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IV. Buch:
Letzte Schreckenszeit.

Motto:

Sag' an, wie reift die Saat im Feld?
Sie reift durch heiße Sonnengluten!
Und sag', wie wird aus dir ein Held?
Im heißen Kämpfen, Ringen, Bluten! –
Nun rüste, Häuflein, dich zum Streit,
Zur letzten großen Schreckenszeit!

I. Kapitel.
Die Nachrichten aus Jerusalem.

Motto:

Darnach werden die Kinder Israel zurückkehren und den Herrn, ihren Gott, und David, ihren König, suchen und werden den Herrn und seine Gnade ehren in der letzten Zeit.

Hosea.

Rahel bekam immer wieder Nachrichten von Jerusalem. Ihre Freunde hielten treulich Wort, Lea schrieb ihr regelmäßig und es war gut so. Denn die Zeitungen hatten vieles nicht berichtet, was zum wahren Verständnis der Dinge doch nötig war. Das innere Werden und sich Entwickeln auch einer großen Sache erfährt man aus Zeitungen oft lange gar nicht, auch wenn es selbst für die gleichgiltig Lebenden ganz offen vor Augen läge. Alles zu sagen oder öffentlich zu besprechen wäre ja auch oft unpassend, noch häufiger aber wird es dafür angesehen. Manches zu sagen verbietet auch die Staatsraison; viele Dinge, wie besonders die das religiöse Gebiet berührenden Vorgänge, werden vielfach in ihrer eigentlichen Bedeutung, – Wert oder Unwert, – gar nicht recht verstanden; gerade die am tiefsten gehenden Bewegungen des Geisteslebens werden oft gar nicht gehörig gewürdigt; der oberflächlichen Betrachtung und dem Auge der Welt entzieht sich da manches fast ganz, oder geradezu ganz.

So auch hier. An die Einwanderung des Volkes Israel ins Land seiner Väter hatte man sich jetzt überall längst gewöhnt; der Unterschied der altgläubigen und der modernen Juden war bisher eine mehr innerreligiöse Frage gewesen, welche nicht immer viel offenbar wurde. Den theoretischen Streit trugen beide Teile mehr unter sich aus; vielfach wurde er auch absichtlich in der Stille gehalten. Je und je gab es wohl arge Gehässigkeiten, aber meist wurde alles schnell wieder abgethan, wenn etwas offen zu Tage getreten war.

Bei näherer Betrachtung aber war nicht zu leugnen, daß ein tiefgehender Gegensatz die beiden Lager auseinanderhielt und streng schied, selbst wo die Leute mitten untereinander wohnten. Wohl war das ja schon lange her so, so daß man sogar behauptete, es sei immer so gewesen. Aber seit das Volk in Scharen in sein angestammtes Land gezogen kam und sich äußerlich sammelte, wurde diese Kluft insgeheim doch eigentlich noch viel breiter, als sie in früheren Zeiten gewesen war. Die altgläubigen Juden eiferten nun um das Gesetz, und jetzt, wo es endlich wieder ernst damit werden konnte, – eigentlich mit allem, mit Gesetz und Satzungen, mit Tempel und Opfer, mit allem ohne Ausnahme, – jetzt war ihr Schmerz auch doppelt groß darüber, daß die Gleichgiltigkeit der Gleichgiltigen nur um so mehr offenbar wurde. Der Streit, ob Tempel oder nicht, ob Gesetz und Opfer oder nicht, – war ja jetzt kein litterarischer, kein theoretischer mehr, sondern er wurde zur brennenden Frage der Gegenwart. Das Entweder-Oder dieser Fragen machte den Gleichgiltigen nun ganz anders zu schaffen als früher, wo man sagen konnte: ›unsere Verhältnisse sind doch ganz andersartige, die nötigen Voraussetzungen dafür sind ja gar nicht da,‹ – denn jetzt war die lange Zeit der allgemeinen Zerstreuung und der Verstoßung vorüber, von welcher einst ihr Prophet Hosea (Kap. 3, 4) gesagt hatte: ›Die Kinder Israel werden lange Zeit ohne König und ohne Fürsten, ohne Opfer und ohne Altar, ohne Leibrock und ohne Heiligtum sein,‹ – diese Zeit der allgemeinen Zerstreuung, wo Königtum, Opferdienst und Hohepriestertum, – angestammtes und rechtmäßiges sowohl, als auch nicht rechtmäßiges und willkürliches, – im Volk Israel ganz aufhören sollte, diese Jahrhunderte lange Zeit der Verstoßung des Volks war jetzt vorüber; sie hatten ihr Land wieder und hatten das Recht, – vielleicht die Pflicht? – an ihre national-jüdische Verfassung in jeder Beziehung wieder ernstlich zu denken.

