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V. Kapitel.
Nachlese.

Motto:

Sehe jeder, wie er's treibe.
Sehe jeder, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle.

Göthe.

Gegen 11 Uhr ging die Gesellschaft auseinander, man verabschiedete sich allerseits ganz herzlich. Die Wege führten meist bald, jedenfalls schon nach verhältnismäßig kurzem Gang, solcherart auseinander, daß die Herren gewöhnlich nur noch zwei und zwei vollends heimwanderten.

So gingen auch der Curé und der Pastor friedlich miteinander ihre Straße.

Was ist das wert, – Friede zwischen den Konfessionen! Was sind das für üble Dinge, wo Kampf und Streit ist! Aber einer, der die Sache am besten versteht, hat einmal gesagt: ›Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und was wollte ich lieber, denn es brennete schon!‹ Und es giebt Zeiten, die fordern festen Sinn und klare Stirn, ein mutiges Herz und doppelt treues Bekenntnis! Der Herr Pastor und der Herr Curé vertrugen sich prächtig miteinander, – daß persönlich, versteht sich ja doch wohl von selbst, aber auch sachlich, amtlich, grundsätzlich vertrugen sie sich nur gar zu gut. Fade, verwaschene Religionsmänner, wie sie beide waren, nicht die Edelsten ihres Standes, aber leider nicht die einzigen ihrer Art in selbiger traurigen Zeit, buhlten sie schwächlich um die Gunst der Menge, schwammen mit dem Strom, der breit einherflutete, ließen sich tragen durch die öffentliche Meinung, wie sie sich vielstimmig oder vielmehr einstimmig aussprach, hatten wohl weltmännische Art und Manieren, aber kein Rückgrat, keinen Mannessinn, keinen Prophetenton in ihrer Rede; selbst in ihren öffentlichen Reden scheuten sie sich nicht, die große Zeit herauszustreichen und das allgemeine Menschentum zu verhimmeln, so daß die wässrige Rede des einen dem Thränenwasser der Frauen, die trockene Art des andern dem verdorrten Boden seiner Gemeinde es über die Maßen leicht machte, zu sein und zu bleiben, was sie waren.

»Nun, Herr Kollege, heut' ist es etwas hitzig hergegangen!«

»Ach ja! es war nicht gut, daß Herr Simon so herausplatzte.«

»Und es waren doch auch starke Ausfälle dabei.«

»Und in der That ungerechte Anklagen.«

»Die Leute verstehen die Zeit nicht recht oder eben nur von ihrem einseitigen Parteistandpunkt aus.«

»Ja, das meine ich auch. Man sollte sich ein wenig über das Einzelne erheben und muß mehr auf das große Ganze sehen.«

»Und wir haben doch viel Großes und Schönes in unserer Zeit, – und diese allgemeine Einmütigkeit, das ist doch wirklich schön.«

»Gewiß, das ist schön.«

»Da wollen wir nur recht zusammenhalten, Herr Kollege!«

»Gewiß, das wollen wir,« sagte der Curé.

»Freuen wir uns, daß wir einem großen Reiche, einem immer herrlicher werdenden Gottesreich angehören.«

»Ja, Herr Kollege.« –

Es war offenbar spät, den allgemeinen Phrasen nach zu schließen, sehr spät für die müden Streiter. Immerhin war der Curé etwas reservierter als sein ›Herr Kollege‹, während dieser, der Herr Pastor, ein Mann des goldenen Mittelweges war, der sich nur selber nie recht klar darüber war, worauf er denn baue und womit er baue, ob wirklich mit Gold oder Silber, oder mit Holz, Heu, Stoppeln!

Es war gut, daß sie am Hause des einen ankamen und sich jetzt beide voneinander verabschiedeten.

»Gute Nacht, Herr Kollege, schlafen Sie wohl!«

»Gute Nacht, schlafen Sie auch recht wohl!«

Ja, ja! es war Schlafenszeit. Und bald mußte die Mitternacht kommen.

*

In einer andern Straße, in der es ohnedem sehr still und hohltönend war, stolperten der kleine dicke Samtrock und der lange Eugen mit seinem niederen Spazierstock ihrem heimatlichen Herde zu, oder vielmehr jeder seiner Junggesellenbehausung entgegen.

»Das war heute nicht nett.«

»Nein, wirklich nicht!«

»Was das für Ansichten sind! ich kann diese Herren nicht begreifen. Der Simon so hitzig, – und der alte Ducrot gar!«

»Ach was, man hätte sie gar nicht reden lassen sollen!«

»Eugen, wir sind in einer Übergangszeit. Wenn einmal wir Jungen drankommen, dann wird es aus einem andern Ton gehen! Das wird kolossal, das wird ganz großartig!«

»Kleiner Dicker! Ich sage Dir, das macht aber noch zu schaffen!« fuchtelte Eugen mit dem Spazierstock.

»Hat nichts zu sagen, wir werden schon fertig werden!«

»Meine es auch! aber religiöse Meinungen, – das ist das Zäheste!«

»Meinetwegen! und doch wird man sie hinunter kriegen,« rief der kleine dicke Samtrock mit dem Kraftbewußtsein eines Mannes, dem ein Schnurrbart und zwei Schlagwörter zu Gebote stehen. »Unser Freund Karl hat sich aber wacker gehalten, schneidig, wirklich schneidig!«

»Höre Du, es hat mir aber vorkommen wollen, er wackle auch ein wenig.«

»Ja, es ist wahr, er nimmt sich immer mehr in acht, gegen die Christen etwas zu sagen. Aber heute doch nicht?«

»Es ist mir auch heute so vorgekommen.«

»Hab' nichts gemerkt!«

»Gute Nacht, Franz!«

»Gute Nacht, schlaf wohl! ich bin eigentlich kolossal müde.«

*

Um Mitternacht aber standen Herr Otto Simon und Herr Ducrot noch immer an einer Straßenecke, da wo auch ihre Wege sich vollends trennten.

