Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

51

Das Entsetzen, das ihm diese Entdeckung einjagte, machte ihn plötzlich nüchtern. Er kam aus dem dunklen Raum heraus und rief einen Matrosen an.

»Wer hat die Tür aufgemacht?« fragte er.

»Ich habe ihm noch vor zwei Stunden Essen gebracht,« antwortete der Mann.

»Haben Sie denn die Tür nicht hinter sich geschlossen?«

»Ja – er wollte Wasser haben und ich ging, um ihm eine Kanne zu holen – ein paar Augenblicke war die Tür offen.«

Coldharbour Smith steckte ein Streichholz an und suchte Savinis Gefängnis noch einmal genau ab. Wie er erwartet hatte, lagen die Handschellen und der Strick, mit dem Julius gefesselt war, auf dem Boden. Smith ging schnell über das Bootsdeck zum Kapitän, den er im Kartenzimmer fand.

»Emil, wie lange dauert es noch, bis du abfahren kannst?«

»In zwei Stunden,« sagte der kleine Spanier. »Aber mein lieber Freund, sieh doch bloß mal diesen teuflischen Nebel an!«

Dichter Dunst lag über der Themse, und die Lichter, die man sehen konnte, erschienen nur als trübe Punkte.

»Das ist alles ganz egal. Kannst du nicht gleich losmachen?«

»Ausgeschlossen!« Der Spanier wurde aufgeregt. »Außerdem haben wir noch nicht genügend Dampf. Vielleicht in einer Stunde. Aber wenn der Nebel dichter wird, was soll ich dann machen?«

»Durchfahren!« brüllte Coldharbour. »Du kennst doch den Fluß – also schnell auf hohe See!«

Er ging zu dem Salon zurück, sah die verschlossene Tür von Valeries Schlafkabine, setzte sich in einen Sessel nieder und überdachte seine Lage. Wenn Julius zur Küste entkommen war . . .

Coldharbour Smith nahm seinen Revolver aus der Tasche und legte ihn vor sich auf den Tisch.

Von Valerie war nichts zu hören – es tat ihm jetzt leid, daß er sie so eingeschüchtert hatte. Aber seine Gedanken beschäftigten sich hauptsächlich mit Julius. Wo mochte er sein? Wenn er an Land war, kam die Sache zum Klappen.

Aber vielleicht war er noch an Bord, es gab ja hier viele Plätze, an denen sich ein Mann wie er verstecken konnte.

Mit diesem Gedanken ging er wieder an Deck und schaute in den dicker werdenden Nebel. Er sah ein Boot langsam auf das Schiff zukommen. Es saß nur ein Mann darin, das bedeutete also keine Gefahr. Möglicherweise war es einer der Matrosen, der von Land zurückkam. Als er den einsamen Ruderer weiter beobachtete, fand er, daß er unter dem Bug des Dampfers durchfuhr und wieder im Nebel verschwand.

Smith ging wieder zum Salon zurück und setzte sich an das Ende des Tisches, von wo aus er die offene Tür überschauen konnte.

Er fühlte instinktiv, daß sich etwas ereignen würde. Wenn er jetzt wirklich in Gefahr kommen sollte, würde er mit dem Mädchen da drin kein Mitleid mehr haben. Wenn man ihn vor Gericht stellte, dann sollten die Leute auch Grund dazu haben.

Er strengte seine Ohren an, ob er irgendwie vom Strom her ein Ruder- oder Motorboot oder eine Stimme hörte, die die ›Contessa‹ anrief. Beim ersten Anzeichen dafür, daß Featherstone an Deck kommen würde, wollte er sofort die Türe versperren und verriegeln . . .

Er saß nachdenklich da, während die Minuten verrannen. Er hörte, wie der Kapitän Befehl gab, den Anker zu lichten. Plötzlich vernahm er ein leises Geräusch, als ob sich jemand ohne Schuhe über das Deck bewegte. Er schaute auf und starrte einen Augenblick lang entsetzt auf die Erscheinung. Dann fuhr er mit der Hand nach dem Revolver . . .

Das Motorboot, das seinen Weg durch den Nebel bahnte, fuhr geradenwegs auf die »Contessa« zu.

Jim ahnte, was an Bord vorging und hatte Instruktion gegeben, den Motor sofort abzustellen, wenn man das Schiff sehen konnte.

Lautlos glitt das Boot an die Seite des Dampfers. Jim war in wenigen Sekunden an Bord, die Leute von der Flußpolizei folgten ihm. Die Decks waren leer, die Tür zu dem Salon war geschlossen.

»Gehen Sie und vergewissern Sie sich des Kapitäns,« flüsterte Jim. Ein Beamter stieg die Eisenleiter zum Bootsdeck empor.

Jim ging vorsichtig zur Tür des Salons und drückte leise die Klinke herunter. Zu seiner Freude öffnete sich die Tür. Er trat ein. Der Salon war nicht erleuchtet, und es war kein Laut zu hören. Schnell zog er seine Taschenlampe heraus und leuchtete die Wände des Raumes ab. Plötzlich entdeckte er die Türe zur Schlafkabine Valeries und schloß sie rasch auf. Es brannte ein Licht in der Kabine, Valeries Pelz lag auf dem Bett. Aber sie selbst war weder hier noch in dem anstoßenden Raum.

Er kehrte zum Salon zurück und ließ das Licht über den Tisch gehen. Aber plötzlich sprang er zurück und hob seinen Revolver. Er hatte die Gestalt eines Mannes auf einem Stuhl am Tischende sitzen sehen.

»Hände hoch!« rief er und beleuchtete die Gestalt mit seiner Lampe.

In dem grellen Licht erkannte er Coldharbour Smith. Er lag zurückgelehnt im Sessel, eine Hand lag auf der Tischplatte, als wollte sie nach der Pistole greifen. Seine gebrochenen Augen starrten nach dem offenen Deckenfenster.

Er war tot, und aus seiner Brust ragte ein grüner Pfeil.


 << zurück weiter >>