Und merkwürdig! schien es nicht wirklich so, als wäre es auch schon erfüllt, was derselbe Prophet in einem Atem und im unmittelbaren Zusammenhang mit dem eben Gesagten dort hinzufügt: ›Darnach werden die Kinder Israel zurückkehren und den Herrn, ihren Gott, und ihren Davidskönig suchen und werden den Herrn und seine Gnade ehren in der letzten Zeit‹ –? Loderte nicht allgemein im Volk Israel ein Feuer auf, die alten Zeiten wiederherzustellen, die alte Herrlichkeit wieder zu finden und die alte Gottesbegeisterung wieder zu zeigen? Es ist wahr, zum Fanatismus sind alle Völker geneigt; dieser ist aber nicht eigentlich die jugendkräftige erste Begeisterung, sondern mehr nur ihr Schattenbild, die Zusammenfassung der letzten Kraft, das vergebliche Streben, veraltete Zustände wiederherzustellen. Hier aber war doch auch noch etwas anderes zu bemerken bei diesem merkwürdigen, zähen, unvergänglichen Volk, etwas anderes als bloßer Fanatismus. Es war doch eine aus der tiefsten Tiefe der Volksseele geborene Bewegung. Die Messiasidee hatte wieder ganz neue tiefe Wurzeln geschlagen, und schuf für Hunderttausende eine wirklich höhere Einheit. Und wenn es auch gedroht hatte, daß einzig nur der alte Fanatismus daraus wieder neue Kraft bekommen möchte und die lodernde Begeisterung für diese uralte Idee nur neue wahnwitzige Geschichtsgebilde, nur neue Unruhen und damit neue Gefahren für den Volksbestand selbst wieder bringen könnte, – so waltete doch sichtlich die göttliche Vorsehung darin, dämmte gewaltig ein, läuterte und klärte das Ganze der großen Bewegung; – und dies geschah auf folgende Weise.

Die altgläubigen Juden hatten immer mehr zu leiden unter der Ungunst des Weltregenten. Sie erkannten ihn auch mehr und mehr als den Antichrist. Ist ja doch die Erwartung eines Antichrists merkwürdigerweise auch dem alten Judentum durchaus nicht fremd. Der Typus, welchen der Prophet Daniel dafür aufgestellt hat, ist immerdar unter ihnen unvergessen geblieben und jetzt wurde wieder viel unter ihnen davon gesprochen.

Hatte es ihnen auch anfangs geschmeichelt, daß der Weltregent ihrem Volk entstamme, waren ihnen damit auch große Ziele vor Augen gerückt worden, – hatte er, der Weltregent, ihnen auch anfangs selbst zu schmeicheln gesucht und auf seine Art um ihre Gunst geworben, – so war doch sein selbstsüchtiger Tyrannengeist, sein wirklich geheimnisvoller Religionshaß und seine fast lästernde Selbstvergötterung immer mehr hervorgetreten und instinktiv schon bald im Anfang von ihnen gespürt worden. Es war eine geistige Kluft, – wie zwischen altgläubigen und modernen Juden, welche selbst die unter beiden Teilen gleich lebendige Nationalidee nicht völlig überbrückte, – so auch zwischen den altgläubigen Juden einerseits und dem Weltregenten andererseits, welche auch seine jüdische Nationalität nicht zu überbrücken vermochte, vielmehr nur um so peinlicher für ihn und um so aufregender für sie machte.