Herr Ducrot hatte seinen Rock oben zusammengeknöpft, denn es ging ein kühler Wind hier an der Ecke; dennoch hielt der alte Herr stand, er war diesmal ganz im Feuer!

Beide sprachen noch eifrig, eigentlich leise, aber erregt.

»Und was will das werden?« rief Herr Ducrot, »die Menschen werden ja immer roher und immer verwilderter! alles ist erlaubt, alles! Bosheit, Gehässigkeit, Schadenfreude! Und alle Mißgunst, Neiderei und Eigennützigkeit spielen mit!«

»Herr Ducrot! ich habe jüngst eine alte Geschichte aus der Römerzeit gelesen. Ich mußte mir sagen: So ist es wieder, es ist die reine Proskription, eine förmliche Proskription der Christen! sie sind einfach geächtet! Hätte man das gemeint in unserer Zeit? sollte man es für möglich halten unter gebildeten Völkern und in einem so fortgeschrittenen Jahrhundert? Es ist rein unfaßlich, es ist Schmach und Schande.«

»Eigensinnig sind sie, und starrköpfig, das muß man ja sagen. Mein Gott! wozu diese Sachen! Aber man muß sie doch aufrichtig bedauern.«

»Und es sind edle Menschen unter ihnen, Herr Ducrot, edle Menschen, deren die Welt nicht wert ist!«

»Jedenfalls brave Leute. Ich habe es früher auch nicht so angesehen, aber ich glaube mehr und mehr, man hätte sie ganz ruhig ihre Wege gehen lassen können, – die hätten das Reich nicht umgestürzt, die nicht!«

»Das meine ich auch. Das geht noch an etwas anderem zu Grund, wenn es zu Grund gehen soll An diesem Gewaltgeist geht es zu Grund! das thut nicht gut, das hat nie gut gethan. Allzu scharf macht schartig.«

»Nun, das Schlimmste wollen wir nicht befürchten, es mag ja alles wieder recht werden; es wäre auch schade, wirklich schade, wo doch jetzt alles einen so schnellen Aufschwung genommen hatte.«

»Hören Sie, es hat doch schon allerlei gegeben! Denken Sie an die großen Katastrophen vor ein paar Jahren! und an die mit der Weltstadt! Es ist ja merkwürdig: wir haben eine so schnell lebende Zeit, daß man alles gleich wieder vergißt. Oft kommt es mir auch vor, es sei alles nur geflickt, und es komme noch etwas Böses nach!«

»Nun, wir wollen nicht das Schlimmste denken. Wissen Sie, der Weltregent ist gescheit, grundgescheit! und er hat das Heft in der Hand. Aber in diesen Sachen ist er offenbar übel beraten! Weiß kein Mensch, wer dahinter steckt! Muß denn auch der leibhaftige Teufel in alles etwas Ungutes hineinbringen? Das sollte einem so erleuchteten Mann nicht passieren, beileibe nicht!«

»Herr Ducrot, ich werde oft ganz irre, ganz irre werde ich oft!«

»Geht mir auch nicht anders und es thut mir im Herzen weh, im Herzen weh, sage ich Ihnen, wenn ich an die armen, armen Christen denke. Das haben sie doch nicht verdient.«

»Mir kommt oft ein ganz anderer Sinn, ich kann Ihnen sagen: mich quält es oft in dunkler Nacht. Ich weiß oft nicht mehr: sind wir denn alle mit einander betrogen und irre geführt, Thoren und Narren geworden? Einesteils diese herrliche, großartige Entwicklung auf politischem Gebiet, und andererseits diese unnötigen Tyranneien und Quälereien da! – Aber Sie müssen heim, Herr Ducrot, es ist kalt, Sie frieren!«

»Ich muß nur noch eines sagen: ich möchte es nicht auf dem Gewissen haben, Herr Simon, so die Leute zu plagen, und so unnötig! Man stirbt auch einmal und will dann an einen guten Ort kommen. Aber wo führt das hin, wo führt das hin!«

»Ich danke Ihnen auch noch recht herzlich, daß Sie mich heute so unterstützt haben; ich habe reden müssen, ich habe nicht schweigen können.«

»Sie können immer auf mich zählen. Aber jetzt gute Nacht! ich muß eilen.«

»Gute Nacht, Herr Ducrot, es wird allerdings spät für Sie.«

*

Ja, Mitternacht war jetzt eigentlich schon vorüber. Aber ganz haben diese beiden edlen Männer es doch nicht bemerkt, wie sehr es einer andern Mitternacht zuging. Ganz wußten das doch nur die Christen, diese armen, gequälten Leute, diese vielfach jetzt schon mit der Existenz kämpfenden Menschen, denen alles Recht genommen, aller Rechtsboden unter den Füßen weggezogen war mit einem Schlag, über denen die Wogen der gehässigsten Quälerei zusammenschlugen, so daß mancher, mancher sich nicht mehr halten konnte, auch finanziell unterging, sich wegmachte, um anderswo, am unbekannten Ort als Unbekannter, Stellung zu suchen und, wenn neuer Unbill verfallend, oft heimatlos, fast obdachlos, umherirrte, hier vertrieben und dort kaum noch von einem barmherzigen Menschen schüchtern aufgenommen, nirgends mehr in Ruhe, nirgends! – Und es sollte gar noch eine Mitternacht für sie kommen!


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