Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Vor neunzig und einigen Jahren erhielt der Reisende Sonnerat aus einem Walde der Westküste Madagaskars zwei höchst sonderbare Thiere, von deren Dasein bis dahin noch Niemand Kunde gehabt hatte. Selbst auf der gegenüberliegenden Küste waren sie vollkommen unbekannt; wenigstens wurde unserem Naturforscher von den dort lebenden Madagassen versichert, daß die beiden, welche er lebend bei sich hatte, die ersten wären, welche sie jemals gesehen hätten. Sie schrieen bei Anblick derselben zur Bezeugung ihrer Verwunderung laut auf, und Sonnerat erhob diesen Ausruf, »Aye, Aye«, zum Namen der von ihm entdeckten Geschöpfe.
»Dieses vierfüßige Thier«, sagt Sonnerat, beziehentlich der erste Uebersetzer seines Reisewerkes, »hat viel Aehnlichkeit mit dem Eichhörnchen, ist aber doch durch einige wesentliche Kennzeichen von demselben unterschieden: es gleichet auch einigermaßen dem Maki und dem Affen.
»Der Aye-Aye hat an jedem Fuße fünf Finger, davon die an den Vorderfüßen sehr lang und ein wenig krumm sind; welches macht, daß er sehr langsam geht: diese Finger sind auch mit krummen Nägeln versehen. Die zwei äußersten Gelenke des Mittelfingers sind lang, dünn und unbehaart: er bedient sich derselben, um aus den Ritzen der Bäume die Würmer hervorzuholen, von denen er sich nährt, und um diese Würmer in seinen Schlund zu stoßen; dem Ansehen nach dienen sie ihm auch, sich an die Baumäste zu hängen. Die Hinterfüße haben vier mit krummen Klauen versehene Finger: der fünfte oder innere bildet den Daumen und hat einen platten Nagel, gleich den Nägeln des Menschen. – Der Aye-Aye hat in jeder Kinnlade zwei Schneidezähne, die sehr nahe beisammen stehen und dem Schnabel eines Papageien ähnlich sehen: die unteren sind viel stärker als die oberen. – Er hat große, breite und flache Ohren: sie sind schwarz, glatt, glänzend, und an der Außenseite mit langen Haaren besetzt. – Ueber den Augen und der Nase, auf den Backen und am Kinn hat er Büschel von langen Haaren. – Das ganze Thier ist mit weißfalben Flaumen oder feinen Haaren bewachsen, aus denen große (starke) schwarze Haare hervorstechen. Der Vordertheil des Kopfes und Halses sind von falbem Weiß. Der Schwanz ist platt, buschig und mit langen Haaren besetzt. Ob es schon ganz schwarz scheint, sind die Haare desselben doch von ihrer Wurzel an bis zur Mitte ihrer ganzen Länge weiß. – Der Aye-Aye ist vom Kopfe bis zum Schwanze 18 Zoll 6 Linien und der Schwanz desselben 1½ Fuß lang.«
Ueber Vorkommen und Aufenthalt des Thieres berichtet uns Sonnerat gar nichts, über sein Betragen in der Gefangenschaft sehr wenig: »Dieses Thier«, sagt er, »scheint von der Art derjenigen zu sein, die sich in die Erde graben. Bei Tage sieht es nicht; sein Auge ist röthlich und starr, wie das Auge der Eule. Es ist sehr träge, folglich auch sehr sanft. Ich hatte ein Männchen und ein Weibchen, aber beide lebten nicht länger als zwei Monate; ich nährte sie mit gekochtem Reis, und sie bedienten sich der dünnen zwei Finger ihrer Vorderfüße, wie die Chinesen ihrer Stäbchen. Sie waren scheu, furchtsam, liebten sehr die Wärme, krochen immer zusammen, um zu schlafen, legten sich auf die Seite und verbargen ihren Kopf zwischen den Vorderfüßen. Sie lagen stets unbeweglich da; und nur durch vieles Rütteln konnte man sie dahin bringen, daß sie sich regten«.