Der Weltregent lebte geradezu von den hochtrabenden Erwartungen der Menschheit und er erweckte selber solche; er ward getragen von der Flut der Völkerbewegung und er trug sie selber; er benützte und er leitete sie. ›Es komme eine große neue Zeit, die Wüste, müsse blühen und die Ruinen müssen wieder lebendig werden!‹ hatte er einmal stolz und hochtönend in einer seiner Proklamationen gesagt und es war ja ohnedem längst wahr: seit die Völker wieder mehr nach Asien blickten, seit Jungasien mit dem alternden Europa rivalisierte, ja schon seit die Ruinen des uralten Ninive die Scharen der Reisenden anzogen, und besonders seit die alten Paläste von Babylon wieder zu neuem Glanz und neuer Pracht auferstehen zu wollen schienen, – da war ja alles dazu angethan, jenes Wort wie ein Prophetenwort anzustaunen, es heilig zu halten wie das Gotteswort: ›es werde!‹

Der Weltregent hielt sich viel in Asien auf, – fast schien es, mehr als in Europa, – er kam gern aus der Welthauptstadt herüber in die altheilige Stadt Jerusalem, – und wenn er dort war, waren immer aller Augen auf ihn gerichtet, was wohl geschehen werde? Er liebte zu schweigen und Erregung und Bewegung der Gemüter damit zu steigern; er liebte auch einmal zu reden und dann wie in einem dämonisch-geheimnisvollen Rätselspruch etwas Neues ahnen und raten, hoffen und fürchten zu lassen. War er in Jerusalem, so gab er sich besonders gerne so; dann sollte sein Wort wie ein Gottesorakel, sein Ton wie ein Prophetengebahren erscheinen, und der erregten Phantasie seiner Freunde und Verehrer weit und breit, wie seiner scheuen Widersacher und Gegner in der Stille – erschien vieles größer an ihm, als es überhaupt war.

In dieser Zeit schrieb einmal Lea von Jerusalem:

»O Rahel, es wird uns immer banger und ängstlicher zu Mute! Er ist der Antichrist, das glauben wir jetzt alle. Er haßt die Messiashoffnung unseres Volkes, er haßt sie, – und doch nur, weil sie nicht ihm gilt! Er ist uns ein Schrecken und ein Greuel, ein Tyrann und ein Scheusal zugleich. Ich kann nicht mehr davon schreiben, – alles bangt! Es giebt noch Greuelszenen und Wutausbrüche, Du wirst es sehen. Denn er setzt sich in den Tempel Gottes als ein Gott und giebt vor, er sei Gott.«

Rahel verstand in diesem Brief nicht genau, wie das letztere gemeint war, ob eigentlich oder bildlich, – ob er das wirklich und wahrhaftig gethan hatte oder ob damit nur seine grenzenlose Anmaßung gegen Religion und altheilige Sitte, gegen Gott und Gottesvolk gemeint war. Aber im stand war er es ja, mußte man sich sagen, – auch das Alleräußerste zu thun. Warum auch nicht? War er ja doch schon lange der Angebetete der Millionen, das begeistert verehrte Haupt der Menschheit, ›der Schönste unter den Menschenkindern‹, wie ein Dichterling und Schmeichler jener Zeit ihn, dieses häßliche Zerrbild Christi, nannte, – das Ideal für Tausende, für die ganze stolze Welt und vor allem für die junge Männerwelt, welche in Menge ganz und gar verführt war. Warum sollte er also nicht zum Äußersten schreiten?

Im nächsten Brief schrieb sie:

»Uns haßt er, was er hassen kann. Es ist, als sagte er sich uns gegenüber: hier bin ich an eine eherne Mauer gekommen und kann nicht weiter! Ein Christ, mit dem ich bekannt worden bin, sagte gestern in einem ernsten Gespräch, das er mit meinem Vater hatte: ›Ja, ja, Ihr Juden! er kam in sein Eigentum und die Seinigen nahmen ihn nicht auf, – das ist sein Haß! Und nehmt Euch nur in acht; Ihr nahmet ihn nicht auf, wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht und Gelegenheit, wahre Teufelskinder zu werden, – und diese habt Ihr auch noch zu fürchten!‹' – O Rahel, was wird noch kommen! was wird noch kommen!«

Wieder einmal schrieb sie mitten unter ähnlichen Gedanken:

