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Motto:
Getreten hast du schon die gute Bahn;
Nun, edles Männerherz, schreit' frisch voran!
Wie mag es wohl in dieser Zeit unseren drei Freunden Franz, Eugen und Karl ergangen sein? Ob sie wohl militärfrei waren, wie man in früheren Zeiten in den meisten Staaten sich ausgedrückt hätte? Nun, Franz war es wohl jedenfalls. Er, der Samtrock, war ja doch wohl viel zu dick dazu, mindestens viel zu klein, ganz kolossal klein für solchen Zweck. Und Eugen wieder war zwar nicht zu groß, aber zu schlank und schwank gewachsen, um einen Ritter ohne Furcht und Tadel abzugeben. Der schwarze Schnurrbart aber, der dritte im Kleeblatt, – nun das war ja Herr Karl Francois, und von dem reden wir im Ernst. Denn er war eigentlich abgeblättert vom Kleeblatt. Allen Ernstes! er war in dieser Zeit doch besser ausgereift. Wohl kam er auch noch je und je mit ihnen zusammen, aber er war doch eigentlich anderen Sinnes geworden. Wir kennen ihn ja schon näher aus dem Gespräch mit Herrn Simon, als er dessen Verwandten beraten sollte. Jawohl! die ernste Zeit hatte ihre Wirkung an ihm gethan, wie denn doch an vielen.
Aber sieh dort! Eben kam Eugen, der Schlanke, Schwanke, um die Straßenecke und trat von außen an die Fenster der Weinstube. Er lehnte sich nach vorn über, beugte sich dann noch weiter vor und drückte das Gesicht ganz nahe an die kleinen runden Scheiben, um von außen her einen Blick in die Weinstube zu werfen. Er drehte dabei verschiedentlich den Kopf nach rechts und links, um dem Strahl des Lichts die Möglichkeit zu geben, ihm den Blick in die Weinstube zu erschließen; endlich gelang es ihm auch, durch die dicken, gekörnten, farbigen oder grüngelben Rundscheibchen eine Gestalt drinnen zu erkennen; er klopfte ein wenig an das Fenster, da trat die Gestalt näher, es zog ein breites Lächeln über das Gesicht da drinnen und es rief einer: »Bin schon da, Eugen!« Nun ja, 11 Uhr vormittags war auch schon gehörig vorüber; der pünktliche Herr da drinnen aber war – klein und dick, also kennen wir ihn schon. Eugen trat befriedigt ein, und bald kam auch Herr Karl Francois.
»Auch einmal wieder?« riefen beide ihm entgegen, schon während er noch ablegte und ehe er sich noch zu ihnen gesellt hatte.
Man begrüßte einander.
»Warum hast Du denn durch die Scheiben gelauert, Eugen? Das ist doch sonst nicht Mode! und Du brauchst doch nicht zu thun, als wärest Du der Schüchterne und der Fremde hier!«
»Ach ja, Franz, das war auch gar nicht meine Absicht; sondern – ich sage es offen: ich wollte vorher sehen, ob Herr Simon da sei. In diesem Fall würde ich nicht hereingekommen sein, um keinen Preis.«
»Auch nicht um den Preis meiner Freundschaft und meiner Anwesenheit? Das wäre doch großartig! Das wäre kolossal unverschämt, Eugen!«
»Franz, ich versichere Dich, – um keinen Preis!«
»Nun, was ist denn wieder los, Du Hitzkopf?«
»Ja, es hat mir vorhin jemand, der mir begegnete, ganz zufällig gesagt, Herr Simon sei soeben auch vorübergegangen, und da meinte ich, ob er wohl etwa hier hereingekommen sei. Wenn er da gewesen wäre, – Franz! trotz Deiner angenehmen Gesellschaft, ich wäre nicht hereingekommen, nimmermehr!«
»Warum denn aber?«
»Den kann ich nicht mehr leiden. Der ist so streng! der wird ganz anders, ganz fanatisch, sage ich Euch.«
Karl Francois schaute auf: »Was heißt das?«
Franz und Eugen schauten zu Karl herüber, dann sahen sie einander an und beide sagten: »Du nimmst gewiß für ihn Partei!«
»Er ist ein trefflicher Mann, ein gediegener Mensch.«
»Aber er wird mir immer bedenklicher,« sagte Eugen wieder, – »so fanatisch, sage ich Euch! nein, so fanatisch!«
»Na, Eugen,« sagte Franz, – »unser Freund Karl da wird auch ein rarer Vogel; hätte ich ihn heute nicht ausdrücklich eingeladen, auch einmal wieder hieher zu kommen, er säße wohl jetzt sicher nicht da.«