Bis in die neuere Zeit blieb der von Sonnerat nach Europa gebrachte Aye-Aye der einzige, welchen man kannte, und die im Jahre 1782 erschienene Beschreibung die einzige Quelle für die Lebenskunde des seltenen Thieres. Man zeigte sich schon geneigt, ihn als ausgestorben anzusehen. Die erste Nachricht des Gegentheils gelangte im Jahre 1844 durch De Castelle zur Kenntnis der wissenschaftlichen Welt. Diesem Reisenden glückte es, einen jungen, lebenden Aye-Aye zu erhalten, und er beschloß, denselben der Sammlung des Pflanzengartens zu schenken. Unglücklicherweise starb das Thier bevor es Europa erreichte; sein Fell aber und ebenso das Gerippe kamen in den Besitz der Pariser Sammlung, und es wurde hierdurch der Beweis geliefert, daß das letztgenannte Thier und Sonnerats Aye-Aye einer und derselben Art angehören. Noch bis Anfang der sechziger Jahre blieben diese beiden Stücke die einzigen, welche man kannte. Erst im Jahre 1862 erhielt die Zoologische Gesellschaft in London die freudige Nachricht, das zwei »Fingerthiere« oder »Nacktfinger«, wie man das Zwitterwesen inzwischen genannt hatte, auf Madagaskar gefangen waren und für den Thiergarten in Regents-Park unterwegs seien. Eines von diesen kam auch glücklich lebend, das andere wenigstens im Weingeiste an. Etwas später folgten noch mehrere andere Stücke, von denen drei vom Museum in Berlin erworben werden konnten.
Nunmehr erst vermochten die Thierkundigen die Verwandtschaft des Aye-Aye unzweifelhaft festzustellen und ihm die gebührende Stellung im System anzuweism. Bis dahin waren die Ansichten sehr getheilt gewesen. Buffon, welcher den von Sonnerat überbrachten Aye-Aye untersuchen konnte, stellte ihn in die Nähe der von ihm mit den Springmäusen vereinigten Gespenstmaki's; Gmelin führt ihn unter den Eichhörnchen auf; Schreber war der erste, welcher sich, freilich ohne das Thier selbst untersucht zu haben, dafür entschied, es zu den Halbaffen zu stellen; Illiger bildete eine besondere Familie in einer von ihm aufgestellten Ordnung, welche Affen, Halbaffen und einen Theil der Beutelthiere in sich vereinigen sollte; Blainville sprach sich im Jahre 1816 nach einer sorgfältigen Untersuchung des Schädels und eines Theiles der Hinterglieder entschieden für die Trennung des Aye-Aye von den Nagern und seine Vereinigung mit den Halbaffen aus, während die meisten Thierkundigen, unter ihnen selbst der ausgezeichnete Cuvier, ihn noch immer bei den Nagern beließen. Geoffroy St. Hilaire schloß sich im Jahre 1851 ohne Rückhalt der Blainville'schen Ansicht an, während andere ausgezeichnete Forscher, wie z. B. Milne Edwards und van der Hoeven, Cuvier folgten; Brand gelangte zu dem Ergebnis, daß die Sippe der Fingerthiere zwar durch eine größere Anzahl von Merkmalen den Halbaffen, aber durch eine nicht geringe Zahl nicht unwesentlicher Merkmale ebenso den Nagern verwandt sei, und schlug deshalb vor, für das Thier eine besondere, zwischen den Affen, Halbaffen und Nagethieren stehende Ordnung zu bilden; Giebel endlich beließ den Aye-Aye, ungeachtet der Ausführungen Geoffroy's, in seinem im Jahre 1859 erschienenen, allerdings wenig werthvollen, weil kaum auf eigenen Untersuchungen begründeten Werke über die Säugethiere, noch immer bei den Nagern. Erst durch Owens und Peters' Forschungen wurde die Streitfrage endgültig entschieden.
