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Loris ( Stenops).

Während die Makis sammt und sonders, wenigstens zu gewissen Zeiten, eine große Regsamkeit und Beweglichkeit kundgeben, zeichnen sich die Loris ( Stenops ) hauptsächlich durch die entgegengesetzten Eigenschaften aus. Sie sind die Faulthiere innerhalb ihrer Ordnung, werden auch geradezu Faulaffen genannt. Man begreift unter ihnen kleine, zierliche Halbaffen mit schmächtigem, schwanzlosem Leibe, großem, rundlichem Kopfe und dünnen, schlanken Gliedmaßen, deren hinteres Paar etwas länger als das vordere ist. Die Schnauze ist spitz, aber kurz; die sehr großen Augen stehen sich nahe; die Ohren sind mittelgroß und behaart. An den Händen ist der Zeigefinger sehr verkürzt, der vierte Finger aber verlängert und der hinterste mit scharfer und langer Kralle versehen. Das Weibchen besitzt nur zwei Brustdrüsen, aber jede derselben enthält zwei Zitzen. Im Gebiß fällt der erste obere Schneidezahn durch seine Größe auf, während der zweite gänzlich verkümmert; die sechs unteren Schneidezähne stehen wagerecht und sind unter sich von verschiedener, von innen nach außen zunehmender Breite, die Eckzähne dick, gekrümmt, aber spitzig, die beiden Lückzähne stark und einhöckerig, die Backenzähne vierhöckerig. Die Wirbelsäule besteht außer den Halswirbeln aus 15 bis 16 rippentragenden, 8 bis 9 rippenlosen, 2 bis 5 Kreuz- und 8 bis 9 Schwanzwirbeln. Sehr eigenthümlich ist die büschelartige Verzweigung der Schenkel- und Schlüsselbeinschlagadern: beide zertheilen sich in so viele Zweige, als Muskeln in den betreffenden Gliedern vorhanden sind. Dies erscheint – abgesehen von seiner Absonderlichkeit – namentlich auch aus dem Grunde merkwürdig, weil bei den Faulthieren die betreffenden Schlagadern eine ganz ähnliche Verästelung zeigen.

Die wenigen Arten dieser Sippe bewohnen Indien und seine benachbarten Inseln; ihr Freileben ist uns aber fast noch gänzlich unbekannt. Sie vertreten ihre munteren afrikanischen Vettern in Südasien, jedoch nur hinsichtlich ihrer Gestaltung, nicht auch hinsichtlich ihres Wesens.

 

Ein äußerst niedliches Mitglied unserer Sippe ist der Schlanklori ( Stenops gracilis, Loris, Arachnocebus gracilis, Loris ceylanicus), ein Thierchen, kaum so groß wie ein Eichhörnchen – nur 25 Centim. lang! – mit schmächtigem Leibe, großäugigem und spitzschnäutzigem Kopfe, zarten Gliedern und langem, plüschähnlichem Pelze, dessen Färbung oben röthlichfahlgrau und gelblichbraun, auf der Unterseite aber graulich oder blaßgelblich ist. Rund um die nußbraunen Augen herum dunkelt das Fell und sticht deshalb um so mehr von der lichten Oberschnauze ab.

Das allerliebste Geschöpf, von den Eingeborenen Teivangu genannt, bewohnt die Wälder Ceilons. Es verschläft den Tag in Baumhöhlungen und kommt erst des Abends zum Vorscheine. In seinem Freileben wurde es noch von Niemandem beobachtet; obschon seit langer Zeit Berichte über dasselbe vorliegen.

