auf die ›kleine Herde‹, heißt das, auf die Zehntausende und Hunderttausende zerstreuter Christen, aufstoßen müßten, – sah er ja doch auch, daß bei dieser kleinen Schar allüberall und ganz gleichmäßig das anfängliche Stutzen und Ansichhalten, das instinktmäßige Argwöhnen und Mißtrauen immer mehr auswachse zu einem stillen, aber klar bewußten Widerstand, ja zu einer Bereitschaft für Kampf und Märtyrertum.
Also denn! jetzt war die Zeit erfüllt! jetzt konnte die letzte Entscheidung von ihm vollends herbeigeführt werden! Verlieren wollte er nichts, zaudern also auch nicht, wenn es jetzt Zeit sei. Verlieren konnte er gar nichts, es war ja alles innerlich viel zu gut vorbereitet! –
So erging denn die Proklamation, welche von Menschheitsidealen strotzte, von Weltfrieden faselte, von der heiligen Verpflichtung predigte, welche ihm, dem Erkorenen aller Nationen, obliege, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, – diesem dreieinigen Gestirn am Himmel der neuen Weltordnung, welches jetzt einzig und allein die Welt überstrahle, die Völker regiere, die Menschheit glücklich mache, – zu einer immer glänzenderen, vollkommeneren und segensreicheren Machtentfaltung auf allen Lebensgebieten zu verhelfen. Es handle sich um nichts Geringeres als um das, der Welt eine wirklich geistige ›Freiheit‹ zu geben durch Befreiung von dem Bann veralteter Vorurteile, die wahre innerliche ›Gleichheit‹ herzustellen durch die Einheit einer gemeinsamen Grundgesinnung, und eine ernst gemeinte vollkommene ›Brüderlichkeit‹ zu erreichen durch Aufgeben aller geistigen Absonderungen der Menschen untereinander. Das allein fehle noch, dann wäre der Weltfriede, welcher, mit Waffengewalt vorbereitet, durch Völkerbeschluß erreicht und mittelst eines einheitlichen Regiments jetzt gefestigt sei, vollends gegen alle und jede Gefahr von innen wie von außen gesichert und endgiltig verewigt! Anders könne dies nie ganz geschehen, als durch solche nie gesehene geistige Einheit der ganzen Menschheit in sich selber!
Dazu aber müsse jetzt endlich gebrochen werden jene unbeugsame Macht, welche unter dem edlen Namen der Gewissensfreiheit, unter dem Schein des Christenglaubens und unter dem Deckmantel des Brudernamens der neuen Weltordnung insgeheim immer widerstrebe.
Wer denn beharrlich der durch den Willen aller Nationen geheiligten neuen Weltordnung widerstrebe, der solle billigerweise künftig auch keinen Teil mehr haben an den Wohlthaten dieser neuen Weltordnung. Von Gewalt gegen diese bedauerlichen Irrtümer solle und dürfe keine Rede sein und niemand soll ein Leid geschehen, aber die Gesetzesgewalt der neuen Weltordnung müsse hochheilig gehalten sein und über alle menschlichen Vorurteile erhaben dastehen.
So sei denn verordnet und bestimmt, daß Leute, welche der neuen Weltordnung aus sogenannten religiösen Gründen nachweislich beharrlich widerstreben, auch des Bürgerrechts in diesem ganzen großen Weltreich ein für allemale und insolang verlustig erklärt werden sollen, bis sie durch einen unzweideutigen Beweis der Unterwerfung und Achtung vor der geheiligten Gewalt des Weltregenten sich lossagen von der verderblichen Gesetzlosigkeit, welcher sie sich schuldig gemacht haben.
Sie dürfen demgemäß künftig keinerlei Rechtsakte irgend welcher Art in Amt und Beruf, in Handel und Wandel mehr vornehmen; Handlungen solcher Art, welche sie von jetzt an etwa vornehmen, seien, was es auch sei, rechtlich ungiltig und demgemäß je nach ihrer Bedeutung dem Gesetz gemäß unnachsichtlich zu bestrafen. Im übrigen soll man sie, in Achtung vor Gewissensfreiheit und den Gesetzen wahrer Humanität entsprechend, unangefochten ihre Wege ziehen lassen.
*
Eine tückischere Falle ist nie gestellt worden, eine bessere Ausnützung der Zeitverhältnisse für einen einzigen Zweck ist nie gelungen. Eine einschmeichelndere Weise, mit dem wohlberechneten Appell an die allgemeine Begeisterung für Weltfrieden, Menschenglück und Völkerideale ward nie ersonnen. Eine heuchlerischere Benützung der Worte: ›Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‹ hat keine Revolution versucht als diese schrecklichste aller Reaktionen. Eine trügerischere Maske, als diese mit ›Gewissensfreiheit‹ und wahrer ›Humanität‹ hatte der Satan nie vorgehalten. Ein härteres und willkürlicheres Verfahren unter dem Schein idealer Zwecke, heiliger Notwendigkeit und strengster Rechtlichkeit ist nie eingeleitet worden. Einen schnöderen Hohn, als noch gar den Anruf milder Unparteilichkeit unter dem Schein aufrichtigen Bedauerns, hat man nie in der Weltgeschichte Geächteten und heimatlos Gemachten nachgeschleudert!