Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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28

Die Dienstboten von Lady's Manor erklärten sich die häufige Anwesenheit ihrer jungen Herrin in der Küche innerhalb so kurzer Zwischenräume damit, daß das Haus für sie eben eine Art neues Spielzeug war.

»Jetzt fragt das junge Fräulein schon das drittemal, warum die Kellertür letzte Nacht verschlossen war,« sagte der Koch. »Und die Kellertür ist doch nicht verschlossen.«

»Sie hat einen Riegel innen gefunden, ich habe ihn nie vorher gesehen,« sagte das Küchenmädchen.

»Sie sind ja auch erst ganz kurze Zeit hier. Es wird noch eine Menge Dinge im Hause geben, die Sie nicht gesehen haben. Ich habe den Riegel gleich am ersten Tag bemerkt, als ich meinen Dienst hier antrat.«

In diesem Augenblick kam Valerie zurück.

»Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen Umstände machen will, aber ich möchte den Kohlenkeller einmal besichtigen.« Sie hatte ihre elektrische Taschenlampe in der Hand.

»Sie werden sich ganz staubig machen, gnädiges Fräulein,« warnte sie das Mädchen, aber Valerie ließ sich dadurch nicht abschrecken.

Über ein Dutzend Treppenstufen führten zu einem großen Keller. In einer Ecke war ein Haufen Kohlen aufgeschüttet, die durch eine äußere Luke hineingeworfen worden waren. Von dem Gewölbe führten drei Türen in andere, scheinbar in sich abgeschlossene, kleine Zellen. Eine war von einem früheren Bewohner des Hauses als Weinkeller eingerichtet worden, in der zweiten standen leere Flaschen und alte Kisten. Die dritte Tür war verschlossen. Valerie sah aber, daß das Schloß neu war. Durch eine kleine vergitterte Öffnung konnte sie einen Blick in das Innere tun. Sie leuchtete mit ihrer Lampe hinein und versuchte zu sehen, welche Schätze wohl in dem Raum enthalten sein mochten. Aber außer einem großen, schwarzen Koffer war nichts zu entdecken. Sie ging zurück und holte alle Schlüssel, die sie finden konnte, um die Tür zu öffnen. Aber all ihre Bemühungen waren vergeblich. Vielleicht war es auch gar nicht der Mühe wert, den alten Koffer zu besichtigen, der scheinbar von einem früheren Besitzer des Hauses als wertlos zurückgelassen worden war.

Als sie in die Küche zurückkam, hörte sie herzhaftes Gelächter, das plötzlich verstummte, als sie eintrat.

»Entschuldigen Sie bitte, gnädiges Fräulein,« sagte der Koch, »aber ich erzählte gerade Käthe von dem merkwürdigen Namen, den unser Keller hier im Dorfe hat. Wir sind hier alle altmodische Leute, und wir brauchen noch die alten Namen. Die Burg nennen wir immer nur ›Curcy‹ nach den früheren Herren, die Hunderte von Jahren hier gesessen haben.«

»Und wie ist denn der merkwürdige Name für den Keller?« fragte Valerie lächelnd.

»Man nennt ihn ›Lippfad‹, ich glaube aber, daß es richtiger ›Liebespfad‹ heißen soll.«

»Aber warum in aller Welt heißt er so?« fragte Valerie.

Doch der Koch konnte ihr keine Auskunft darüber geben.

Nach all den Erfahrungen der letzten Zeit sah Valerie ihrem Besuch in Garre Castle mit gemischten Gefühlen entgegen. Sie hatte noch niemals mit Abel Bellamy gesprochen, obwohl sie ihn oft genug gesehen hatte. Sie war gespannt, ob sie wohl fähig sein würde, den Haß und Widerwillen, den sie gegen ihn fühlte, nicht durch ihren Gesichtsausdruck oder durch ihre Blicke erkennen zu lassen. Sie hätte ihn schon früher öfter sprechen können, aber aus Furcht, sich selbst zu verraten, hatte sie jede Begegnung mit ihm vermieden. Ein Zusammentreffen mit ihm erschien ihr jetzt weniger schrecklich, weil sie vollständig mit der Entdeckung beschäftigt war, die sie heute morgen über Jim Featherstone gemacht hatte.

Ihre Gedanken verwirrten sich immer weiter, je mehr sie darüber nachdachte. Welchen Zweck konnte er damit verfolgt haben? Vergeblich suchte sie nach einer Erklärung. Wenn Bellamy von der Polizei verdächtigt wurde, gab es doch genug andere Mittel und Wege, ihn zu beobachten? Sie kannte die Methoden der Polizei und wußte, daß die Behörden nicht zögern würden, in Garre Castle eine Haussuchung vorzunehmen, wenn sie begründeten Verdacht gegen Bellamy hätten. Warum maskierte er sich denn als Grüner Bogenschütze? Sie schüttelte hoffnungslos den Kopf und war froh, als Spike kam, um sie abzuholen.

Julius Savini erwartete sie in dem Pförtnerhaus.

»Bellamy hat nichts von Ihnen erwähnt, Mr. Holland,« sagte er. »Es ist wohl besser, daß ich Ihretwegen erst nach oben telephoniere.«

»Unterlassen Sie das,« erwiderte Spike. »Ich kann nicht gestatten, daß Miß Howett ohne meine Begleitung Garre Castle betritt. Ich habe eine Verantwortung für sie übernommen, die ich keinem anderen überlassen kann, Savini.«

Julius erlaubte schließlich dem Zeitungsreporter, Valerie zu begleiten. Offenbar hatte auch Bellamy mit seinem Besuch gerechnet, denn er zeigte sich nicht im mindesten verwundert, als er Spike sah.

Er kam aus der Halle und begrüßte Valerie. Sie nahm sich zusammen und schaute ihm voll ins Gesicht, obwohl sie entsetzt war über seine außerordentliche Häßlichkeit, sein rotaufgedunsenes Gesicht, seine unförmige Gestalt und die unheimliche Stärke, die sich in seinen breiten Schultern ausdrückte. In diesem Augenblick konnte sie ihn nicht hassen. Es war etwas Übermenschliches in seiner Erscheinung, das seine vielen Verbrechen und Vergehen, seinen unermeßlichen Haß und seine Bosheit erklärte. Dies Gefühl empfand Valerie, als sie Abel Bellamy zum erstenmal gegenüberstand.


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