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Motto:
Ein Segen ruht im schweren Werke:
Dir wächst, wie Du's vollbringst, die Stärke;
Bescheiden zweifelnd fingst Du's an,
Und stehst am Ziel, – ein ganzer Mann.
Geibel.
Wenige Tage darauf kam Rahel wieder zu Beatrice. Sie fand dieselbe etwas gedrückt. Anfangs wollte sie es nur für Zerstreutheit halten, jedenfalls war sie abgezogen durch irgend eine besondere Angelegenheit. Aber nein, es war mehr als das; es war eine Sorge, wo nicht gar ein Kummer.
Warum sollte sie nicht fragen? Hatten sie sich doch gerade in der letzten Zeit vollends so besonders innig befreundet, daß sie sich beide wie ganz neu verbunden fühlten. Man sagt von einem geistig bedeutenderen Menschen oft, er erlebe eine zweite Jugend. Ja wohl! Das menschliche Gemüt hat ja überhaupt ein reiches Frühlingsleben, – so gut als Herbst und Winter in stürmischem Wechsel oft genug darüber hingehen. Warum soll also eine lebenskräftige Seele nicht auch einen so ganz neuen Anfang nehmen können, daß sie selbst im Alter noch einmal wirklich kräftig sich verjüngt? Noch viel leichter aber ist es und noch viel häufiger kommt es vor, daß zwei jugendliche Gemüter in innerer Erhebung und froher Freundschaftsverbindung einander gegenseitig dazu verhelfen, ganz neu aufzuleben und ganz frische Geistestriebe zu bekommen. Die Unterhaltung der beiden idealgesinnten Mädchen war ohnedem nie trivial oder leer tändelnd gewesen. Dafür war Beatrice zu fein angelegt und Rahel viel zu begabt, – jetzt aber wurde sie eigentlich immer wirklich reich und gehaltvoll, schön und erhebend, ohne doch je erzwungen oder überspannt zu sein.
»Was hast Du nur heute, Beatrice? es ist Dir etwas!« frug jetzt Rahel.
»Ach ja, warum soll ich es Dir nicht sagen? Ich selber habe eigentlich nichts, aber mein Bräutigam hat mir dies und das gesagt, das mich verwirrt und bedrückt.«
»Es wird aber doch nichts Übles sein, Beatrice? ich bitte Dich!« rief Rahel erschreckt und teilnehmend.
Beatrice lächelte: »Zwischen mich und meinen Kuno kommt nichts, liebe Rahel, da kannst Du ruhig sein!«
»Nun?«
»Ach, es betrifft seinen Bruder Leon!«
»Ach so,« – antwortete Rahel und wollte abbrechen, um nicht in Familienangelegenheiten unzart zu erscheinen.
»Nein, Rahel!« sagte Beatrice, »Du verstehst mich vielleicht falsch. – Ach, es betrifft eigentlich auch meinen Schwager Leon nicht allein, – es sind Dinge unseres Glaubens.«
Rahel schwieg.
Beatrice fuhr erklärend fort: »Mein künftiger Schwager Leon ist nämlich, was man so heißt, ein Christ und diese haben ...«
Rahel lächelte ein wenig.
