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Motto:
Licht, Licht!
Glanz von des Herren Angesicht!
Wie dürstet meine Seele doch nach dir!
S. 408.
Mirjam hatte wieder schwere Zeiten, ihr Augenübel ließ nicht nach, es schien eher wieder schlimmer zu werden. Der Vater tröstete, es sei ja schon oft so gewesen und auch wieder besser geworden. Rahel hatte es wohl schlimmer gefunden, aber über die Zeit der ersten Freude des Wiedersehens hatte Mirjam es selbst nicht so stark empfunden oder geäußert. Jetzt weinte sie wieder viel. Rahel tröstete sie auch sehr treu. Doch mit was konnte sie eigentlich viel trösten? Die Liebe ist zwar an und für sich schon immer ein großer Trost; kann sie auch nichts wegnehmen, so kann sie doch immer etwas geben, und das verstand Rahel vortrefflich. Sie war dann nicht etwa nur die weit überlegene Schwester, welche es macht wie mancher Reiche, wenn er einige gnädige Worte oder meinetwegen auch Gaben verschenkt und Silberlinge hinwirft, sondern in solchem Fall konnte sie sich ganz unter Mirjam hinuntergeben. Da war sie dann die viel Geringere und wußte es so innig und herzlich zu offenbaren, daß Mirjam ganz beschämt war und wirklich davon erquickt wurde. Geschwisterliebe geht ja sonst oft das eine Mal gar zu nüchtern einher und dann ein andermal wieder gar zu parteisüchtig vor. Wenn Rahel ihre Mirjam tröstete, da war es weder das eine noch das andere, sondern eine solch treue Hingabe, eine solch weihevolle Festigkeit, daß etwas wirklich Erhebendes und Heiliges, etwas wahrhaft Aufrichtendes und sicher Führendes für die weiche, gebeugte Mirjam darin lag. Solche Stunden, äußerlich meist die Dämmerstunden, wenn sie nebeneinander saßen und das müde Auge Mirjams im Halbdunkel ausruhte, ehe das für sie zu grelle Licht kam, – solche Stunden wurden für sie in Wahrheit oft lichthell, und zwar nicht bloß ›helle Augenblicke‹, sondern wirklich selige Stunden. Aber ach! Hätte Rahel damals schon den Hochgelobten gekannt, hätte sie, die Liebhaberin der großen Weissagungen, den offenen Born gewußt, der in der Erkenntnis dessen zu finden ist, in welchem alle Verheißungen Ja und Amen sind, – wie ganz anders noch hätte sie gerade die betrübte Schwester Mirjam trösten können! Aber die Liebe tröstet doch. Und so tröstete sie denn auch, so gut und so innig sie es konnte, ihre unglückliche Schwester immer wieder.
Dann konnte diese wieder still bleiben und recht geduldig sein; sie hatte ja auch ihren eigenen Freudenquell. Griff sie in die Saiten, so war es ein herrlicher Ton und man spürte wohl, daß ihre Seele den vollen Akkord fand, gerade wenn sie recht in die Tiefen niederstieg. Da konnte sie dann stundenlang sitzen und singen, dichten und träumen, spielen und am Saitenspiel sich erfreuen. Je und je lag auch ein Papier vor ihr und sie schrieb ein paar Zeilen, doch wollte sie es nicht haben, daß man sie dabei finde, und um keinen Preis wollte sie etwas davon offenbaren. Auf diesem Gebiet gerade fühlte sie sich oft tief unter ihrer Schwester Rahel, obwohl sie es eben hier gar nicht nötig gehabt hätte. Denn Rahel mit ihrem hervorragenden Verstand war bei aller Gemütswärme die Dichtergabe, wie sie wenigstens immer behauptete, vollständig versagt, während sie oft versicherte, was sie von Mirjam ausnahmsweise schon gesehen oder gehört habe, sei ein schöner, klarer, sprudelnder Quell, wenn auch meist wie im stillen, dunkeln Forst verborgen.
