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II. Kapitel.
Es gährt in den Tiefen.

Motto:

Und überall, wohin mein Fuß mich trug,
Fand ich den gleichen Haß der Tyrannei.

Schiller.

Es ist merkwürdig, wie oft großen politischen Begebenheiten auch große religiöse Bewegungen zur Seite gehen, vorausgehen oder nachfolgen. Die politische Lebensanschauung vieler Menschen kennt das nicht oder sieht es nicht so an, und doch ist es so.

Die Wogen aufgeregten politischen Lebens schienen ja mit der Zeit des Weltregenten sich gelegt zu haben oder doch nun für immer legen zu wollen. Was in aller Stille die Christen von Anfang an ihm gegenüber bewegte und erregte, das war längere Zeit ganz ohne Beachtung geblieben, als wäre es überhaupt nichts Beachtenswertes und hätte jedenfalls keinerlei Bedeutung für Welt und Zeit. Und doch war schon ein bis zwei Jahre her auch der allgemeine Weltbarometer auf Sturm und Gewitter gestanden. Für Einsichtigere hätte es klar sein können, daß, was zunächst über die Christen hereinbrach, doch nur ein einzelnes Zeichen von dem sei, was überhaupt auch auf politischem Gebiet noch kommen werde. Denn es bereitete sich wirklich etwas auf dem politischen Gebiete vor, was wohl auf der Oberfläche des Lebens nicht gerade klar zu schauen, aber doch wirklich schon vorhanden war: – in den Tiefen gährte es!

Die Monarchisten aller Länder waren unzufrieden mit den Verhältnissen und wurden nur immer unzufriedener. Zwar hatten viele auch allmählich ihren Frieden gemacht mit den neuen Verhältnissen, fortgerissen von dem Strom einer allgemeinen Zeitbewegung, angesteckt von dem trunkenen Wesen der begeisterten Menge; aber das war doch nur ein Teil. Unter den alten Adelsgeschlechtern, unter den stolzesten Führern der Armeen und bei dem feineren höheren Beamtentum gab es hin und her in allen Ländern viele, welchen der ganze Geist der politischen Welt jener Zeit nicht recht behagte. Der Weltregent war ihnen zu klein und zu groß zugleich, zu klein als ein Emporkömmling und zu groß mit seinem cäsarischen Wesen. Sie gedachten der alten vergangenen Zeiten.

Die Adelsgeschlechter erinnerten sich der Herrlichkeit vergangener Glanzperioden, der glänzenden Feste der Höfe, bei welchen sie die Erstberechtigten waren, überhaupt der bevorzugten Stellung früherer Zeiten, welche jetzt so ganz und gar zur Vergangenheit gehörte. Die fast vollständige Mißachtung dieser alten stolzen Geschlechter in der allrepublikanischen Weltzeit blieb von diesen unverschmerzt und unverwunden.

Die Offiziere der Armeen standen vielfach noch wie früher in ihren Stellungen, aber je selbständiger in ihrem Charakter, um so gewisser beargwöhnt, je begeisterter von dem Ruhme alter Heldenzeiten, um so eifersüchtiger darauf angesehen, ob ihr Streben nicht einen andern Weg suche, etwa irgend einen gewaltsamen Ausweg aus dem Bann pflichtmäßiger, stummer Ergebenheit für den Weltregenten. Der militärische Gehorsam half wohl mit, sich ihrer ruhigen Haltung zu versichern, aber so ganz konnte der Weltregent, dieser Emporkömmling, den alten Haudegen doch nicht trauen, ihnen, den Anhängern der alten königlichen Geschlechter, ihnen, den furchtlosen und treuen Hütern der Waffenehre und des Ruhmes der angestammten Fürstenhäuser.

Auch das höhere Beamtentum, eine Aristokratie ganz eigener Art, und deren bald schwächeres, bald stärkeres Ebenbild, – auch sie war vielfach nicht eigentlich zu versöhnen mit den neuen Verhältnissen. Die Anlehnung an Thron und Königtum, die Belehnung mit Ehren und Würden unter dessen Glanz und Hoheit, blieb ja nur noch eine Erinnerung. Ihnen wollte die Trivialisierung aller Verhältnisse und die Gleichmachung aller Menschen vor einerlei Gesetz und in einerlei Lebensstellung, obwohl ja mit ein Ideal des wahren Beamtentums selber, doch vielfach nicht recht behagen, weil jetzt auch so ganz auf sie selber angewendet.