»Nicht wahr, das interessiert Dich nicht, Rahel?«
»O doch, Beatrice! Du darfst mich nicht mißverstehen. Ich lächelte nur über Deine Ausdrucksweise, – Ihr seid ja doch alle Christen?«
»Ach ja, aber so heißt man bei uns eben nur diejenigen, welche es besonders streng nehmen und ..., – ich kann es Dir jetzt im Augenblick nicht näher erklären.«
»Ich verstehe es schon, Beatrice! Du wirst mich aber auch verstehen, wenn ich ein wenig lächeln mußte. Für uns Juden ist das allemal wieder gar zu sonderbar, daß Ihr Christen untereinander solche Unterschiede macht und Euch von jenen so ganz trennt, daß Ihr auf Euren Christennamen fast verzichtet und ihn dafür denen ausdrücklich gebt, die Ihr tadelt als Sonderlinge.«
»Ja, das ist wohl eigentümlich. Aber das hat sich eben allmählich so gemacht.«
»Verzeih, Beatrice!« sagte Rahel, »unter uns Juden sind auch Unterschiede oder wenigstens ein großer Unterschied,« – (und sie sah bei diesen Worten sehr ernst aus,) »aber« – lächelte sie jetzt wieder, – »wir sind und bleiben doch alle miteinander Juden und nichts als Juden. – Doch ich habe Dich unterbrochen; Du willst noch mehr sagen!«
»Ja, ich wollte sagen: diese Christen, – verzeih nur wieder den Ausdruck! wir sagen nun einmal gewöhnlich so, – diese Christen werden gegenwärtiger Zeit viel geplagt und hart behandelt.«
»Ach ja, man hört ja viel davon, ich weiß es. Verschiedene Fälle wurden auch schon in den Zeitungen besprochen, und in der Gesellschaft spricht man oft noch viel mehr davon.«
»Ja, und mit wieviel Unverstand!« bemerkte Beatrice, – »oft nur mit Spott und Schadenfreude, jedenfalls ohne Teilnahme! Und ich gestehe, mein Bräutigam hat mir auch erst mehr Interesse für die Sache eingeflößt, die aber auch ihm selber eigentlich noch neu ist. Er hat gestern mit mir in einer Weise darüber geredet und mir einzelnes mitgeteilt, daß ich ganz ergriffen bin. Es liegt ein schwerer Druck auf ihm und da wirst Du Dich nicht wundern, daß es mir jetzt auch so geht. Man kann einander ja oft etwas wirklich abnehmen, manchmal aber belastet auch eines das andere mit seiner Last. Ich habe ihm schon viel Last und Leid weggetröstet, – er hat so ein Gemüt, daß er es brauchen kann, er lebt auch ziemlich einsam für sich, – aber diesmal ist es mir nicht gelungen. Im Gegenteil! diesmal hat er mich ganz damit angesteckt, ich bin heute voll Gram und Mitleid, voll Gram!«
»Das kann ich mir schon denken,« sagte Rahel, »und ich bedaure Dich herzlich darüber, liebe Beatrice. Um das Mitleid zwar sollte man einander eigentlich nicht bedauern; das muß man einander ja nicht nehmen wollen. Mitleid ist ein heiliges Leid; es ist wohl auch eine Last, aber eine süße, ja heilige Last. Denn Mitleid ist kein Hader im Gemüt, wie so vieles andere Leid, sondern ein Friedensengel; es führt zu Gott und verbindet auch die Menschen untereinander.«
Beatrice sah schmerzerfüllt und doch getröstet vor sich hin. Dann sagte sie:
»Ja, es ist schön, daß Du so sagst. Ich finde, man muß sich beim Mitleid sehr in acht nehmen, daß man sich nicht mit dem Gefühl zufrieden giebt und sich es dann damit gar zu leicht macht. Das rechte Mitleid legt auch eine heilige Pflicht gegen den Nächsten auf; und diese Pflicht dann wirklich zu erfüllen, dafür ist man oft zu schwach oder noch zu unentschlossen, und das ist dann das Unglück im Mitleid. Ich fühle mich heute so unglücklich, Rahel!«
»Das kann ich begreifen, denn Du hast ganz recht mit dem, was Du eben sagtest. Aber das ist ja auch der Segen des Mitleids. Das Mitleid erhebt nicht bloß, es demütigt auch zugleich. Rohe Menschen laufen dem Mitleid aus dem Weg oder schütteln es schnell wieder ab, sie scheuen es; und oberflächliche Menschen täuschen sich mit dem Gefühl davon und meinen dann wunder wie weich, edel und fromm sie seien, wenn sie einmal mitleidig gewesen sind. Wer aber so fühlt wie Du, den demütigt es zugleich und das ist eigentlich sein größter Segen.«
Beatrice seufzte: »Du tröstest mich recht schön damit, liebe Rahel, aber für jetzt beschämt es mich nur; es lastet ganz auf mir, es lastet auf mir!«
»Laß uns auch einmal von der Sache selber reden, um die es sich hier handelt, Beatrice!« bat Rahel.
