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Motto:
Worauf die Völker harrten. –
Wie herrlich ist's erfüllt!
Das Land ein Gottesgarten,
Des Himmels irdisch Bild;
Darin ein Volk,
An Seel' und Leid gesund, –
In Lieb' und Treu' gefüget
Ein Bruderbund!
Nachmittags schlug der Hausherr vor, einen Gang in das Dorf hinab zu machen. Alle waren einig. Man beschloß, zu Fuß zu gehen.
»Elisa, willst Du diesmal zu Hause bleiben? Ihr beiden andern geht mit. Wenn etwas Wichtiges vorkommen sollte, telephonierst Du uns ins Dorf, nicht wahr? Wir werden bei dem alten Martin vorsprechen.«
»Ich werde alles treu besorgen,« antwortete Elisa freudig.
Die Gesellschaft trat den Abstieg an. Man wählte die schön gewundenen schmalen Wege durch den Waldabhang, welche mit ihren verschiedenen Aussichtspunkten und Wendestellen immer neue Reize der schönen Landschaft offenbarten. Zamba und Johannes waren sehr erfreut, mitgehen zu dürfen. Wo der Weg allzu steil abfiel, bemühten sie sich, den Frauen zu Dienst zu sein; wo auch nur ein Stein im Wege lag, räumten sie ihn weg.
»Ich bin sehr begierig, Otto, wie wir es diesmal da unten treffen, und was wir wieder Neues zu sehen bekommen,« sagte Rahel.
»Ja, es ist auch der Mühe wert, darnach zu sehen. Sie haben an Martin einen trefflichen Dorfältesten. Er ist denn doch der Erste und Angesehenste von denen aus der alten Weltzeit; ich halte große Stücke auf ihn,« antwortete Otto.
»Das war er schon damals wert, als er vor dreißig Jahren Dein Freund wurde,« erwiderte Gertrud. »Ein treuer Mensch mit immer strebsamem Wesen, mit verständigem Urteil und menschenfreundlichem Sinn, – so steht er mir von jeher in meiner Erinnerung da!«
»Und als das gilt er überall weit und breit; er hat großen Einfluß unter den Volksgenossen,« antwortete Otto. »Wir beide sind so innig befreundet, wie zwei Brüder nicht besser miteinander verbunden sein können; es ist auch wirklich etwas herrliches, was für eine Kraft und Klarheit des Geistes in seinem so schlichten Wesen zu spüren ist, und was für eine Innigkeit und reiche Fülle des Gemütslebens an ihm offenbar wird, je näher man ihn kennen lernt.«
»Und seine Frau!« setzte Gertrud hinzu.
Otto lachte: »So oft ich nämlich hinunter will, möchte Gertrud mit, und kaum bin ich im Gespräch mit ihm, so sitzen die beiden Frauen schon beisammen und reden so innig und traulich miteinander, daß man sie kaum mehr voneinander trennen kann.«
»Nun, sie hält auch große Stücke auf Dich und ist überglücklich über der Freundschaft der beiden Männer,« entschuldigte Gertrud.
»Das ist auch schön!« bemerkte Ruben. »Was kann von größerem Segen sein, als solche Verbindungen gerade!«
»Mein Mann gilt in der ganzen Gegend als der Ratgeber der Dorfältesten und als ihr bester Freund,« erklärte Gertrud.
»Das kommt einfach daher, daß ich in ihren besonderen Berufsarbeiten auch einige Erfahrung habe, trotz meiner früheren kaufmännischen Beschäftigung.«
»Darum haben sie ihn ins Landesversorgungsamt gewählt, und er berät den Anbau des Landes und alle wirtschaftlichen Geschäfte ins Große mit,« setzte Gertrud wieder bei, – »er genießt großes Vertrauen dafür.«
»Nun ja,« schaltete Otto ein, »es ist überhaupt ganz anders geworden mit dem organischen Aufbau des Gesellschaftslebens. Man findet nirgends mehr etwas von den büreaukratischen Schranken stolzer Ämter oder dem Volk entfremdeter Beamten. Alles ist Hilfe und Fürsorge, alles Freundschaft und Bruderschaft,« sagte Otto.
»Kann man sich's auch noch denken,« warf Ruben dazwischen, »wie man in der früheren Weltzeit unter allen zivilisierten Völkern und in allen Sprachen einander mit »Ihr« und »Sie« anredete! Welche Fesseln sind doch das gewesen!«
»Ja, wir Menschen der neuen Weltzeit würden es im gegenseitigen Verkehr gar nimmer fertig bringen, so miteinander zu verkehren,« fügte Rahel bei.
»Die Sprache ist Geist, der Geist schafft die Sprache,« erklärte Ruben. »Zum neuen Geist der neuen Zeit würde es ja allerdings nimmer passen, anders miteinander zu reden als ›Du‹ und ›Du‹. Die Sitten sind doch ganz andere geworden.«
»Aber nicht loser und lockerer, sondern fester und feiner,« erwiderte Gertrud.
