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Abel Bellamy schien nicht zu verstehen, und Featherstone wiederholte seine Worte.
»Sie sind ein Polizeibeamter,« sagte der Alte schließlich. Er war wieder vollständig gefaßt und seine Selbstbeherrschung war bewunderungswürdig. »Ich habe Ihren dienstlichen Auftrag nicht gesehen, aber ich vermute, daß er stimmt. Ich warne Sie aber, Featherstone, oder wie Sie sonst heißen! Ich werde Sie anzeigen, und diese Sache wird Ihnen teuer zu stehen kommen. Ich bin amerikanischer Bürger –«
»Die Frau, die wir suchen, ist auch eine amerikanische Bürgerin,« sagte Featherstone scharf.
Er öffnete eine Tür, und zu Bellamys Überraschung und Wut standen etwa ein Dutzend Männer in der Halle.
»Was, Sie überfallen mich hier?« fragte er rauh. »Nun gut, fangen Sie an und sehen Sie zu, was Sie finden können.«
Featherstone streckte die Hand aus.
»Ihre Schlüssel,« sagte er mit festem Ton.
»Ich werde Ihnen die Räume zeigen –«
»Ich will Ihre Schlüssel. Machen Sie keinen Unsinn, Mr. Bellamy. Hier liegt eine amtliche Handlung vor.«
Bellamy zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.
»Ich will auch den Schlüssel haben, den Sie immer an der Kette bei sich tragen.«
Einen Augenblick war der große Mann starr, dann löste er die Kette und warf ihm den Schlüssel zu.
»Welche Tür öffnet er?«
»Den Geldschrank,« brummte Bellamy. »Brauchen Sie keine Führung? Soll ich Ihnen sagen, wo der Geldschrank steht?«
»Die Mühe können Sie sich sparen,« entgegnete Featherstone eisig. Er ging zu einer Stelle neben dem Kamin, faßte an das Gesimse des Holzpaneels und zog daran. Es zeigte sich eine Öffnung, hinter der eine schwarzlackierte Stahltür sichtbar wurde. Er schob den Schlüssel ins Schloß, drehte zweimal um, faßte an den schweren Handgriff und öffnete die Tür. Der Geldschrank enthielt eine Anzahl von Schubfächern mit Stahlkassetten. Er fand keine Bücher, aber in einem offenen Fach lag eine Ledermappe.
»Haben Sie die Schlüssel zu den Schubfächern?«
»Sie sind nicht verschlossen.«
Featherstone nahm eine der Schubladen heraus und stellte sie auf den Tisch. Es lagen Papiere und Dokumente darin.
»Es ist wohl besser, Mr. Bellamy, wenn Sie in Ihr Zimmer gehen. Ich habe einige Stunden hier zu tun – Sie können sich als verhaftet betrachten, solange ich das Gebäude durchsuche.«
Er hatte eigentlich erwartet, daß Bellamy Widerstand leisten würde, aber in dieser Beziehung war er doch zu vernünftig.
»Wenn Sie fertig sind, lassen Sie es mich wissen. Ich hoffe, Sie sind ein besserer Polizeibeamter als Hausmeister.« Mit diesen Worten ging er aus der Bibliothek und wurde von einem der Leute in sein Schlafzimmer gebracht.
Eine Stahlkassette nach der andern wurde geleert und der Inhalt sorgfältig untersucht. Die Dokumente waren meistens alte, abgearbeitete Bankkontrakte, bei denen Bellamy viel verdient hatte. Plötzlich rief Featherstone seinen Assistenten zu sich.
»Jackson, kommen Sie einmal her.«
Der Sergeant trat eilig zu seinem Vorgesetzten.
»Sagen Sie einmal, was ist dies?« fragte Featherstone.
Es war ein ungefähr vierzig Zentimeter langer Stock, der von drei breiten Filmstreifen bedeckt war. Er war so dick, daß Featherstone ihn kaum umspannen konnte. Als er den Stab hochhielt, fielen von dem einen Ende lange Peitschen schnüre herab, die zweimal so lang waren als der Griff selbst. Die Enden der Stricke waren mit gelber Seide abgebunden. Er ließ sie durch seine Finger gleiten, es waren im ganzen neun und sie waren mit dunklen Flecken beschmutzt.
»Was halten Sie davon, Jackson?«
Der Sergeant nahm die Peitsche in die Hand.
»Das ist eine neunschwänzige Katze, mein Herr.« Er betrachtete den Griff und las auf einer verblaßten roten Marke mit einer eingepreßten Krone die Worte: Eigentum der Gefängnisdirektion.«
»Das ist zweifellos ein Geschenk Creagers,« sagte Featherstone.
Er schaute auf die Stricke, die Flecken waren sehr alt und sein fachkundiger Blick sagte ihm, daß die Peitsche nur einmal gebraucht worden war, denn die Knicke in den Schnüren waren noch deutlich sichtbar.
