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Schiffe und alles, was dazu gehört, waren für Julius Savini ein tiefes Geheimnis. Er hatte allerdings schon einige Seereisen gemacht, aber er war noch niemals an Bord eines Dampfers wie die »Contessa« gewesen. Als er die Kajüte des Vorderschiffes erreichte, schaute er sich um. Eine Eisenleiter, die zu dem oberen Bootsdeck führte, schien ihm die günstigste Gelegenheit zu geben, sich zu verbergen. Schnell eilte er die Stufen empor. Seine Verteidigungswaffe trug er unter dem Arm, – es war ein Schwert mit kurzer Klinge, das er vor einer Viertelstunde einem kleinen Jungen abgenommen hatte. Es war alt, aber es hatte doch eine scharfe Spitze, und obgleich die Schneide manche Scharte aufwies, hätte man es doch im Falle der Gefahr als gefährliche Waffe gebrauchen können. Er wollte den Knaben bezahlen, aber da er gerade nicht das nötige Kleingeld besaß, hatte er es ihm einfach weggenommen und war damit davongeeilt. Die schreienden und schimpfenden Jungen liefen hinter ihm her, aber er entkam zu der kleinen Werft, von der Valerie zur »Contessa« gefahren war. Dort fand er ein kleines Ruderboot und machte sich damit auf den Strom. Er kam an dem Fahrzeug vorbei, das zur Werft zurückfuhr, um Coldharbour Smith abzuholen.
Julius war allerdings kein Fechter, auch war er sonst nicht mit Waffen vertraut, aber der Besitz dieses kleinen Säbels brachte ihm das Gefühl des Mutes und der Sicherheit, das er in diesem kritischen Augenblick so notwendig brauchte. Er war sich selbst nicht recht darüber klar, was er tun sollte. Valerie Howett war mit Lacy zusammen an Bord des Schiffes gegangen, und von Lacy wußte er aus früherer Zeit genug. Er hatte ihn sofort wiedererkannt, als er mit dem Wagen durch Garre fuhr. Er wußte, daß er ein Komplize von Coldharbour Smith war und mit diesem zusammenarbeitete. Vielleicht hatte die Sucht nach persönlichem Vorteil Julius dazu veranlaßt, so kühn auf den Gepäckhalter des Autos zu springen. Er überlegte sich in seinem dunklen Versteck oben auf Deck, was ihn zu dieser Tat getrieben hatte.
Aber dann kam doch die Sicherheit über ihn, daß er aus menschlichem Mitgefühl gehandelt hatte.
Die Nacht war eben erst hereingebrochen, und er dachte darüber nach, was er jetzt tun sollte. Coldharbour Smith war an Bord, und auch andere Leute waren noch gekommen: ein Motorboot mit vier Mann Besatzung. Er hatte sie undeutlich bemerkt, als sie an der Seite des Schiffes anlegten, aber er wußte nicht, wer sie sein konnten.
Nach einiger Zeit hörte er das Boot wieder abfahren und schlich vorsichtig hinter dem Schornstein auf dem Bootsdeck entlang. Er hatte einen schmalen Lichtschimmer entdeckt und als er näherkam, erkannte er, daß er aus einem in den Boden eingelassenen Fenster hervorkam, das mit undurchsichtigem, gerilltem Glas geschlossen war. Leise hob er eine Ecke des Fensters ein wenig an, so daß er die eine Ecke eines unsauberen Salons sehen konnte. Julius hätte sich in seiner Erregung beinahe verraten, denn die erste, die er sah, war Valerie Howett! Sie saß auf einem Stuhl am Ende eines ungedeckten Tisches, und ein Blick in ihr weißes Gesicht mit den zusammengepreßten Lippen sagte ihm alles, was er wissen wollte.
Er hatte sich unangenehmer Gedanken nicht erwehren können. Es wäre ja möglich gewesen, daß sie Lacy freiwillig gefolgt wäre, und daß all seine Anstrengungen und die Gefahren, die er auf sich genommen hatte, umsonst waren. Aber nun durchschaute er die Sache. Coldharbour Smith saß an ihrer rechten Seite. Seine beringten Hände lagen auf dem Tisch, und er hatte ihr sein böses Gesicht zugekehrt. Sie sprachen miteinander, aber das Rauschen des Wassers war so laut, daß Julius kein Wort verstehen konnte. Er fand einen Messinghaken, der offensichtlich dazu diente, das Fenster offenzuhalten. Mit großer Anstrengung befestigte er ihn, legte sich dann platt auf den Boden und lauschte angestrengt.
Coldharbour konnte ihn unter keinen Umständen sehen. Der Salon unten wurde nur durch eine einfache Petroleumlampe erhellt, die obendrein noch durch einen Schirm abgeblendet war, der alles Licht nach unten auf den Tisch warf.
»Wir werden morgen abend abfahren,« sagte Smith. »Sie können es sich aus dem Kopf schlagen, daß Ihr Freund Featherstone noch im letzten Moment kommt und Sie von hier wegholt. Sie wissen doch, was das für mich bedeutet, wenn Sie gefunden werden?«
Sie wandte ihren Kopf nicht um, sondern starrte nur ins Leere.