»Ja,« sagte Otto, – »und man kann ja nicht leugnen, daß in der alten Zeit so vieler offenbarer Sünde und geheimer Sittenlosigkeit die Aufhebung des ›Du und Du‹ unter den zivilisierten Völkern einst auch eine heilsame Schranke aufgerichtet hatte. Das freie, vielfach kecke Wesen damaliger Zeiten fand eine gewisse Grenze darin. Der Zwang der Not und der Wettkampf ums liebe Brot brachten ja ohnedem oft genug die Menschen durch allerlei Übertretungen in den Kampf gegen einander; der Kampf des Ehrgeizes wie des Eigennutzes war einem immerwährenden Kriege gleich; – da konnte man die gesellschaftlichen Schranken dieser uns freilich kaum mehr begreiflichen Höflichkeitsausdrücke wie ›Ihr‹ und gar ›Sie‹ wohl brauchen. Sie waren ein Schutz für gute Sitte, wie überhaupt für gegenseitige Achtung und für die nötigen Rechtsgrenzen. Das ist jetzt alles nicht mehr nötig. Der freche, kecke Geist leichter Sitten ist jetzt gebannt; der ›Kampf ums Dasein‹, wie man früher sagte, (und meinte damit auch noch gar ein geistreiches Wort – wie für eine fast heilige Naturnotwendigkeit – gefunden zu haben!) ist nicht mehr und gilt nichts mehr; die alten thörichten Ehrbegriffe voll ehrgeizigen und eifersüchtigen Wesens gelten alle miteinander nichts mehr. Zur höchsten Ehre in der neuen Weltzeit wird vielmehr das gerechnet, in jedem Menschen den Menschen hochzuachten, den Bruder zu finden, den Freund zu suchen. Die Menschen sind einander viel näher gekommen, aber sie stehen einander zugleich bedeutend höher, als in früheren Zeiten. Überall waltet jetzt wahre Menschenliebe und herzliche Menschenfreundlichkeit, überall aber auch gegenseitige Achtung und pietätsvolle Wertschätzung. Das macht unser Leben viel einfacher und doch zugleich viel schöner, viel wahrer und zugleich viel inhaltsreicher. Wo wir auch sind, nirgends sind Fremde, überall Freunde; wo wir hinkommen, immer finden wir Freundschaft und überall bringen wir Freude. So ist auch kein Unterschied mehr zwischen Stadt und Dorf, außer etwa der der andersartigen Beschäftigung, jedenfalls aber nicht mehr der verschiedener »Stände« oder gar thörichten Stolzes einerseits und unverständigen Neides andererseits. Mit einem Wort: die Ideale sind erwacht und sind im ganzen gesellschaftlichen Leben der Menschen untereinander zur vollsten Wahrheit geworden.« –
Unter diesen Gesprächen war man vollends in das Thal hinabgestiegen, alle waren frohen Herzens, nicht zum wenigsten die beiden Neger, welche die besprochenen Gedanken so innig dankbar auf sich selbst anzuwenden wußten. Man näherte sich jetzt dem Dorf mit seiner stattlichen Häuserreihe. Ruben und Rahel waren schon oben verschiedene Male stehen geblieben und hatten auf die lieblichen Gefilde und die schmucken, meist neuen Häuser des Dorfs hinabgeschaut; aber nun vollends am Eingang des Dorfes hier, – welch ein lieblicher Anblick! Schon die beiden ersten Häuser rechts und links der Straße boten dem von außen an das Dorf Herankommenden ein überaus einladendes Bild dar. Beide zusammen hatten sie in völlig ebenmäßigem Aufbau das Aussehen eines stattlichen Thoreingangs oder einer großen, weit offenen Ehrenpforte. Über schmuckem Unterbau mit schönen Bogenfenstern zeigten sie, gegen die Straße zu ausgebogen, je zwei Erker mit auf drei Seiten umlaufenden Altanen. Auch dieser zweite Stock hatte schöne Bogenfenster mit kleinen runden Scheibchen, und je zwischen den Fenstern trugen die Wände schmucke Wappenschilder. Die Dächer beider Häuser waren mit Türmchen geziert und mit farbigen Ziegeln gedeckt.
Durch diesen schönen Thoreingang betrat man das Dorf. Und nun – kaum ein Haus dem andern gleich, alle aber in schönster Harmonie der Bauart übereinstimmend; meist zweistöckige Gebäude, der erste Stock von Stein, der zweite gewöhnlich nur Holzbau mit Riegelwand, das Holzwerk geölt oder angestrichen, vielfach auch das ganze getäfert und in geschmackvoller Farbe gehalten, – hier ein Erker, dort ein vorspringendes Dach mit Altan, welcher oft auf zwei oder drei Seiten um das Haus umlief, je und dann ein hoher Giebel, alle Dächer aber mit schmucken farbigen Ziegelplättchen in zum Teil sehr feinen Mustern gedeckt. Alles schien einem einheitlichen Plan zu entstammen, und doch war jedes Haus ein selbstständiges Familienhaus, die Straße breit und schön gehalten; dabei zu beiden Seiten der Straße, vor allen Häusern gleichmäßig, mehr oder weniger untereinander zusammenhängend, ein kleiner Gartenraum mit Blumen, Rosenstöcken und Wildranken, ferner am Hause hin Spalierbäume oder Rebstöcke: das alles jetzt mit seiner herbstlichen, mannigfaltigen Färbung einen überaus freundlichen Anblick darbietend. Überall da, wo die Straße umbog, oder wo sie anstieg und wieder abfiel, besonders aber in der Mitte des Dorfs, da wo eine Straße nach rechts geradlinig zur Seite in die Felder ausbog, hatten die Häuser irgend etwas dementsprechend hervorragendes, sei es einen hochragenden Giebel oder ein Türmchen, einige Erker oder einen kräftigen Wappenschild mit schönem Sinnspruch, so daß jede Straßenbiegung das Auge mit einem neuen Bilde überraschte, – das ganze ein Bild frischen Lebens, froher Gemeinschaft, herzlicher Gastlichkeit und zugleich schönster Harmonie.
