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Zweite Familie: Fußwurzelthiere ( Tarsidae).

Gespenstthiere ( Tarsius).

Ein großer, runder, dicht auf den Schultern sitzender Kopf mit wahrem Froschgesichte, kurze Vorder- und lange Hinterglieder sowie ein mehr als leibeslanger Schwanz sind die äußerlichen, sehr absonderlich gestaltete, denen der Kerbthierräuber ähnelnde Zähne die hauptsächlichsten innerlichen Merkmale eines Halbaffen, welcher schon seit geraumer Zeit zum Vertreter einer besonderen Sippe, neuerdings aber mit vollstem Rechte zum Urbilde einer eigenen Familie erhoben worden ist. Entsprechend den ungemein verlängerten Fußwurzeln, hat man dieser Familie den Namen Fußwurzelthiere ( Tarsidae )gegeben, nachdem das merkwürdige Zwittergeschöpf vorher von den verschiedenen Naturforschern bald als eine Springmaus, bald als ein Beutelthier, bald endlich als ein Lemur angesehen worden ist. Da man bis jetzt nur eine einzige sicher bestimmte Art oder höchstens deren zwei kennen gelernt hat, gelten deren Merkmale auch für die Familie.

Das Gespenstthier oder der Koboldmaki ( Tarsius spectrum, Lemur spectrum, Didelphis macrotarsus, Tarsius maucauco, T. Pallasii, T. Bancanus, T. fuscomanus, T. Ficheri) ist, falls man sich so ausdrücken darf, eine Wiedergabe des Frosches in der Klasse der Säugethiere. Unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Gesichte eines Laubfrosches zeigt das seinige, und ebenso erinnern die Hände und Füße durch gewisse, später zu beschreibende Eigenthümlichkeiten an die des gedachten Lurches, mit dessen Bewegungen die seinigen ebenfalls bis zu einem gewissen Grade übereinstimmen. Der große Kopf würde kugelig sein, wenn nicht die Schnauze als ein kurzer, ziemlich breiter Kegel aus der Gesichtsfläche hervorträte. Hierdurch gerade und durch die im Verhältnis zur Schnauzenlänge ungemein weite, bis unter die Augen sich ziehende Mundspalte und die dicken Lippen erhält das Gesicht den Ausdruck des Froschartigen. Dieser Ausdruck wird durch die ungemein großen, eulenartigen Augen, verhältnismäßig wohl die größten, welche ein Säugethier überhaupt besitzt, noch wesentlich vermehrt. Sie nehmen buchstäblich den größten Theil des ganzen Gesichtes ein, stehen ziemlich nahe bei einander und haben einen Durchmesser von mindestens 1,5 Centim. Minder eigenthümlich, weil auch bei anderen Säugethieren vorkommend, erscheinen die Ohren, welche großen, weiten, auf einem kurzen röhrenförmigen Stiele sitzenden Löffeln gleichen, am Vorderrande eine außen scharfkantige, nach innen eine durch den Anfang der Ohrleiste abgesetzte schmale Fläche, am Hinterrande einen durch die Gegenleiste abgegrenzten, vertieften Saum und im Innern der Muschel vier über einander stehende Querbogen zeigen. Der Hals hat nur geringe Länge und läßt sich kaum als selbständigen Theil unterscheiden; der Rumpf ist vorn am breitesten, weil die Schultern stark hervortreten; der Rücken erscheint eingesunken, die Brust schmäler als der Rücken. Die Vorderglieder fallen wegen des sehr kurzen Oberarmes ebenso sehr durch ihre Kürze wie die hinteren durch ihre Länge auf, da letztere sogar den Rumpf übertreffen. Im Verhältnis zur Länge der Arme müssen die Hände als sehr lang bezeichnet werden. Das Verhältnis der einzelnen Finger ist ein anderes als bei den meisten Lemuren, da der Mittelfinger der längste ist und äußerlich fast dreimal länger als der Daumen erscheint, welcher seinerseits noch ziemlich bedeutend hinter dem Kleinfinger zurücksteht. Wie bei einigen Galagos sind in der Handfläche und an den Fingerenden große polsterartige Ballen ausgebildet. Einer von ihnen liegt unter dem Handtheile des Daumens, zwei unter der Wurzel des Mittel- und Goldfingers und je einer an den Fingerspitzen. Die Oberschenkel haben beträchtliche Stärke, und die Unterschenkel erscheinen ihnen gegenüber schlank, die bis auf die eigentliche, d. h. erst