Beatrice sah Rahel an und sagte dann: »Es sind aber eigentlich Glaubenssachen, Rahel!«
Rahel lächelte und erwiderte: »Ja, das fühle ich wohl; aber, Beatrice! – vielleicht ist es nur ein Fehler, daß wir über solches noch nie näher miteinander geredet haben.«
»Du magst recht haben, Rahel, und wir sind ja so miteinander verbunden, daß es zwischen uns keinen Streit, oder was dergleichen ist, geben kann.«
»Das meine ich auch, liebe Beatrice,« sagte Rahel und küßte sie auf die Wange
Beatrice erzählte nun Rahel näher, was sie von Kuno gehört hatte über Leon, über dessen Bedrängnisse und Besorgnisse, – dann auch einzelne Beispiele von andern Christen, welche ihr Kuno mitgeteilt hatte, – nicht verschweigend seine Ansicht, daß hier bitteres Unrecht geschehe.
Und sie war wieder voll Mitleid! Liebe und Mitleid verband sie mit Kuno, aufrichtiges Mitleid jetzt auch mit Leon, warme Teilnahme auf einmal sogar mit allen andern, ihr völlig fremden Christen, – und es wurden heute wieder alle die Gefühle in ihr wachgerufen, welche Kuno gestern auf sie übertrug, ja sie bemühte sich förmlich, sie auch auf Rahel überzutragen. Sie schien zu besorgen, von der Freundin, einer Jüdin, nicht recht verstanden zu werden und redete vielleicht deshalb gerade mit um so größerem Eifer und mit doppelter Wärme.
Rahel hörte aufmerksam zu, eigentlich mit mehr Verständnis für die innere Seite der Sache, als Beatrice bei ihr, der Jüdin, vorausgesetzt hatte. Mitleid ist keiner tugendsamen Frauenseele fremd und hat nicht bloß ein mit Thränen umflortes Auge, sondern vielmehr, sobald tiefer ergriffen, ein nur noch klarer sehendes Auge, wo es sich um geistige Vorgänge bei der Sache handelt. Mitleid ist der Vorhof der wahren Nächstenliebe, – nicht mehr, aber auch nicht weniger, – gerade wie die wahre Nächstenliebe auch noch ein Allerheiligstes hat, das mehr ist, als sie selbst, nämlich die Selbstaufopferung, in welche ja allerdings nur wenige wirklich eindringen.
Rahel hörte meist still zu und unterbrach höchstens da und dort mit Zustimmungsbezeugungen die ausführlichen Schilderungen Beatricens. Drinnen im Nebenzimmer aber rief jetzt Frau Vilette: »Bitte, ihr Mädchen! kommt doch zu mir herein, ich möchte es auch hören.«
Beatrice war eigentlich schon fertig und Frau Vilette hatte ja das Meiste doch mit angehört. Aber beide begaben sich jetzt dennoch sofort ans Bett der kränklichen Mutter und die Unterhaltung wurde fortgesetzt. Rahel aber gab ihr eine neue Wendung.
»Also Dein Schwager Leon sagt vom Weltregenten nichts Gutes?« fragte sie.
»Nein, gar nicht! – Nun ja, der ist ja auch an allem schuld. Man kann es Leon also nicht zumuten, daß er gut auf ihn zu sprechen sein soll.«
Rahel sah sinnend drein.
»Und er meint also, es werde etwas ganz Besonderes geschehen, daß es anders werde?« frug sie dann.
»Ja, so sagte er; das glauben er und seine Leute ganz fest und steif.«
»Und wie sagen sie, daß es kommen werde?« frug Rahel.
Beatrice lächelte: »Nun, das sind eben christliche Glaubenssachen, Rahel; aber ich kann mit Dir ja schon davon reden.«
»O ja, ich bitte darum!« sagte Rahel sanft und ernst dreinschauend.
»Sie sagen: Christus werde wiederkommen und Hilfe bringen; – wir haben nämlich den Glaubensartikel, daß Christus wiederkommen wird, ›zu richten die Lebendigen und die Toten.‹«
Rahel sah sie stumm an. »Und dieser Euer Glaubensartikel gilt Euch doch?« sagte sie dann.