»Mag sein,« lächelte Karl Francois, »ich habe viel zu thun, – und ...«
»Was: und?«
»Und, liebe Freunde, man wird mit der Zeit auch ernster.«
»Ach was!« ärgerte sich Eugen ganz gehörig. »Alles wird langweilig, alles! nur wir zwei sind noch die alten lustigen Brüder! Du Karl, fängst auch an!«
Karl sah die beiden alten Freunde mit seinen schönen schwarzen Augen freundlich-ernst an und sagte: »Hört Ihr! das geht auch nicht anders; das geht bei Euch auch nicht so fort!«
»Auch noch gar!« warf Eugen ein. »Verderbe mir meine gute Laune nicht! Dem Simon wollte ich aus dem Weg gehen, jetzt kommst Du mir so auf den Hals! Es ist einfach heillos. Alles ist aufgeregt, alles verbittert und entzweit sich, die besten Freunde verstehen einander nicht mehr und geben einander den Abschied! Das sind doch heillose Zustände!«
Karl lächelte. »Daß wir heillose Zustände haben, ist meine Meinung auch. Nur finde ich sie in etwas anderem als darin, daß unsereiner ernster wird. Ihr könnt auch nicht so fortmachen, Ihr beiden, – sonst wird es gefährlich!«
»Was der Tausend! Das ist ja kolossal! das ist ja ganz großartig, was der für Behauptungen aufstellt!«
»Es ist so!« betonte Karl Francois, »es kann jetzt bald blutiger Ernst werden!«
»Unsinn, kolossaler Unsinn!«
»Hört Ihr,« sagte Karl Francois, »mit Euch zweien kann man kein gescheites Wort reden; Ihr seid und bleibt einmal oberflächliche Leute. Da bleibt einem das Wort in der Kehle stecken, so oft man nur davon anfangen will,« sagte Karl ernst und ärgerlich zugleich. Es war die einzige Art und Weise, die er nach den bisherigen Zusammenhängen der Freundschaft fertig brachte, um den beiden alten Freunden auch einmal offen und treu ans Herz zu reden.
Der kleine dicke Samtrock wiegte nickend und knickend das Haupt langsam hin und her, er drehte zugleich phlegmatisch-beweglich die Faust neben dem Weinglas hin und her und sagte, – noch immer geneigten Hauptes, – wichtig thuend und gravitätisch, langsam und nur halblaut: »Höre Karl! – das ist eigentlich – von Dir – eine ganz – kolossale, – eine ganz großartige – Unverschämtheit! Wie kommst Du nur dazu, – uns so etwas – in's Gesicht zu sagen?!«
»Wie ich dazu komme?« sagte Karl Francois höchst ruhig und vergnüglich, – »weil es meine Überzeugung ist und weil es hochnötig ist, daß man Euch das sagt!«
Die Pendelschwingungen des kleinen dicken Kopfes wurden immer bedenklicher und ganz unregelmäßig.
»So etwas – ist mir – noch nie vorgekommen!« sagte er mit dem größten Nachdruck, den er fertig brachte.
Eugen fand die Wendung, welche das Gespräch nehmen wollte, sowohl der Form als der Sache nach seinerseits höchst unangenehm und ungemütlich; aber weil er sich sagte, daß er selber sie eigentlich verschuldet habe, so hielt er sich jetzt auch für verpflichtet, nach Möglichkeit wieder abzulenken und, wenn es irgend anging, ein ganz neues Gesprächsthema aufzubringen. Er war jedoch nicht besonders glücklich darin.
»Hört Ihr,« sagte er, »habt Ihr es auch schon gehört, daß die Kerls neuerdings ganz im Ernst behaupten wollen, die Welt gehe bald unter?«
»Wer sagt das? – kolossaler Unsinn! großartiger Schwindel!« rief der Samtrock mit der ganzen Meisterschaft seiner wissenschaftlichen Gründlichkeit.
»Wer behauptet es denn?« sagte Karl Francois kurz.
»Ist mir alles eins,« antwortete Eugen, »aber ein Unsinn ist es jedenfalls! Unwissenschaftlicher Blödsinn, weiter nichts!«
»Und jetzt gar,« sagte Franz, »wo wir auf der Höhe sind! Das könnte man brauchen! mit der glänzendsten Partie der Weltgeschichte, mit dem großartigsten Fortschritt, mit dem schönsten Völkerfrieden, – jetzt soll es aufhören! – Kolossaler Unsinn, großartiger Schwindel!«
»Hört einmal, Ihr beiden,« sagte jetzt Karl Francois, »wenn es aber einmal aus sein soll, wird man Euch zwei Herren jedenfalls nicht vorher fragen, ob es genehm sei.«
»Wird auch gar nicht verlangt!« lachte Eugen.