»Schon im Aeußeren«, bemerkt Peters, aus dessen Abhandlung ich im Nachstehenden einen gedrängten Auszug geben will, »entfernt sich das Fingerthier ebenso sehr von den Nagern, wie es den Halbaffen und unter diesen namentlich den dickschwänzigen Galagos sich anschließt. So zeigt der von dem kurzen Halse deutlich abgesetzte Kopf in seinem, dem des Körpers wenig nachstehenden Querumfange ein Verhältnis, wie es sich nur bei den Affen und Halbaffen, niemals aber beiden Nagern findet. Die sehr großen nackten Ohren stimmen in der Bildung aller einzelnen Theile ganz mit denen der Galago's überein, nur zeigen sie keine Ouerfalten, und der Rand der Ohrleiste bildet über der Gegenleiste einen deutlichen abgerundeten Vorsprung. Die mehr vordere Richtung der mäßig großen, mit runder sehr verengbarer Pupille versehenen Augen, die Entwickelung der Nickhautsalte, die sich nicht weit von den Augen plötzlich verschmälernde Schnauze, die nackte Nasenkuppe, die sichelartig gebogene Form der Nasenöffnung, die mittlere und die beiden seitlichen von den Nasenlöchern zur Lippe herabsteigenden Furchen, die dreieckige Mundspalte und die Bildung der Lippen zeigen, wenn man absieht von der durch die außerordentliche Entwickelung der Schneidezähne bedingte große Höhe der Schnauze, die auffallendste Uebereinstimmung mit den Galagos. Auch hinsichtlich der Bildung der Geschlechtsteile stimmen die Fingerthiere mit letzteren überein; eine Eigentümlichkeit im Gegensätze zu den Halbaffen aber ist der Besitz von nur einem einzigen Paar Saugwarzen in der Weichengegend, während die Halbaffen außer einem Paar Bauchzitzen entweder ein oder zwei Paare Brustwarzen besitzen. Ferner treten die Oberarme und Oberschenkel in einer Weise aus dem Rumpfe hervor, wie es außer den Affen und Halbaffen nur noch bei den Faulthieren und kamelartigen Säugethieren der Fall ist. Die Sohlen der Gliedmaßen zeigen durch die weichen, wulstigen Gebilde, welche die kurzen Bindehäute zwischen dem Grunde der Finger und Zehen überragen, sowie durch die Bildung feiner Linien die größte Uebereinstimmung mit denen der Affen und Halbaffen, und die außer dem Plattnagel des freien Hinterdaumens den Krallen auf den ersten Anblick ähnlichen Nägel gehören nicht zu diesen, sondern ihrem ganzen Bau nach zu den Kuppennägeln, indem sie an der unteren Seite eine offene, tiefe Rinne bilden und nur etwas mehr, als es gewöhnlich bei den Affen der Fall ist, zusammengedrückt erscheinen. Ebenso besteht die größte Abweichung der Vorderglieder von denen der Halbaffen nur in dem Verhältnis des dritten und vierten Fingers, indem der Daumen, abgesehen von seinem Nagel, ebenso gebaut ist wie bei diesen. Die Längenverhältnisse der Finger scheinen auf den ersten Anblick ähnlich wie bei den meisten übrigen Halbaffen zu sein, indem der vierte und demnächst der so auffallend dünne dritte Finger am meisten hervorragen. Dies geschieht aber nur dadurch, daß das Mittelhandglied des ungewöhnlich kurzen Mittelfingers außergewöhnlich verlängert ist. Faßt man das Vorhergehende zusammen, so ergibt sich daraus, daß der Aye-Aye in allen wesentlichen äußeren Merkmalen mit den Halbaffen übereinstimmt, dagegen kein einziges wesentliches Merkmal zeigt, in welchem er eine größere Annäherung an die Nager erkennen ließe als alle anderen Gattungen der Halbaffen.
»Diejenigen, welche diese Sippe mit den Ratten und Mäusen in eine Ordnung zusammengestellt haben, stützen sich hauptsächlich auf die Beschaffenheit des Gebisses, indem wie bei den Nagern kein Eckzahn und oben wie unten nur zwei große, durch eine weite Lücke von den Backenzähnen getrennte Schneidezähne vorhanden sind. Die Backenzähne haben einen so einfachen Bau, wie er bisher bei den Nagern in keinem Falle gefunden worden ist, stimmen vielmehr in dieser Beziehung sowie in der Höckerbildung am meisten mit denen der altweltlichen Affen überein. Um jedoch über das Gebiß klar zu werden, ist es nothwendig, das Milchgebiß mit in Betracht zu ziehen, und dann zeigt sich, daß die nagerähnliche Anlage