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I. Buch:
Seine Lieblichkeit und Herrlichkeit.

Motto:

Gewiß! Es werden noch gestillt
Der Menschen und der Völker Schmerzen!
Gewiß! Du wirst noch schön erfüllt,
Du Traum der Völker, Wunsch der Herzen!
Gewiß! Du kommst, o goldne Zeit
Voll Lieblichkeit und Herrlichkeit!

I. Kapitel.
Ein schönes Stück Erde.

Motto:

In den Bergen schön geborgen
Ruhest du, mein trautes Thal.

Wir schreiben jetzt das Jahr 2030.

Das südliche Frankreich birgt einen Reichtum von schönen Landschaften, sowohl in seinen weiten Ebenen und breiten Stromthälern mit den freundlichen Rebenhügeln und bewaldeten Bergzügen, als auch in den höher gelegenen Gegenden, da wo man Hochgebirge in Sicht hat. Man findet hier die schönsten Plätze und die lieblichsten Landschaftsbilder, eine wirkliche Augenweide für den weithin schweifenden Blick, eine wahre Sabbathstille für die ruhesuchende Seele. Ein herrliches Klima mit langem Frühling, heißem Sommer, schönem Herbst und mildem Winter breitet über Berg und Thal seine verdoppelten Reize aus.

Wo führe ich Dich aber hin, mein lieber Leser? Es thut mir leid, – ich werde vieles zu erzählen, Wichtiges zu vermelden haben, jedoch den Ort darf ich nun einmal nicht mit Namen nennen, es hat seine ganz besondere Bewandtnis damit; man wird mir noch recht geben. Aber schön ist der Ort, wunderschön. Wie ein liebliches Traumbild steht diese Landschaft vor unserem Auge da, und doch ist alles lachende Wirklichkeit voll Licht und Sonnenglanz, voll Leben und Entzücken, hier oben von des Berges Höhe aus gesehen.

Welch ein Blick rings umher, wenn man da, wo der Berghang steil ins Thal abstürzt, bis an die Bergeskante vortritt! Da liegt, hundert Meter tief zu unsern Füßen, das Flußthal, – ziemlich schmal und doch so breit, daß es nirgends düsteren Schatten hat; unmittelbar vor uns ist es verhältnismäßig am breitesten, für jeden Sonnenblick weit geöffnet, weil es hier gerade, wie durch ein Seitenthal, nach vorne zu weit ausgebuchtet ist, so weit wie sonst nirgends, weder zur Rechten noch zur Linken unseres Bildes.

Der Fluß schlängelt sich das Thal entlang bald in stillem Lauf durch tieferes Bett, bald wieder schneller und frischer, weil in steilerem Fall. Erlen und Buchen, Eschen und Silberpappeln säumen ihm den Weg durch die sattgrüne Wiesenfläche hin, und hohe schwanke Binsen mit ihren rauschenden hellgrünen Halmen, dabei die gewichtigen sammtbraunen Kolben, wiegen sich am Flußrand hin und her und beleben mit ihrem sanften Neigen und halblauten Rauschen den anmutigen Lauf des Flusses. Es ist ja nur ein ganz einfacher kleiner Fluß, aber sein Lauf verändert in den schönsten Windungen so oft die Richtung, daß der Wasserspiegel, von hier oben aus betrachtet, doch in allen Farben wechselt, bald tiefgrün, da und dort unter Baumschatten sogar schwarzbraun anzusehen, bald wieder lichthelle, an einer Stromschnelle etwa lebendig glitzernd und lustig sprudelnd, wie eine frische Quelle, dann wieder so sanft einherströmend, wie wenn er in einen See auslaufen wollte, und so stille ruhend, als hätte er jetzt nichts mehr zu thun als stille zu liegen und das klare, lichte Blau des Himmels sich herunter zu holen, das unseren Blicken entgegenlacht, wenn wir sie aufheben zu jenen höheren Bergen drüben am Horizont.

Aber da unten zur Rechten unseres Bildes das Dorf mit seiner lieblich hingelagerten Häuserherde! an der weißschimmernden Straße zunächst wie eine am Brunnen sich sammelnde Herde Schafe anzusehen, dann aber auch noch die ganze Thalwand entlang sich ausdehnend bis an den Hügelkranz, über dessen tiefere Einsenkung die Landstraße weiterhin wegführt. Hier findet unser Bild zur Rechten seinen Abschluß; übrigens schauen wir in der Richtung der Landstraße noch weit über jene Einsenkung hinüber und auf den ferneren Verlauf des Flußthales und seine Bergwände hinaus.

Unser Auge darf aber dort rechts bei dem lieblichen Dorfe noch lange nicht ausruhen. Denn die reiche Landschaft viel näher zu unsern Füßen, im Vordergrund unsres Bildes, zieht unsern Blick immer aufs neue mächtig an. Wie am Berg anstoßend hat nämlich der Fluß dort unten in der Ecke von dem Dorfe weg wieder linksumkehrt gemacht und scheint in tiefausgebogener Schlangenlinie fast denselben Weg, den er gekommen ist, wieder rückwärts gehen zu wollen, diese seine beiden Wege fast nur durch einen ganz niederen und schmalen Hügelzug von einander trennend. Jenseits dieses scheinbaren Rücklaufs aber erhebt sich ein für uns jetzt gerade im hellsten Sonnenlicht daliegender Bergkamm, welcher, der neuen Flußwendung ganz gleichlaufend, einsam in das stille Wald- und Wiesenthal hinein allmählich abfällt, dort hinten aber mit seinem vorgehaltenen Fuß den nimmermüden Fluß nochmals zu einer scharfen Schwenkung zwingend (diesmal naturgemäß nach rechts), bis derselbe – nach diesen seinen zwei großen Schlangenwindungen, welche die ganze Gegend so äußerst reich und ganz besonders lieblich gestalten, – sich für uns, wie schon erwähnt, in der Richtung der Landstraße in die Ferne verliert, von da ab seiner Gesamtrichtung künftig treuer bleibend.