Anbahnungen zu solchem Mißbehagen dieser maßgebenden Kreise waren ja schon lange vorher da gewesen. Aber die unruhigen Zeiten der vergangenen Jahrzehnte hatten die völlige Veränderung der Verhältnisse doch nicht so ganz zum Bewußtsein kommen lassen. Jetzt aber, als die Welt im Frieden dalag, als jedenfalls ein Endpunkt in der Völkergeschichte erreicht schien, als die neue Aera des Weltregenten in feierlicher Proklamation eingeleitet, in allem Ernst zur Wahrheit gemacht, in ihren unerbittlichen Konsequenzen durchgebildet war, – als eine gewisse, freilich nur eine gewisse, oder vielmehr eine sehr ungewisse Ruhe eingetreten war, als der Einzelne Zeit hatte, sich auf sich selbst zu besinnen, Soll und Haben, Gewinn und Verlust des eigenen Lebenskontos und Familienglücks wirklich zu überschlagen, da war viel Rückerinnern und Vergleichen, viel Kränkungsgefühl und Zurücksetzungsgroll in den Herzen stolzer Männer und eigenen Werts sich bewußter Charaktere.

Aus war es mit dem ersten Aufschwung, die neue Zeit als eine große Zeit anzusehen, aus mit den wenigen Funken der Begeisterung dafür! Die mächtige Schranke eines einzigen allmächtigen Willens, welcher keinem andern starken Willen mehr Großes und Schönes zu erstreben übrig lassen wollte, fühlte man als Fessel und als Kette trotz alles Freiheitsgeschreies. Dieser einzige mächtige Mann war nicht nur die ›Verkörperung‹ eines einheitlichen Staatsgedankens für alle Welt, sondern er wollte ja auch der Geist, die Seele des Ganzen sein! Es blieb andern starken Geistern schließlich nur noch die Freiheit, die Atome zu sein in der ganzen unendlichen Materie, die wirbelnden Stäubchen im großen Weltall. Der Allwille eines Einzigen ist Gewaltwille, selbst wenn er hoch und heilig schwören würde, die ganze Welt beglücken zu wollen. Ja, ja! aus dem Erkorenen aller Nationen, dem Republikenpräsidenten, war der Tyrannos der großen Welt- respublica geworden, und nicht mehr ein Kaiser etwa, nein! ein Cäsar voll Selbstherrlichkeit und voll Willkür, trotz des Scheins der Volkswahl, ja der Völkerwahl! –

Und er selbst, der Weltregent, – er ahnte es wohl! Er hatte einen klaren Blick, wenn auch ein finsteres Auge. Wenn sich schon Feigheit mit Frechheit, Erschrockenheit mit Entschlossenheit bei ihm paarten, so war er doch vielleicht eben deswegen vorsichtig wie voraussehend, tückisch wie scharfblickend genug, sich alle diese Gefahren seines Weltregiments zu vergegenwärtigen. So klug, so selten klug war er zwar gewesen, daß er sich längst sagte, wenn er nur allein die Religionsmächte und den Geist des Christentums in Bann schlüge, so hätte er jene andern Mächte alle miteinander nicht mehr zu fürchten, weil nichts von Allem in der Welt soviel Geist und Leben, soviel Lebenskraft und Zähigkeit hat, als Religion und Christentum besonders, so verachtet dasselbe vielfach auch ist. Merkwürdig! Kunst und Wissenschaft für sich selber fürchtete er nicht, obwohl sie gerade so besonders stolz auf ihre Größe, so besonders eifersüchtig auf ihre Freiheit waren. Ihnen brauchte er nur zu schmeicheln, so waren sie gewonnen und wurden seine falschen Propheten, welche ihm wieder schmeichelten und, selber berückt, die Welt berückten, die große Menge, welche auf Phrasen hörte, bethörten, daß sie ihm anhange. Eigentlich zu fürchten hatte er nur Christentum und Religion, sonst nichts in der Welt! Aber jemehr ihm nun Kampf erwuchs mit dem Christentum, und sogar mit dem Religionsgeist des alten Judentums, umsomehr wurden ihm jetzt doch auch die stolzen Gewalten des Adelsgeistes, der kriegerischen Heldengröße und der Beamtenaristokratie eine Sorge und ein Anliegen.

Und doch war hingegen gar nichts zu machen. Ja, hin und her eine Versetzung, eine unangenehme überraschende Verschiebung, oder bald eine Vernachlässigung, bald wieder eine Bevorzugung einer und derselben Gruppe, einer und derselben Person, um sie so alle recht in die Hände zu bekommen und unter seine Gewalt zu bringen. Aber sichere Griffe und gewisse Schritte ließen sich auf diesem Gebiet nicht wohl thun. Gerade der proklamierte Geist der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ließ es nicht zu, hierin zu weit zu gehen. Denn es handelte sich hier nicht um solche in klarster Abscheidung herauszufassende Widersacher, wie bei den Christen, sondern es galt hier, noch abzuwarten, im Auge zu behalten und – seinerseits die geheimsten Gedanken zu verschließen. Und wem wäre das je besser gelungen als ihm?!

