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Motto:
Doch zu dem gold'nen Ziel der Pfad? –
Wir müssen Schritt um Schritt ihn gehen:
Ausreifen muß der Geister Saat,
Und eines muß zuvor geschehen:
Was noch vermischt, verborgen war,
Muß werden klar und offenbar.
Motto:
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz.
Göthe, Faust.
Das war ums Jahr 2000!
Der kleine dicke Samtrock mit dem glatten, ausdruckslosen Gesicht und dem gewaltigen, weithinausragenden, zausigen Schnurrbart war in bester Laune. Schon als er noch ganz allein war, konnte man ihm das ansehen. Gemächlich gestützt auf die runden Ellbogen und diese mit beiden Händen kreuzweise bequem haltend, so saß er da, sein Gläslein vor sich, und blickte behaglich nickend mit seinem immer dicker werdenden Gesicht still vor sich hin. Warum soll er auch darin nicht Genüge finden? Er saß ja in der Weinstube und hatte Muße. Auch war er ja ganz allein, wenigstens meinte er es; denn wer nicht auch dasaß, Muße hatte und trank, der rangierte bei ihm überhaupt nicht.
Der kleine dicke Samtrock war im Besitz – ich will nicht sagen: eines großen Verstandes, wohl aber zweier Schlagwörter, welche er wuchtig zu handhaben verstand, zweier Schlagwörter, welche bei ihm wie Kastor und Pollux immer beisammen waren und ihm auch in der That Halbgötter zu sein dünkten; denn sie waren ihm, weniger feierlich ausgedrückt, Kopf und Schwanz jeder Unterhaltung und schienen ihm das einzig Zutreffende, um seine natürlich immer gewichtigen Gedanken ganz akurat auszudrücken. Auch waren sie vorzüglich dazu geeignet, jegliche etwa durch das Stocken der Unterhaltung entstandene Gedankenleere in luftigem Bogen weithin zu überbrücken. Das waren nämlich die zwei Worte: großartig und kolossal.
Wenn er jetzt sein Haupt stille nach rechts und links wiegte und es im Vollgefühl seiner Gewichtigkeit nickend nach vorn sinken ließ, sodaß seine gläsernen Augen ganz von selbst sein Weinglas trafen, so schien er nur zu warten, bis er Gelegenheit bekäme, die ganze Fülle dieser zwei kenntnisschweren Worte über andere Wißbegierige auszugießen. Denn bis jetzt hatte er noch nichts, rein gar nichts über die Lippen gebracht, – heißt das, noch kein Wort. Sein Schweigen war vielmehr lange Zeit – sagen wir in seinem Sinne kurzweg: selbst großartig und kolossal.
Nach einer halben Stunde trat ein großer, hagerer, junger Mann ein mit langen Armen und einem sehr niederen Spazierstock. Sein Gang war etwas fahrlässig -eilig, seine Haltung sehr bequem, die große Gestalt hing ziemlich nach vorne, er hatte glattliegende blonde Haare, das Gesicht war fast bartlos; der Ausdruck desselben wäre nicht unangenehm gewesen, wenn nicht seine Augen, welche aus ihren stark ausgebogenen Höhlen ganz freundlich und hell herausblicken konnten, gleichwohl viel launenhaftes Wesen verraten hätten, das, wenn ihn die böse Laune einmal faßte, oft auch in streng abstoßende Manieren übergehen konnte.
Kaum saß er bei dem kleinen dicken Samtrock, so trat, offenbar von beiden bestimmt erwartet und befriedigt empfangen, ein Mann von mittelgroßer, gedrungener Gestalt ein, eine kräftige Figur mit strammer Haltung, mit einem angenehm-ernsten Ausdruck im Gesicht, der Mund durch einen sehr starken, schwarzen Schnurrbart überschattet, welcher zu den schwarzen Augen mit den starken Augenbrauen und zu dem ganz schwarzen, krausen Haar harmonisch stimmte.
Er setzte sich zu den beiden, der dritte im Bunde, wie man bei der einfachen Begrüßung der drei untereinander sogleich sah, obwohl der ernste Ausdruck dieser in sich geschlossenen wirklichen Mannesnatur auf den ersten Blick Zweifel aufkommen ließ, ob denn dieser Mann mit den beiden anderen auch so ganz und gar harmoniere; und doch war das allem Anschein nach der Fall.