So ein paar Lieder hatte sie doch mitgeteilt bekommen und ihr dann liebreich entrissen; so z. B. ein Lied voll Leid über ihre Halbblindheit, dann noch ein anderes Klagelied, über die Schmach Israels nämlich, und ein drittes, ein sehnsüchtiges Lied, das uns gar merkwürdig anmutet, denn sie offenbart darin, daß auch sie von dem Sehnen und Verlangen nach einem kommenden Messias ergriffen ist und mit den Bewegungen, welche sich im Volk Israel rege zeigten, einigermaßen vertraut geworden war, ohne freilich zur Klarheit über die alle Welt bewegende Frage durchzudringen.
Sie mögen hier ihren Platz finden, diese drei Lieder. Wir sagen nur zum Voraus, daß es der immer bescheidenen Mirjam ein Schrecken gewesen wäre, ihre nicht für andere Leute, am wenigsten aber für öffentliche Kritik zubereiteten Gedichte vor aller Augen gekommen zu wissen, und ihr Bruder Arthur hätte gesagt: ›Sentimentalitäten!‹ Aber er hatte auch gar zu wenig Sinn für die Sprache des Leids und für das Lied einer stillen, frommen, noch etwas hoffenden Seele.
*
Licht, Licht!
Glanz von des Herren Angesicht!
Wie dürstet meine Seele doch nach dir!
Des Himmels Blau, die bunte Pracht der Auen,
Und Gottes Ebenbild, der Schöpfung Zier,
Wann darf ich euch in reiner Klarheit schauen?
Kehrt, süße Lieder, doch zurück, –
Des Kindes Gut, der Jungfrau Sehnen
Vergebens rufen meine Thränen:
Wer hebt den Schleier mir vom Blick?
Kein Helfer, der die Fessel bricht?
Licht! Licht!
Nacht, Nacht
Senkt sich herab mit Todesmacht,
Schlägt meinen Geist in dumpfen, schweren Bann,
Hüllt leise Sinn um Sinn in dichte Schatten,
Bis mir das Leben in das Nichts zerrann.
Gott Israels! Du nennst dich Kraft der Matten, –
Warum verschließest du dein Ohr?
Antwortest nicht dem heißen Flehen,
Im Sturm nicht, noch im sanften Wehen?
Des Bundes, den dein heilger Mund beschwor.
Wird seiner nimmermehr gedacht? –
Nacht! Nacht!
Tag, Tag!
Dich kündet meines Herzens Schlag!
Die Hoffnung, die noch immer hebt das Haupt,
Sie flüstert es mir zu in stillen Stunden:
Es ist kein Wahn, was du so lang geglaubt,
Es kommt ein Tag, da wird dein Weh gesunden,
Wo der Gesalbte Gottes soll
In Zion alle Bande lösen,
Uns freien von der Macht des Bösen, –
Dann wird mein Auge Lichtes voll! –
Ob ich dich wohl erleben mag?
Tag! Tag!
*
An den Wassern Babels saßen
Unsre Väter einst und weinten,
Wenn sie, Zion, dein gedachten,
Dachten an des Herren Tempel
Und die hochgebaute Stadt.
»Singet uns ein Lied von Zion!«
Sprachen spottend ihre Feinde. –
Ach, wie sollten sie denn singen?
Lag in Trümmern doch der Tempel,
Wüste lag Jerusalem!
Und mein Volk, das Volk der Fürsten,
Abrahams geweihter Same,
Dienen mußten sie als Knechte
Fremden Heiden, den Chaldäern
In dem Lande Sinear.