Ruben und Rahel hatten die Anfänge dieser Neubauten schon vor Jahren gesehen, heute aber äußerten sie ihre helle Freude darüber, daß nun die beiden Fronten der Straße in ihrer ganzen Ausdehnung ausgebaut dastanden, und jetzt, im Schmuck der Herbstfarben mit der freundlichen Abtönung der Balkenvorsprünge, das Ganze einen so überaus lebendigen, das Auge sättigenden Eindruck machte.
Man schritt jetzt durch das Dorf. Aus vielen Häusern wurde freundlich und herzlich gegrüßt. Gertrud galt den Leuten wie eine Mutter, und Otto sprach manchen an, der des Wegs daherkam. Jeder aber bezeugte seine Freude, wenn er der zwei halborientalischen Gestalten, Ruben und Rahel, ansichtig wurde. Es hatte sich schon im ganzen Dorf verbreitet, daß Rahel mit ihrem Gatten wieder in der Gegend sei. Den Kindern war die Tracht meist etwas Neues; sie liefen grüßend herzu und schauten mit ihren fröhlichen Augen hoch empor an der fremdartigen und ihnen doch schon so bekannten, vielbesprochenen Erscheinung.
»Kommt heute abend, wenn wir zurückgehen, an die Dorflinde,« sagte sie einigen, »dann will ich Euch etwas Schönes erzählen!« ... und fröhlich zerstreuten sich die Kinder, es in allen Häusern bekannt zu geben.
Weiter ging es das Dorf entlang, bis man vor dem Haus des Dorfältesten anlangte. Das war ein Haus wie die andern auch, nicht größer, eher kleiner als die meisten neueren, – selbst schon fünfundzwanzig Jahre alt, aber da, wo die Straße gegen die Bergkette ansteigt, höher gelegen und einen bequemen Ausblick auf das Dorf bietend.
Martin, der Dorfälteste, kam seinen Gästen ehrerbietig, doch in schlichter Herzlichkeit entgegen; man begrüßte einander als alte Bekannte und treue Freunde. Frau Margaretha war den Frauen sichtlich zugethan, das zeigten schon die ersten Worte der Begrüßung. Auch die Neger galten als liebe Hausfreunde. Man trat über die Schwelle und sah sich in den inneren Räumen um; die schön getäferten Wände des großen, stattlichen Wohnzimmers mit seinem gleichfalls getäferten, aber heller abgetönten Erkerausbau, in dem die Frauen an einem achteckigen Tischchen Platz nahmen, machte einen überaus behaglichen Eindruck.
Die Männer traten an die Pfeiler des Erkerzimmerchens, Ruben und Rahel sprachen ihre Freude über den sichtlichen Fortschritt der neuen Zeit aus. Man überblickte von hier aus den größten Teil des Dorfs, dessen Straßenbild, von diesen Fenstern aus gesehen, die vorhin empfangenen, so befriedigenden Eindrücke noch erheblich vermehrte. Es gab sich hier allerdings nur noch ein Teil der Straße und ihrer Innenseite zu schauen, wogegen man aber von der anderen, unteren Hälfte des Dorfes hier auch die Rückseite der Häuserreihe zu sehen bekam. Und jetzt zeigte sich erst recht, mit welcher Umsicht alles schön eingeteilt und angeordnet war. Freie Plätze, üppig beschattende Baumgruppen und gemütliche Lauben schmückten in fast doppelter Straßenbreite die hintere Seite der Häuserreihe mit dem Blick auf die Feldungen, die sich hier anschlossen. Nirgends dagegen waren Stallungen bei den Häusern mehr zu sehen.
»Die liegen alle weit ab gegen die Äcker und Wiesen zu,« erklärte der Dorfälteste für Rahel und Ruben. »Das ist ja alles längst nicht mehr Einzelbesitz, sondern nur Gemeindebesitz. Hier zunächst liegen die Gemüsegärten, auf beiden Rückseiten der Dorfstraße rechts und links weit ausgedehnt. Seht da, wie weit hinaus! Das alles ist die Arbeit der Mädchen.«
»Ihre Freude und ihr Stolz!« fügte Frau Margaretha hinzu. »Es ist doch ein viel geregelteres Leben, als wir es in unserer eigenen Jugend hatten. Kein Mensch denkt jetzt mehr daran, die Mädchen aufs Feld zu schicken. Die Feldarbeit ist Sache der Burschen; die Mädchen bleiben ums Haus in der leichteren und feineren Arbeit.«
»Der Gemüsebau wird nämlich,« setzte der Gatte wieder bei, »bei uns jetzt immer eifriger betrieben und immer mehr vervollkommnet. Wir liefern unsere Erträgnisse in reicher Menge ab.«
»Und da arbeiten nun,« fuhr Frau Margaretha fort, »unsere Mädchen alle mit einander fröhlich beisammen und freundschaftlich unter einander; ihre schönen Lieder sind auch die Freude der Alten, und ihr täglicher Gesang ist des ganzen Dorfes Wonne. Niemand stört sie in ihrer Arbeit. Sie halten die weiten, großen Beete wie ihre Blumentöpfe.«
»Sie vervollkommnen ihre Kenntnisse,« erklärte Martin noch, »mit einem Eifer, wie wenn alles ihr persönliches Eigentum wäre, und das ganze Dorf ist stolz auf diese üppige Feldung. Die Wasserleitungen gehen überall hin, wo man sie braucht, und machen die Arbeit leicht. Schwere Arbeit, wie Wege ziehen und Steine einstellen, ist ihnen abgenommen. Alles übrige aber ist hier ihre Sache, und Ihr seht, wie jedes Beet von ihrem Eifer zeugt.«
»Und alles mögliche baut Ihr ja in großen Mengen!« rief Rahel mit einem Blick auf die weit ausgedehnten Pflanzungen.
