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V. Kapitel.
Die zwei Brüder.

Motto:

Ich glaube an dein Herz und schließe dich
Mit Hoffnung an die brüderliche Brust.

Schiller, Braut von Messina.

Die beiden Brüder Leon und Kuno Brünné wohnten in einem Haus beisammen. Beide noch unverheiratet, hatten sie je ein Zimmer gemietet und waren abends viel beisammen. Sie sahen sich sehr ähnlich und waren auch innerlich einander mannigfach ähnlich. Ihre Eltern waren beide gestorben, als sie kaum mehr als sechzehn und vierzehn Jahre alt waren. So standen sie ganz allein in der Welt da. Leon, der Schreiner, war der ältere; er hatte sein Meisterstück gemacht, und das war nicht ein Tisch oder ein Schrank oder ein feiner Sekretär oder dergleichen, sondern sein Meisterstück war das, daß er mit eisernem Fleiß es dem jüngeren Bruder Kuno ermöglichte, etwas mehr zu lernen, als er selber hatte lernen können bei den geringen Barmitteln, welche nach der Eltern Tod noch da waren. Diese starben nämlich bald nacheinander an einer und derselben Krankheit und ließen die beiden jungen Leute, ihre einzigen Kinder, ganz allein in der Welt zurück. Aber es war eine edle, zähe Kraft in den Söhnen. Der Großvater, welcher noch bis zu einem Jahr vor der Eltern Tod gelebt hatte, hatte oft mit stiller Freude den beiden Knaben zugesehen, wenn sie miteinander spielten oder miteinander lernten, füreinander sorgten und immer so treu zusammenhielten. »Es steckt ein guter Kern in ihnen,« hatte er dann gesagt, »es sind Hugenottenkinder.« Nun waren freilich die Eltern nur der Abstammung nach Hugenotten; beides ehrbare Leute, bekümmerten sie sich doch eigentlich wenig um den Glauben, in dem sie erzogen waren, und wenn nicht der Großvater, übrigens auch er mehr nur äußerlich, den Zusammenhang erhalten hätte, so wäre nicht mehr viel übrig geblieben von den alten Familienüberlieferungen.

Aber es war so, wie der Großvater gesagt hatte, und es bildete sich jetzt nur immer mehr so heraus. Die beiden jungen Leute, ganz auf sich gestellt und ganz aufeinander angewiesen, hielten fest zusammen und behielten ein schönes Ziel im Auge. Eine immer geheime, aber nie ganz verlöschende Sehnsucht nach den Eltern, nach der eigenen Familie und dem eigenen Heim, was ihnen alles so mit einemmale genommen war, ein Fremdlingsgefühl in der Welt, machte sie stiller, ernster; sie faßten das Leben schon früher, als die meisten jungen Leute, verantwortungsvoll auf und verfolgten höhere Ziele.

Leon, der ältere, der Schreiner, hatte tüchtig gelernt; sein Beruf machte ihm viel Freude, aber für seinen Bruder hatte er etwas Besseres im Sinn. Er blieb dabei: dieser sollte mehr lernen als er selber und sollte es einmal noch besser haben als er. Da war es nun rührend, wie gewissenhaft er das festhielt, wie sorgsam er sparte, wie unermüdlich er darauf aus war, wenn möglich mit Accorden oder sonst nebenher noch etwas Weiteres zu verdienen, – alles für seinen geliebten Bruder, immer darauf bedacht, die spärlichen Mittel des kleinen Vermögens durch seinen Verdienst zu steigern, um dem Bruder alles Nötige zukommen lassen zu können.

Ebenso rührend aber war auch dessen treue Dankbarkeit, eine Dankbarkeit mit der That, mit unermüdlichem Fleiß und zärtlicher, achtungsvoller Anhänglichkeit. Leon, der Schreiner, war eigentlich eher noch begabter als der jüngere Bruder, aber er beneidete diesen nicht, wenn er sich sagte, daß derselbe es vielleicht einmal viel besser haben werde als er; im Gegenteil: was er für ihn that, das freute ihn immer so, als hätte er es für sich selber gethan.