Übrigens ganz so stille ist es nicht immer. Denn die Thalstraße, welche dem vom Fluß geschaffenen Leben, wenn auch in abkürzender Linie, folgt, ist immer lebendig und verbindet Stadt und Land nicht nur durch rasselnde Wagen und fröhliche Reiter, sondern auch durch die immer geschäftige und verkehrsbereite elektrische Kleinbahn, welche die in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten viel einsamere Gegend jetzt immerfort lebendig mit ihrem wohlregierten Ungestüm durchbraust.

Doch wir haben ja vor lauter Behagen an dem verhältnismäßigen Stillleben zu unsern Füßen und rechts von uns – noch gar nicht nach links geblickt. Dort liegt ja die Stadt im oberen, engeren Teil des Thales, die alte, tausendjährige, jetzt bald völlig umgebaute Stadt, – heute vormittag noch im Morgendampf eines leichten, immer lichter sich lösenden Nebels, aber schön, schön mit ihren stolzen Zinnen und farbigen Dächern, mit ihren herrlichen Kirchen und altertümlichen Türmen, mit ihren großen Arbeitsstätten und hohen Versammlungsräumen, – von uns aus gesehen wie eingezwängt zwischen den dort viel höheren und schrofferen Bergwänden zu beiden Seiten des Flusses, der auch sie durchströmt, und doch lichthelle vor unseren Blicken durchs ferne Thal hin ausgebreitet.

Und dann noch der ganze Bergzug von der Stadt bis hierher zu unserem Vordergrund, waldig und stille vor uns sich ausdehnend und tief eingeschnitten die Linie der Großbahn zeigend, welche, uralt, noch immer die größere Verkehrslinie ist gegenüber der kleinen Thalbahn, dem Geschöpf einer neueren Zeit.

Aber nun hier oben auf der Höhe, welch' eine Bergaussicht rings in der weiten Runde! Die schönsten Waldungen der fernen Berge begrenzen den Blick weit umher und bilden mit dem Himmelblau und mit den lichten Wolkenzügen am Horizont die schmuckste Umrahmung des ganzen beschriebenen lieblichen Bildes.

Das Lieblichste jedoch sind hier die herrlichen Villen und Wohnhäuser ringsum auf allen das Thal so mannigfach umgebenden Hügelketten und Bergabhängen. Schon zu halber Höhe des ganzen Berggehänges beginnen sie aufzutauchen, diese malerisch überall zerstreut liegenden Wohnungen friedlich lebender Menschen, alle je in gemessener Entfernung von einander, durch eine gemeinsame Straße verbunden, welche in der ganzen Runde des Panoramas auf halber Höhe des Berges überall umherführt und für sich selber schon eine Menge herrlicher Ausblicke darbietet.

Und nun vollends die Hochstraße auf der Höhenkante aller dieser Hügelketten! Welche Reize einer wahrhaft stolzen Aussicht! Diese Höhenstraße, oft weit vorspringend und nur zehn bis zwanzig Meter vom Bergrand entfernt, oft je nach den Einschnitten oder Einsenkungen der Schluchten mehr oder weniger weit nach rückwärts gegen das Hochland zu einbiegend, von Garten zu Garten, von Wohnhaus zu Wohnhaus sich hinziehend, an den schönsten und lieblichsten Parkwohnungen vorbei, wo nah und fern eine die andere grüßt mit ihrem reichen Schmuck und mannigfaltigen Zierrat, dort mit ihren sonnevergoldeten Fenstern, hier mit der noch im Schatten liegenden burgartigen Front, überall Leben und mannigfaltigste Gestaltung, und doch überall Naturfrieden und ländliche Stille! – alles, alles so ganz anders, als es in früheren Jahrhunderten gewesen sein soll, wo fast nur das Thal bewohnt war und die Menschen in Dörfern und Städten in Menge und in häßlichem Gedränge zusammenwohnten, selbst in Städten fast nur in enggepreßten Gassen und schattigen, dumpfen Straßen ihre Wohnungen hatten, – nicht nur ihre Arbeits- und Versammlungsstätten etwa, sondern ihre Wohnungen, sage ich! Wer vermag sich heutigentages, in der neuen Weltzeit, das noch zu denken? Und doch meinten sie glücklich darin zu sein, die Menschen dazumal, – die Städter sogar noch stolz darauf, in der Stadt zu wohnen und nicht auf dem Lande, – oder wenn nicht glücklich, so waren sie doch so ganz daran gewöhnt, daß an etwas anderes gar nicht gedacht ward; und wenn jemand sich erlaubt hätte, davon zu sagen, daß das noch anders werden könnte, noch ganz anders werden müßte, so hätte man ihn für einen Träumer und Schwärmer, ja noch mehr, für einen arbeitsscheuen Phantasten und bequemen Menschen angesehen. Gott sei Dank, daß diese Zeiten hinter uns liegen und nun angefangen ist, die Erde zu einem Gottesgarten zu machen, überall wo Menschen wohnen, die ganze Erde zu einem Wohnplatz der Menschen in Fried' und Freude, zu Lob und Dank dem allgütigen Vater aller Menschen!


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