»Ja, in allen möglichen Sorten,« sagte Gertrud.
»Das gerade verdanken wir ja alles Deinem Mann und seinen reichen Kenntnissen,« erwiderte der Dorfälteste.
Ruben lachte: »So weit sind unsere Leute in Jerusalem doch noch lange nicht. Hierzulande spürt man eben doch die Vorschule ganzer Jahrhunderte, die strenge Arbeit im Schweiß des Angesichts, wie sie längst in Fleisch und Blut des Volkes übergegangen ist. Es wird ja auch bei uns immer besser, aber so fleißig sind die Leute bei uns doch noch nicht. Sieh nur, Rahel, wie alles hier so schön geordnet in Reih und Glied steht!«
Es war Abend geworden, die schief hereinfallenden Sonnenstrahlen warfen breitere Schatten zwischen die Reihen und ließen die schöne Ordnung der Beete jetzt allerdings besonders deutlich hervortreten.
»Aber ich höre etwas!« sprach jetzt Otto, »gebt acht, Ruben und Rahel! jetzt kommt etwas ›in Reih und Glied‹ daran werdet Ihr erst recht Eure Freude haben!«
Man hörte vom Berg her die Straße herab einen frischen kräftigen Gesang, immer näher und immer kräftiger, dabei den Hufschlag von Pferden, Rasseln und klirrendes Getöse; immer näher kam der kraftvolle fröhliche Männergesang, immer stärker erschallte gleicher Schritt und Tritt, die Gäste hatten neugierig die Fenster geöffnet, und siehe da! da kamen sie ja daher, alle die frischen Burschen und jungen Männer der Gemeinde. In frohem Marschschritt, stramm und freiweg, teils in lose verbundenen Gliedern marschierend, teils die Pferde führend, daneben einer reitend und kommandierend, und nachher wieder ein solcher, alles in bester Ordnung, offenbar nach bestimmter Regel, die Mannschaft, die Pferde, das Geräte und Geschirr, gleichmäßig verteilt und schön geordnet.
»Wie eine Artillerieabteilung aus der alten Weltzeit!« sagte Ruben zu Otto, und Martin nickte lächelnd und antwortete:
»Ja, ja, es ist halt doch noch der alte soldatische Geist in dem jungen Blut.«
»Und der soll auch nicht verloren gehen,« rief Otto eifrig, »wenn schon die Schwerter zu Pflugscharen und die Speere zu Sicheln geworden sind! der soll doch nicht verloren gehen, es wäre jammerschade drum!«
»Er kann so gar nicht verloren gehen,« rief Ruben, zum Fenster ausschauend, »so erst recht nicht; das ist ganz prächtig! Seht nur, wie stramm sie sich halten und wie hochgemut sie sind. Das ist eine wahre Freude!«
Martin erwiderte: »Und jetzt haben sie doch den ganzen Tag tüchtig draußen gearbeitet und geackert, – aber diesen Einzug lassen sie sich nicht nehmen und ihre Lieder auch nicht. So ziehen sie täglich hinunter durchs ganze Dorf bis links hinaus zu den Stallungen; dort besorgen sie noch die Pferde, und erst, wenn alles das fertig ist, kommen sie selbst heim, die Pferdewachen ausgenommen.«
Die junge Mannschaft zog singend vorüber, – das ganze Regiment, wenn man so sagen will. Sie sangen ein Lied, feurig und freudig, bewegt und mit leuchtenden Augen. Wenn wir es ins deutsche übersetzen wollen, so lautete es ungefähr so:
[Lied der Burschen.]
»Die Sonne steigt hernieder,
Von Ferne kommt die Nacht;
Wir wandern heimwärts wieder,
Das Tagwerk ist vollbracht.
Dem frohen Mut
Entquelle froher Sang,
Und helle Töne klingen
Das Dorf entlang!
In goldner Morgenstunde
Ein frisches Thun begann;
Wir stimmten in der Runde
Manch' Lied zur Arbeit an,
Wir freuten uns
Der schönen Gotteswelt;
Die Sonne grüßte freundlich
Am Himmelszelt.
Die Saaten keimen stille,
Die Früchte reifen schon!
Aus reicher Segensfülle
Winkt uns der süße Lohn.
Die Arbeit selbst
Ist mir die Frucht so süß;
Vom Himmel stieg hernieder
Das Paradies.
Worauf die Völker harrten, –
Wie herrlich ists erfüllt!
Das Land ein Gottesgarten,
Des Himmels irdisch Bild;
Darin ein Volk,
An Seel' und Leib gesund, –
In Lieb und Treu gefüget
Ein Bruderbund!
Voll Kraft noch sind die Alten,
Im Rathe hochgeehrt;
Der Frauen zartes Walten
Verkläret Haus und Herd.
Wir Jungen glüh'n
Für Thaten hoch und hehr.
O Volk, zu deinem Glücke
Was willst du mehr?
Ein jeder frei vom Zwange,
Für alle gleiches Recht,
In edlem Liebesdrange
Ein Mann des andern Knecht: –
O Wunder groß!
Es ist geworden wahr
Und wirds auch fürder bleiben
Wohl tausend Jahr!
So sangen sie, und noch lange tönte ihr kräftiger Sang und frischer Schritt durch die Straße hinab. Mit frohlockendem Wohlgefallen schauten und hörten die Alten zu.