»Da könnte man eher sagen,« fügte Franz hinzu, »jetzt habe die Welt einen neuen Anfang genommen. Was die Kerle nicht alles schwatzen, diese unwissenschaftlichen Dummköpfe!«
»Wer sind denn die Kerle, Du kleiner, dicker ... Kopf?« lächelte Francois.
»Ist mir alles eins! gesagt wird es!« war die geistreiche Antwort.
»Nun, mit Deiner Wissenschaftlichkeit scheint es aber auch nicht besser zu stehen,« spottete Karl Francois.
»Wer kann das sagen?« frug der Samtrock beleidigt.
»Ich sage es!« gab Francois zurück.
»Kannst Du das beweisen?«
»Denke an den Enke'schen Kometen,« sagte Francois kurz.
»Was ist das?« frug Franz verblüfft und geniert.
»Das ist ein großes Tier; wenn Du nachts heimtaumelst, umschwärmt es Dich und zieht Dich in seinem Netz zu Boden, daß Du zappelst wie ein nasser Tintenfisch am Ufer.«
»Mach keinen Unsinn! Sag mir, was das ist, der Lenkische Komete?«
»Der ›Enke'sche Komet‹ – sagt man,« half ihm Eugen schnell zurecht.
»Also!« rief der gelehrte Samtrock, rot werdend, zu Karl Francois hinüber.
»Nun, ich verlasse mich darauf,« spottete Karl Francois, »daß Dein wissenschaftlicher Kopf die Antwort seitdem selber gefunden hat.«
»Ich weiß nichts davon,« gestand Franz gutmütig ein.« Sag' es doch endlich, mach' vorwärts!«
»Je nun,« sagte jetzt Karl Francois, »ich wollte damit nur sagen, daß es jedenfalls kein barer Unsinn ist, wenn jemand sagt, die Welt gehe einmal unter. Man soll nur an den Enke'schen Kometen denken.«
»Wie ist denn das?« frug Franz.
Jetzt half Eugen nach und ehe Karl Francois einsetzen konnte, nahm er das Wort und erklärte es dem schwachen Bruder, zugleich um vor Karl Francois nicht mitbeschämt zu sein. Er sagte:
»Nun, weißt Du, der Enke'sche Komet, der kommt immer wieder von Zeit zu Zeit, und die Gelehrten haben es herausgebracht, daß seine Umlaufszeit immer kürzer wird, – oder wie ist es damit, Karl?« frug er weiter.
Karl Francois ergänzte: »Nun ja! manche Gelehrte erklären es so: Der Widerstand des Äthers im Weltenraum bewirke, daß seine Geschwindigkeit allmählich eine kleinere werde, und dadurch werde die Anziehungskraft der Sonne auf ihn um soviel größer, also sein Umlauf um die Sonne wieder entsprechend kleiner und kürzer. Wenn aber das so fortgeht, so kann und wird er also einstmals in die Sonne stürzen und dann passiert allerlei, Kleiner, was Dir nicht lieb ist. Siehst Du, das ist die Geschichte von dem Enke'schen Kometen.«
Karl Francois hätte dieses Thema gern viel ernster behandelt, er hatte Vorliebe für dergleichen Fragen und Kenntnisse. Aber hier an diesem Tisch, in diesem Kreis oder vielmehr in diesem engen Dreieck ließ sich ja doch nicht viel machen. Darum belustigte es ihn nur, dem kleinen dicken Samtrock eins damit aufzubrennen. Derselbe schaute auch darnach aus. Er sah Karl Francois an, wie ein Ochse das Scheunenthor, wenn er auf einmal ganz nahe davor steht. Sein Auge gab nicht den Eindruck, daß er weiter in die astronomischen Tiefen eingedrungen sei, aber er gab sich zufrieden und sagte: »Hm!« Im übrigen wußte er nicht viel mit der Sache anzufangen und es schien ihm auch ein wenig schwindelig geworden zu sein in diesen astronomischen Höhen, – so sah er wenigstens aus; er hatte den Faden des Gesprächs völlig verloren und wußte im Augenblick weder Ausgangspunkt noch Zielpunkt dieser Unterhaltung.