an der Theilungsstelle der Zehen beginnende Fußsohle dünn behaarten Fußwurzeln sogar klapperdürr. Der Fuß entspricht bis auf die Bildung der Nägel der zweiten und dritten Zehe im allgemeinen der Hand, nur daß die Daumenzehe vollkommener als der Daumen den anderen Fingern den übrigen Zehen entgegengestellt werden kann und die Ballen an den Zehenspitzen beträchtlich größer sind; auch ist nicht die dritte, sondern die vierte Zehe die längste. Alle Finger tragen dreiseitige, flache, nur längs der Mitte etwas gewölbte, an den Rändern gebogene, an der Spitze ausgezogene Nägel, die große und die beiden äußeren Zehen durchaus ähnlich gebildete, die beiden inneren Zehen dagegen anstatt des Plattnagels aufrecht stehende, wenig gekrümmte, spitze und scharfe Krallen. Der Schwanz endlich ist drehrund und gleichmäßig sanft verjüngt. Das Gebiß unterscheidet sich von dem aller übrigen Halbaffen dadurch, daß es nicht die schmalen, wagerecht vorgezogenen unteren Schneidezähne, sondern aufrecht stehende, fast ebenso sehr an die der Kerbthierräuber wie an die anderer Halbaffen und Affen erinnernden Schneidezähne, verhältnismäßig breite, scharfe, schneidend zackige Lück- und Mählzähne besitzt. Von ersteren enthält das Gebiß, nach Burmeisters Untersuchungen, im oberen Kiefer vier, im unteren zwei, außerdem jederseits oben einen Eckzahn, einen Lückzahn, zwei falsche Mahlzähne und drei Kauzähne, unten einen Eckzahn, zwei Lückzähne, einen falschen Mahlzahn und drei Kauzähne. Der Schädel entspricht in seiner Form dem kugeligen äußeren Ansehen des Kopfes vollkommen und unterscheidet sich von denen aller anderen Halbaffen durch die kurze, spitze Nase und die weiten Augenhöhlen, welche letztere durch ihre scharfen, fast schneidenden, hoch vorragenden Ränder und die Breite der vom Oberkiefer wie vom Stirnbeine ausgehenden, ihre hintere Wand bildenden Fortsätze besonders auffallen. Alle Knochen sind dünn und zart, die Schädeldecke kaum stärker als ein Kartenblatt, so daß man sie mit einem Messer leicht durchschneiden kann. In der Wirbelsäule zählt man 7 Hals-, 13 oder 14 Rücken-, 6 Lenden-, 3 Kreuzbein- und 31 bis 33 Schwanzwirbel. Von den 13 oder 14 Rippen sind 7 oder 8 wahre und 6 falsche, und begründet sich hierauf, d. h. auf die verschiedene Anzahl der Rippen überhaupt die Ansicht mehrerer Naturforscher, daß die Sippe zwei Arten zählt. Das etwas wollige, feine Fell bekleidet in gleichmäßiger Dichtigkeit Kopf, Rücken und die Außenseite der Glieder, verkürzt sich auf der Brust und dem Bauche und wird auf dem Nasenrücken, an den Nasenflügeln und dem oberen Mundrande so kurz, fein und sperrig, daß diese Theile nackten Stellen gleichen, ohne es wirklich zu sein. Die Ohrmuschel trägt außen, besonders am Grunde und in der Mitte kurze, die innere Ohrmuschel äußerst feine, kaum bemerkbare Härchen und ist von der Mitte bis zur Spitze vollständig nackt. An mehreren Stellen des Kopfes wie an der Ober- und Unterlippe, der Nase, neben dem inneren Augenwinkel und an der Backe stehen einzelne Borstenhaare, und die Augenliderränder sind mit weichen verlängerten Wimpern umgeben. Auf den Vorder- und Hintergliedern reicht das dichtere Haar bis zur Hand- und Fußwurzel, hier in ein kurzes, feines und sperriges übergehend, welches den ganzen Handrücken und die Finger bekleidet. Der Schwanz ist am Grunde lang und dicht, hierauf spärlich und borstig, am hintersten Drittel lang, fast buschig behaart. Die Färbung des Pelzes ist gelbbraungrau mit einem leichten Anfluge von Rothbraun. Auf der Stirn, dem Rücken und der oberen Seite der Schenkel, auf Scheitel und Nacken dunkelt die Färbung, auf der Brust geht sie ins Weißliche über. Die Behaarung der Schwanzspitze ist gelblich. Das Auge hat nach Cumming braune, nach Jagor gelbe Iris. Ausgewachsene Stücke erreichen eine Länge von 40 Centim., wovon 23 bis 24 auf den Schwanz gerechnet werden müssen.