Thévenot ist der Erste, welcher von Schlankloris spricht. Er sah (gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts) einige von ihnen in Aurengabad, der Hauptstadt von Balagate, im Reiche des ehemaligen Großmoguls. Man machte viel Aufhebens davon, weil sie sich vor den eigentlichen Affen namentlich durch ihre Kleinheit auszeichneten. Während die Thierchen beobachtet wurden, stellten sie sich auf die Hinterbeine, umarmten einander öfters und sahen die Leute dabei fest an. Ihr Herr nannte sie »wilde Menschen«.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts berichtet Seba über den Teivangu und gibt zugleich eine vortreffliche Abbildung von ihm. Er nennt ihn »das Faulthier Ceilons«, bemerkt aber, daß er diesen Namen ganz unverdient trage, weil er – wie auch sein schlanker Bau schon beweisen müsse – weder faul noch langsam, sondern im Gegentheile sehr flink im Gehen und äußerst gewandt und hurtig im Klettern sei. Er lebe von Früchten und Samen großer Bäume, welche das Männchen pflücke, koste und dann dem Weibchen reiche; aber auch dieses sei dem Männchen gegenüber sehr artig. Die Zahl der Jungen soll zuweilen vier betragen.

Diese beiden alten Mittheilungen sind eigentlich die ausführlichsten, welche uns über den Schlanklori geworden sind; in der Neuzeit hat meines Wissens nur Tennent in seinem Werke über Ceilon des Thierchens Erwähnung gethan. »Es gibt«, sagt er, »zwei Spielarten des Schlanklori auf der Insel; eine, deren Fell braun ist, und eine andere, größere, mit schwarzem Pelze. Ich erhielt einen lebenden Teivangu oder »Dünnleib« aus Chillav von der Westküste. Er lebte einige Zeit bei mir in Colombo und fraß Reis, Früchte und andere Pflanzentheile, besonders gern aber auch Ameisen und überhaupt Kerbthiere. Auf Milch und Geflügelfleisch war er äußerst begierig. Seine unhörbaren Bewegungen erleichtern ihm die Jagd auf Geflügel mehr, als man meint. Eingeborene haben mir versichert, daß er nachts sogar Pfauen überfällt, abwürgt und sich dann an dem Gehirne seiner Beute erlabt.

Schlanklori ( Stenops gracilis).

»Mein Gefangener schlief den ganzen Tag in der sonderbaren Stellung, welche ich hier dargestellt habe; er faßte dabei seine Stange mit allen Händen, krümmte sich zu einem weichbehaarten Ball zusammen und verbarg feinen Kopf tief zwischen seinen Beinen.

»Die merkwürdig großen und lebendigen Augen der Loris haben die Aufmerksamkeit der Singalesen erregt. Sie fangen den Teivangu seiner Augen wegen, aus denen sie Zauber- und Liebesmittel zu bereiten glauben, und halten das arme Geschöpf ans Feuer, bis die Augäpfel bersten!«

Zu meiner größten Ueberraschung und Freude fand ich einen lebenden Schlanklori im Besitze eines Thierschaustellers. Das zarte Wesen war vor vier Jahren mit drei anderen nach Europa gelangt und von einem unserer ersten Großhändler an jenen Mann verkauft worden, hatte also nicht allein die Reise nach Europa, sondern auch die Gefangenschaft in dem kälteren Lande vortrefflich ausgehalten. Ich erwarb das Thierchen, um es nach dem Leben zeichnen zu lassen und beobachten zu können, für theures Geld und ließ ihm eine sorgsame Pflege zu theil werden.

Schlanklori im Erwachen und im Schlafe.

