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IX. Kapitel.
Der Mohr bleibt bei Mirjam.

Motto:

In Unglücksnacht, wenn Sonn' und Mond nicht scheint,
Wird uns zum Stern ein schlichter, echter Freund.

Als am dritten Tag der alte Levi mit dem Mohren heimkam, da waren es freilich viele neugierige Blicke, welche der jetzt schneeweiße alte Mann und der ernste schwarze Mohr auf sich zogen. Aber das schadete ja nichts. Ehre ist eine heilige Sache, aber Beschämung macht die Ehre nicht tot; wenn sie würdig getragen und nicht in Eitelkeit verborgen wird, so heiligt sie die Ehre noch. Und in der That, es gefiel bald jedermann, daß dieser Mohr gerade ein Hausgenosse des Hauses Levi geworden war, Tag für Tag die Ausgänge machte und frei und frank in der Stadt zu sehen war. Wenn man ihn freilich da und dort anbohrte, neugierig etwas wissen oder gar unzart ausfragen wollte, so zeigte er einen Stolz, ein Ehrgefühl, eine Würde, welche alle Neugierigen beschämte, so daß keiner zweimal fragte, und solcher Frager immer weniger wurden. Daheim aber zeigte er solche Bescheidenheit, Zartheit und Anhänglichkeit, daß er auch Rahel und Mirjam nur immer lieber wurde, und es war jetzt bald wieder gerade so und blieb auch für die Dauer so, wie es bei dem einstigen längeren Aufenthalt Arthurs gewesen war, daß er nämlich besonders Mirjam zu Diensten war, um ihr die Mühsal ihrer Halbblindheit durch allerlei kleine Dienste einigermaßen zu erleichtern.

Die Familie lebte jetzt lange in großer Stille. Nach jüdischer Sitte hielten sich die beiden Mädchen lange Zeit fast ganz verborgen und verkehrten nur unter einander und im engsten Kreis. Gern machte auch Ruth es so; was nach außen zu besorgen war, besorgte deshalb fast immer der Mohr und im Haus war er der treue Diener aller, helfend wie und wo er irgend konnte. Nicht eine schreckliche Erinnerung, die man gern verwischt, sondern ein versöhnendes Andenken an den armen Arthur sahen sie alle in ihm. Und sie sollten es nur immer mehr erfahren, wie er der treue Wächter, der beste Warner, ja, man mußte sagen: der unermüdliche Wohlthäter des verlorenen Sohnes gewesen war, so lang er irgend konnte.

Viel redete man anfangs nicht mehr von dem grausigen Ereignis. Der Schrecken Leibes und der Seele war bei allen zu groß und das gräßliche Ereignis überhaupt zu erschütternd, als daß man für jetzt wieder und wieder davon hätte reden können. Dazu war auch der Vater viel zu gebeugt und in sich gekehrt. Doch waren sie alle zu edle Naturen, als daß sie nur in gewaltsamem Vergessenmachen eine Hilfe gegen den Schmerz hätten suchen mögen. Nur sprechen konnte man längere Zeit nicht mehr darüber.

Auch der Mohr wollte nicht viel davon reden. Denn er trug noch ein Geheimnis mit sich herum, das er gern für die Ewigkeit begraben hätte, dessen Offenbarung er aber fürchten mußte, wenn eben einmal wieder ausführlicher von der ganzen traurigen Angelegenheit geredet worden wäre.

Das war aber kein schauriges und böses Geheimnis, keine schwarze, sondern eine lichthelle That; deren Offenbarung hätte den durch und durch edlen Charakter des Schwarzen nur im hellsten Glanze erstrahlen lassen. Minder edle Menschen können nicht schweigen, wenn sie etwas Gutes gethan haben; sie gackern gern davon wie die Henne, wenn sie ein Ei gelegt hat. Wahrhaft edle Menschen lassen zwar freien Blick zu in all ihr Thun und Lassen, aber ihre größten Opfer, die sie bringen, wollen sie auch geopfert haben mit einemmal; das soll zugedeckt bleiben und nur Gott bekannt; so ist es ihnen lieber.

Mit der Zeit wurde es aber eben doch bekannt, – es mußte ja bekannt werden, schon durch die Geschäftsfreunde in der Hauptstadt. Der Mohr hatte seinen Herrn, den leichtsinnigen Spieler, nicht nur hundertmal gewarnt, oft flehentlich gebeten, je und je in einer guten Stunde auch ernstlich ermahnt, vielmal jedoch die gröbsten und beleidigendsten Kränkungen für seine treugemeinte Fürsorge hingenommen. Nein! als gar das Schlimmste in Aussicht stand, als einmal Pfändung und damit Schmach und Schande dem übermütig stolzen Wesen und üppig reichen Auftreten seines Herrn ein jähes Ende gemacht hätte, da holte er, der Mohr, sein Erspartes, ein für seine Verhältnisse reiches Gut, in der That aber das sauer Erworbene seines ganzen Dienstes, das Erträgnis vieler treuer Dienstjahre, an welchem zwar sein Herz nicht hing, das aber doch die süßeste Hoffnung seines Herzens mit in sich schloß, nämlich die Hoffnung, seine Heimat wiederzusehen und seinem Volke einst das Evangelium bringen zu können, – das holte er, der Mohr, und legte sie dar, diese ganze Summe, gerade ausreichend, um seinen Herrn mit einemmal zu lösen, – die ganze Summe, obschon er wußte, daß dies auf Nimmerwiedersehen sei. Denn sein Herr war viel zu gemein, es nicht ›in Teufels Namen‹ anzunehmen, und zugleich viel zu stolz, diese That je seinem Vater zur Einlösung zu gestehen. Daß der Mohr davon nichts je sagen werde, das glaubte Arthur selber, dafür kannte er ihn zu wohl.