»Rahel, bei uns ist ein Sehnen und Beten, – es könnte nicht größer sein! Denke Dir, wir sagen uns klar: wir stehen jetzt am Anfang oder am Ende; entweder vollenden sich jetzt die Geschicke unseres Volkes nach Jahrtausenden, oder wir gehen alle miteinander zu Grund! Denn er ist im stand, ein Blutbad anzurichten, wie die Welt noch nie eines gesehen hat, uns auszurotten alle miteinander. Er will nun einmal den Messias spielen; da kann er uns altgläubige Juden durchaus nicht brauchen, denn wir sind ihm im Wege, wir mit unserem Hängen am Alten, mit unserem Hängen am Gesetz der Väter. Er sagt sich, daß die Verächter und die Abgefallenen, die modernen Juden, sozusagen seine Leibwache sind, – obwohl er sie weislich nicht um sich hat, – seine Engel um ihn her und seine getreuen Diener; aber wir, wir? ja, wir sind ihm unerträglich!«

»Du kannst Dir denken, was es da unter uns ein Ausschauen giebt nach dem Messias! – Ach Rahel, Rahel! glaubst Du auch noch fest daran? so wie damals, als wir hier in Jerusalem im Sommerhaus auf dem Dache saßen, da die Sonne unterging und wir dann nach Osten schauten, nach Osten! Weißt Du es noch? – Wir schauen darnach alle Tage aus! Kommt der Messias nicht, so sind wir alle verloren!«

»O Rahel! es giebt so viele fromme Christen unter den Zerstreuten; die kommen zu uns, die lieben uns und wir sie, – wenn wir schon anderer Meinung sind, so sind wir ja doch alle in gleichem Gedränge, – o Rahel! (laß es aber niemand lesen, was ich hier schreibe!) ich sage Dir mein Innerstes: wenn nur ein Messias bald kommt, der uns errettet von dem offenen Rachen dieses Tiers! – (erschrick nicht, Rahel, über dem, was ich jetzt sage!) ... und wenn es der Christen Messias wäre, – ach, wenn es nur der Messias ist!! Wir würden alle die Hände aufheben, alle miteinander die Hände aufheben und alle miteinander schreien, wie es in den heiligen Psalmen steht: ›Gelobet sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!‹«

»Verzeih mir, Rahel! Fürwahr! ich will den Glauben unserer Väter nicht lästern, aber mein Herz bricht mir, wenn ich denke, daß all die großen Hoffnungen auf den Aufschwung unseres Volkes, auf seine Sammlung im heiligen Land der Väter, – alles, alles sollte vergeblich sein und zu Nichte werden, alles, alles durch dieses grimme Ungeheuer! Es will mir oft vorkommen: entweder werden wir alle wahnsinnig oder wir werden selig, selig! entweder gehen wir alle miteinander zu Grund oder es kommt eine große Erlösung! Hat je unser armes vielgeplagtes Volk mehr gebetet um sein Leben und seine Zukunft als heutzutage und in diesen gegenwärtigen Zeiten gerade? Hat es je mehr seinen Messias auf den Knieen gesucht, in der Demut und im Bangen erbetet, als jetzt gerade? Hat es je so gefleht, daß er kommen möge, woher er auch komme, und daß er erscheine, wer und wie er auch sei?! – Es wäre schrecklich, in die Hände dieses Menschen zu fallen! Aber welch eine Erlösung wäre es jetzt, die Hilfe des Messias zu schauen!« –

Rahel war aufs tiefste ergriffen. Brief um Brief steigerte ihr Bangen und ihre Sorge, aber auch ihre Sehnsucht und ihre Bitte. Heute wurde sie nicht mehr fertig mit ihren eigenen Gedanken, sie schlug die Propheten auf und traf gerade das Wort des Propheten Habakuk, der da spricht: ›Die Weissagung wird ja noch erfüllet werden zu seiner Zeit und wird endlich frei an den Tag kommen und nicht ausbleiben; ob sie aber verzieht, so harre ihrer; sie wird gewißlich kommen und nicht verziehen. Siehe, wer halsstarrig ist, der wird keine Ruhe in seinem Herzen haben, der Gerechte aber wird seines Glaubens leben.‹ Habakuk 2, 3 u. 4.


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