Ueber Tages liegt oder richtiger hängt der Schlanklori in der von Tennent recht gut wiedergegebenen Stellung an einer Sprosse seines Käfigs und schläft, ohne sich durch die Außenwelt und ihr Treiben im geringsten stören zu lassen; nach Eintritt der Dämmerung entballt er sich, reckt und streckt, noch etwas schlaftrunken, die langen schlanken Glieder und schreitet nun langsam und unhörbar auf der Sitzstange seines Käfigs hin und her oder an dem Sprossenwerke des Gebauers auf und nieder. Auf einer Stange oder einem Zweige bewegt er sich mit bemerkenswertstem Geschicke, gleichviel ob er oben oder unten an dem Aste hängt, versichert sich jedoch bei jedem Schritte, den er thut, eines neuen Haltes, spreizt deshalb die Beine oft über alles für möglich gehaltene Maß und greift mit ihnen, wie mit den Armen, tastend weit in die Luft, wenn es sich darum handelt, von einem Aste auf den anderen überzugehen. Findet er nicht gleich einen Halt, so bewegt er Arm und Hand zitternd, als fühle er sich in Gefahr oder doch Verlegenheit. Er hat ein ungemein feines Gefühl in den Händen und Füßen, welche er in annähernd gleicher Weise gebraucht, die Hände selbstverständlich bevorzugend. Ehe er irgendwo sich festhält, prüft er tastend den Gegenstand. Einen Ast umklammert er mit dem den übrigen Fingern gegenüberstehenden Daumen und ebenso mit den Zehen und der Daumenzehe und legt die verbreiterten Fingerpolster so fest auf, daß sie anzukleben scheinen und die mittleren Fingerglieder gleichsam nach innen sich biegen. Auf flachem Boden tastet er vor jedem Schritte umher, als suche er einen zum Anklammern geeigneten Gegenstand, stellt hierauf die bis zum äußersten gespreizten Vorder- und Hinterglieder fest und schiebt endlich, mit im Knie hochgekrümmten Beinen ungemein langsam kriechend, sich vorwärts, so wie eine Kröte dahin humpelt, nur daß diese nicht allein verhältnismäßig, sondern unbedingt schneller ihren Weg zurücklegt. Jeder Halt, jede Erhabenheit des Bodens ist ihm willkommen, und er klammert sich dann sofort mit Händen und Füßen an, scheinbar ängstlich hoffend, die ihm heimische Höhe und das Gezweige wieder zu gewinnen. Der beweglichste Theil seines Leibes ist der Kopf, welchen er jählings und blitzschnell zu drehen und zu wenden versteht, während er mit Hand und Arm nur selten eine ähnlich rasche Bewegung ausführt. Seine Augen leuchten im Halbdunkel buchstäblich wie feurige Kohlen und machen, da sie sehr nahe zusammenstehen und bloß durch eine weiße Blässe getrennt werden, einen höchst eigenthümlichen Eindruck. Die Ohren werden etwas vom Kopfe ab getragen, die Muscheln voll entfaltet.

Gereizt, läßt der Schlanklori ein scharfes Schnarchen hören, welches am meisten an die Stimmlaute des Hamsters erinnert, jedoch viel schwächer ist. Damit pflegt er seinen höchsten Zorn kundzugeben. Seine Erregbarkeit scheint übrigens ziemlich gering zu sein; denn es hält schwer, ihn aus seiner Ruhe und Gleichmüthigkeit zu bringen. Menschen oder Thiere, welche außerhalb seines Käfigs sich bewegen und sonstwie zu schaffen machen, beachtet er kaum; Hunde glotzt er wie ihm vollständig fremde Wesen an. Auch wenn man die Hand in seinen Käfig bringt, läßt er kaum in seinen Bewegungen sich stören und erst, wenn man ihn berührt, jenes Schnarchen vernehmen, versucht dann wohl auch, zu beißen. Ein leises Streicheln scheint ihm zu behagen; krabbelt man ihn sanft am Kopfe, so schließt er die Augen.

Seine Hauptnahrung besteht in eingeweichtem Milchbrod. Obst verschmäht er fast gänzlich, Fleisch und Eier ebenso; auch an lebenden Vögeln hat er bis jetzt sich nicht vergreifen wollen. Dagegen frißt er Kerbthiere, zumal Mehlwürmer, ungemein gern, ist jedoch zu ungeschickt oder zu träge, solche selbst sich zu nehmen, und greift bloß dann mit dem Maule zu, wenn sein Wärter ihm den Leckerbissen mundgerecht vorhält. Wahrscheinlich ist seine Gleichgültigkeit gegen Geflügel und dessen Fleisch einzig und allein Entwöhnung infolge seiner langen Gefangenschaft; Tennents Beobachtungen bestehen also, ungeachtet der meinigen, jedenfalls noch zu Recht.