Er wunderte sich über die Geisteskraft Bellamys, der dieses grausame Erinnerungsstück als einen heiligen Schatz verwahrte und sich an dem Schmerz weidete, den es einem armen leidenden Wesen bereitet hatte. Er legte die »neunschwänzige Katze« weg und wandte seine Aufmerksamkeit den andere« Schubladen zu. Er hoffte, ja er erwartete, etwas zu finden, das ihn auf die Spur der verschwundenen Mrs. Held bringen könnte. Aber er fand nichts. Bellamy schien nur ein Paket Privatbriefe verwahrt zu haben, die alle mit »Michael« unterschrieben waren und aus verschiedenen Städten in den Vereinigten Staaten stammten. Drei waren aus Chicago gesandt worden, aber die Mehrzahl stammte aus New York. Die ersten Briefe handelten von den Schwierigkeiten des Absenders, seine Stellung zu halten. Aus den Schreiben ging hervor, daß er Lehrer und Bellamys Bruder war. Die ersten Briefe waren in freundlichem Ton abgefaßt, und Featherstone konnte aus ihnen nicht nur den Lebenslauf des Mannes feststellen, sondern auch eine Wandlung, die mit ihm vorgegangen war. Michael hatte scheinbar in der ersten Zeit Erfolg gehabt und sich ein Vermögen erworben. In Cleveland hatte er größeren Grundbesitz erworben und sich nebenbei dem Maklergeschäft gewidmet.
Von dieser Zeit ab änderte sich der Ton der Briefe. Michael Bellamy war in Schwierigkeiten geraten und hoffte, daß ihm sein Bruder helfen würde. Zu spät erkannte er, daß Abel, dem er traute und auf dessen Zuneigung und Hilfe er baute, hinter der Organisation stand, die ihn planmäßig ruinierte. Der bezeichnendste Brief war der letzte.
»Lieber Abel,
Ich bin sehr erstaunt über die Nachrichten, die ich von Dir erhielt. Was habe ich Dir denn getan, daß Du mich so kaltblütig zugrunde richtest? Willst Du mir nicht um meines kleinen Sohnes willen in allerletzter Stunde helfen, daß ich alle die Ansprüche meiner Gläubiger befriedigen kann?«
Um seines Sohnes willen! Der arme Michael Bellamy hätte keinen nutzloseren Versuch machen, nichts schreiben können, was Abels Niedertracht noch mehr gereizt hätte. Bellamy rächte sich an den Leuten, die er als seine Feinde ansah, durch ihre Kinder. Auf diese Weise hatte er auch Mrs. Held gebrochen. Dieser unbarmherzige Mensch hatte sich durch die Bitte seines Bruders nicht erweichen lassen.
Nachdem die Durchsicht schon drei Stunden gedauert hatte, ließ Featherstone wieder alle Schubkästen in den Geldschrank bringen. Die Detektive meldeten sich nacheinander zurück. Jede Ecke und jeden Winkel der Burg hatten sie durchstöbert, die Kerker waren durchsucht, aber man hatte kein Geheimnis entdeckt.
Jim ließ Savini holen, dessen olivenfarbenes Gesicht aschfahl war. Seine herabgezogenen Mundwinkel zeigten eine verzweifelte Stimmung.
»Das bringt mich in eine furchtbare Lage,« jammerte er. »Der Alte wird denken, ich hätte alles schon vorher gewußt und Sie gekannt –«
»Stimmt das nicht?« fragte Jim lächelnd. »Aber machen Sie sich keine Sorge. Wenn er etwas sagen und Ihnen Vorwürfe machen sollte, können Sie ja sagen, daß ich Sie gezwungen habe, den Mund zu halten. Aber vor allen Dingen müssen Sie Ihren schlechten Ruf bessern, den Sie jetzt bei Spike Holland genießen. Soviel ich weiß, haben Sie dem geschworen, daß ich nicht der neue Hausmeister sei. Da haben Sie sich ausnahmsweise einmal vornehm benommen,« sagte er ironisch und klopfte Julius auf die Schulter. »Nun können Sie aber unserem lieben Freund Bellamy einen großen Gefallen tun und ihn in gute Stimmung bringen, wenn Sie zu ihm gehen und ihm berichten, daß wir nichts gefunden haben und daß alles in Ordnung ist.«
Abel Bellamy kam triumphierend zur Bibliothek zurück. Sein Blick sprach von Genugtuung, und ein stolzes Lächeln spielte um seinen Mund.
»Haben Sie die Frau gefunden – Mrs. – wie war doch gleich ihr Name?«
»Nein, sie ist nicht hier. Es ist aber auch möglich, daß die Pläne der Burg alle falsch sind und daß es noch Geheimräume gibt, die wir nicht gesehen haben.«
»Sie bilden sich natürlich ein, daß sie hier ist,« höhnte Bellamy. »Sie haben zuviel Detektivgeschichten gelesen, Mr. Featherstone – das tut nicht gut, davon bekommt man phantastische Ideen in den Kopf! Außerdem werden Sie in einiger Zeit von meinen Rechtsanwälten hören!«
»Ich freue mich, daß Sie so ehrenwerte Leute in Ihre Dienste nehmen,« erwiderte Jim. »Hier sind Ihre Schlüssel –« Er streckte die Hand aus, aber er hätte sie beinahe fallen lassen, denn er hörte einen Schrei, der ihn erstarren ließ.
Alle hörten ihn – Bellamy, Julius Savini und Jackson, der Detektiv. Es war ein dünner, angstvoller Klang, der in einem erschütternden Schluchzen endete.
Der Ton, in dem sich die entsetzliche Angst einer Frau ausdrückte, kam von irgendwoher und durchzitterte den großen, schweigenden Raum.
Jim Featherstone lauschte und sein Herz drohte stillzustehen.
»Was war das?« fragte er heiser.