Wohl, es kam ein Tag der Rückkehr,
Wie die heilgen Schriften künden;
Gott gebot dem König Kores:
»Lass mein Volk mir heimwärts ziehen
Hin, wo Milch und Honig fließt,
Daß mein Haus es wieder baue,
Meinem Namen eine Stätte,
Anzubeten für die Völker
Auf dem heilgen Berg Morijah,
In des großen Davids Stadt.«
*
Doch wo ist des neuen Hauses
Größ're Herrlichkeit und Ehre?
Sanken nicht die stolzen Mauern,
Sank nicht Zions Glanz und Stärke
Wiederum in Schutt und Nacht?
Und zerstreut in alle Lande
Muß mein Volk in Knechtschaft frohnen
Fremden, die es nimmer lieben,
Sein Gebot und Recht nicht achten,
Die es treten in den Staub.
Und es bebt in Furcht sein Herze,
Es verschmachtet schier sein Auge,
Es verdorret seine Seele, –
Denn auf seinem Nacken lastet
Des gerechten Gottes Hand.
*
Ach, was sollen uns die Schätze?
Nimmer hilft uns Gold und Silber,
Das wir gierig raffen, häufen,
Daß es uns Gestalt und Schöne
Leihe, und Gewalt und Macht!
Häuft es nicht den Groll der Großen,
Weckt es nicht den Neid der Menge,
Deren Sprichwort wir geworden?
Legt es nicht auch Schuld um Schuld uns
Auf das fluchbeladne Haupt?
Wehe! und mein Volk gedenket
Nicht des Landes seiner Väter,
Nicht des Bundes seines Gottes?
Hat Jerusalem vergessen,
Sehnt sich nicht nach Kanaan?
Trauernd hängen noch die Harfen
An den Weiden in der Fremde;
Alte Lieder sind verklungen
Und kein neues will erstehen
Dem ins Joch gebeugten Sinn.
Hört nur, wie die Christen singen:
Hosianna, Hallelujah! –
Gebt uns unsre Lieder wieder,
Unser Heimweh, unser Hoffen!
Laßt uns unsren Davidssohn!
*
Noch sticht die Schlange! Und kein Weibessame,
Der ihr den Kopf zertritt, ist bisher kommen,
Kein Tröster in des Lebens Not und Müh'!
Wo bleibt der Segen, der von Abraham
Und Isaak und von Jakob sich ergieße
In Strömen über alle Erdenvölker?
Du Stern aus Jakob, Scepter aus Israel!
Gingst du in David auf und unter?
Warst oder wirst du sein in Davids Sohn?
*
Auf ewig hat der Ewige verheißen,
Daß seines Königreiches Stuhl er gründe,
Und doch, – wer nennt uns noch Isai's Haus?
Fremd sind uns Kind und Kindeskinder
Des großen Königs, des Gesalbten Gottes,
Und Fremde sitzen längst auf seinem Thron.
Der Wunderrat, der Kraftheld, Ewigvater,
Der Friedefürst, von dem Jesaja singt,
Der den Gebundenen die Fesseln löst,
Den Sündern alle ihre Schuld erläßt
Im großen Hall- und Jubeljahr,
Der treue Gottesknecht, des Menschen Sohn,
Der unsre Krankheit, unsre Schmerzen trägt,
Dem große Menge wird zur Siegesbeute,
Vor dem der Heiden Könige sich neigen,
Wer ists? –
War's Israel,
ist's Israel?
Ists
Einer? Und
wer wird der Eine sein? –
Wer giebt mir Antwort aus die bangen Fragen?
*
Wer stillt des Herzens heimlich heißes Sehnen?
Bist du es, Jesus? Nazarener? – Nein!
Was kann aus Nazareth denn Gutes kommen? –
Wie bin ich blind, wie ohne Rat und Hilfe!
O Herr, gieb Licht! O führe mich zur Klarheit!
Kommt ein Erlöser oder kommt er nimmer?!
Kommt einer, muß er Heiland sein und heißen,
Heiland der ganzen Welt und aller Völker!
Kommt
keiner, – ach! – dann bleibet Not und Sünde!