»Es ist eine schöne, ideale Sache um das,« sagte Otto, »frisches Blut im ganzen Volk und frisches Leben in seiner Jugend! Kraft ist ihr Stolz, Keuschheit heilige Regel, Frohsinn giebt sich von selbst, und Arbeit ist ihnen Zeitvertreib.«
»Ein fröhlich Spiel gilt ihnen auch etwas,« sagte die rüstige Frau Margaretha; »aber sie würden es unter einander selber nicht dulden und es könnte sich einer gar nicht mehr sehen lassen, wenn er die Arbeit nicht allem anderen vorzöge.«
Bald trat jetzt Henri herein, der einzige Sohn des Hauses, siebenundzwanzigjährig, ein großer, stattlicher junger Mann. Er war mit der jungen Mannschaft vorhin vorübergezogen, unter den Fenstern des Hauses hatte er sich noch einmal umgewendet und heraufgegrüßt; sein besonders herzlicher Gruß galt der Mutter, welche mit frohem Winken den Gruß des treuen Sohnes erwidert hatte. Jetzt eintretend grüßte er die Gesellschaft, zuerst die Frauen, dann die Männer. Mit Wohlgefallen blickten alle auf den stattlichen Sohn des Hauses. Ein Bild von Kraft und Frische, von hochgemutem Wesen und zugleich würdigem Ernst sprach aus seinen Zügen und aus seiner ganzen Haltung. Er hatte die schwarzen Augen der Mutter und den starken Körperbau des Vaters, diesen noch an Größe überragend. Er blieb übrigens heute nur kurz im Zimmer, denn er mußte noch einmal hinaus zu den Ställen, die Arbeit der Mannschaft zu beaufsichtigen. Man beglückwünschte die Eltern zu diesem wohlgeratenen Sohn. Glücklich dankten beide, aber jetzt nahm Martin das vorige Gespräch wieder auf und sagte:
»Was ist nicht alles in den letzten zehn Jahren schon geschehen! Wenn man jetzt die Felder auf der Hochebene ansieht, alles eine Flucht, eine große Ebene, alles in gleichmäßigem, bestimmt abgestuftem Bau! Da arbeitet jeder auf dem ihm heute ausgelosten Stück, so recht um die Wette mit den anderen, als wäre ein jeder fürs Ganze verantwortlich. An freien Tagen besuchen sie dann und wann auch andere Feldebenen in anderen Gemeinden, oft auch entlegenere Gegenden mit Sang und Klang durchwandernd. Da schauen sie, fragen und lernen. Die Ehre der Gemeinde ist hochgehalten bei ihnen, der Fleiß der jungen Mannschaft soll vor aller Welt bewiesen sein; ich sage Euch, das ist ein Eifer, daß es für uns alle eine wahre Freude ist!«
»Wenn man das in alten Zeiten vorausgesagt hätte!« rief Ruben.
Otto antwortete: »Dann hätte jedermann behauptet, ohne festen Privatbesitz werde kein Mensch mehr gerne arbeiten; alles werde erlahmen, auch der Fleißige werde nicht mehr für die Faulen arbeiten wollen, alles werde zu Grunde gehen u. s. w. u. s. w., – wenn es dann überhaupt noch etwas »Weiteres« giebt. – Und jetzt ist es doch das gerade Gegenteil!«
»So hat sich die Welt geändert mit einemmal durch die große Umwälzung um die Wende des Jahrhunderts!« sagte Rahel.
»Ja, aber vorher wäre es eben auch, nicht zu machen gewesen. Alles hat seine Zeit,« sagte Otto wieder. »Erstrebt, angeraten, gewünscht, versucht wurde es in früheren Jahrhunderten ja auch schon, aber der neue Geist der neuen Zeit fehlte, und es hätte das alles gar nicht werden können, ohne daß ein ganz neues Leben alle Lande und alles Volk durchbrauste.«
»Das ist es!« sagte ernst der alte Martin; »ohne des allmächtigen Gottes Walten und Wirken wäre es nimmermehr so weit gekommen. Wir sind die Kinder seines lichthellen Tages. Lasset uns seines Glanzes uns freuen! Gott sei gelobt ewiglich!«
Der alte Dorfälteste stand hochaufgerichtet da, freudig bewegt und ganz feierlich sprach er seine Worte. Er war ein schöner, würdiger Mann in seiner schlichten Kleidung. Jetzt war er ganz lebensfroh geworden über diesen Gesprächen; er war auch in Wahrheit noch so frisch und kräftig, als wollte er trotz seiner fünfundsiebzig Jahre noch einmal jung werden.