Er sprach zwar wenig. Die Unterhaltung führte der Blonde, wenn man nicht sagen will, daß der kleine dicke Samtrock sie mit seinen gewichtigen Worten beherrschte. Es war vormittags elf Uhr, gerade die richtige Weinstunde für Leute, welche die Arbeit nicht allzu ernst nehmen.
»Nun, wie war's?« begann der Blonde.
»Großartig! Groß-ar-tig!« antwortete der Samtrock.
»Nun also?«
»Kolossal, ganz kolossal!« war die gerührte Antwort.
»Also! Los denn!« erwiderte der Blonde etwas launisch.
»Ich sage Euch, ganz großartig, ganz ko-los-sal!« gab der Samtrock, im tiefsten Gefühle schwelgend, von sich.
Der schwarze Schnurrbart zuckte jetzt ein wenig. Der Blonde aber wurde wirklich ungeduldig.
»So erzähle doch endlich!« rückte er ihm näher.
»Also ich war in der Hauptstadt,« begann jetzt der kleine dicke Samtrock; – »es war großartig, alles war auf den Beinen, alles! natürlich viele saßen auch, auf Kandelabern, auf Mauergesimsen, auf Fensterstöcken, bis in den dritten und vierten, ja fünften und sechsten Stock, u. s. w. u. s. w., ganz kolossal. Die Bahnhöfe waren viel zu voll, es war ganz großartig. Man wartete stundenlang, oft schrie alles Hoch, es war ganz großartig. Aber es war nichts, es war nur blinder Lärm. Dann wurde wieder gelacht, ganz kolossal gelacht. Endlich kam er doch, vom Bahnhof dahergefahren. Eine kolossale Menge Menschen begleitete den Wagen des Präsidenten. Als er vorüberfuhr, war das Gedränge wirklich großartig, nein, wirklich großartig, ganz kolossal. Dann fuhr er also weiter und in das Präsidentengebäude, natürlich ich nach, was ich laufen konnte, und mir nach wieder andere, u. s. w. u. s. w, ganz großartig. Vor der Präsidentenwohnung pflanzte ich mich wieder auf, da standen aber schon Tausende, welche dort warteten. Es war wieder großartig dort. Alles wollte ihn sehen und etwas hören. Er kam auch auf den Balkon und grüßte die Menge, da jubelte alles und zwar wirklich großartig. Er machte eine Bewegung mit der Hand, – so oder etwa so, – oder nein, so machte er, – da hieß es: ›Bst, bst!‹ und allmählich wurde alles still. Einige merkten es zwar nicht und schrieen weiter, ich natürlich auch, da stampften die Vorderen mit den Füßen und schrieen: ›Maul halten! Er will reden,‹ und nun schwieg alles, ich natürlich auch. Ich sage Euch, das war großartig, diese Stille jetzt. Dann rief er laut, d. h. so laut er eben reden konnte: ›Bürger der Hauptstadt! Ich bin zurück vom Besuch des Weltregenten! Volk der Franzosen! Der Weltregent sendet Euch durch mich seinen Gruß!‹ Aber nun, das hättet Ihr sehen sollen, oder vielmehr hören sollen. Man umarmte einander, man küßte sich, man weinte, viele schrieen laut vor Jubel: ›Präsident hoch! Weltregent hoch!‹ alles durcheinander, alles eine Begeisterung. Ja, das war eine Begeisterung, ganz kolossal, einfach großartig!«
Das Gesicht des Blonden hatte sich mehr und mehr aufgeheitert; aber auch der schwarze Schnurrbart nahm den Ausdruck behaglicher Freundlichkeit an.
Der schwarze Schnurrbart klopfte mit der feinen Hand etwas auf den Tisch und sagte befriedigt: »Und das ist auch großartig!«
Tiefgerührt und hochbefriedigt darüber, ein solches Verständnis für seine Ideen gefunden zu haben, erhob der Samtrock sein Glas, stieß mit dem schwarzen Schnurrbart an und sagte: »Auf's Wohl unsres Präsidenten, Karl!« und dann zum Blonden: »Auf's Wohl, Eugen!«
»Auf's Wohl des Präsidenten!« erwiderte Karl, anstoßend und trinkend.