»Dafür werde ich lebenslänglich ins Gefängnis gesteckt. Lieber würde ich mich aufhängen lassen! Hüten Sie sich, mir irgendwelche Schwierigkeiten zu machen!«
»Wenn Sie Geld haben wollen –« sagte sie, »so kann ich Ihnen mehr geben als –«
»Hat gar keinen Zweck! rief Smith verächtlich. »Ich habe soviel Geld als ich brauche. Sie glauben doch nicht etwa, daß Sie mich beschwatzen können, Sie laufen zu lassen? Schon eine halbe Stunde, nachdem ich Sie losgelassen hätte, wären Sie auf der Polizei gewesen und hätten mich angezeigt und ich hätte den Schaden davon. Sie scheinen das Gefängnis in Dartmoor nicht zu kennen, sonst wüßten Sie, daß ich es nicht riskieren will, dorthin zu kommen. Amerikanische Gefängnisse sind Paläste, wo die Menschen auch menschenwürdig behandelt werden. Aber Dartmoor ist die Hölle – nein, ich setze meinen Plan durch oder ich lasse mich aufhängen. Hatte eigentlich schon immer im Sinn, mich einmal häuslich niederzulassen,« fuhr er fort, »habe aber noch nie das richtige Mädchen gefunden, mit dem ich einen Hausstand hätte begründen mögen. Wir können an Bord des Schiffes heiraten. Jeder Kapitän kann die Trauung vollziehen, sobald das Schiff drei Seemeilen vom Land entfernt ist. Wenn Sie nicht heiraten wollen, so ist das Ihre Sache.«
»Das ist Abel Bellamys Werk,« sagte sie so leise, daß Julius es kaum hören konnte.
»Wir wollen hier keine Namen nennen, ich weiß nur, daß Sie mich auf der Reise begleiten werden, und ich glaube, daß Sie zur Vernunft gekommen sind, wenn wir unseren Bestimmungsort erreicht haben.«
Er erhob sich und schaute auf sie hinunter.
»Sie heißen doch Valerie – so werde ich Sie von jetzt ab nennen – und Sie können mich ja Coldharbour nennen oder lieber Harry, so heiße ich.«
Er wartete auf eine Antwort, aber sie schaute ihn nicht einmal an.
Dann setzte er seinen Hut wieder auf – es war ein großes Zeichen von Hochachtung, daß Coldharbour Smith ihn überhaupt in Gegenwart der jungen Dame abgenommen hatte. Gleich darauf schritt er zur Türe.
»Hinter dem Vorhang ist eine Schlafkabine und eine Waschtoilette. Es ist für allen Komfort auf diesem Schiff für Sie gesorgt, Sie können über alles verfügen.«
Er warf die Tür hinter sich ins Schloß und drehte den Schlüssel um. Julius wartete, bis er gegangen war, dann öffnete er das Deckfenster so weit wie möglich, schlüpfte hindurch und sprang auf den Tisch. Valerie war starr vor Schrecken.
»Sprechen Sie nicht,« flüsterte er ihr zu.
»Mr. – Mr. – Savini –« stammelte sie.
»Sprechen Sie nicht!« zischte Julius noch eindringlicher.
Er zog schnell seine Schuhe aus und ging zur Türe. Es war zwar nichts zu hören, aber Coldharbour Smith konnte jeden Augenblick zurückkommen. Schnell ging er zum Tisch zurück und löschte die Lampe aus. Die Kabine lag nun vollkommen im Dunkel und er tastete sich an der Tischkante entlang zu dem Stuhl Valeries.
»Ich bin hinten auf dem Wagen mitgefahren,« erklärte er schnell.
»Können Sie mich von hier befreien?« fragte sie ebenso leise.
»Ich hoffe, aber ich weiß es noch nicht sicher.« Er schaute zu dem Deckfenster. »Sie könnten dort oben hinaus, aber es wird leichter sein, die Tür aufzubrechen oder solange zu warten, bis Smith zurückkommt und aufmacht. Sicherlich kommt er noch einmal her, bevor er sich zur Ruhe niederlegt.«
Sie warteten eine ganze Stunde, aber Smith kam nicht zurück. Julius mühte sich ab, das Schloß mit der Spitze seines alten Säbels aufzubrechen, aber nach einer Weile gab er den vergeblichen Versuch wieder auf.
»Ich bringe es nicht fertig.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie müssen oben durch das Dachfenster, Miß Howett, oder Sie bleiben hier eingeschlossen.«
Aber noch während er dies sagte, hörten sie einen schweren, schlürfenden Schritt oben auf dem Bootsdeck. Der Strahl einer Laterne kam von oben herein, jemand bückte sich und plötzlich fiel das Fenster krachend zu. Noch schlimmer war es, als sie hörten, wie der Mann oben einen Riegel vor das Fenster schob, so daß jede Möglichkeit, nach dort zu entkommen, entschwand.