Koboldmaki (Tarsius spectrum).

Ueber die Lebensweise des Gespenst- oder Koboldmaki's liegen Berichte von Raffles, Cumming und Salomon Müller vor, denen ich noch einige wichtige Angaben von Rosenberg und Jagor hinzufügen kann. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich, laut Wallace, über alle malaiischen Inseln westlich bis Malakka; doch tritt das Thierchen nirgends häufig auf. Sein Namenreichthum und noch mehr die über ihn umlaufenden Fabeln beweisen, daß er allen Eingeborenen als ein in hohem Grade auffallendes Geschöpf erscheint. Auf Sumatra heißt er nach Raffles »Singapua«, auf der zu den Philippinen gehörigen Insel Bohal, laut Cumming, »Malmay«, bei den Dajakers, nach Angabe von Salomon Müller, »Ingger«, auf Celebes, laut Rosenberg, »Tarrdabana«, auf Samar, laut Jagor, »Majo«. Zum Aufenthaltsorte wählt sich der Gespenstmaki, nach Angabe von Rosenberg, ebene Wälder, woselbst er sich am Tage an dunkeln, feuchten Stellen im dichten Laube oder in Baumlöchern verbirgt. Nach Cumming lebt er im Gewurzel der Bäume, besonders der großen Bambusstämme, ausschließlich in den dichtesten Waldungen, überall einzeln und selten. Männchen und Weibchen werden gewöhnlich zusammen gesehen, weshalb die Eingeborenen, nachdem sie eines der Thierchen erlangt haben, Sorge tragen, auch das andere zu bekommen. In der Art und Weise, wie er sitzt und springt, erinnert er, laut Salomon Müller und Rosenberg, unwillkürlich an einen Laubfrosch, nimmt oft eine ähnliche Stellung an, springt wie ein Frosch und macht Sätze von fast einem Meter Weite. Ueber Tags ist er so wenig scheu, daß er zuweilen von einem hohen Baume oder Strauche herab den Vorübergehenden auf den Leib springt und sich mit der Hand greifen läßt. Seine unverhältnismäßig großen, kugelig vorspringenden Glotzaugen, deren Stern sich je nach den einfallenden Lichtstrahlen schnell vergrößern und verkleinern kann, haben ihn bei den Eingeborenen zu einem gespensterhaften Wesen gestempelt. Man betrachtet ihn als ein verzaubertes Thier und nach den Grundsätzen der Seelenwanderung als den Geist eines Missethäters, welcher Zauberkräfte besitzt. »Singapua« bedeutet, nach Raffles, »kleiner Löwe« und hängt ebenfalls mit einer Fabel der Eingeborenen zusammen, welche berichtet, daß das Thier ursprünglich so groß wie ein Löwe war, aber in neuerer Zeit zu der Größe herabsank, welche es jetzt besitzt. Die Eingeborenen Sumatra's haben eine solche Furcht vor ihm, daß sie ihre Reisfelder augenblicklich verlassen, wenn sie einen Gespenstmaki auf einem Baume neben demselben erblicken, weil ihrer Meinung nach sonst ohne Zweifel ein Unglück über sie oder ihre Familie kommen müsse. Diese Fabelei erstreckt sich auch auf die Angaben über die Nahrung unseres Thierchens. Schon Peter Camel bemerkt Anfang des vorigen Jahrhunderts, daß das Gespenstthierchen nach Ansicht der Eingeborenen von Holzkohle lebe, daß dies aber falsch sei, da es sich von Bananen und anderen Früchten ernähre. Jagor, welcher zwei Koboldmakis lebend erhielt, wurde in gleicher Weise berichtet und erfuhr erst durch eigene Versuche, daß das Thierchen selbst Pflanzenkost verschmäht und hauptsächlich Kerbthiere, letztere jedoch mit großer Auswahl, frißt. Cumming behauptet, daß die Nahrung unseres Halbaffen aus Eidechsen bestehe, und daß er diese Kriechthiere aller übrigen Kost vorziehe, bei großem Hunger jedoch auch kleine Krebse und Küchenschaben zu sich nähme; Salomon Müller gibt neben den Kerbthieren noch verschiedene Früchte als Nahrung an.