 

Der Plumplori, ( Stenops tardigradus, Nycticebus, Bradylemur tardigradus, Lori, Nycticebus bengalensis) ist etwas mehr bekannt geworden, wahrscheinlich, weil er häufiger und verbreiteter ist als sein schlanker Vetter. So viel man weiß, bewohnt das Thier die Waldungen des indischen Festlandes und die Sundainseln, wenigstens Sumatra. In Ostindien heißt er Tonger oder Schläfer, und Tevang oder Schleicher; unter den Hindus Lajja-Banar und auf Sumatra Bru-Samundi. Er ist größer und untersetzter gebaut als sein Verwandter; seine Leibeslänge beträgt reichlich 35 Centim.

Der plumpe Lori, ein überall seltener Bewohner der einsamsten Wälder seiner Heimat, lebt in Familien zusammen, welche den Tag in Baumlöchern verschlafen, nach Einbruch der Dämmerung munter werden und nunmehr ihrer Nahrung nachgehen. In der Freiheit ist das Thier von Europäern noch nicht beobachtet worden; dagegen hat man es sehr oft zahm gehalten, auch wiederholt lebend nach Europa gebracht. Observille, Seba und Jones haben das Beste über sein Leben berichtet. Der Tevang verdient seinen Namen. Er schleicht so langsam dahin, daß er in einer Minute kaum mehr als vier Klaftern zurücklegt. Höchst selten geht er ein paar Schritte weit aufrecht, sonst immer nur auf allen Vieren. Das Klettern versteht er besser; seine Trägheit ist aber auch hierbei sehr auffallend. Gegen das Tageslicht scheint er äußerst empfindlich zu sein; nachts aber sieht er vortrefflich, und die bei Tage glanzlosen Augen leuchten dann. Sein Gehör ist so fein, daß er, auch wenn er schläft, augenblicklich das Geräusch eines sich ihm nähernden Kerbthieres wahrnimmt und davon erweckt wird. Kerfe und kleine Vögel versteht er meisterhaft zu beschleichen und mit einem einzigen, blitzschnellen Griffe zu erhaschen. Seine gewöhnliche Stimme besteht in einem sanften Pfeifen, welches abändert, je nachdem es Vergnügen, Schmerz, Aerger oder Ungeduld ausdrücken soll; im Zorne läßt er durchdringende Töne vernehmen.

Bei den Eingeborenen Javas steht der » Muka« (das Gesicht), wie sie den Plumplori nennen, in sehr schlechtem Rufe. Seine Anwesenheit, so glaubt man, bringt Gefahr, Krankheit, Tod oder sonstiges Unglück, und deshalb meidet jeder das Thier, so viel er kann. »Als ich einen solchen Gast in meinem Hause unterbrachte«, schreibt mir Haßkarl, dem ich vorstehende Angaben verdanke, »wurde ich allgemein gewarnt und mir verschiedenartige Gefahren in Aussicht gestellt. Ich hielt auch meinen Lori nicht lange am Leben; wahrscheinlich wurde er von Inländern, nämlich meiner Hausbedienung, welche sich entsetzlich vor ihm fürchteten, und denen der widerliche Geruch überaus unangenehm war, durch ein oder das andere Mittel getödtet.

Plumplori ( Stenops tardigradus).

»Gefangene Tevangs sind still, geduldig und schwermüthig. Sie ruhen den ganzen Tag über in kauernder Stellung und stützen den Kopf auf ihre zusammengelegten Hände. Der eine war anfangs mit einem Stricke angebunden und hob ihn mehrere Male mit trauriger Geberde auf, als klage er über seine Fesseln: sie zu brechen, versuchte er nicht. Er biß in der ersten Zeit nach seinem Wärter; einige kleine Züchtigungen reichten jedoch hin, solche Ausbrüche seines Zornes zu unterdrücken. Wenn man ihn streichelte, nahm er die ihn liebkosende Hand, drückte sie an seine Brust und richtete die halbgeöffneten Augen gegen seinen Pfleger. Mit Einbruch der Nacht wurde er munter. Zuerst rieb er sich die Augen, wie ein schlaftrunkener Mensch; dann sah er sich um und begann umherzustreifen. Er wanderte dabei auch geschickt auf Seilen umher, welche man für ihn ausgespannt hatte. Früchte und Milch genoß er sehr gern; besonders lüstern aber war er nur nach Vögeln und Kerfen. Hielt man ihm solches Wildpret vor, so kam er mit vorsichtigen Schritten herangeschlichen, oft das ganze Zimmer durchmessend, gerade so, wie Jemand, welcher auf den Zehen geht, um einen Anderen zu überraschen. Wenn er sich dann seinem Raube etwa bis auf einen Fuß genähert hatte, blieb er stehen, richtete sich in die Höhe, rückte noch näher heran, streckte sachte die Arme aus, fuhr endlich blitzschnell auf seine Beute los und erdrückte sie in wenigen Augenblicken.«

