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IX. Kapitel.
Ein Sonntag.

Motto:

Thut mir auf die schöne Pforte,
Führt in Gottes Haus mich ein!
Ach, wie wird an diesem Orte
Meine Seele fröhlich sein!

Schmolk.

Die Adventszeit war herangekommen, die Glocken des heiligen Advent läuteten im Thal, der klare Himmel des kalten, aber sonnenhellen Tages nahm ihren betenden Schall auf und trug ihn hoch zu Gott empor und weit in alle Lande hinaus.

Der Sonntag ist ein seliger Tag. Nicht die Menschen erst machen den Sabbath zu dem was er ist, sondern Gott »heiligte ihn und segnete ihn.« Wer das Gottgewisse dieses Tages nicht kennt, der ist um eine Seligkeit ärmer als andere Menschen, auch wenn er sich vergnügen will. Der Festtag aber steht hohepriesterlich erhaben in der Reihe der Sonntage, er trägt ein noch herrlicheres Kleid als diese alle. Und nun der heilige Advent in der neuen Weltzeit gar, welche selber ein großer Sabbath Gottes, die Eine, große, heilige Adventszeit des Herrn ist!

Ja, die Adventsglocken läuteten, – und gerne zogen unsere Freunde vom Parkhaus mit einander zu Thal, um in dem neuen Kirchlein dort dem Gottesdienst anzuwohnen und zugleich Martin und Frau Margaretha kurz zu grüßen, auch Henri und Ada, sowie deren Eltern heute hier zu dem Verlöbnis zu beglückwünschen. Alle miteinander gingen sie jetzt zur Kirche, welche nicht im Dorfe selbst, sondern etwas höher gelegen, nahe bei der Bergwand, neu erbaut ist und zwar unmittelbar der Stelle gegenüber, wo diese, die Bergwand, durch eine tief eingeschnittene, aber steil emporsteigende Schlucht weit aufgerissen ist und dadurch einen besonders malerischen Anblick darbietet. Wenn man sich jetzt vom Dorfe her dem Kirchlein näherte, so kam hier der volle Schall der dreieinigen Glockentöne, durch die Schlucht hin hoch emporgetragen, mit verstärktem Wiederhall und fast noch hehrer und noch reiner klingend, als unmittelbar vom Turm herab, den zur Kirche Wallenden entgegen. Der stille Weg zur Bergkirche ward so schon zu einem Wallen im Vorhof.

Und nun das Heiligtum! Was soll ich sagen? Es hat ja schon in alten Zeiten für eine Ehre gegolten, ein über allen andern Häusern hoch emporragendes Gotteshaus zu erbauen und dasselbe zum Kleinod zu gestalten, dem nichts anderes gleiche.

Das Bergkirchlein hier war auch ein solches. Wenn man das hohe Portal betrat und mit einem Blick hinein- und durch die ganze Säulenreihe durchschaute bis in den Chor hinauf, so fing das selige Auge sofort die stillen, prächtigen Farben seiner Fenster auf, wie Engelsgrüße aus einer höheren Welt.

Doch wir wollen keinen Augenblick länger bei dem verweilen, was das Auge hier zu schauen und was jetzt das Ohr zu hören bekam mit dem Orgelgruß. Nirgends als bei Religion und Gottesdienst ist es ja so wichtig, daß Form nicht nur leere Form sei, wenn auch noch so schön, sondern immer zugleich das volle Gefäß für Geist und Geistesfülle. Das war aber hier auch in der That der Fall; ein gottgeweihtes Herz brachten sie alle mit, und die ganze Gemeinde war eine wirklich betende Gemeinde. Auch der ganze Verlauf der gottesdienstlichen Versammlung zeigte, daß die Gemeinde reif und mündig sei und zugleich reich und geisterfüllt, so wie die alten Propheten einst weissagten: »Sie werden alle von Gott gelehret sein.«

Der Lobgesang der Kinder stieg als ein fröhliches »Hosianna dem Sohne Davids!« in die Höhe, und die Gesänge der Gemeinde ließen eine Gebetsweihe spüren, welche ebenso innig anmutete, wie die frohe Glaubensbegeisterung, die sich darin aussprach. Als aber der Mann am Altar erschien, welcher berufen war, das Gebet der Gemeinde zu Gott emporzutragen, da sanken sie alle auf die Kniee, mitbetend mit einer solchen Innerlichkeit und Feierlichkeit, zugleich aber mit solcher Kindlichkeit und Einfachheit, daß es jeden von uns ergriffen hätte, wenn er gewürdigt gewesen wäre, hier zugegen zu sein.