»Ach ja,« sagte Beatrice und schaute zu ihrer Mutter hinüber.
Diese erwiderte: »›Von dannen er wieder kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten,‹ sagt unser Glaube. Über Christi Wiederkunft ist nämlich von alten Zeiten her schon viel geredet worden.«
»Und jetzt also, scheint es, in unserer Zeit erst recht wieder, wenigstens von diesen ›Christen‹?« lächelte Rahel.
»Warum lachst Du, Rahel?« sagte Frau Vilette, selber lächelnd.
»Nun, verzeihen Sie, Frau Vilette, wir sprachen vorhin davon, – oder ichsagte davon, – daß es eigentlich sonderbar sei, daß Ihr Christen nur diese besonderen Leute, diese Sonderlinge, noch ›Christen‹ nennt. Ihr seid ja doch alle ›Christen‹! – Wissen Sie, Frau Vilette, das kommt uns Juden sonderbar vor. Ich sagte vorhin: wir haben auch unsere Unterschiede, aber wir sind doch alle Juden und lassen uns untereinander unseren Judennamen nicht nehmen, – eigentlich kein Teil, – wenigstens sobald es ernst wird, nicht.«
Frau Vilette sagte: »Ja wohl, Ihr seid aber auch nur das kleine einzelne Volk und zwischen uns Christen einigermaßen in der Enge drin, oder wie man sagen will; da haltet Ihr andern gegenüber besser zusammen als wir, und habt mehr das Gefühl, daß Ihr es nötig habt zur Selbsterhaltung. Wir Christen ... ja, da hast Du recht, – es ist so, wie Du sagst. Aber die Sache ist doch auch natürlich; wir sind die herrschende Religion, auch sind wir durch die Kultur aus manchen Vorstellungen hinausgewachsen. Oder eigentlich – der Glaube steht fest, aber man nimmt es nicht mehr so wichtig, – und allerdings, manches stellt man mehr zurück, und wenn man ernstlich darnach fragt, so ist es freilich fast abgethan, – das müssen wir offen sagen,« setzte sie bei, zu Beatrice hinüberschauend.
»Ja,« sagte Rahel, »diesen Eindruck bekommt man überall; die Sachen stehen in Ihren Glaubensartikeln, aber sie werden nicht mehr eigentlich geglaubt.«
Frau Vilette entgegnete ihr: »Das geben uns diese Christen auch schuld und sie sind darin sehr streng; sie glauben fest an alles, was in der Bibel steht und lesen viel darin, besonders auch in den Weissagungen.«
»Ja, die Weissagungen!« sagte Rahel zu Frau Vilette ganz lebendig, – »denken Sie nur! so ist es bei uns eigentlich gerade auch! Unsere Propheten mit ihren Weissagungen ziehen uns auch immer besonders an. Aber das ist auch wirklich das Schönste von allem. Ich weiß nicht, wie Sie davon denken, – mir ist die Weissagung vom Messias immer mehr das Schönste und Größte, was es für mich giebt. Besonders seit ich in Jerusalem gewesen bin, denke ich viel darüber nach,« sagte sie, ganz andächtig vor sich hinschauend.