Aber die Gefahr war da und sie blieb! Ja, ›es gährte in der Tiefe‹. –

Das war eigentlich der einzige Grund, die großen Heere nicht alle aufzulösen, die Militärmacht nicht heimzuschicken, um sie den Werken des Friedens wiederzugeben, – wie es sich doch gemäß den Proklamationen von Weltfrieden und erreichtem Völkerideal gehört hätte. Aber die militärische Macht, dieses stolzeste Überbleibsel vergangener Zeiten, diese glänzendste Erinnerung königlicher Heldenthaten, diese festeste Schutzwehr der öffentlichen Ordnung, die Militärmacht ließ er fortbestehen, – ob etwas verkleinert oder nicht, kommt für die Sache selber nicht in Betracht. Die militärische Disziplin war gerade recht, um ein fügsames Werkzeug auch für alle seine Pläne, auf alle Notfälle oder für ein zeitweiliges Mißgeschick, sicher zur Hand zu haben. Und je und je experimentierte er gern mit diesem »allerschönsten und größten Spielzeug für einen stolzen Tyrannengeist«, wie ein bitterer Spötter des Weltregenten sich einmal höhnisch ausdrückte. Man schob denn hin und her, man versammelte zu Heerschauen und probierte die Verläßlichkeit, man hatte so seine Pläne und Gedanken für das Wenn und Aber einer etwaigen Gefahr oder einer ungewissen Zukunft, aber man schwieg. Man lästerte wohl einmal in vertrauten Kreisen die »himmlischen Gewalten« und trotzte des Geschickes Mächten, aber man schwieg.

Unter den Massen der Menschen war dann wohl ein Fragen: wozu das alles, da doch Friede sei und zwar allgemeiner Weltfriede? Aber man verstand und erklärte es einander auch unzweideutig, daß Heerschau und Disziplinprobe jederzeit noch wichtig bleiben, auch das glänzendste Schauspiel abgeben, Zehntausenden zum Genuß. Denn die Welt kennt doch kein glänzenderes Schauspiel, (wenn es sich einmal um Menschenglanz, um Ruhm und Ehre handelt,) als eine große militärische Heerschau es ist; wenigstens ein rechtes Männerauge kannte keines sonst in jener ganzen Weltzeit. Ob wohl irgend jemand ahnte, daß in Wahrheit nur das klopfende Herz, das vor drohender, obwohl noch ganz ungewisser Gefahr dennoch pochende Herz, der eigentliche Ausgangspunkt für all diese Unruhe militärischer Bewegungen war?

Solche begannen nur allmählich, sie kamen aber immer häufiger und sie steigerten sich immer mehr. Er zog so ganze Völkerheere zusammen, seine Macht zu zeigen, und den Bann seines Wesens auf alle Völker und alle Nationen zu legen, – und er gedachte es noch oft zu thun. Ob er wohl selber ahnte, daß nun bald, bald ein Tag kommen werde, wo er dann nicht nur Heerschau hielt, sondern wirklich einem Mächtigeren sich gegenüber befand, der sagen könnte: ›Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden‹ –?! Aber es hätte in der That so scheinen können, als wollte er -sich selbst darauf rüsten!

Ob dieses Völkerheer wohl auch eine legio fulminatrix hatte? – Dieses antichristliche Völkerheer ja keinesfalls! Aber gar allerlei Leute waren darunter, das ist wahr. Die Militärpflicht zwang ja auch die Christen hinein; ja in aller Stille konnten sie sich auch mitten in seinen Heeren sagen: ›Unser ist Legion!‹ Und wie viele der gegen Christen Mitleidigen und Barmherzigen vollends waren mit dabei! Er konnte sich mit allem Willen hier seine Freunde und seine Feinde nicht auseinanderlesen. Das war die Sache dessen, der allein in die Herzen sieht und sich das in seinem ganzen Reich und selbst mitten in jenem stolzesten Weltreich, sogar in den Heeren des Antichrists, aufgespart hat auf seinen großen Tag. Ebenso waren der Natur der Sache nach auch seine Widersacher auf politischem Gebiet mit dabei, also auch hier – ›gährte es in den Tiefen!‹


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