Als er geendet, hörte die Gemeinde ein Adventswort der h. Schrift stehend an; nachdem sie sich aber niedergelassen hatte, da ergoß sich aus seinem Mund ein herrlicher Lobpreis Gottes und des Heilandes. Man könnte nicht sagen, daß es eine Predigt gewesen wäre, es war eigentlich nicht einmal eine Rede, sondern nur ein kurzer Hymnus auf den allgewaltigen, hochherrlichen Gott und auf die allen geoffenbarte Huld und Majestät unseres Heilandes; aber es floß, wenn auch in ganz schlichter Sprache und ohne alles das, was man Künste der Rhetorik nennen könnte, doch so voll innerster Überzeugung, voll tiefster Ehrfurcht und frohster Begeisterung zugleich von seinen Lippen, daß es den Zuhörer im innersten Herzen ergriff, im tiefsten Gemüt ihm wohl that und zu freudigem Glauben und innigem Dank bewegte. Es hätte jetzt die richtige Feststimmung über jeden kommen müssen, wenn er auch die Festfreude im Herzen nicht schon selbst mitgebracht hätte.

Ihr Ja und Amen gab die Gemeinde schon in einem gemeinsamen Lobgesang zu erkennen, welcher zugleich die Mitte des ganzen Gottesdienstes bezeichnete. Dann aber bekundete sich ihre Mündigkeit auch noch in etwas anderem, das man in früheren Jahrhunderten im öffentlichen Gottesdienst nirgends überhaupt für möglich gehalten hätte. Ringsum in den Chorstühlen standen die »Väter« der Gemeinde, meist ältere Männer, bewährte Charaktere, reife Christen. Auf sie ward jetzt der Blick aller gerichtet, und die ganze Gemeinde hörte ihnen zu, nicht in Neugier oder Fürwitz, sondern in ernstem Eifer und wahrer Christenfreude. Einer jener Männer um den andern sagte ein Wort, meist kurz und schlicht, aber kernig und klar, – so schon der erste, welcher die eigenste selige Erfahrung eines langen Lebens und des innersten Herzens zum Ausdruck brachte, woran ein zweiter eine herzliche Bitte und Ermahnung an die ganze Gemeinde und besonders an ihre Jugend anschloß. Ein anderer rief bei den Alten die Erinnerung wach an jenen allerheiligsten Advent des Herrn vor dreißig Jahren, und wieder einer sprach von den Schauern und Schrecken jener Zeit und von der Bewahrung derer, welche der Herr aller Not entrückt habe. Darauf rief der fünfte die Jugend wieder auf, auch ihresteils Treue zu halten und mit jenen Bewährten zu wetteifern, und wieder ein anderer pries demütig Gottes bewahrende Gnade, die den Alten ihr Weh' half übersteh'n.

Besonders ergreifend war es, als ein hochbetagter Mann mit zitternder Stimme, kindlich wie ein Kind, den Kindern dankte für ihr fröhliches seliges Hosianna, das heute erklungen, und darauf sein Nachbar die Betagten antrieb, Gott für den großen Trost zu danken, den wir alle mit der seligen Heilsgewißheit für unser Sterben haben.

Wohl niemand ahnte, wie nahe diese beiden Greise ihrem eigenen Abschied waren und daß einer von ihnen sogar schon wenige Tage darauf das Zeitliche segnen werde, um selbst das himmlische Hosianna anzustimmen.

Endlich wies wieder ein anderer seine Zeitgenossen darauf hin, daß ihrer aller Leben auch jetzt immer noch ein »Warten auf den Herrn« sein müsse, dessen Herrlichkeit ohne Unterlaß nahe sei. Im Anschluß an eben dieses Mannes Wort sprach noch jemand über jene so merkwürdigen, ganz besonderen Offenbarungen, welche unter ihnen hier und da geschehen, worauf noch ein anderer die Jünglinge und jungen Männer aufrief, die Missions- und Kulturarbeit unter allen Heiden, dieses heiligste Erbe der Väter, diese höchste Ehre der neuen Zeit, immer hochzuhalten und sich selbst dazu erwählen zu lassen. Zum Schluß kam noch ein Lobpreis des ewigen Gottes, welcher am Ende aller Dinge im ewigen Leben einst sich noch viel herrlicher offenbaren werde.

Als aber die Gemeinde wieder gebetet hatte, das letzte Lied verklungen war und der Segen des Herrn auf allen Häuptern lag, da war das jener Friede und jene Freude, jene wunderbare, stille Machtwirkung des heiligen Evangeliums, von welchem einer der Apostel seinerzeit gesagt hat, daß »darein auch die Engel gelüste zu schauen.«


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