Eine Weile ging es damals auch besser, aber ein Spieler ist ein Spielball des Teufels. Ein Spieler rast und prahlt, als hätte er über eine Welt zu verfügen, und wenn er es toll getrieben hat, so treibt er es noch toller, um Gewissen und Sorgenunruhe zu übertäuben. So ging es denn bald wieder los, in wüsten Gelagen und mit schlimmem Leben.

Was da den Mohren bei seinem Herrn hielt? Sein Geld nicht, – das hatte er dran gegeben, – nein! etwas anderes, etwas ganz anderes! ›Er hat mich erlöst vom Hunger!‹ Das hielt ihn!!

Ist das nicht rätselhaft und wundersam, edel und herrlich, fast nicht mehr menschlich, sondern göttlich? Ja wohl, es ist alles das, es ist rätselhaft und wundersam, edel und herrlich, fast nicht mehr menschlich, sondern göttlich! Denn des Menschen Seele ist wahrhaftig eine gottgeborene, und seine edelsten Perlen, seine köstlichsten Kleinodien wirft der reiche Gott denn doch nicht nur auf den Meeresgrund hinab und senkt sie nicht nur in die verborgensten Tiefen der Erde hinein, – sondern in empfängliche Menschenseelen.

*

Mit derselben Treue blieb der Mohr nun auch im Hause Levi. Und er wäre auch dem alten Levi, auch Rahel wie Mirjam, Treue bis in den Tod zu erweisen bereit gewesen, wenn er nicht von einem höheren Herrn berufen gewesen wäre, später einst unter sein Volk zurückzukehren, um diesem seinem Volk das Evangelium zu predigen. Aber er war und blieb ein treuer Diener des Hauses, so lang es so sein sollte, – und nicht eine ›Sklavenseele‹, wie ihn sein Herr, dieser elende Sklave seiner Lust, oft höhnisch genannt hatte, sondern sein Christenmut gerade und seine merkwürdige Weltgewandtheit zugleich machten es ihm ganz leicht, in dieses jüdische Haus sich vollkommen einzugewöhnen, als müßte das die bleibende Stätte seines Wirkens sein.

›Die Stätte seines Wirkens!‹ – ja, er wirkte etwas, er arbeitete nicht bloß. Es war ja nun einmal so, daß man mit Mirjam je und je in ein besondersartiges Gespräch kommen mußte. Ihr grübelnder Geist, der, wenn er etwas anfaßte, es nicht mehr so leicht wieder losließ, hatte neue Nahrung gewonnen. Die schrecklichen Erfahrungen in der eigenen Familie machten sie über manches grübeln, an dem sie früher vorüberzugehen für größere Weisheit gehalten hätte, und als von Tod und Grab, von Zeit und Ewigkeit, von Hoffnung oder Hoffnungslosigkeit, von diesen bedrückenden und doch wichtigsten Fragen des Menschenlebens und der Menschenseele selber so deutlich zu ihnen geredet ward, da wandten sich die beiden Mädchen Rahel und Mirjam auch noch viel mehr als früher denjenigen Gedanken zu, welche Beatrice, die liebe und jetzt so besonders teilnehmende Freundin, ohne es eigentlich zu wissen und zu wollen, in ihnen anregte.

Der Vater wurde alt und nahm zusehends ab. Da wären ihre Gedanken oft düster und hoffnungslos gewesen, wenn sie nun nicht etwas Höheres und Besseres gehabt hätten. Nicht daß sie jetzt Christen geworden wären, aber ihre Herzen näherten sich denen immer mehr, welche eine viel frohere Hoffnung in sich trugen, – wie das bei Beatrice mehr und mehr zu spüren war, denn sie erzählte viel Merkwürdiges von Kuno und dessen neuer Freundschaft mit Herrn Otto Simon.

Besonders viel aber war ihnen der Mohr, – sein Glaube und seine gewisse Hoffnung, welche er oft so unverfänglich und doch so merkwürdig deutlich aussprach, daß es Rahel und Mirjam gar viel zu denken gab. Und als der alte Levi starb, da war es wohl wieder ein Schrecken, denn es kam sehr schnell, – aber die Totenklage war doch nicht so, wie bei Arthur; es war etwas mehr Trost in die betrübten Herzen gefallen. Sie lasen auch ihr Altes Testament und seine Sprüche jetzt in einem andern, helleren Lichte als früher.

Als aber die Verwandtschaft neugierig frug, wie sie, die beiden verlassenen Mädchen, es denn jetzt halten wollten, als ›Anträge‹ versucht und Vorschläge gemacht wurden, da wandte sich Rahel stolz wie eine Königin ab und sagte: »Es bleibt beim Alten, wir bleiben zusammen, – und der Mohr bleibt bei Mirjam!«


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