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Motto:
Man tritt uns ganz mit Füßen!
Schiller.
Für die Christen aber war die gepriesene Zeit höchster Kulturentwicklung die schrecklichste Zeit – und das Allerschrecklichste kam nun erst noch. Es ist nicht nötig und auch nicht möglich, dies an der Einzelngeschichte unserer Freunde zu zeigen. Wo die Gesamtheit so leidet, was bedeutet da der Einzelne? wo es sich um das große Ganze handelt, wie gering kommt sich der kleine Mensch, die einzelne Person vor! Es handelt sich jetzt auch vorerst nicht mehr um neue Erlebnisse, um äußerlich hervorragende, überraschende Entwicklungsmomente in der damaligen Geschichte der Christenheit. Es ging alles vollends seinen gewohnten Gang, das heißt jenen traurigen Kreuzesweg, den wir schon genugsam geschildert haben. Aber es kam nun auch ›die Kreuzesstunde der Christenheit‹ selber.
Die Quälereien gingen so weiter; da und dort schienen ihrer eher weniger zu werden als mehr, überall aber litten die Christen doch schon durch die Fortdauer dieser Zustände immer mehr darunter; und ein anderes kam allerdings neu dazu, das aber war etwas Innerliches, Verborgenes.
Zu Anfang, d. h. im bisherigen Verlauf, hatten sich wohl mehr Schrecken und Aufregung gezeigt, aber, wie das immer in ähnlichen Zeitläuften der Fall ist, auch die unverkennbaren Zeichen einer großen Erweckungszeit mit allen ihren Stärkungen und Tröstungen, mit ganz besonderen Kräften und merkwürdigen Erfahrungen. Es war wie das Aufleuchten der Blitze in einer grausen Nacht, aber auch wie das Brennen einer hellen, lichten Lohe glaubensgewisser Begeisterung, frohen Opfermuts und treuen Märtyrersinns bei vielen Tausenden und aber Tausenden. Sie stärkten sich an einander und des einen Kummer minderte den Jammer des andern, des einen Geduld beschämte den zagenden Glauben des Schwächeren. Hatten sie ja doch insgeheim mehr und mehr eine ganz lebendige Gemeinschaft untereinander. Es war ein Leben wie in den Zeiten der ersten Christenheit, wohl in der Schmach und Verfolgung, aber auch in der Kraft und Geduld. Es war auch, als wollte der, für den sie jetzt zu leiden hatten, ihnen besonderen Segen, reichen Trost, merkwürdige Erfahrungen, ja ganz wunderbare Kräfte schenken, so daß sie sich selber verwunderten über das, was an ihnen geschah und unter ihnen offenbar wurde.
Als aber der Druck nun anhielt und durch seine Dauer immer mehr belastete, da schien er einen wahren Bann auf die Seelen der Christen zu legen. Als auch die äußere Not, weil länger dauernd, immer größer wurde, für viele die Familiensorge immer peinlicher, mannigfach auch wehmütige Erfahrungen im engsten Kreis der eigenen Familie immer schmerzlicher sich zu fühlen gaben, – da waren sie wie im Feuerofen, ja da wurden sie wahrhaftig den alten Märtyrern gleich! Ihr Herzeleid war oft übergroß und es giebt ein Leiden, da kann man fast nicht mehr trösten, man scheut sich, es zu thun, man empfindet es wie ein Unrecht, aus sich heraus einen Trost zu sagen, wo Gott ihn zu versagen scheint; großer Schmerz macht stumm und für stummen Schmerz findet auch das Mitleid kaum mehr Worte.
Ja, jetzt war die eigentliche Kreuzesstunde der Christenheit angebrochen! Wie der ausgestreckte Leib ihres Heilandes einst im Sonnenbrand des Mittags und in der Marter aller seiner Glieder dahing, – so war die Christenheit, der Leib des Heilandes, in allen seinen Gliedern in den Tod gegeben, oder mehr als das. Denn der Märtyrertod ist nicht immer das Schwerste, ein Märtyrerleben kann noch schwerer sein. Nicht der Tod des Heilandes war das Ärgste, – mit allen seinen Qualen nicht, – nicht das Sterben des Leibes, sondern jene Gottverlassenheit seiner Seele, als der Fluch aller Welt auf ihm lag, jenes tiefste Geheimnis seines Leidens, welches aber erst offenbar wurde, als es schon vorüberging und er nach langem, starrem Stillesein mit lauter Stimme schrie: ›Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!‹
So kam jetzt ein Zustand der Anfechtung im eigentlichen Sinn auch über die Christenheit. Es gab eine Menge Schwermütiger unter ihnen, mit Zweifeln bis zur Verzweiflung Ringende, welche sich durch nichts mehr trösten ließen und die Last auch andern noch größer machten. Wer kennt ihn nicht, jenen merkwürdig tiefen Zusammenhang der Menschenseelen untereinander? Man redet so leichthin von allerlei Ansteckung bei Leibeskrankheiten, viele aber kennen die belastende Macht des Seelenschmerzes, den fast ansteckenden Druck gemütlicher Umnachtung kaum. Wie eine dunkle Gewitterwolke legte es sich allmählich auf das geängstete Häuflein der Christen überall. Hatte zuerst die Macht des Höchsten sie schützend überschattet, so schien er selbst jetzt ganz aus dem Mittel gethan. Da war kein Trost mehr, keine Offenbarung seiner Nähe, lauter Zorn Gottes, lauter Gericht Gottes, nichts als Nacht, nichts als Ohnmacht. Und wo auch noch diese und jene mächtige Zeugenstimme erscholl, – sie hörten sie nicht mehr wie jene erhebende Wächterstimme, welche den frohen Tag verkünde, oder wie jene gewaltige Prophetenstimme, welche dem Kommen ihres Herrn vorausgehe, sondern nur noch wie das schaurige Kommando auf einem brennenden Schiff, wenn schon von der einen Seite die Gluten immer heißer wehen und von der anderen Seite die Wasserwogen immer gefährlicher tosen. Das war die böse Stunde, das war die Macht der Finsternis! –
Sie sahen auch hin und wieder in der Welt unter allerlei Menschen Zeichen göttlichen Gerichts, auch viele böse Krankheiten, wie sie aufgeregten Zeiten und aufgeregten Menschen eigen sind, wie sie zerrüttete Zustände begleiten und zerrütteten Nerven sich anhängen, auftretend mit dem Schein des Geheimnisvollen, verlaufend unter dem Eindruck des Schauervollen, selbst für Gedankenlose ein Schrecken, für Feige ein Grauen, für Empfängliche ansteckend, – für Christen immer noch am besten zu begreifen, jetzt aber im Zusammenhang mit den eigenen Erfahrungen nur aufs neue niederdrückend. Jetzt hieß es: ›Meine Seele verlangt nach deinem Heil meine Augen sehnen sich nach deinem Wort und sagen: wann tröstest du mich? wie lange soll ich warten? wann willst du Gericht halten über meine Verfolger? sie haben mich schier umgebracht auf Erden!‹
Und es kam auf all ihr Gebet noch keine Antwort vom Himmel her. Wenn sie aber gekommen wäre, so hätte sie gelautet wie diese: ›Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zornes ein wenig vor dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will ich mich dein erbarmen, – spricht der Herr, dein Erbarmer!‹