»Eigentlich wollte ich Euch auch noch die Stallungen zeigen, wo die Burschen mit den Pferden hingezogen sind, aber dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Und die Viehställe habt Ihr ja auch noch nicht gesehen; sie stehen über den Gemüsegärten draußen.«
»Das müssen wir alles ein andermal sehen, lieber Martin, – wir müssen heim,« sagte Gertrud. »Ruben und Rahel möchten sich ohnedem auch die Feldstallungen auf der Hochebene und den ganzen Betrieb auf den Hauptfeldungen einmal ansehen. Da kommen wir ein andermal wieder zu Euch herunter; für heute müssen wir aufbrechen.«
Man verabschiedete sich mit herzlichem Händedruck und trat den Heimweg an; der Dorfälteste und Frau Margaretha ließen es sich aber nicht nehmen, das Geleite zu geben. Es war wohl Abend, aber noch nicht sehr dunkel geworden. Und als sie in die Mitte des Dorfes kamen. – siehe! da standen weit im Bogen die Kinder bei der Linde und sperrten die Straße, mit fröhlichen Gesichtern ihre Arme ausspannend. »Rahel, Du mußt uns noch etwas erzählen. Du mußt jetzt etwas erzählen!« riefen alle wie aus einem Munde. Diejenigen, welche sie noch nicht begrüßt hatten, traten näher und grüßten sie und Ruben, dann Gertrud und Otto, Frau Margaretha und den Dorfältesten, auch die beiden Neger, – alle so fröhlich und vertrauensvoll, so anständig und anstellig daherkommend, daß es ein Bild zum Malen war. Im Hintergrund aber hatten sich auch schon eine ziemliche Anzahl Erwachsener aufgestellt, offenbar wollten sie nicht um den Genuß kommen, die schöne Orientalin eine ihrer merkwürdigen Erzählungen preisgeben zu hören. Rahel wandte sich lachend um und schaute Gertrud fragend an: »Da werden wir uns gefangen geben müssen, so spät es auch geworden ist, – ich habe es ihnen ja bei unserer Ankunft hier versprochen.«
»Sei ganz beruhigt,« erwiderte Gertrud, »wir alle hören Dir ja immer so gerne zu. Heute ist Vollmond, wir kommen noch helle genug auf den Berg.« Die Männer alle gaben ihre freudige Zustimmung, und Frau Margaretha gesellte sich lachend zu den anderen Erwachsenen, welche sich hier schon versammelt hatten.
»Ja, was wollt Ihr denn von mir hören, Kinder? Was soll ich Euch erzählen?«
»Von Jerusalem etwas, von Jerusalem!« riefen alle miteinander und von hinten her hörte man zustimmendes Geflüster.
»Ach, von Jerusalem kann ich heute nichts mehr erzählen; ich weiß schon, dann soll ich gar nimmer aufhören. Dazu ists heute doch zu spät. Aber gebt acht, ich will Euch etwas anderes erzählen. Was soll es sein? Etwas vom Wasser oder vom Feuer, vom Himmel oder von der Erde?«
»Vom Wasser!« riefen die Knaben.
Die Mädchen riefen: »Etwas vom Himmel!« – »Oder was Du willst!« hieß es zuletzt.
Rahel besann sich einen Augenblick, dann lachte sie und sagte: »Gebt acht, ich will Euch etwas vom Wasser und vom Feuer, vom Himmel und von der Erde zugleich erzählen, alles mit einander! Ein Rätsel will ich Euch aufgeben, aber es soll eine ganze Geschichte sein! – Kommt da zusammen unter den Baum!«
Die Alten traten dort etwas weiter zurück, Rahel setzte sich auf die runde Bank unter dem Baum, – um sie die Frauen. Vor ihr standen die Kinder im engen, traulichen Umkreis, und hinter ihr vollendeten Erwachsene und Männer den Kreis. Sie begann jetzt in ihrer phantasiereichen und gemütsinnigen Weise, mit ihrem freundlichen, lebendigen Gesicht und ihren leuchtenden Augen, und alles hörte aufmerksam zu.
»Ich weiß einen Reisenden, der ist gar weit gekommen, himmelweit, weiter als wohl die meisten anderen. Es ist aber weder ein großer Naturforscher, noch einer von den kühnen Seefahrern. Er hat nicht einmal einen Eigennamen. Ich will Euch aber doch von ihm erzählen; gebt mal acht, wer das wohl ist.
Er lebte einst seelenvergnügt mit seinen Brüdern im Weltmeer. Sie unterhielten sich aufs beste; bald hüpften und tanzten sie auf den schäumenden Wellen, bald stürzten sie sich kopfüber in steile Abgründe, welche der Sturm aufwühlte. Wenn das Meer aber ruhig dalag, dann lauschten sie den Gesängen von Meerkönigs Töchtern oder plätscherten an den krystallenen Wänden von Meerkönigs Schloß.
Bei solcher Kurzweil wären wohl viele zufrieden gewesen, – nicht so unser kleiner Bursche. Er strebte fort aus der Heimat und wollte gerne wissen, was es außer seiner Heimat noch auf Erden gebe. Am liebsten hätte er unsern Herrn Gott die Welt regieren sehen. Jeden Sonnenstrahl, der in seine Nähe fiel, beneidete er um die schöne weite Reise von der Sonne bis zum Meer. Die Sonnenstrahlen sagten endlich ihrer Mutter, der Sonne, von dem kleinen Neugierigen, und die Sonne trug einem derselben auf, den kleinen Schelm mit hinauf zu tragen, wo schon so viele seinesgleichen hineilten.
Froher als ein König folgte er dem himmlischen Strahl, und als er so über Berg und Thal getragen wurde, da schaute er mit großen Augen hinunter, weit hinunter, hoch hinunter, – es ist ein Wunder, daß ihm nicht schwindelig wurde und er hinabfiel. Das Hüpfen und Stürzen von den Wellen in die Abgründe hatte ihm aber den Schwindel abgewöhnt.
Als sie so durch die Lüfte fuhren, begegneten sie vielen anderen Reisenden, und da erkannte er in ihnen lauter Brüder, die sich herzlich freuten, ihn zu sehen, und denen ihn der freundliche Sonnenstrahl anbefahl, der nun rasch weiter eilte, um sich bei seiner Herrin, der lieben Sonne, zu ferneren Aufträgen zu melden.
Im großen Haushalt der Natur giebt es kein Stehenbleiben und Schwatzen; alles geht pünktlich seinen Gang. Denn wenn es anders wäre, dann stieße wohl gar ein Stern an einen anderen, oder beide stürzten alles zertrümmernd auf die Erde.
