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Fünf Menschen erwarteten in dem unterirdischen Raum den Tod. Lacy war stumm vor Furcht, Julius und Fay hatten sich umschlungen und waren still und resigniert.
»Featherstone!«
Jim antwortete nicht.
»Sagen Sie, wenn Banknoten naß werden – haben sie dann noch ihren Wert?« Einige unverständliche Jammerlaute von Lacy waren die einzige Antwort, die Julius erhielt.
Und dann kam das Wunder. Die Wasser fielen plötzlich schneller als sie gestiegen waren.
»Was ist geschehen?«
»Das ist noch eine Galgenfrist,« antwortete Jim grimmig. »Die Falltür zu den unteren Kerkern ist gebrochen, und das Wasser fließt dorthin, aber sobald das untere Gewölbe gefüllt ist, steigt es wieder.«
»Können wir nicht herauskommen?« winselte Lacy. »Ihnen macht das doch nichts aus, Sie sind ein Polizeibeamter und müssen deshalb mit Gefahren rechnen. Aber es ist vor allen Dingen Ihre Pflicht, uns zu retten –«
»Halten Sie den Mund,« fuhr Julius ihn an. Aber Lacy war verrückt vor Furcht.
»Sie haben mein Geld, Savini, Sie Schleicher, Sie Dieb – Sie haben es mir abgenommen, als ich bewußtlos dalag!«
Fay schrie plötzlich laut auf. Jim hörte, daß jemand geschlagen oder gestoßen wurde und daß das Wasser aufspritzte.
»Julius ist fort,« schrie Fay. »Er wird ertrinken – Sie gemeiner Kerl!«
Lacy brüllte, als er in das Wasser stürzte. Jim eilte die Treppe hinunter. Das Wasser war noch im Sinken begriffen, und es war keine Gefahr vorhanden, daß einer ertrank. Er erreichte den Boden des Raumes und watete auf die Kämpfenden zu.
Plötzlich fühlte er mit seiner ausgestreckten Hand einen Kopf, ergriff ihn am Haar und zog ihn zurück.
»Wollen Sie wohl auf die Treppe gehen, Sie verdammter Hund?« rief er Lacy wütend an. Aber Lacy wandte sich nun ihm zu und stürzte sich auf ihn.
Valerie war starr vor Schrecken. Es war ganz dunkel und sie konnte nichts von dem Kampf sehen, der sich da unten abspielte. Aber das Geschrei des halbverrückten Lacy war kaum zu ertragen. Sie fühlte, wie Fay an ihr vorbei die Treppe hinuntereilte.
»Julius!« rief sie. Ihr Schreckensruf hallte an den Gewölben des Todesraumes wider.
»Mir geht es gut – wo ist der Captain?«
»Hier – in der Nähe der Treppe,« rief sie. Als sie selbst weiterging, fiel sie fast auf den Rücken des gebückten Lacy, der Jim an der Kehle gepackt hatte und seinen Kopf unter Wasser hielt.
»Gehen Sie zurück zur Treppe,« keuchte Jim, als Fay ihm zu Hilfe kommen wollte.
Während des Kampfes war er mit dem Kopf gegen die Wand gefallen und fühlte, wie das Blut an seinen Wangen herunterlief. Fay fiel rückwärts, als die Männer weiterkämpften, aber jetzt war Julius bei ihnen angelangt und mit vereinten Kräften konnten sie den Verrückten überwältigen.
»Bringen Sie ihn schnell zur Treppe, das Wasser steigt wieder,« sagte Jim, und sie zogen Lacy Schritt für Schritt vorwärts.
Jim hatte diesen Zwischenfall nicht voraussehen können. Es machte schließlich wenig aus, wann das Ende kam, aber ihren schon bis zum Zerreißen angespannten Nerven war die Gegenwart dieses brüllenden, verrückten Mannes unerträglich. Lacy versuchte sich immer wieder freizumachen.
»Ich werde ihn vor mir halten,« sagte Jim, als sie endlich wieder auf der Treppe standen.
