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Ruben und Rahel kommen an.
Motto:
An liebem Ort ein traulich Haus,
Und alte Freunde ein und aus; –
Wer weiter will,
Begehrt zu viel.
Es ist ein heißer Herbsttag gewesen. Ein stiller Friede liegt heute über den Bäumen des Parks. Wer ist der Mann dort oben am Erkerfenster des neuen Parkhauses? Ein brauner Vollbart, kaum ergrauend, umrahmt das Gesicht des sechzigjährigen, immer noch frischen Mannes. Seine Frau, eine feine Gestalt von mittlerer Größe, lehnt neben ihm am offenen Fenster. Otto und Gertrud, die beiden Eheleute, schauen durch die hohen Fensterbogen des Erkers, welcher des Hauses stolzen Bau gegen die Thal- und Stadtseite besonders herrlich heraushebt.
Es war die behagliche, schon etwas Kühlung bringende Abendstunde angebrochen. Die Sonne stand auf der breiten Thalseite des Hauses, die Stadt noch voll, aber mild beleuchtend. Sie schauten beide in der Richtung über die Stadt hinweg gegen den Bahnhof hin und sprachen je und je von der bevorstehenden Ankunft ihrer Gäste.
Jetzt rief der Hausherr vom Erkerfenster in den Park hinunter: »Zamba, willst Du nicht heraufkommen?«
»Ich komme sogleich!« rief Zamba von unten.
Zamba, der schlanke Mohr, trat ins Zimmer. »Was ist Dein Wunsch, Herr?«
»Wie steht es? ist alles gerichtet in den Gastzimmern?«
»O ja, es ist alles bereit,« sagte Zamba.
»Und im Garten?« frug der Hausherr.
»Ich war eben daran, die Wege noch einmal durchzugehen. Elisa und Johannes sind mit dabei; wir machen überall schön. Die Gäste sollen alles schmuck finden, wenn sie ankommen.«
»Das ist mir lieb, Zamba! Du weißt, Rahel hat ein offenes Auge, und Ruben ist die Pracht des Morgenlandes gewöhnt.«
»Du hast uns das erzählt, Herr!« sagte Zamba, »und auch wir freuen uns, die Freunde aus Jerusalem grüßen zu dürfen. Es sind nun schon drei Jahre, daß man sie nicht mehr hier gesehen hat, und Du hast uns seither schon soviel von dieser merkwürdigen Freundschaft erzählt.«
»Ach ja, Ihr waret doch schon hier, als sie das letzte Mal bei uns waren? Drei Jahre sind es jetzt, daß ihr drei Neger bei uns seid, nicht wahr?«
»Ja, drei Jahre, – und eines noch, so geht es schon der Heimat zu!«
»Ja, ja,« lachte der Herr des Hauses, »nicht wahr, in Deine liebe schwarze Heimat? Wenn ich Euch aber nicht fortlasse?«
»O Vater, sagst du nicht immer: ihr seid freie Leute? – Es wird uns aber schwer werden, von Euch zu scheiden.«
»Aber leicht, heimzukommen, Zamba, nicht wahr?«
»Warum sollten wir uns nicht freuen, heimzukommen und wichtige Kenntnisse unsrem Volke mitzubringen, die wir alle Euch verdanken?«
»Jawohl, darum seid Ihr ja bei uns,« sagte der Hausherr.
»Aber nun, Zamba! die Zimmer sind also wirklich gut gerichtet?« frug die Frau des Hauses dazwischen; »ich werde nachher noch einmal nachsehen!«
»O gewiß, alles ist bereit, Du wirst es so finden.«
»So machet Euch fertig, die Gäste zu holen, Zamba!« begann wieder der Hausherr. – »Halt! Ich will die beiden andern selbst auch sprechen,« fügte er noch hinzu, trat wieder an das Bogenfenster des Erkers und rief in den Park hinunter: »Elisa! Johannes!«
»Wir kommen!« riefen weit weg zwei Stimmen und bald liefen zwei frische, lustige, etwa neunzehnjährige Negerjungen herzu und schauten mit ihren lebhaften Augen und klugen, fast kindlich frohen Gesichtern herauf.
»Wollt Ihr heraufkommen?« sagte der Hausherr.