nur eine Folge der Verkümmerung gewisser Zähne ist. Beim neugeborenen Aye-Aye bemerkt man nach sorgfältiger Trennung des Zahnfleisches unter den Zwischenkiefern zwei große Milchschneidezähne, unmittelbar hinter denen die Spitzen der bleibenden Schneidezähne sich hervordrängen; hierauf folgt sogleich jederseits ein zweiter hinfälliger Schneidezahn, auf diesen ein hinfälliger Eckzahn, auf letzteren nach einem Zwischenraume hinter einander zwei Milchbackenzähne. Die beiden vorderen Milchschneidezähne des Unterkiefers ähneln denen des oberen, sind jedoch merklich schmäler, die Spitzen der bleibenden Schneidezähne folgen unmittelbar hinter ihnen. Dahinter kommt die Krone eines Zähnchens zum Vorscheine, welches seiner Länge nach dem zweiten hinfälligen, oberen Schneidezahn entsprechen dürfte, und nach einem Zwischenraume folgen dann die beiden Milchbackenzähne. Erst die Vergleichung des Milchgebisses mit dem bleibenden lehrt den Zahnbau vollständig kennen. In ihm finden sich also oben und unten vier Schneidezähne, oben jederseits ein Eckzahn und oben und unten zwei Backenzähne, während sich im bleibenden Gebiß oben und unten zwei Schneidezähne, kein Eckzahn, oben jederseits ein Lück- und drei Backenzähne, unten aber nur drei Backenzähne zeigen. Die Wirbelsäule besteht aus 7 Hals-, 13 Rücken-, 6 Lenden-, 3 Kreuzbein- und 22 bis 24 Schwanzwirbeln; die Wirbel stimmen in allen denjenigen Punkten, worin die Halbaffen von den Nagern abweichen, mit denen der ersteren überein. Dasselbe gilt für den Bau des Schädels und der Glieder, so daß also gegenwärtig jeder Zweifel über die Stellung des Thieres beseitigt ist.«
Es bildet somit das Fingerthier ( Chiromys madagascariensis, Lemur psilodactylus, Sciurus, Daubentonia madagascariensis) nicht bloß eine besondere Sippe, sondern auch eine eigene Familie ( Leptodactyla oder Chiromyida, Daubentoniada, Glirisimia, Glirimorpha) innerhalb der Ordnung der Halbaffen.
Der Aye-Aye oder das Fingerthier zeigt äußerlich folgende Merkmale: Der Kopf ist sehr groß, der Hals kurz, der Leib kräftig, der Schwanz etwa leibeslang. Die Glieder haben unter sich fast gleiche Länge. Im Verhältnis zur Kopfgröße erscheinen die Augen klein, die häutigen Ohren dagegen sehr groß. An der Hand und dem Fuße fallen die sehr verlängerten Finger und Zehen besonders auf. Der unterseits wulstige Daumen ist kräftig und kurz, der Zeigefinger etwas schwächer, der Goldfinger beinahe ebenso dick als der Daumen, der kleine Finger noch immer sehr stark, der dritte Finger aber verkümmert, indem er wie zusammengedorrt aussieht. Die Fußwurzel ist mäßig, die Daumenzehe mittellang und ähnlich gebaut wie der Daumen, während alle übrigen Zehen unter sich fast gleiche Länge und auch ähnliche Bildung zeigen. Ein röthliches Fahlgrau, mit Ausnahme eines dunkleren Ringes um die Augen und eines lichten Fleckes über denselben, ist die Färbung des Gesichtes. Auf Wangen und Kehle sieht das Haarkleid fahlgrau aus; auf den übrigen Theilen erscheint die Gesammtfärbung bräunlichschwarz mit durchschimmerndem Fahlgrau und eingesprengtem Weiß, weil der Pelz aus zweierlei Haaren, dichten graufahlen Woll- und schwarzen, hier und da weißgespitzten Grannenhaaren besteht. Die borstigen, dunklen Schwanzhaare haben graue Wurzel; die starken Schnurren über den Augen und am Mundwinkel sind ganz schwarz. Ausgewachsene Stücke erreichen eine Gesammtlänge von 1 Meter, wovon 45 Centim. auf die Länge von der Schnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel und über 50 Centim. auf den Schwanz kommen.
Der Aye-Aye, welcher einige Jahre in London lebte, konnte von mir wenigstens kurze Zeit beobachtet werden; leider aber war mir die Zeit meines Aufenthaltes so kurz gemessen, daß ich dem Thiere bloß einen einzigen Abend widmen durfte. Dieser eine Abend belehrte mich, daß Sonnerats Beschreibung nicht nur einer Erweiterung, sondern auch der Berichtigung bedarf. Ich will deshalb meine dürftigen Beobachtungen und alles, was ich den Wärtern abfragte, hier kurz zusammenstellen.