»Der Weg wäre uns also abgeschnitten,« sagte Julius. »Ich fürchte, ich muß warten, bis Coldharbour kommt. Legen Sie sich ruhig nieder und schlafen Sie etwas, Miß Howett. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er jetzt noch nicht kommt.«
Es dauerte ziemlich lange, bis er sie überredet hatte, seinem Rat zu folgen, aber schließlich ging sie doch. Sie fand ein kleines Licht in der Kabine hinter dem Vorhang, das Bett war gemacht, und die Bezüge waren sauber. Die ganze Lagerstatt sah einladend aus. Sie legte sich nieder und erwartete nicht, daß sie auch nur einen Augenblick schlafen könnte. Aber kaum hatte sie die Augen geschlossen, als sie auch schon in tiefen Schlaf fiel. Julius Savini hatte einen Stuhl gegen die Tür gestellt und sich dort niedergelassen. Das kleine Schwert lag über seinen Knien. Seine Kleidung war unordentlich, seine Augen waren müde, und alle Glieder taten ihm weh. Er schlief kurze Zeit, dann wachte er wieder auf. So verging die Nacht, und der Tag brach an. Das Deckenlicht zeigte sich erst grau, dann weiß, und schließlich schien das goldene Sonnenlicht hindurch. Plötzlich wurde das Fenster aufgerissen, und das Gesicht von Coldharbour Smith erschien in der Öffnung.
»Guten Morgen, mein kleiner Liebling,« begann er. Dann sah er plötzlich Julius und verschwand.
Julius Savini, der auf alles gefaßt war, hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Er war bereit, Coldharbour Smith anzuspringen, aber plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, und Julius sah sich plötzlich der Mündung einer Pistole gegenüber.
Vor dieser stärkeren Waffe ließ er die Hände sinken.
»Wir wollen uns einmal ein wenig unterhalten, Julius! Vor allen Dingen wird der Säbel auf den Tisch gelegt!«
Savini mußte wohl oder übel gehorchen.
»Was hat das alles zu bedeuten? Wer hat Sie denn hierhergeschickt?«
Julius war groß im Erfinden von Ausreden und hatte schon eine Lüge bei der Hand.
»Der Alte,« sagte er nachlässig. »Er hat schon Unannehmlichkeiten wegen des Mädels gehabt und gab mir den Auftrag, an Bord zu gehen, um mit Ihnen zu reden. Er will haben, daß Sie sie gehen lassen.«
Smith grinste.
»Da soll mich doch der Teufel holen, wenn ich das tue! Aber wenn er Sie an Bord geschickt hat, warum kamen Sie denn nicht geradenwegs zu mir?«
»Ich konnte Ihre Kabine nicht finden, und schließlich dachte ich, Sie wären hier drinnen und sprang herein, weil ich nicht wollte, daß mich die Matrosen sehen sollten. Kaum war ich hier unten, als jemand das Deckfenster schloß.«
Smith nickte.
»Ich habe den Befehl gegeben, es zu schließen. Aber ich hatte keine Ahnung, daß ich solch einen seltenen Vogel wie Sie fangen würde. Bellamy will also, daß ich sie wieder an Land bringe? Hat er denn auch Vorkehrungen getroffen, daß ich wegen der ganzen Sache nicht in Unannehmlichkeiten komme? – – Sie lügen, Julius!« Bei diesen Worten sah er ihn scharf an. »Ihre Kleider sind ganz mit Schmutz bedeckt – und was wollen Sie denn mit dem Säbel da? Ich werde Sie mal erst hier festsetzen und mich bei dem Alten erkundigen, was das mit Ihnen zu bedeuten hat! Für Geld machen Sie ja alles!« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Sagen Sie, hat Featherstone Sie hierhergeschickt?« Er schlug sich auf den Schenkel. »Sicher, jetzt hab ich's! Sie sind ein Lockspitzel! Na, das überrascht mich gar nicht.«
Er stieß einen schrillen Pfiff aus, und ein dunkler Matrose kletterte die Verbindungsleiter herunter. Smith sprach leise mit ihm. Dann ging der Mann fort und kam mit einem Paar rostigen Handschellen zurück.
»Manchmal mache ich so ein bißchen Polizeiarbeit auf eigene Faust,« sagte Coldharbour Smith, »strecken Sie die Hände aus, daß ich sie Ihnen anlegen kann.«
Die Eisen schnappten über Julius Handgelenken ein. Dann wurde er von den Matrosen nach vorne über das Deck gebracht und mußte durch die kleine Falltür in den dunklen Raum klettern, wo die Ankerketten aufbewahrt wurden.
»Setzen Sie sich mit dem Rücken zu der Öffnung,« befahl Smith, und als Julius gehorchte, band Smith ihm die Füße zusammen. »Wenn der Alte bestätigt, daß Sie die Wahrheit gesagt haben, werde ich mich bei Ihnen entschuldigen,« sagte er fast liebenswürdig. »Aber inzwischen bleiben Sie hier, und ich werde mir noch überlegen, was ich mit Ihnen mache, wenn wir erst auf See sind.«
Er warf die Falltür zu und legte den eisernen Bolzen vor. Julius grinste, denn die Handschellen waren viel zu weit für ihn, und er hatte bereits seine Fesseln abgestreift, bevor Coldharbours Schritte vollständig verhallt waren.