Der kleinen Reisenden waren nun so viele beisammen, daß sie die Sonne ganz verdunkelten; die Heumacher auf Erden blickten besorgt zum Himmel auf und seufzten: »Es kommt ein Sturm!« Horch! der Wind heulte schon und trieb die Brüderchen zur Eile an. Bald darauf stürzte der tolle Sturm sie unter Blitz und Donner hinunter auf die Erde. Fast waren schon alle unten, da blickte die liebe Sonne sie noch einmal an, und es entstand eine wunderschöne Brücke, in sieben Farben strahlend. Die Menschen auf Erden riefen erfreut: »Seht den schönen Regenbogen!« Unser kleiner Reisender konnte sich nicht satt sehen und merkte kaum, daß er in die Mitte eines großen Flusses gefallen war, dessen Wellen ihn nun rasch ins Meer trugen.
»Willkommen!« riefen seine Mutter und Brüder, – »wie hat es Dir gefallen?«
»Es war herrlich, köstlich, unbeschreiblich schön! nächstens gehe ich wieder mit!« rief er frohlockend. –
– Nun sagt mir, wer ist wohl der kleine Reisende?« –
Schön war die anmutige Erzählung von Rahels Lippen geflossen. Wie ein altes Märchen, wie ein Traum der Sommernacht floß es dahin, wie eine Elfe im Nebel huschte das Bild vorbei.
Alles lachte, aber Rahel rief schnell: »Stille! – die Kinder, die Kinder müssen es finden!«
Sie faßte die Vordersten alle zusammen, zog sie liebkosend zu sich her und fragte nun streichelnd eins ums andere: »Du, wer ist der kleine Reisende?«
Wars Unwissenheit, oder wars Schüchternheit? – keines sagte etwas. Nur ein kleines schwarzlockiges Mädchen, das ihr am nächsten stand und gar zutraulich, die Hände auf ihre Kniee gestützt, zu ihr heraufsah, schlug die schönen schwarzen Augen schüchtern, aber jetzt groß auf und sagte langsam und leise, aber lachend und kosend: »Der Regentropfen!«
»Ja, der Regentropfen!« rief Rahel in laut aufjauchzendem Ton und herzte das Kind und küßte es.
Alle waren voll Vergnügen. Wie ein sprühender Funke fiel das lösende Wort in die dichtgedrängte Schar und hell beleuchtet zog das ganze sinnige Rätselbild noch einmal an ihrem Geistesauge vorüber. »Der Regentropfen, der Regentropfen!« wurde es jetzt unter Kindern und Alten lebendig.
»Ja,« lachte Rahel hell auf, »es regnet aber nicht! nur dageblieben! – Nun will ich auch etwas hören, von allen mit einander. Ein Lied will ich hören, von Euren schönen Liedern eines!«
Die Kinder waren alle bereit, sie sahen einander fragend an. Dann gab es einige leise Verständigungen, und jetzt begannen einige behutsam und bescheiden, und alle stimmten kräftig mit ein:
[Abendlied der Kinder.]
»Der Abend winkt am Waldessaum,
Im Winde rauscht der Lindenbaum,
Duft atmet seine Blüte.
Wohlan, ihr Kinder, groß und klein!
Des Baumes Rauschen lädt euch ein:
preist fröhlich
Gottes Güte!
Uns lacht der liebe Sonnenschein
Gar hell in Herz und Haus hinein,
Verkläret unsre Pfade.
Doch leuchtet uns ein Angesicht
Noch wonniger als Sonnenlicht:
preist fröhlich
Gottes Gnade!
Der Tannen Grün, des Himmels Blau,
Vergißmeinnicht auf grüner Au,
Das Veilchen auch, das scheue, –
In Farbenschrift verkünden sie:
Eins wankt und weicht und wechselt nie:
Preist fröhlich
Gottes Treue!
Und welch' ein Wirt hat euch zu Gast,
Ihr Vöglein all' auf hohem Ast,
Ihr Jungen samt den Alten?
Ihr säet nicht, ihr erntet nicht,
Wer sorgt für euch, daß nichts gebricht?
preist fröhlich
Gottes Walten!
Welch' bunte Pracht auf grüner Au!
Viel Blumen rot und weiß und blau,
viel zarte Gräslein drunter.
Ihr Blumen fein, ihr Gräser grün,
Wer hieß euch sprossen, duften, blühn?
Preist fröhlich
Gottes Wunder!
Und nun in solcher Herrlichkeit
Viel Menschenherzen warm und weit,
Und nie ein Auge trübe!
Das ist des Glückes höchste Kron',
Drum stimmt ihn an, den höchsten Ton:
preist fröhlich
Gottes Liebe!«
Das Lied wurde in frohem Ton gesungen, das große Blätterdach des Lindenbaums nahm die seligen Kinderstimmen auf und trug den Schall weit hinaus ins Dorf. Die Alten standen und hörten, bei den zwei letzten Strophen aber fielen sie jedesmal mit einander ein, bei jedem Verse immer kräftiger, den letzten Vers sangen sie alle zusammen.
Es war eine weihevolle Stimmung über die Versammelten gekommen, auch Rahel saß tiefergriffen da und blickte mit inniger Freude auf die frohe Kinderschar. Als das Lied verklungen war, blieb einige Augenblicke alles still. Dann sagte Gertrud:
»So, nun sollen unsere Neger, Zamba und Johannes, Euch auch noch ein Lied zum Abschied singen, eines von Afrika, vom heißen Afrika.«
»Ja, die Neger, o die Neger!« riefen die Kinder, und ihre Augen leuchteten, als sie zu den schwarzen Gestalten hinüberschauten.