Ein anderer Lori dieser Art, welchen man in Holland lebend beobachtete, wachte erst abends gegen neun Uhr aus seinem Schlummer auf und bewegte sich dann äußerst langsam und gleichförmig, ließ sich auch nicht durch Antreiben zu einer schnelleren Bewegung bringen. Beim Klettern ließ er niemals einen Fuß los, bevor er sich mit dem anderen wieder fest versichert hatte. Vögel und Kerfe fing er mit großem Geschicke; außerdem fraß er gekochten Reis, Brod, Eier und Früchte. Seine Stimme, welche man nur nachts hörte, klang kläglich, ungefähr wie Ai, ai; im Unwillen murmelte oder knurrte er wie ein Eichhörnchen.

Jones hielt einen Tevang während seines Aufenthaltes in Indien. Dieser war sehr sanft während der warmen Jahreszeit, änderte aber sein Betragen, nachdem Kälte eingetreten war. Sie verstimmte ihn sichtlich und machte ihn bei der unbedeutendsten Veranlassung zornig. Während der heißen Zeit zeigte er sich sehr dankbar, wenn er gebadet wurde, während der kalten Zeit unwillig, sobald man ihn überhaupt störte. Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang fiel er in Schlaf und rollte sich dabei wie ein Igel zusammen; eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang erwachte er, leckte und putzte sich nach Katzenart, nahm ein kleines Frühstück, schlummerte noch ein wenig und ermunterte erst dann sich vollständig, wenn die Dämmerung wirklich angebrochen war. Seine gewöhnliche Nahrung bildeten die süßen Früchte Indiens mit wenigen Ausnahmen. Obgleich nicht gefräßig, konnte er doch gar nicht genug Heuschrecken oder andere Kerfe bekommen, und stellte ihnen, zumal in der heißen Jahreszeit, während der ganzen Nacht nach. Wenn ein Kerbthier in seiner Nähe sich niederließ, heftete er seine leuchtenden Augen fest auf dasselbe, zog sich dann etwas zurück, sprang plötzlich schnell vorwärts und fing die Beute mit beiden Händen. Gewöhnlich brachte er seine Speise nur mit einer Hand zum Munde; sonst aber brauchte er seine vier Hände ohne Bevorzugung des vorderen Paares. Oft hielt er mit einer Hand sich oben am Käfige, während die drei anderen sich unten etwas zu thun machten; am liebsten aber hing er sich, den Leib verkehrt nach unten gerichtet, mit Händen und Füßen an das obere Gitter seines Gefängnisses und schwang sich einige Minuten lang hin und her, als versuche er, die ihm fehlende Bewegung sich zu verschaffen. Gegen Tagesanbruch schien er am geneigtesten zu sein, mit seinem Wärter zu spielen, und wenn ihm dieser dann seinen Finger gab, leckte und saugte er recht artig daran. Mit Tagesanbruch verloren die Augen ihren Glanz, er wurde ruhiger und bereitete sich nun zu seinem zehn- bis zwölfstündigen Schlafe vor. Eines Tages fand man ihn todt in seiner gewöhnlichen Stellung.

Die größte Unannehmlichkeit, welche das schmucke Thierchen in der Gefangenschaft verursacht, ist der von ihm ausgehende widerliche Geruch: man vergißt dies aber gern über die Freude, welche, das so seltene und zarte Geschöpf seinem Herrn bereitet.