Dieses Verhältnis der beiden Brüder litt auch mit den Jahren nicht. Als der Schreiner Leon Brünné schon seit langem in dem feinen Möbelgeschäft des Herrn Pilsen in Arbeit, die Freude erlebt hatte, daß sein Bruder Kuno, natürlich durch anderer Leute Empfehlung als durch die seinige, (denn sonst hätte man ihn wohl gar nicht angenommen, in der Sorge, es möchte aus diesem Verhältnis irgend eine Unzuträglichkeit erwachsen,) in demselben Geschäft als Buchhalter angestellt wurde, da war Leon überglücklich. Und als Kuno, trotzdem man bald hörte, daß er der Bruder sei, nun doch sogar Aufbesserung und einen höheren Posten bekam, da war es eine doppelte Freude. Wie er nun aber endlich gar seinen Platz dort an dem Pult in der Ecke, über den andern Buchhaltern, einnahm, – da hätte Leon stolz darauf sein können, daß er, er allein eigentlich ihm das alles ermöglicht oder doch für das alles den materiellen Grund gelegt hatte. Aber es fiel ihm gar nicht ein, so zu denken, sondern er freute sich nur eben wie ein Kind. Das Süßeste in seiner Freude war ohne Zweifel das, daß sein Bruder Kuno, in innigster Dankbarkeit mit ihm verbunden, nie, nie sich zu überheben begann, sondern immer der gleich dankbare war, der seinen Bruder Schreiner wie älter, so auch höher achtete als sich selber.

Und in einer Beziehung war er es ja auch. Beide hatten sie viel Gemüt. Der Schatten, welcher in ihre Jugend hereinfiel, hatte ihnen das Gemüt auch nicht verdunkelt, sondern sie nur allerdings ernster gemacht. Sie konnten keine Schmetterlinge werden; dafür hatten sie die Art nicht und das Geld nicht, dafür hatten sie das Gemüt nicht und die Lebensführung nicht. Und doch war ein Unterschied zwischen beiden! Leon blieb einfacher, seinen einfacheren Verhältnissen gemäß; Kuno nahm ein mehr weltförmiges Wesen an und mußte es ja. Ein französischer Arbeiter rechter Art lernt gründlich, schult sich selber tüchtig durch, hält etwas auf gute Kenntnisse und gehöriges Emporkommen in jeder Beziehung, – aber einfacher blieb Leon, der Schreiner, doch, als Kuno, der Kaufmann.

Wenn es nun nur diese Verschiedenheit allein gewesen wäre! Aber in des innersten Herzens Kammer, da ist ein Allerheiligstes, da wohnt Gott im Dunkel – oder auch im Licht, wie man sagen will! Nun jedenfalls der eine Mensch ist da drinnen, tief innen bei sich selbst, besser zuhause als der andere. Jenes Allerheiligste hat jeder Mensch, aber bei dem einen ist der Zugang mehr offen gehalten, bei dem andern die Thüre oft ein wenig verstellt, oft so, daß man schon sieht, der betreffende Mensch selber kommt nicht viel da hinein.

Solcher Art war der Unterschied zwischen beiden Brüdern, dem einfachen Leon und dem weltgewandteren Kuno. Beide hatten ein gleich gutes Gemüt und beide waren ganz ähnlich veranlagt in geistiger Beziehung. Der einzige Unterschied verbarg sich daher vielleicht nach außen ganz, und auch sie selber wurden sich desselben wohl erst allmählich etwas mehr bewußt, aber vorhanden war er doch schon lange: – Leon war ein frommer Mensch, Kuno ein gerechter Mann. – Sie hatten und behielten sich aber innig lieb, und zu einem Zwiespalt war es trotz dieser zarten Scheidelinie noch nie gekommen.

Heute hatten sie besonderen Grund, miteinander zu reden, als sie abends beisammen saßen. Auf dem Comptoir oder vielmehr in der Werkstatt hatte man ja nur das Notwendigste abmachen können; jetzt drängte es natürlich beide, ausführlicher miteinander über die Sache zu sprechen.

»Ach Leon!« sagte Kuno, »heute war es mir doch recht bange; schon als Du hereinkamst und als Du wieder hinausgingst, – beidesmal an mir vorbei, – und ich konnte doch nicht mit Dir sprechen, Du wirst es begriffen haben.«

»O natürlich! lieber Kuno, – es war mir auch leid, aber man konnte ja nichts machen.«

»Aber sage doch, Leon! Hätte es denn sein müssen, daß Du kündigtest? Sieh, es war mir doch eine ziemliche Verlegenheit, als mich die beiden Herren hereinriefen und mir die Sache sagten. Sie sind ja recht freundlich und sie haben offenbar Dich auch gerne, aber ...«