Die Neger standen beide unmittelbar hinter Gertrud, den Kindern gegenüber; die übrigen Männer traten etwas zurück von ihnen. Anfangs ein wenig schüchtern, besannen sie sich schnell und begannen nun mit einander ein schlichtes Lied, wie sie es oft sangen, Zamba mit einer tiefen, aber weichen, Johannes mit hoher, klarer Stimme. Sie schauten dabei zu dem Nachthimmel empor, unter die aufgegangenen Sterne hinein, und ihre großen Augen leuchteten wie kindlich betend aus den schwarzen Gesichtern, so daß alles Andacht war, als sie sangen. Das Lied selbst aber lautete so:
[Gesang der Neger.]
»Jesu, Herr der Herrlichkeiten,
Licht der Heiden,
Gottes eingeborner Sohn!
Sieh'! es nah'n mit Lobgetöne
Negersöhne
Sich zu deinem heil'gen Thron!
Aus des Sündenjammers Ketten
Uns zu retten,
Hast du Boten ausgesandt,
Und es wurde dir, dem König,
Unterthänig
Auch das ferne Mohrenland.
Ja! zu aller Heiden Frommen
Ist gekommen,
Was dein heilig Wort verheißt!
Flehend heben wir die Hände:
»Jesu, sende
Allen Völkern deinen Geist!
Sprenge siegreich allerorten
Herzenspforten!« –
O du goldne, große Zeit,
Nun wir jauchzen: »Jesu! deine
Ist alleine
Reich und Kraft und Herrlichkeit!«
»Ach, das war schön, das war schön!« sagten die Alten zu einander.
Inzwischen war das halbe Dorf zusammengekommen, ganz ungesucht war es ein fast festlicher Abend geworden; mit inniger Freude ging man jetzt auseinander. Die Kinder verabschiedeten sich mit lautem Jubelruf, die Alten trennten sich mit herzlicher Begrüßung, die einzelnen Gruppen zogen fröhlich ab, hier und dort hörte man noch ein Lied, allmählich leiser verhallend in den Hauseingängen. Die elektrischen Lichter, welche bisher da und dort in zarteren Flammen in den Häusern sich gezeigt hatten, flammten jetzt überall auf, wo nur die Hausthüren geöffnet wurden; und durch das hellerleuchtete Dorf traten die Gäste ihren Heimweg an. Dann nahm sie der mildere Glanz des Vollmonds in seine leuchtende Begleitung, und sie stiegen die schmalen aufwärtsführenden Waldwege empor, die kleinere Hälfte des Wegs in einem Zug, alle in erhobener Stimmung, voll froher Gedanken. Kurz ehe sie die Straße zur halben Höhe des Bergs zu kreuzen hatten, blieben sie stehen und schauten hinab in die schöne Mondlandschaft. Ein leichter Nebel lag über dem Fluß und zog über die Wiesen dahin; es war, als wollte die schlummernde Erde scheu ihr feines Schleierkleid über sich herziehen, vor dem Glanz des Mondes ihr schönes Gesicht zu bedecken und stille, jetzt ganz stille, vollends einzuschlafen.
Bald waren sie noch höher emporgekommen bis zur Straße zu halber Höhe des Berges. Einige Zeit gingen sie diese breitere Villenstraße entlang, alle miteinander links von der Bergwand, rechts von den hohen Baumschatten gedeckt, durch welche das fahle Mondlicht glitzerte; dann schlugen sie wieder einen der schmalen, steilansteigenden Wege ein, welcher nur zu zweien zu gehen erlaubte, bis man vollends auf die Berghöhe gelangte. Immer herrlicher strahlte der Mond mit seinem heimlichen, stillen Lichte, immer weitere Flächen ließ er erglänzen, heilig lag weithin die feiernde Landschaft vor ihren Augen. Es war niemand mehr ein Bedürfnis, viel mit einander zu reden; man war erfüllt von den reichsten und lieblichsten Eindrücken des Nachmittags und des Abends, und diese Mondnacht that das ihrige dazu, jedes Herz still froh zu machen. Als sie aber oben waren und aus den Fenstern des Berghauses noch einmal in die Runde schauten, – Elisa hatte alle Wasser wieder springen lassen, welche jetzt wie flüssiges Silber in die Höhe brausten und in hellem Glanze mit metallenem Klang niedertropften, – da waren alle voll von Lob und Preis. Die ganze Natur feierte den ewigen Gott, die Berge standen hoch und stille da, gleich einem mächtigen Altar des allmächtigen, großen Gottes; der Wald hielt den Atem an, alles war wie in stillem Gebet vor dem alleinheiligen, seligen Gott.
»Sieh doch, wie schön!« sagte Rahel halblaut zu Ruben, und lange schauten sie alle in leisem Sinnen hinaus, ins Thal hinab und rings umher. Da, mit einemmale, fast wie mit einem einzigen Schlag, wird es Nacht im Dörflein drunten. »Nur ganz wenige mattfarbige Glühlichter die Straße entlang ausgenommen!« sagten sie zu einander.
»Und etwa noch ein stilles, mattes Lichtlein da und dort für eine Mutter und ihr Kind,« setzte Gertrud hinzu; »sonst liegt jetzt alles ganz stille.«
»Ja, so soll es auch sein,« sagte Otto, »das ist Dorfgesetz; bald zur Ruhe und früh heraus, das giebt ein gesundes Leben.«
»Und die Pflanzenwelt soll auch ihre Ruhe haben. Der Mond leuchtet ohnedem heute helle genug,« erwiderte Ruben.
Bald verabschiedete man sich von einander und ging zur Ruhe.