Ich habe bis jetzt nur zwei lebende Plumploris gesehen und beobachtet, den ersten im Thiergarten zu Amsterdam, und zwar nur bei Tage. Er zeigte sich jedoch nicht ganz so freundlich, als ich nach obigen Berichten erwartet hatte. Mochte ihn die Störung, welche wir ihm anthaten, verstimmt haben oder er von Hause aus ein reizbarer Gesell sein: er war augenscheinlich äußerst entrüstet über die ihm zugefügte Unbill. Der Gesichtsausdruck des eben erweckten Thieres hatte wohl etwas Fremdartiges, keineswegs aber etwas »Mitleidanrufendes«, wie Weinland von einem im Londoner Garten beobachteten Tevang sagt. Unser Amsterdamer Gefangener fauchte sehr verständlich und erläuterte seine Gesinnungen noch besonders durch die Bestrebungen, die störende Hand des Wärters mit Bissen zu züchtigen, wie er früher schon einige Male gethan hatte. Heute gelang ihm seine Rache nicht, und ärgerlich darüber, zog er sich langsam zurück. Dies geschah in einer Weise, welche mich, trotz der trefflichen Abbildung, welche Harvey schon vor dreißig Jahren gab, sehr überraschte. Seine großen Augen starr auf uns geheftet, ging er äußerst langsam Schritt um Schritt rückwärts zurück, und zwar nach aufwärts an einem nur wenig von der senkrechten Linie abweichenden Pfahle. Er klettert also von unten nach oben mit niederwärts gerichtetem Gesichte. Dies thut meines Wissens kein anderes Thier! An einer Gabel angelangt, machte er Halt und verharrte nunmehr regungslos in seiner Stellung, daß er dem Zeichner seine Arbeit sehr erleichterte.

Rückwärts kletternder Plumplori

Einen zweiten Plumplori pflege ich selbst seit geraumer Zeit. Er ist ein verhältnismäßig gutmüthiges, richtiger wohl ein leidlich gezähmtes Geschöpf und läßt sich mühelos behandeln. Doch liebt auch er Berührungen unsanfter Art durchaus nicht und wehrt sich mit einem absonderlichen Geschrei, einem nicht gerade lauten, obschon scharfen »Kekekeker«, zuweilen auch mit Beißen dagegen. Wenn er das letztere thut, geschieht es mit solchem Nachdrucke, daß regelmäßig Blut fließt: seinem Wärter biß er einmal den Nagel des Daumens durch. Ueber Tages ruht er in einer ganz ähnlichen Stellung wie sein Verwandter, zum Ball zusammen gerollt, den Kopf tief herniedergebeugt und zwischen den Schenkeln versteckt, mit Händen und Füßen an einem senkrechten oder wagerechten Zweige sich anhaltend. Nachdem er in einen größeren Käfig mit von unten her geheiztem Fußboden gebracht worden war, verließ er die Sitzstangen, um der ihm wohlthuenden Wärme nachzugehen, grub sich in das auf dem Boden liegende Heu ein und legte sich hier, zusammengerollt wie immer, aber halb zur Seite geneigt, nieder. Während er schläft, athmet er ruhig und tief, etwa zweiundzwanzig Mal in der Minute. Was um ihn her vorgeht, kümmert ihn nicht; Anrufe lassen ihn gleichgültig; bei wiederholter Berührung aber wacht er auf, öffnet die Augen und starrt schlaftrunken ins Weite.