»Ich will nicht sterben! Nein, nicht sterben!« stieß der vor Todesangst wahnsinnige Verbrecher hervor. »Verdammt noch einmal, Featherstone! Sie haben mich früher schon geschlagen, Sie verrückter Hund! Ihre Schuld ist es, daß ich hier bin! Ich wäre nie hierher gekommen, wenn ich mich nicht vor Ihnen versteckt hätte!«
»Seien Sie ruhig, oder ich schlage Sie nieder!«
Jim hatte ihn an der Kehle gepackt, und in dieser Lage war Lacy hilflos.
»Sie haben mich auf die unterste Stufe gestellt, damit ich schneller ertrinken soll,« heulte Lacy. »Ich wünschte nur, Coldharbour Smith hätte das Mädchen mit sich fortgenommen – dann wären wir alle nicht hier!«
»Aber Sie berühren doch mit dem Kopf schon die Decke, Sie können ja gar nicht höher kommen – seien Sie jetzt still!«
Jim hörte Worte über sich – zwei Leute sprachen miteinander. Er erkannte aber nur Bellamys Stimme. Um Hilfe zu rufen war vergeblich.
»Das Wasser reicht mir schon bis zum Hals,« keuchte Lacy und begann wieder um sich zu schlagen. »Verdammt, lassen Sie mich hinaus!«
»Ich stoße Sie die Treppe hinunter, wenn Sie nicht ruhig sind,« sagte Jim ernst. Während er noch sprach, riß sich Lacy los und schlug nach ihm. Aber der Hieb traf Jim nicht. Sie hörten nur, wie Lacy ins Wasser fiel. Sein Schrei ließ Valerie erschauern.
»Ich kann nicht schwimmen – Hilfe!«
»Bleiben Sie ruhig stehen, Featherstone,« sagte Fay ruhig, aber bestimmt. »Ob der noch ein paar Minuten länger lebt oder nicht, ist wirklich gleichgültig.«
Aber Jim hörte die Hilferufe dicht neben sich und zog Lacy wieder auf die Treppe, wo er sicheren Boden unter den Füßen hatte. Lacy schwatzte, weinte und war mehr tot als lebendig.
Jim sprach noch aus, was ihn bedrückte. Er beugte sich zu Valerie vor.
»Valerie, ich war eifersüchtig auf John Wood.«
»Ich fürchtete, daß es so wäre,« antwortete sie in dem gleichen Ton. »Ich habe ihn gern, ich bewundere ihn, aber es ist nicht die Art Zuneigung, die ich für dich fühle – nur für dich.«
Als sie ihren Kopf sinken ließ, berührte ihr Kinn das Wasser, und sie schloß die Augen. Es war jetzt ganz ruhig, nur Lacy wimmerte leise. Es gab keine Hoffnung mehr. Sie konnten sich höchstens noch im Wasser treiben lassen, bis das Ende kam. Jim stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinen Mund von dem Wasser freizuhalten und sagte Valerie, sie möchte dasselbe tun.
»Was ist das?« flüsterte Julius plötzlich.
Sie hörten über sich ein Geräusch, als ob ein schweres Möbelstück gefallen wäre, dann eine Explosion gleich einem Donner. Das Wasser zitterte, und sie fühlten die Erschütterung. Die Explosion mußte ganz in der Nähe stattgefunden haben. Wenn die Polizei noch zur Zeit in die Burg kommen könnte! Es handelte sich um Minuten.
Dann hörte Jim über seinem Kopf ein Geräusch, und auf der Oberfläche des Wassers spiegelte sich plötzlich ein Lichtschimmer. Die Tür über ihnen öffnete sich!
Er streckte seine Hand aus, aber er mußte das andere Ende der Steintür durch das Wasser drücken.
»Savini! Valerie! Helft!« rief er, und ihre Hände vereinigten sich miteinander. Die Drehtür bewegte sich.
Oben im Zimmer war jemand, der am anderen Ende der Steintür drückte, um sie zu öffnen.
»Sind Sie alle dort?« fragte eine Stimme.
»Ja. Können Sie die Tür nicht noch etwas weiter aufdrücken?«
Sie sahen, wie eine Hand über den Steinrand faßte – eine braune, weiche Hand – und nun stand die Tür offen.
Fay war die erste, die hinauskam. Sie fiel erschöpft auf den Teppich vor dem Kamin hin. Julius war hinter ihr, und dann bahnte sich Lacy seinen Weg, der in seiner Todesangst rechts und links um sich schlug.