»Ich begreife wohl, und es war mir selber herzlich leid um Dich, aber, lieber Kuno, verzeih'! in diesen Sachen, – da allein verstehen wir ja einander nicht so ganz.«

»Ja, das ist wahr, und ich bin gewiß selber schuld; aber es wäre mir leid, wenn Du zu weit gingest und unnötig einen Sturm heraufbeschwören würdest. Denke auch an mich!«

»O ich denke wohl daran, das darfst Du mir glauben, und wenn etwas mich bestimmen könnte, so wäre es das, Dir keine Unannehmlichkeiten zu bereiten.«

»So meinte ich es nicht! Das soll Dich nicht leiten, ja nicht! Aber sieh'! wie schmerzlich wäre das, wenn wir beide auseinander müßten!«

»Das wäre auch mir das Allerärgste, mein lieber Bruder. Wir haben ja niemand mehr auf der Welt, wenn wir nicht einander haben; aber es giebt etwas, das ist doch noch heiliger und ernster, als die süße Bruderliebe. Verzeih' mir, wenn ich mich so ausdrücke.«

»Ich weiß wohl, was Du meinst. Aber nur keinen Sturm, lieber Bruder, nur keinen unnötigen Sturm!«

»O Kuno, Kuno! Der Sturm ist schon da, wir Leute fachen ihn nicht an, ich nicht und meinesgleichen auch nicht. Aber er ist schon da. Oder wenigstens die Gewitterschwüle ist für uns reichlich da, und Sturmvögel zeigen sich auch schon hin und wieder. Für uns beide, Matthi und mich, ist der heutige Sturm, – ein kleiner eigentlich nur, – ja nun auch vorerst wieder vorüber, und das danke ich Dir wirklich von Herzen. Aber es ist ein ganz anderer Sturm im Anzug, fürchte ich, und der wird über das ganze Land, ja über die ganze Erde hinbrausen.«

»Lieber Leon, dein Matthi – ich kenne ihn ja nicht näher, aber der bringt Dir düstere Gedanken bei, er sieht auch ganz so aus. Was brauchst Du Dich von ihm, – dem viel Jüngeren, will ich nur einmal sagen, – so beeinflussen zu lassen!«

»Vielleicht beeinflusse ich mehr ihn, lieber Kuno, als er mich; jedenfalls ist er es wert, daß ich mich seiner annehme, und ganz offen gesagt: – mir sind diese Dinge heiligster Ernst, die Dir nun einmal – nicht gleichgiltig, aber nicht so wichtig erscheinen.«

»Ich danke Dir, daß Du mich nicht gering achtest, aber ich verstehe Dich wirklich nicht recht. Sage mir doch auch nur ein einzigesmal Deine ganze Meinung über diese Dinge.«

»Das hätte ich schon oft gerne gethan. Aber ich mochte Dir nicht lästig sein mit Dingen, in welchen Du nun einmal ganz anders zu denken scheinst, als ich.«

»Wir sind aber doch Brüder, Leon! So rede doch nur frei mit mir.«

»Wie gerne, Kuno! wie gerne! Nun bin ich doch einmal von Dir dazu aufgefordert!«

»Gebeten, lieber Bruder, gedrungen, nicht bloß aufgefordert, wenn ich so sagen darf. – Wir müssen da doch klar übereinander werden, wills Gott, ganz gewiß im Frieden.«

Das war in der That das erste-, das allererstemal, daß die beiden Brüder sich über diese Sachen so nahe kamen. Nirgends ist es oft schwerer, als in religiösen Dingen, bei unterschiedlichen Anschauungen frei und offen miteinander zu reden, ohne einander wehe zu thun und die Herzen zu entfremden. Es erschien Leon in der That eine gottgegebene Stunde, und auch Kuno war ganz erleichtert, daß er es herbeigeführt habe, den Bruder einmal ganz offen hören zu können. Er hoffte immerhin, dann auch einigen besänftigenden Einfluß auf ihn ausüben zu dürfen, und das mußte er ja, er hatte es doch seinen beiden Herren versprochen; hatte er doch sozusagen Bürgschaft für den Bruder geleistet und wollte sich nun heute sichern, auch den Bruder dazu zu bringen daß dieser wieder Bürgschaft für den Freund leiste. Aber ach! – »Ach was! ›Glaubenssachen!‹ – Ansichten sinds, Ansichten!« hätte Herr Pilsen gesagt. Er, Kuno, konnte so nicht sagen, aber gespannt war er, was kommen werde.


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