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Von dem Löwenäffchen im engsten Sinne unterscheiden sich die Tamarins ( Midas ) bloß dadurch, daß die Kopf- und Schulterhaare in der Regel nicht entwickelt sind und der Schwanz gewöhnlich den Leib an Länge übertrifft. Große, häutige, nackte Ohrmuscheln gelten als anderweitige Merkmale. Alle diese Kennzeichen sowie auch leichte Abweichungen im Zahnbau, welche zur Trennung der Gruppen Veranlassung gegeben haben, dürfen als nebensächliche angesehen werden.
Als Uebergangsglied von den bemähnten zu den mähnenlosen Tamarins mag die Pinche ( Hapale Oedipus , Simia, Midas, Oedipomichas Oedipus) erwähnt sein. Das Thier besitzt noch lange Kopfhaare, welche über die Stirnmitte hervortreten und vom Hinterhaupte herabhängen; die Stirnseiten dagegen sind nackt. Ausgewachsene Männchen erreichen eine Länge von 66 bis 70 Centim., wovon 40 bis 42 auf den Schwanz kommen. Der Pelz hat eine erdbraune Färbung, da die graulichen, am Grunde einfarbigen Haare gegen die Spitze hin drei hellbraune Ringe zeigen. Unterseite, Kopfhaare, Arme, Unterschenkel und alle unteren Theile sehen mehr oder weniger rein weiß aus; der Schwanz ist am Grunde kastanienbraun, gegen die Spitze hin schwarzbraun gefärbt. Das schwarze Gesicht mit den munteren hellbraunen Augen sticht von dem weißen Kopfhaare lebhaft ab und erhält durch feine gelblichgrauweiße Härchen, welche zusammengeflossene Brauen und einen als schmalen Rand um den Mund verlaufenden Bart bilden, ein absonderliches Aussehen. Die Innenseite der Hände und Füße ist mit dem Gesichte gleich gefärbt.
Wie es scheint, beschränkt sich das Verbreitungsgebiet dieser Art auf Columbia und das nördliche China. Ueber das Freileben fehlen noch ausführliche Beobachtungen, und auch über Gefangene ist bis jetzt wenig bekannt, da gerade die Pinche nur selten lebend in den Besitz der Europäer gelangt. Unsere Abbildung ist nach einer Skizze gezeichnet worden, welche Anton Göring von einem lebenden Stücke entwarf. Gefangene unterscheiden sich wenig oder nicht von den übrigen Arten der Familie. Sie sind ebenso ängstlich und grämlich wie die meisten übrigen Arten, schließen sich schwer an eine bestimmte Persönlichkeit an, ziehen sich vor jedem Fremden scheu und ängstlich in ihre Schlupfwinkel zurück, sehen in den harmlosesten Thieren einen gefährlichen Feind und machen deshalb ihrem Besitzer wenig Freude. Wie man annimmt, dauern sie noch schwerer als andere Arten in der Gefangenschaft aus und gelten deshalb in ihrer Heimat sowohl wie bei uns zu Lande für die hinfälligsten aller Krallenaffen überhaupt. Ein Pärchen, welches neuerdings einige Wochen im Berliner Thiergarten lebte, fiel mir besonders auf durch seine Stimme, welche täuschend der eines Vogels gleicht und bald in reinen, langgezogenen Flötentönen, bald in Trillern sich bewegt oder mit einem hohen »Dididi« beginnend, nach und nach in tiefere Laute übergeht und mit »Dräderädä, gak, gak, gäk« zu endigen pflegt. Ich kenne kein Säugethier, auch keinen Krallenaffen, dessen Stimmlaute in so hohem Grade mit Vogelgezwitscher übereinstimmen wie bei diesem Aeffchen.
Zur Vervollständigung des eben Gesagten will ich noch des Silberäffchens ( Hapale argentata , Simia, Callithrix argentata, Mico, Sagouin argentatus) Erwähnung thun. Das Thierchen, unbedingt eines der schönsten aller Aeffchen, erreicht nach Bates bloß eine Länge von 42 bis 45 Centim., wovon ungefähr 25 Centim. auf den Schwanz kommen. Das lange, seidige Haar ist silberweiß, der Schwanz matt schwarz, das fast nackte Gesicht fleischfarben. Einige Naturforscher sehen, wie ich bemerken will, in dem Silberäffchen nur einen Weißling einer anderen Art ( Hapale, Jacchus, Midas melanurus).
»Der kleine Silberaffe«, sagt Bates, »einer der seltensten aller amerikanischen Affen überhaupt, scheint nur in der Nähe von Cametá vorzukommen; wenigstens habe ich nicht gehört, daß man ihn sonst noch gefunden hätte. In Cametá bemerkte ich in einer Kakaopflanzung drei Stücke, welche aussahen wie kleine weiße Kätzchen. Sie glichen in ihrem Betragen und in ihren Bewegungen vollkommen anderen Arten der Familie. Später beobachtete ich einen Gefangenen und erfuhr, daß man gerade das Silberäffchen wegen seiner Schönheit besonders schätzt. Der in Rede stehende Gefangene war ein furchtsames, empfindliches kleines Geschöpf. Seine Gebieterin trug es beständig in ihrem Busen und liebte es in so hohem Grade, daß sie es nicht um alles Geld weggegeben haben würde. Ihr Liebling nahm seine Nahrung von ihren Lippen und erlaubte ihr, ihn zu hätscheln, wie sie wollte, gestattete aber keinem Fremden die geringste Annäherung. Wollte ihn Jemand berühren, so schreckte er zurück; der ganze Leib bebte vor Furcht und die Zähne klapperten an einander, während er zitternde Laute der Angst vernehmen ließ. Dabei hefteten sich die schwarzen Augen voll Neugier und Mistrauen auf Denjenigen, welcher auch nur versuchte, sich ihm zu nähern.« Condamine berichtet von einem anderen Silberäffchen, welches er von dem Statthalter in Para geschenkt erhalten hatte, daß es über ein Jahr lang in der Gefangenschaft lebte, auf der Ueberfahrt nach Europa angesichts der französischen Küste aber starb. Ob überhaupt jemals eines dieser Thierchen lebend zu uns gelangt ist, vermag ich nicht zu sagen; in den Verzeichnissen des Londoner Thiergartens, den reichhaltigsten und genauesten, welche wir haben, finde ich es nicht angegeben.
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