Cumming ist der erste, welcher über einen gefangenen Gespenstmaki Ausführlicheres mittheilt. »Er ist sehr reinlich in seinen Gewohnheiten«, sagt er; »niemals berührte er ein Nahrungsmittel, welches schon theilweise verzehrt war, und niemals trank er zum zweiten Male aus demselben Wasser. Im Verhältnis zu seiner Größe frißt er sehr viel. Beim Trinken schlappt er das Wasser wie eine Katze, aber sehr langsam. Die für ein so kleines Thierchen auffallend große Losung gleicht der eines Hundes. Ueber Tags schläft er sehr viel und bekundet den größten Abscheu gegen das Licht, weshalb er sich stets nach den dunkelsten Stellen begibt. Nähert man sich seinem Käfige, so heftet er seine großen, offenen Augen lange Zeit auf den Gegenstand, ohne eine Muskel zu bewegen; kommt man näher, oder wirft man etwas nahe an ihn heran, so fletscht er die Zähne gleich einem Affen, indem er die Gesichtsmuskeln auseinanderzieht. Selten macht er Geräusch, und wenn er einen Ton hören läßt, so ist es ein einfacher, kreischender Laut. Bei geeigneter Pflege wird er sehr bald zahm und ungemein zutraulich, beleckt Hände und Gesicht, riecht am Leibe seines Freundes herum und bemüht sich, geliebkost zu werden.«

Nicht minder günstig spricht sich Jagor aus. »In Loquilocun und Boranjen hatte ich Gelegenheit, zwei Gespenstmakis zu erwerben. Diese äußerst zierlichen, seltsamen Thierchen sollen, wie man in Luzon versicherte, nur in Samar vorkommen. Mein erster Majo mußte anfänglich etwas hungern, weil er Pflanzenkost verschmähte, verzehrte dann aber lebende Heuschrecken mit großem Behagen. Es sah äußerst drollig aus, wie das Thier, wenn es bei Tage gefüttert wurde, aufrecht stehend, auf seine beiden dünnen Beine und den kahlen Schwanz gestützt, den großen kugelrunden, mit zwei gewaltigen gelben Augen versehenen Kopf nach allen Richtungen hin bewegte, wie eine Blendlaterne auf einem Dreibeingestell mit Kugelgelenk sich dreht. Nur allmählich gelang es ihm, die Augen auf den dargebotenen Gegenstand richtig einzustellen; hatte es ihn aber endlich wahrgenommen, so reckte es plötzlich beide Aermchen seitwärts und etwas nach hinten aus, wie ein Kind, welches sich freut, griff schnell mit Händen und Maul zu und verzehrte dann bedächtig seine Beute.

»Bei Tage war der Maki schläferig, blödsichtig, wenn man ihn störte, auch mürrisch; mit abnehmendem Tageslichte aber wurde er munter und sein Augenstern erweiterte sich. Nachts bewegte er sich lebhaft und behend mit geräuschlosen Sprüngen, am liebsten seitwärts. Er wurde bald zahm, starb aber leider schon nach wenigen Tagen; und ebenso konnte ich das zweite Thierchen nur kurze Zeit am Leben erhalten.«

Ueber die Fortpflanzung danken wir Cumming einige Angaben. »Ich hatte«, sagt er, »das Glück, mir unbewußt, ein trächtiges Weibchen zu bekommen, und war daher eines Morgens nicht wenig überrascht, daß es ein Junges zur Welt gebracht hatte. Dieses schien etwas schwach zu sein, glich aber der Mutter vollkommen. Seine Augen waren offen, sein Leib bereits mit Haaren bekleidet. Es hielt sich stets saugend zwischen den Beinen seiner Mutter auf und wurde so vollständig von ihr bedeckt, daß man selten mehr als seinen Schwanz bemerkte. Seine Kräfte nahmen schnell zu, und schon am zweiten Tage begann es außerhalb des Käfigs umherzukriechen, wenn auch noch mit sichtbarer Anstrengung. Doch erreichte es die Spitze der Stäbe, aus denen der Käfig gebildet war. Wenn Umstehende das Junge zu sehen wünschten, während die Mutter es bedeckte, mußte man sie aufstören. Dann wurde sie in der Regel böse, nahm das Junge ins Maul, ganz wie eine Katze, und schleppte es so eine Zeitlang umher. Auch sah ich sie zu anderen Zeiten, wenn sie nicht gestört worden war, mit ihrem Jungen im Maule aus dem Käfige hervorkommen. Letzteres hatte im Verlaufe von drei Wochen sehr an Größe zugenommen, als unglücklicherweise Jemand auf den Schwanz der Mutter trat, worauf sie nach wenigen Tagen starb. Das Junge folgte ihr einige Stunden später nach.«

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