Nach reichlich zwölfstündigem Schlafe ermuntert er sich, klettert gemächlich auf eine seiner Sitzstangen, klammert hier mit den dicht behaarten, breiten, zangenartigen Füßen sich fest und beginnt mit Händen und Zunge sein plüschähnliches Fell zu säubern und zu glätten. Dabei dreht und wendet er sich mit unvermutheter Gelenkigkeit, so daß er alle Theile seines Pelzes erreichen und in Ordnung bringen kann. Im Sitzen nimmt er nicht selten eine Stellung an, welche kaum von einem Klammeraffen nachgeahmt werden möchte, indem er mit den Schenkeln auf einer Sitzstange sich niederläßt, mit den Händen an einer benachbarten sich festhält, die Beine über die Arme wegstreckt und die Füße über diesen zusammenschlägt. Außerdem hockt er nach Affenart auf dem Gesäß, doch nie, ohne mit den Klammerfüßen an einem Zweige sich zu befestigen. Beim Gehen auf wagerechten Aesten steht er hinten viel höher als vorn. Sein Gang im Gezweige entspricht den Angaben Observille's durchaus nicht, ist im Gegentheile sehr leicht und gewandt, fördert auch weit rascher, als jener Beobachter behauptet. Zwar thut der Plumplori keinen Schritt, ohne gewiß zu sein, beim nächsten wieder einen sicheren Anhalt zu haben, umklammert auch bei jedesmaligem Auffußen den Ast fest und bestimmt; der Wechsel der Schritte geschieht jedoch so rasch und gleichmäßig wie bei vielen Tagaffen. Daumen und Daumenzehen setzt er beim Gehen ebenso oft vor- als rückwärts, dreht auch wohl gleichzeitig das eine Glied nach vorn, das andere nach hinten. Gleich seinem Verwandten spreizt er seine Beine zuweilen ungemein weit aus, so, wie es unser Künstler an der Figur im Hintergrunde des Bildes getreulich dargestellt hat. Auf dem Boden bewegt er sich ebenfalls schwerfällig weiter; so unbeholfen und täppisch wie sein Verwandter aber ist er nicht.

Nach geschehener Reinigung des Felles denkt er zunächst ans Fressen. Mit Auge und Nase untersucht er den Raum des Käfigs, geht sodann auf den Futternapf zu, ergreift mit der Hand einen Brocken seiner Nahrung und führt ihn zum Munde, nach und nach in kleineren Bissen ihn verzehrend. In der Auswahl seiner Nahrung gibt er sich als Raubthier, nicht als Pflanzenfresser zu erkennen. Er nimmt eingeweichtes Milchbrod, weil er an dasselbe gewöhnt worden ist, lieber als Milchreis oder als Früchte verschiedener Art, zieht jedoch Kerfe und Kleingethier höherer Klassen jeder anderen Speise vor. Mehlwürmer frißt er dutzendweise; kleine lebende Vögel erregen sofort seine Aufmerksamkeit und Mordlust. Doch zeigt er, wenn er einen lebenden Vogel innerhalb seines Käfigs entdeckt hat, keineswegs besondere Gier, läßt sich auch nicht aus dem gewohnten Geleise bringen. Achtsam jede Regung des Opfers verfolgend, setzt er sich endlich in Bewegung, schreitet, nicht schneller als sonst, auf dasselbe los, nähert sich mehr und mehr, greift blitzschnell zu, packt mit sicherem Griffe die Beute und führt sie ebenso ruhig und bedächtig wie einen sonstigen Brocken dem Maule zu, um ihr zunächst mit kräftigem Bisse die Hirnschale zu zertrümmern, und frißt hierauf gemächlich, ohne mit Rupfen sich aufzuhalten, erst das Hirn, sodann das Fleisch, alle Federn mit den Lippen abstreifend und liegen lassend.

Den in einem anderen Käfige eingesperrten Schlanklori betrachtete er, als er zum ersten Male in seine Nähe gebracht wurde, mit ersichtlicher Theilnahme, ohne jedoch einen Versuch zu weiterer Annäherung zu machen; später ließ ihn der Verwandte ebenso gleichgültig wie jedes andere Thier, mit Ausnahme eines ihm zur Nahrung geeignet erscheinenden natürlich. Sein Verstand ist, wie aus allen bisher mit ihm angestellten Versuchen hervorzugehen scheint, höchst gering, seine Theilnahmlosigkeit gegen die Außenwelt dafür um so größer; denn sein Gedankengang bewegt sich ersichtlich in einem sehr beschränkten Gebiete. Ob er geistig höher steht als ein Galago, dürfte fraglich sein, unter den Lemuren steht er gewiß.

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