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Sie schaute nur einen Augenblick auf die unheildrohende Gestalt, dann wandte sie sich um, floh in ihr Zimmer und schloß die Tür hinter sich zu. Es war unglaublich, unmöglich, sie konnte es nicht fassen. Ihr Vater! Und wer mochte sein Besucher gewesen sein?
Sie hörte draußen das leise Surren eines Motors, aber sie ging nicht zum Fenster, um hinauszusehen. Rein gefühlsmäßig wußte sie, daß der Fremde gegangen war und daß er es war, dessen Weinen sie gehört hatte. Mr. Howett – der Grüne Bogenschütze! Ihre Gedanken wirbelten durcheinander.
Sie hatte den Kopf in die Hände vergraben und bewegte sich nicht, als sie hörte, daß er in sein Zimmer ging und die Tür abschloß.
Am nächsten Morgen kam Valerie frühzeitig zum Frühstück herunter. Sie hatte böse Kopfschmerzen und fühlte sich todmüde. Aber sie war so gespannt auf die Erklärung ihres Vaters – sie konnte ihn sich nicht anders vorstellen als ihren wirklichen Vater. Er durfte unter keinen Umständen merken, daß sie sein Geheimnis wußte und sie begrüßte ihn, als ob nichts geschehen wäre.
»Dein Freund hat dich aber sehr lange aufgehalten, lieber Vater,« sagte sie, als sie ihm gegenüber Platz nahm. Er sah blaß und angegriffen aus und schien überhaupt nicht geschlafen zu haben.
»Du hast recht, Val,« erwiderte er leise, ohne ihr in die Augen zu sehen. »Ich versprach dir, gestern abend noch zu dir zu kommen. Ich . . . aber ich war so erschüttert. Sei nicht böse, wenn ich nicht weiter über die Sache spreche.«
»Nein, ich bin dir deshalb nicht böse,« sagte sie zärtlich, aber es kam nicht von Herzen.
»Ich glaube, du warst ein wenig erschrocken,« sagte er und kam selbst wieder auf das Thema zurück. »Und gerade das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Warst du in meinem Zimmer?«
Sie nickte.
»Du hast mein Bett leer gefunden – nun ja, das muß dich sehr bestürzt haben, ich hätte viel darum gegeben, wenn ich dich nicht aufgeweckt hätte.«
»War es ein wichtiger Besuch?«
»Ja, sehr wichtig,« antwortete er ernst. »Aber Valerie, ich liebe nicht, daß die Eier so serviert werden.«
Diese alte Klage brachte er unweigerlich vor, wenn er das Gespräch beim Frühstück ändern wollte. »Ich werde heute zur Stadt fahren.« sagte er dann und erhob sich vom Tisch. »Ich erwarte einen Herrn aus Philadelphia, den ich dringend sprechen muß, und es wird vielleicht spät werden, bis ich zurückkomme.
Er sprach so eingehend von seinem Besuch in London, daß sie fühlte, daß er ihr nicht den wirklichen Grund sagte. Aber sie fragte ihn nicht und wunderte sich offensichtlich nicht darüber, obwohl er ihr noch am Tag vorher gesagt hatte, daß nur schwere Krankheit ihn von seiner historischen Arbeit abbringen würde.
Einesteils war sie sehr froh, daß er fortging, denn sie hatte die Dienstboten viel zu fragen, und vielleicht konnte ihr eine genaue Untersuchung des Wohnzimmers einige Anhaltspunkte über die Person des Besuchers geben.
Mr. Howett fuhr gleich darauf fort. Spike sah es und eilte zum Haus.
»Ist irgend etwas passiert, Miß Howett?« fragte er ängstlich.
»Was für eine merkwürdige Frage für einen Schutzengel der Howetts!« sagte sie lächelnd.
»Ihr Schutzengel saß über Nacht in der Hecke und verlor das Bewußtsein.« Als sie ihn entsetzt anschaute, erklärte er ihr in verständlicher Sprache, daß er fest eingeschlafen sei. »Ich hatte mich schlecht für meine Wache präpariert, es passieren tagsüber soviel interessante Dinge, daß ich immer erst daran denke, mich zu Bett zu legen, wenn ich auf Patrouille gehen muß. In der Burg ist allerhand vorgekommen.«
»Was ist denn geschehen?«
»Der Grüne Bogenschütze war in der letzten Nacht wieder unterwegs, und als Bellamy heute morgen aufwachte, fand er seine Hunde schlafend auf dem Gang.«
»Sind sie betäubt worden?« fragte sie überrascht.
Spike nickte.
»Ich habe eben Julius gesprochen. Er sagt, daß der Alte die Hunde in Zukunft in sein Schlafzimmer einsperren wird. Er ist ganz aus dem Häuschen vor Wut, hat alle Diener aufgeweckt, gefragt und verhört und schließlich hat er gedroht, daß er die Polizei rufen wird.«
»Der arme Mr. Savini muß in einer schrecklichen Lage sein!« meinte Valerie mitfühlend.
»Im Gegenteil, ich habe ihn noch nie so keck und lebendig gesehen. Er faßt die ganze Angelegenheit als einen Scherz auf und sagt, der Grüne Bogenschütze hätte die Hunde vergiften sollen, statt ihnen nur ein Betäubungsmittel zu geben. Ihr Vater ist heute morgen sehr früh weggefahren, Miß Howett?«
»Ja, er hat eine Verabredung in London.«
»Julius auch,« platzte Spike heraus. »Nebenbei bemerkt habe ich Featherstone heute morgen telephonisch gesprochen.«
»Mr. Holland, ist heute früh ein Auto an Ihnen vorbeigefahren?«
»Ja,« sagte er sofort. »Es war ein Delarge-Zweisitzer. Ich bin davon aufgewacht. Der Wagen war ganz geschlossen, obwohl es nicht regnete. Ich wunderte mich schon, woher er in aller Frühe schon käme. Aber warum fragen Sie mich danach?«
»Ich sah ihn hier an meinem Fenster vorbeifahren, ich bin auch davon aufgewacht,« log sie ihm vor. »Haben Sie gesehen, wer den Wagen steuerte?«
»Ich sah das Auto nur ganz kurz, das Licht des Scheinwerfers weckte mich auf. Sie müssen aber einen sehr leisen Schlaf haben, Miß Howett, der Wagen fuhr fast geräuschlos und machte viel weniger Lärm als irgendein anderer großer Wagen, den ich in der letzten Zeit gesehen habe. Ich war erstaunt, daß eine Dame am Steuer saß. Sie hatte einen langen Mantel an, aber ich habe sie nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen.«
»War sonst niemand im Wagen?«
»Das kann ich nicht beschwören. Aber warum erkundigen Sie sich nach all diesen Dingen, Miß Howett?« fragte er argwöhnisch. »Ist in Lady's Manor letzte Nacht etwas passiert?«
»Nein,« sagte sie hastig. »Ich war nur neugierig, wer in so früher Morgenstunde hier vorbeifahren würde.«
Als Spike gegangen war, begann sie vorsichtig die Dienstboten auszufragen, aber sie konnte nichts Neues herausbringen. Auch im Wohnzimmer fand sie keine weiteren Anhaltspunkte oder Spuren des Besuchs. Sollte sie das Zimmer ihres Vaters durchsuchen? Aber die Anhänglichkeit dem Manne gegenüber, der sie liebevoll großgezogen hatte, bestimmte sie, diese Absicht aufzugeben.