Valerie faßte das Ende des Steins, Julius half ihr nach oben. Sie schaute zurück. Jim war verschwunden. Sie starrte in das Wasser.
»Wo ist er –« rief sie entsetzt. »Dieser schreckliche Mensch hat ihn ins Wasser gestoßen!«
Julius warf Rock und Weste ab und stieg die Treppenstufen wieder hinunter. Er hatte keinen Platz zu schwimmen – er mußte tauchen. Er ging auch ohne Zögern in die Tiefe. Plötzlich berührte er einen Rock.
Mit aller Kraftanstrengung gelang es ihm, den bewußtlosen Featherstone auf die Treppe zu bringen. Gleich darauf zogen sie alle zusammen Jim ins Zimmer.
Als er die Augen wieder öffnete, sah er einen Soldaten mit dem Gewehr in der Hand. Das Bajonett blitzte im Schein der Lampen. Der Mann stand im Eingang und starrte auf Bellamy, der mit ausgestreckten Armen dalag. Zwei Pfeile waren durch sein Herz geschossen. Sie saßen so dicht beisammen, daß sie einander berührt haben mußten.
»Wer hat das getan?« fragte der Soldat.
Jim erhob sich mühsam und schaute sich um. Aber der Mann, der die Tür geöffnet und sie gerettet hatte, war verschwunden.
Mr. Howett begegnete ihnen unten in der Halle und nahm Valerie mit sich, damit sie den toten Chinesen nicht liegen sehen sollte. Jim überließ sie der Sorge ihres Vaters und ging in die Bibliothek zurück. Er fühlte sich schwach, und sein Kopf schmerzte. Lacys Schlag hatte ihn an der Schläfe getroffen, und er hatte unten die Besinnung verloren.
Das Wasser ergoß sich nun über den Fußboden und hatte schon den Gang zum Speisezimmer bedeckt. Jetzt strömte es auch in die Eingangshalle. Jim schickte einen Polizeibeamten aus, um die Wasserleitung abzustellen. Mit Jacksons Hilfe, der einer der ersten in der Burg war, hob er die Leiche Bellamys auf den Tisch und durchsuchte seine Taschen. Er war noch damit beschäftigt, als Spike Holland ins Zimmer trat.
»Ist er tot?«
Jim nickte.
»Er ist ganz tot – ich beinahe. Holen Sie eine Ambulanz und bringen Sie den da weg.«
Dabei zeigte er auf Lacy, der sich noch auf dem Flur wälzte.
Als Spike zurückkam, saß Jim auf dem Sofa neben dem toten Mann. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt.
»Wo ist Savini und seine Frau?« fragte Jim.
»Ich habe sie in mein Zimmer geschickt. Savini fragte mich, ob bei mir geheizt sei und ob Wasser Banknoten schaden könnte.«
Jim lächelte ein wenig.
»Wenn der Grüne Bogenschütze Bellamy getötet hat, so muß er noch im Hause sein,« sagte Spike, während er noch am Tisch saß und auf telephonischen Anruf von der Redaktion wartete. »Er konnte doch nicht durch den unterirdischen Gang kommen.«
»Welchen Gang meinen Sie? Etwa den unterirdischen, der von Lady's Manor hierherführt? Warum könnte er denn nicht von dort gekommen sein?«
»Weil alle Türen auf der Innenseite zugeriegelt sind. Sobald ich meinen Bericht zur Redaktion durchgegeben habe, möchte ich diese Sache untersuchen.«
»Diesmal habe ich den wirklichen Grünen Bogenschützen gefunden, Holland,« sagte Jim, als er sich etwas steif erhob.
»Ich habe ihn schon vor langer Zeit entdeckt,« erwiderte Spike selbstgefällig. »Es ist Mr. Howett, aber ich kann nicht sagen, ob ich die Sache so in Druck geben werde.«
»Wenn Sie das tun, dann drucken Sie eine große Lüge. Der Grüne Bogenschütze ist –«
Aber er änderte seine Absicht.
»Der Grüne Bogenschütze ist –?« drängte Spike. »Also Featherstone, nun sagen Sie mir doch noch ein wenig für meinen Artikel. Es ist noch genug Zeit für die Morgenausgabe.«
Jim ging zur Tür und schaute zurück.
»Vielleicht werde ich es Ihnen niemals sagen,« antwortete er.