Eugen half wieder zurecht und sagte zu Karl Francois:
»Nun, Karl, das kann aber noch eine gute Weile dauern, bis der Enke'sche in die Sonne stürzt. Da braucht man noch lange nicht mit dem Weltuntergang zu drohen.«
»Das habe ich auch nicht gethan, sondern vielmehr Du! Aber wenn man einmal von dergleichen redet, so kann ich es nicht leiden, daß man einen Spaß daraus macht und immer nur Leute verspottet, welche ernste Gedanken haben. Darum habe ich es unserem Kleinen da ein wenig heimgegeben und ihm Gelegenheit verschafft, den Glanz seiner wissenschaftlichen Kenntnisse leuchten zu lassen, und es war ja ganz prächtig, was er alles wußte von dem ›Lenkischen Komete‹; – hm?« spaßte er noch einmal.
Der Samtrock schaute etwas leidend drein und schwieg die Schmach hinunter.
Jetzt begann Karl Francois wieder: »Seht, Leute! es sind in den letzten Jahren schon allerlei Dinge geschehen, die Staunen erweckt haben und ernste Leute schon auf den Gedanken bringen konnten, es möchte bald etwas Besonderes kommen. Aber es ist ganz erstaunlich, was für ein kurzes Gedächtnis für ernsthafte Dinge wir kurzlebenden und schnell-lebenden Menschen haben, – wirklich ganz erstaunlich. Ich bin es auch fest überzeugt: Sonne und Mond können den Schein verlieren, Sterne können vom Himmel fallen, – und nach ein paar Monaten spricht man schon wieder von etwas anderem! Wer blind sein will, ist blind, wer taub sein will, bleibt taub; da hilft alles nichts!«
»Nun, halt uns nur keine Predigt, Karl!«
»Nein, das habe ich nicht im Sinn, Eugen. Es würde bei Euch zwei Leutchen auch nichts helfen, aber das sage ich Euch noch einmal: mit Euch beiden kann man über ernste Dinge gar kein vernünftiges Wort reden!« – und er höhnte sie: »Ihr seid Leute, wie die Igel! Ihr trollt eben weiter in Eurer Ackerfurche, und wenn Euch etwas anbellt, wisset Ihr gar nichts zu machen, als daß Ihr stehen bleibt und Euch rund wickelt und die Stacheln hinausstreckt. Weiter wisset Ihr dann nichts von den Dingen in der Welt draußen. Es ist eine Schande! Schimpfen über die Christen, – das ist noch alles, dann aber ist es aus bei Euch. Das heiße ich ein gedankenloses Leben! Es sind nun einmal ernste Zeiten, da hilft das Maulaufreißen und Phrasenmachen nichts. Das behagt mir nimmer, das sage ich Euch ganz offen.«
Und wirklich! Diesmal hatte er es getroffen! Der Samtrock war still und duckte sich zusammen, als wäre er es geheißen, die Form eines Igels gehorsamst anzunehmen. Auch der schlanke, schwanke Eugen wurde still und duckte zusammen, wenn er es auch allerdings zur Rundung eines Igels nicht brachte.
»Hört einmal, Ihr beiden!« fing Karl wieder an, »so könnt Ihr ernstlich nicht fortmachen. Mir ist schon lange ein anderer Sinn gekommen. Mir kommt es immer so vor, die Dinge in der Welt zeigen ein anderes Gesicht, als wir es früher gemeint haben. Es kracht in allen Fugen! Die Welt hat keinen sicheren Bestand mehr. Was kommt, – ich weiß es ja nicht; aber so bleibt es nicht! Es ist eine Unruhe, eine unheimliche Unruhe. Weiß Gott, der Weltregent traut der Sache selber nimmer. Er wird aber eben auch ein Tyrann! Er schreckt die einen und kränkt die andern; offenbar traut er selber seinem Regiment nicht mehr. Angefangen hat er als Volkserwählter und jetzt wächst er zum Völkertyrann aus, – das ist mir eine sonderbare Sache. Was ist es dann mit all dem Freiheitsgeschrei? – Ihr wißt, ich war auch seiner Zeit voll Begeisterung, aber mir vergeht sie; – so ist es nimmer schön in der Welt. Früher hat es einmal geheißen: ›Völkerhirte.‹ Ja, Völkerhirte, ha! ha! Da sind wir weit weg davon! Idyllische Zustände haben wir wahrlich nicht!«
Die beiden schwiegen jetzt auf einmal ganz schön still und hörten zu.