»Gerne!« riefen beide, und bald traten sie selbst ins Zimmer. Sie verneigten sich tief und einer sagte: »Du hast uns gerufen, Herr! Was ist Dein Befehl?«
»Nicht immer wieder ›Herr‹ und ›Befehl‹!« entgegnete der Hausherr, »›Vater‹ sollt Ihr sagen!«
»O gütiger Herr! – guter Vater! Du weißt, unter was für Tyrannen wir gelebt haben, wir und unser ganzes Volk ein Volk von Sklaven! Wir können es uns nicht so schnell abgewöhnen, uns so auszudrücken.«
»Aber jetzt ist es ja alles anders, – und bei uns doch längst ganz anders; also nicht ›Herr‹ und nicht ›Befehl‹! Ich bin Euer Vater und Ihr seid unsere Kinder! Machet Euch nun fertig zum Bahnhof. Du, Elisa, nimmst die Pferde, am liebsten die beiden Rappen! Du weißt, daß Rahel immer besondere Freude an ihnen hatte, als sie vor drei Jahren hier war. Und Du, Johannes, siehst nach dem Gepäck. Zamba sitzt auf dem Rücksitz und giebt Antwort, wenn Ruben und Rahel etwas fragen. Sagt zum voraus viele Grüße. Eilet nun!«
Die drei gingen fröhlich, wie die Kinder von Vater und Mutter weg. Der Hausherr öffnete noch einmal die Thüre und rief den Hinabeilenden nach: »Elisa! laß alle Wasser springen! Der ganze Berg soll die Gäste grüßen, wenn sie bei uns eintreten.« –
Die beiden Eheleute, wieder allein, traten jetzt an die Fenster der Thalseite und schauten in die schöne, weite Landschaft hinein. Die Sonne warf ihre Abendstrahlen in das Thal, die fernen Berge lagen in dunkelem Blau, der Horizont war schon lichtrot umdunstet. Aber die tieferen Farben gaben der Gegend einen neuen Reiz und nun sprangen mit einem Male am Berghang und im Parke alle Wasser. Der Druck des Wasserturms am hintern Teil des Hauses war stark genug, selbst hier oben noch fünf Meter hohe Springbrunnen emporzutreiben, geschweige am Berghang abwärts.
Zwei Wasserfälle stäubten ihre Fülle rauschend und schäumend gegen das Thal zu, und da und dort schien das immer wieder sorgsam gefaßte Wasser wie eine liebliche Waldquelle in prächtiger Umgebung ganz frisch herauszusprudeln. Es ward jetzt lebendig in der ganzen Umgebung, die vorher so stille lag. Die Herbstfarben gaben die Reize der Abendbeleuchtung von Busch und Baum doppelt schön zu erkennen.
Otto faßte die Hand seiner Gertrud und sah ihr freundlich ins Auge.
»Es ist Herbst, mein liebes Weib, und wir sind auch keine Kinder mehr, – aber doch, wie schön, wie schön dieses Leben!«
Der Mann mit den tiefen, ernsten und doch treuherzigen freundlichen Augen sah die geliebte Lebensgefährtin voll herzlichen Behagens an.
»Ja, es ist schön hier oben, es ist schön, dieses Leben!« sagte Gertrud, sinnend hinausschauend.
»Gertrud, wie sind wir doch so glücklich!« sagte er noch einmal.
»Ja, mein Lieber,« erwiderte die Angeredete, ein feines Gesicht mit schlichten regelmäßigen Zügen voll angenehmen, edlen Ausdrucks, – »wir sind in der That glücklich. Und immer muß ich an die alten Zeiten denken!«
»Welch einen Wechsel haben wir doch erlebt,« – fuhr er fort, – »wir und alles, alles um uns her! Als man noch in den dumpfen Gassen der Altstadt da unten wohnte, – wir träumten doch nie von dem Frieden und der Herrlichkeit dieses Lebens in lichten Höhen.«
Lange blickten sie stille thalab und sahen sich satt an der feiernden Natur da draußen. Wer kennt ihn nicht, den stillemachenden Abendfrieden? Der Abend ist des Tages stilles Gebet. Feierabend ist nicht Menschensatzung, sondern Gottesgeschenk, nicht bequem gewählte Sitte, sondern gottgeheiligte Naturgabe.
*
Sie hätten durch nichts unterbrochen werden mögen, doch bald hörten sie von der Ferne her das Traben des frischen Gespanns, und das war denn doch die angenehmste Unterbrechung, welche der Abend noch hätte bringen können.
»Sie kommen,« sagte Gertrud fröhlich.
»Ja, jetzt kommen sie!« – und beide eilten, die Gäste am Hausthor zu empfangen. Der Wagen fuhr vor, und Gertrud breitete beide Arme grüßend aus.
»So kommt Ihr doch glücklich bei uns an?« rief sie Rahel entgegen.
»Und wie glücklich, daß wir wieder zu Euch kommen dürfen!« rief Ruben aus dem Wagen.