»Und des Weltregenten!« setzte Eugen hinzu.
Alle drei stießen wiederholt an und tranken.
»Franz! Da hast Du wirklich etwas Schönes gesehen!« sagte Eugen, der Blonde, als sie ihre Gläser wieder abgesetzt hatten.
Der Samtrock schwieg vor Rührung über seinen gestrigen und heutigen Erfolg, still ins Glas nickend; nur sagte er, den Kopf seitwärts neigend und das Glas zwischen den Fingern abwärts streichend: »Großartig schön! Kolossal!«
»Das sind Männer, die man brauchen kann heutigen Tages!« setzte Eugen, der Blonde, hinzu.
»Ja, ein Mann ist er, der Weltregent, das muß man sagen, – er weiß es anzufassen!« sagte Karl, der schwarze Schnurrbart.
»Und doch giebt es noch Kerle, welche ihn nicht gelten lassen wollen!« stieß Eugen empört heraus, mit der Faust auf den Tisch schlagend.
»Hauen sollte man diese Kerle, hauen, ganz kolossal durchhauen,« erwiderte jetzt pustend und fauchend, wie ein altes Dampfroß vergangener Zeiten, der entrüstete Samtrock auf der Höhe der Idee.
»Hauen und niederschießen, samt und sonders!« ergänzte der Blonde.
Franz, der Samtrock, war jetzt auf's Höchste befriedigt über seinen immer größeren Erzähler-Erfolgen. Es gab ihm das Frische und Leben, er war jetzt ganz in seinem Element. Ich will nicht sagen, daß er nun neue, großartige Ideen entwickelt hätte, aber er war doch sehr glücklich im Kreislauf seiner Ideen.
Wenn er seine zwei Hauptworte anwandte, glaubte er jedesmal große Erfolge zu erzielen; die Eintönigkeit war freilich auch oft kolossal; denn wenn er so ein Wort ausgesprochen hatte, war vielfach seine Geistesabwesenheit wirklich großartig, so daß er in seinem Gedankengang absolut nimmer weiter zu bringen war. Dann wurde er selbst dem Langweiligen langweilig. Ein so großes Ereignis jedoch wie das gestern in der Hauptstadt erlebte, von dem er heute Nacht wieder viel geträumt, aber gut ausgeschlafen hatte, genügte, ihn zu solch' umfassender Benützung seines zweispurigen Wortreichtums zu veranlassen, daß er diesmal doch wirklich guten Erfolg hatte, und – nach seiner Meinung wenigstens – wesentlich dadurch, daß er es nicht unterlassen hatte, seine zwei gewichtigen Worte mit immer neuer Weisheit stets am rechten Platze beleuchtend anzubringen. Im übrigen ging die Unterhaltung von jetzt ab immer in der Runde um, nicht daß alle gleich eifrig weiter gesprochen hätten, überhaupt nicht daß mehr viel Neues gesprochen worden wäre, das Dreieck von Freunden bewegte sich vielmehr so ziemlich im Kreise ein und derselben längst besprochenen Sache, aber das war ja auch übergenug; denn das Erlebte und Gehörte war ja auch etwas ganz Großartiges und Kolossales.
*
Inzwischen verließen zwei Männer im Hintergrund des Zimmers das Lokal. Sie waren mit ihrer Arbeit ganz oder so gut wie ganz unbemerkt geblieben; sie waren in den stillen Morgenstunden damit beschäftigt gewesen, einige schwere Möbel der Weinstube abzureiben und frisch zu polieren. Diese Arbeit geschah mit rüstiger Emsigkeit, aber auch mit großer Pünktlichkeit, und hatte länger gedauert, als sie selbst geglaubt hatten. Erst jetzt fanden sie alles gut und machten sich fertig, zu gehen. Kaum bemerkt verließen sie den behaglich düstern Raum der etwas niederen Weinstube, welche die Ecke der Hauptstraße bildete, gerade mit dem Blick auf die steinerne Brücke hinaus.