Frau Vilette sah Beatrice fragend an, diese nickte, und dann sagte Frau Vilette: »Aber da geht unser und Euer Glaube doch weit auseinander. Ihr glaubt, ein Messias komme noch, – und wir glauben: der Erlöser ist längst gekommen.«
Rahel blickte sie ganz unbefangen an. Diesen Religionsunterschied zu berühren, machte ihr so lieben Freunden gegenüber ganz und gar nichts aus. Im Gegenteil, sie schien froh daran zu sein, daß auch dieses Thema nun berührt sei und nicht von ihr erst zur Sprache gebracht werden müsse. Sie sah den beiden, Mutter und Tochter, sehr herzlich ins Gesicht und sagte in ihrer nachdenklichen und zugleich immer gemütlichen Weise:
»Ja! und doch muß ich sagen,« – hiebei stockte sie lächelnd, fuhr dann aber fort: – »wenn es in Ihrem Glaubensartikel heißt, wie Sie gesagt haben: er werde wiederkommen, so sind wir eigentlich nicht mehr so weit auseinander.«
»Wieso?«
»Ja,« lächelte sie, »wenn man wirklich daran glaubt, wirklich und wahrhaftig, wie Sie von Ihren sogenannten ›Christen‹, den Sonderlingen, versichern, daß sie wirklich daran glauben, – dann glauben also Juden und ›Christen‹ doch beide an einen kommenden Messias, – nicht wahr?«
»Immerhin,« sagte Frau Vilette. Sie war eine feinfühlende Frau; sie schämte sich förmlich, daß sie an diese Vergleichbarkeit noch gar nie gedacht hatte und sagte sich im Stillen: so wenig denkt man diese Sachen gründlich durch, daß ich eigentlich darüber noch gar nicht näher nachgedacht habe!
Rahel aber ließ den Gedanken nicht mehr los und sagte jetzt: »Das ist jedenfalls merkwürdig, daß man bei uns Juden gegenwärtig so viel redet vom Kommen des Messias, und daß Sie, die Christen, oder also doch Ihre Sonderlinge, diese sogenannten Christen, auch, einen kommenden Messias glauben.«
»Ja wohl, aber doch eine ganz andere Person,« sagte Beatrice.
Ihre Mutter war in ihren Gedanken weiter fortgeschritten und sagte zögernd: »Oder wenn das eine und dieselbe Person wäre?«
Rahel schüttelte den Kopf. »Wenn aber Ihr Christen,« sagte sie, »an Euren Christus selber nicht mehr recht glaubt, jedenfalls an sein Kommen schon gar nicht, wie sollten da wir Juden an diesen Euren Messias glauben und hoffen, daß er wiederkomme? Nein! unser Messias ist ein anderer als der Eure, unser Messias kommt erst!«
Man brach wieder ab. Es ging, wie so oft bei religiösen Gesprächen. Man ist zu wenig unterrichtet, um gründlich reden zu können, und beide Teile fühlen deshalb bald doch die gegenseitigen Widersprüche und die Differenzen mehr, als daß sie die Möglichkeit finden, sich auf irgend etwas zu vereinigen.
Immerhin war es ihnen allen wohl, daß man sich einmal über solche Gegensätze offen gegen einander ausgesprochen hatte und daß es in so herzlicher Weise geschehen war.
Die Freundschaftsgefühle Rahels machten es gar nicht anders möglich, als daß auch sie die allgemein besprochene Christenfrage fortan noch mehr in ihr Herz aufnahm, als bisher. Sie war zu edel, um nicht auch das Mitleid der mitleidbedrückten Beatrice einigermaßen auf sich übergehen zu lassen. Doch es sollte bald noch anderes dazukommen, sie darin weiterzuführen und klarer sehen zu lassen. Jedenfalls aber war sie glücklich, daß sie auch einmal etwas von ihren Messiashoffnungen hier hatte aussprechen können und es war, wie wenn diese ihr selber jetzt nur um so viel wertvoller geworden wären.
Hätte sie von dem, was sie in Jerusalem über den Unterschied der altgläubigen Juden von den modernen Juden gehört, gesehen und miterlebt hatte, hätte sie davon auch ihren christlichen Freundinnen mehr erzählt, als sie in ihrem jüdischen Nationalgefühl davon reden mochte, so wären wohl auch diese darauf aufmerksam geworden, wie merkwürdig das doch war: Überall, nicht bloß da und dort unter Christen und Sonderlingen, sondern allenthalben, auch unter dem jüdischen Volk, bahnte sich längst ein Warten auf den Messias an! Und es bereitete sich so, wenn auch bei Christen und Juden von ganz verschiedenem Standort aus, – wirklich eine gemeinsame Grundrichtung der Geister vor, welche tiefer Schauenden in der That zu denken geben mußte.
Aber es heißt in allen diesen Dingen jedesmal: ›Da die Zeit erfüllet war,‹ – und die Zeit war jetzt noch nicht erfüllt.