Das Thier hat buchstäblich mit keinem anderen Säuger eine beachtenswerthe Aehnlichkeit. Es erinnert in mancher Hinsicht an die Galagos; doch wird es schwerlich einem Forscher einfallen, es mit diesen in einer Familie zu vereinigen. Der dicke, breite Kopf mit den großen Ohren, welche den breiten Kopf noch breiter erscheinen lassen, die kleinen, gewölbten, starren, regungslosen, aber glühenden Augen mit viel kleinerem Stern, als das Nachtaffenauge ihn besitzt, der Mund, welcher in der That eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Papageischnabel hat, die bedeutende Leibesgröße und der lange Schwanz, welcher, wie der ganze Leib, mit dünn stehenden, aber langen, steifen, fast borstenartigen Grannenhaaren besetzt ist, und die so merkwürdigen Hände endlich, deren Mittelfinger aussieht, als ob er zusammengedorrt wäre: diese Merkmale insgesammt verleihen der ganzen Erscheinung etwas so Eigenthümliches, daß man sich unwillkürlich den Kopf zermartert, in der fruchtlosen Absicht, ein diesem Thiere verwandtes Geschöpf aufzufinden.
Es kann für den Thierkundigen, welcher dieses wundersame Wesen lebend vor sich sieht, gar keinem Zweifel unterliegen, daß er es mit einem vollendeten Nachtfreunde zu thun hat. Der Aye-Aye ist lichtscheuer als jedes mir bekannte Säugethier. Ein Nachtaffe läßt sich wenigstens erwecken, tappt herum, schaut sich die helle Tageswelt verwundert an, lauscht theilnehmend auf das Summen eines vorüberfliegenden Kerbthieres, leckt und putzt sich sogar: der Aye-Aye scheint bei Tage, wenn man ihn nach vieler Mühe wach gerüttelt, vollkommen geistesabwesend zu sein. Mechanisch schleppt er sich wieder seinem Dunkelplatze zu, rollt er sich zusammen, verhüllt er mit dem dicken Schwanze, welchen er wie einen Reifen um den Kopf schlägt, sein Gesicht. Er bekundet eine Trägheit, eine Langweiligkeit ohne Gleichen in jeder Bewegung, jeder Handlung. Erst wenn die volle dunkle Nacht hereingebrochen ist, lange nach der Dämmerung, ermuntert er sich und kriecht aus seiner Dunkelkammer hervor, scheinbar noch immer mit Gefühlen der Angst, daß irgend ein Lichtstrahl ihn behelligen möchte. Der Schein einer Kerze, welcher andere Nachtthiere nicht im geringsten anficht, macht ihn eilig zurückflüchten.
Seine Bewegungen sind langsam und träge, obschon weniger, als man vermuthen möchte. Wenn es gilt, dem störenden Licht sich zu entziehen, beweist der Aye-Aye, daß er unter Umständen sogar ziemlich flink sein kann. Der Gang ähnelt dem anderer Nachtaffen, nur ist er ungleich langsamer. Dabei steht das Thier hinten viel höher als vorn, wo es sich auf die sehr gebreiteten und stark gekrümmten Finger stützt, und streckt den buschigen Schwanz wagerecht von sich, ohne ihn auf dem Boden schleppen zu lassen. Jeder Schritt wird, wie es scheinen möchte, mit Ueberlegung ausgeführt; Zeit genug zur Ueberlegung nimmt sich das Thier wenigstens. Im Klettern konnte ich es nicht beobachten: es soll dies aber ebenso langsam geschehen wie das Gehen.
Wenn Sonnerat richtig beobachtet hat, muß er es mit einem besonders gutmüthigen Aye-Aye zu thun gehabt haben. Derjenige, welchen ich sah, war nichts weniger als sanft, im Gegentheile sehr reizbar und ungemüthlich. Wenn man sich ihm näherte, fauchte er wie eine Katze; wenn man ihm die Hand vorhielt, fuhr er unter Ausstoßen derselben Laute wüthend und sehr rasch auf die Hand los und versuchte, sie mit seinen beiden Vorderpfoten zu packen. Dabei unterschied er zwischen der Hand und einem eisernen Stäbchen. Mit diesem ließ er sich berühren, ohne zu fauchen oder zuzugreifen. Die Wärter, welche große Achtung vor dem Gebiß ihres Schutzbefohlenen an den Tag legten, versicherten, von diesem Unterscheidungsvermögen des Thieres überzeugende Beweise erhalten zu haben: sie waren mehrere Male derb gebissen worden. Eigentlich furchtsam also darf man den Aye-Aye nicht nennen; er ist nur scheu und meidet jede Gesellschaft. Auch nachts bewegt ihn das geringste Geräusch, so eilig als möglich seinen Versteckplatz aufzusuchen.