Die Neger, überglücklich und schon wieder ganz bekannt mit den geliebten Gästen, eilten, den Wagen zu öffnen, das Gepäck abzuladen und in die anstoßenden Räume der Gastzimmer zu bringen. Mit inniger, achtungsvoller Herzlichkeit begrüßten sich die Freunde und Freundinnen gegenseitig unter einander. Dann stieg man miteinander in das Haus empor, und als sie es sich bequem gemacht hatten, traten die Gäste in die Wohnräume ein. Zuerst schauten sie sich fröhlich und befriedigt rings um; bald aber traten sie wie unwillkürlich an die Fenster vor und riefen beide aus: »Ach wie herrlich, wie herrlich wieder hier!«
»Ja, sie ist schön, diese Erde; wir sprachen vorhin davon,« erwiderte Otto. »Noch ist es nicht die verklärte Erde, aber das Leben auf Erden ist verklärt. Wie ist doch alles so ganz, ganz anders geworden! Seht dort hinüber und hier herüber! Und weiter unten dort! oder da, nahe an der Schlucht! Überall erstehen die stattlichen Bauten und die freundlichen, schönen Wohnungen glücklicher Menschen, mit jedem Jahr neue. Ein ganzer Kranz schmückt schon zu halber Höhe unser schönes entzückendes Thal. Und hier oben auf den Bergen vollends – welche Pracht!«
»Und seht,« setzte Gertrud hinzu, »jetzt kommen die Lichter! Hier und dort leuchtet es mit einem Mal an der ganzen Front eines Parkhauses auf. Welche magische Pracht unter dem Dunkel der Bäume dieses elektrische Licht hat! Bald wird es jetzt glitzern und schimmern rings in der Runde; dann grüßen Freudenrufe und frohe Gesänge herüber und hinüber. Die einen jubeln laut, und die andern horchen in stiller Freude oder geben ein grüßendes Echo zurück. Es ist wie eine tägliche Festfeier, wenn so der Abend kommt und die Nacht einbricht.«
»Und morgen geht der Vollmond auf,« fügte Otto hinzu; »da werdet Ihr Euch nicht sattsehen an dem Glanz, der über dem ganzen Thale liegt und von den Zinnen und Türmchen aller dieser Parkhäuser wiederstrahlt. – Doch nicht wahr, Rahel, die Pracht des Morgenlandes ist es eben nicht? Jerusalem strahlt jetzt in anderem Glanze!«
Rahel hatte Thränen in den Augen; sie sah gerade zur Stadt hinüber und sagte jetzt bewegt: »Wie könnte ich meine Vaterstadt da unten vergessen, die Stätte meiner Kindheit, wo mein alter Vater lebte und litt, bis er zu seinen Vätern versammelt ward, und wo einst meine liebe Mutter starb. Freilich für uns Juden ist Jerusalem die wahre Heimat. Vergesse ich dein, Jerusalem, so müsse meiner Rechten vergessen werden!' Aber es ist wirklich schön hier. Es ist Andachtsstille in der ganzen Landschaft,« setzte sie bei.
»Lasset uns nun aber Platz nehmen,« bemerkte Otto und führte Rahel zu den Sitzen in der Mitte des Zimmers zurück.
Sie setzten sich alle, Ruben zur Seite seiner Rahel, und ihr gegenüber Otto und Gertrud. Sie sahen einander mit freundschaftlichen Blicken an und grüßten sich nun erst recht als Hausgenossen für die kommenden Tage und Wochen.
Ruben und Rahel waren halb orientalisch gekleidet. Rahel trug ein leichtes Tuch wie einen Turban ums Haupt geschlungen, ihre schönen schwarzen Locken hingen herab wie süße Träume vom Morgenland. Ihre Ohren trugen ein prächtiges Gehänge, ihr Mieder war mit Perlen geschmückt, ihr Kleid mit seinen hellen, bunten Farben paßte trefflich zu der dunklen Hautfarbe der echten Tochter des Morgenlandes. Sie und ihr Gatte trugen beide unverkennbar den Stempel ihrer Abkunft im Ausdruck des Gesichts und der Augen. Aber es war kein Wunder, daß jedermann sie beide, und gerade auch beide neben einander, mit besonderem Wohlgefallen ansah. Denn so edel und zart war ihr Gesichtsausdruck, und auch der träumende Zug im Auge und auf der Stirne hatte etwas so Edelgeartetes und Feines, daß niemand diese beiden Israeliten ansehen konnte ohne das sichere Gefühl: ›Siehe da! echte Israeliten, in welchen kein Falsch ist!‹