»Und dann das, wie es über die Christen hergeht! Das gefällt mir eben auch ganz und gar nicht. Ich sage Euch, da kommen vor Gericht Dinge vor, – es ist haarsträubend! Wenn man da noch Freude an seinem Juristenberuf haben sollte, wie es gegenwärtig hergeht, – da müßte man eine Schergenseele sein, ein elender, erbärmlicher Mensch.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
Jetzt sagte er leise:
»Ich kann Euch sagen: wenn diese Leute, die Christen, glauben: ›uns ist nimmer zu helfen, als daß unser Heiland wiederkommt, dreinfährt und großartig hilft,‹ – es ist ja das ein sonderbarer Gedanke, aber begreifen kann ich es, und wenn ich Christ wäre, ginge es mir auch so; – das wäre mir die einzige, die ganz einzige Hoffnung. Denn es ist wirklich so! – auf Erden finden sie keinen Trost, keinen Beistand, absolut keine Hilfe mehr, – absolut nicht, – diese armen, geplagten Leute! – – Und das ist auch kein Segen für die Welt. Es sind ja zum Teil kuriose Leute, aber es sind doch brave Leute, gerechte Menschen, fromme Leute; und es ist eine Gemeinheit, da nur so leichthin von Heuchlern und Scheinheiligen zu reden. Im Gegenteil: wie diese Leute sich vor Gericht benehmen, mit welchem Ernst, mit welcher Wahrheitsliebe, mit welchem Respekt vor der Heiligkeit des Eides und auch der Obrigkeit, – ja! da soll man andere Fälle dagegen halten, das ist ein Unterschied! Ich habe den größten Respekt vor ihnen bekommen, den größten Respekt, das sage ich ganz offen. – Und das kann nicht gut sein, daß man diese Leute so behandelt! Das muß sich rächen, wenn noch ein gerechter Gott im Himmel ist. So ist es noch nie hergegangen in der Welt, so raffiniert, gerade weil immer so unter dem Schein der Kultur und der Gerechtigkeit! Teufelmäßig werden diese Leute gekränkt, geplagt und gedrückt. Wo sollen sie sich denn um Gottes willen noch hinwenden? Wenn ich Gott wäre, ich ließe Feuer vom Himmel fallen! ich ließe alles brennen, ich schleuderte den ersten Blitz auf den Weltregenten und gleich zehn andere auf alle seine Schergen, Schmeichler und Helfershelfer! Mir dürfte keiner hinaus!« – Er ballte die Faust. Seine schwarzen Augen sprühten. Er schien fast zu zittern. Dann wurde er wieder ruhiger und fuhr fort:
»Da ist es mir doch eigentlich ein viel vernünftigerer Gedanke, und es ist, wenn man es auch nicht selber glaubt, ein wirklich schöner, ein versöhnender, ein idealer Glaube, – (diese Sachen muß man sich doch auch zurecht zu legen wissen!) – ich sage, es ist ein schöner, ein wirklich schöner, versöhnender, idealer Gedanke, wenn die Christen glauben: in diese Teufelswelt kommt ihr Heiland wieder herein und macht der Sache da unten ein Ende, und wird wieder Heiland der Welt, aber in der Herrlichkeit wie ein König, (so sagen sie ausdrücklich,) – und wird Völkerhirte! Hört Ihr es? Völkerhirte im Frieden! im wahren Frieden aller Völker und aller Menschen unter einander! und die Tyrannei und alle diese Quälerei ist aus und all diese Feindseligkeit und Ungerechtigkeit muß zum Teufel, zum Teufel mit samt dem Weltregenten, den sie den Antichristen nennen! – und das letztere ist erst noch auch ein ganz vernünftiger Gedanke, sage ich Euch! – Und dann, sagen sie, wird › eine Herde unter einem Hirten‹ sein und Friede und Freude bis in Ewigkeit!«
Die beiden waren ganz still. Der Samtrock stand auf und sagte: »Es ist längst zwölf Uhr, wir müssen fort!« und ehe Karl Francois sich's versah, verabschiedeten sich beide und trollten langsam und still mit einander die Straße entlang, ihm voraus.
Karl Francois aber war es ganz wohl, daß er sich einmal ausgesprochen hatte. Er ahnte übrigens das noch nicht, wie viel er sich selbst ins eigene Herz hineingesprochen hatte. Sich selber hatte er ›gepredigt.‹ Ja, es hatte diesmal ganz anders gelautet, ganz anders ausgesehen da drinnen in der Weinstube!