Die einzige Nahrung, welche man dem Thiere reicht, ist frische Milch, mit der man das gekochte und zerriebene Dotter eines Eies zusammenrührt. Eine kleine Schüssel davon genügt für den täglichen Bedarf. Beim Fressen gebraucht der Aye-Aye seine beiden Hände: er wirft die flüssige Speise mit ihnen in seinen Mund. Fleischkost hat er bis jetzt hartnäckig verschmäht; ob man versucht hat, ihn auch an andere Nahrungsmittel zu gewöhnen, weiß ich nicht.
Beachtenswerth scheint mir eine Beobachtung zu sein, welche gemacht wurde. Alle Zweige des Käfigs, welchen dieser Aye-Aye bewohnt, sind von ihm abgeschält und angebissen worden. Er muß also seine Schneidezähne, welche den Naturforschern so viel Kopfzerbrechen verursacht haben, in ganz eigenthümlicher Weise verwenden. Ich glaube hieraus schließen zu dürfen, daß er in der Freiheit auf dürren Bäumen seine Nahrung sucht und wirklich Kerbthiere frißt, wie Sonnerat angibt. Er schält, so vermuthe ich, mit seinen dazu vortrefflich geeigneten Zähnen die Baumrinde ab, legt damit die Schlupfwinkel gewisser Kerbthiere oder deren Larven bloß, und zieht diese dann mit seinen langen Fingern aus Ritzen und Spalten vollends hervor, um sie zu verspeisen.
Auf diese im Jahre 1863 niedergeschriebenen Beobachtungen will ich Pollens neuerdings (1868) veröffentlichte Angaben folgen lassen, weil sie namentlich die Kenntnis des freilebenden Aye-Aye wesentlich vervollständigen. »Dieses wissenschaftlich so merkwürdige Thier«, sagt unser Gewährsmann, »bewohnt mit Vorliebe die Bambuswaldungen im Innern der großen Insel. Nach Angabe der Eingeborenen ist es so selten, daß man es nur durch Zufall einmal zu sehen bekommt, lebt einzeln oder paarweise, niemals in Banden, kommt bloß des Nachts zum Vorschein und schläft über Tags in den dichtesten und undurchdringlichsten Bambusdickichten mitten in den Waldungen. Es nährt sich von dem Marke des Bambus- und Zuckerrohres, ebenso aber auch von Käfern und deren Larven. Um seine Nahrung zu erhalten, bestehe sie in dem Herz des Bambus- und Zuckerrohres oder in Kerbthieren, nagt es mit seinen kräftigen Schneidezähnen eine Oeffnung in den Stamm der Pflanzen, führt durch diese seinen schmächtigen Mittelfinger ein und holt mit ihm den Pflanzenstoff oder die Kerbthiere hervor. So schläferig es über Tags sich zeigt, so lebhaft bewegt es sich während der Nacht. Von Sonnenaufgang an schläft es, indem es den Kopf zwischen den Füßen verbirgt und ihn noch außerdem mit dem langen Schwanze einhüllt; mit Beginn der Nacht erwacht es aus seiner Schlaftrunkenheit, klettert an den Bäumen auf und nieder und springt mit der Behendigkeit der Maki's von Zweig zu Zweige, dabei sorgfältig alle Oeffnungen, Ritzen und Löcher der alten Bäume untersuchend, um Beute zu machen, zieht sich aber schon vor Beginn der Morgenröthe wieder in das Innere der Waldungen zurück. Seinen Schrei, ein kräftiges Grunzen, vernimmt man oft im Verlaufe der Nacht.«
Außerdem erwähnt Pollen, daß ein von seinem Freunde Vinson gefangen gehaltener Aye-Aye Kerbthierlarven aus dem Holze der Lebbekakazie fraß, solche aus dem Mangobaume aber verschmähte; daß dasselbe Thier leidenschaftlich gern stark gezuckerten Milchkaffee trank und zwar, indem es mit unglaublicher Schnelligkeit seinen Mittelfinger bald eintauchte, bald wieder ableckte.
*