Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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8

Valerie Howett war vollständig verzweifelt.

»Aber meine liebe Val,« sagte ihr Vater, nachdem er ihre Vorwürfe über sich hatte ergehen lassen, »ich mußte doch so handeln. Du bist mir mehr wert als sonst irgend etwas auf der Welt, und ich konnte nicht die Verantwortung auf mich nehmen, dich ohne Schutz zu lassen.«

»Aber warum hast du mir denn nicht gesagt, daß er ein Detektiv ist?«

Das düstere Gesicht Walter Howetts erheiterte sich zu einem Lächeln.

»Er hat mich die ganze Zeit beobachtet und ist mir überallhin gefolgt, wenn ich dachte, ich sei allein. Ich glaubte sicher, es sei einer von diesen nutzlosen jungen Leuten, denen man überall begegnet.«

»Er ist schon dreißig Jahre alt,« sagte Howett, »und er ist wirklich ein guter Mensch. Ich kannte seinen Vater, er war Attaché bei unserer Gesandtschaft in Washington. Du solltest dich nicht darüber kränken, Val, denn er hat seinen zweimonatigen Urlaub geopfert, um mir zu helfen. Ich dachte, du wärest nach dieser Zeit deiner Nachforschungen vielleicht müde und würdest froh sein, nach Hause zu kommen.«

Sie erwiderte nichts, obwohl er auf eine Antwort wartete.

»Wie hast du denn herausgebracht, daß er zur Polizeidirektion gehört?«

»Er hat es mir selbst gesagt,« entgegnete sie kurz, und er fragte nicht weiter.

»Hoffentlich bedeutet das nicht, daß er nicht mehr zu uns kommt. Ich bin beruhigter, wenn er in der Nähe ist.«

»Er will morgen abend zum Essen kommen,« sagte sie vorwurfsvoll. »Aber es ist ein unausstehliches Gefühl, wenn man weiß, daß man dauernd beobachtet wird.«

Aber ihre Abneigung gegen jede Überwachung hielt sie doch nicht davon ab, daß sie Jim Featherstone bei seinem Versprechen hielt. An dem Tage, als ihr Vater nach Schottland fuhr, machte er ihr seinen Besuch und holte sie ab. Aber er begleitete sie nur fünf Minuten lang. Bei dem großen Marmorbogen im Hyde Park ließ sie den Wagen halten und öffnete die Tür in nicht mißzuverstehender Weise.

»Hier soll ich also wohl aussteigen?« fragte er lächelnd.

Sie fand, daß er außerordentlich vorteilhaft aussah und konnte kaum glauben, daß er bereits die Dreißig erreicht habe.

»Ich will Sie auch gar nicht fragen, wohin Sie gehen oder welche wilden Abenteuer Sie vorhaben,« sagte er, als er neben ihrem Wagen stand. Seine Hand lag noch auf dem Türgriff.

Valerie lächelte.

»Ist es denn überhaupt notwendig zu fragen, wenn Sie aller Wahrscheinlichkeit nach zwei Polizeibeamte mit Motorrädern hinter mir herfahren lassen?«

»Nein – auf mein Ehrenwort, ich vertraue Ihnen, daß Sie heute nichts tun werden, was mich in Verlegenheit bringen könnte. Als Ihr offizieller Schutzengel habe ich natürlich ein großes Interesse an Ihrem Schicksal. Ich werde um acht Uhr im Carlton-Hotel vorsprechen, und wenn Sie bis dahin nicht zurückgekommen sind, werde ich eine dringende Anfrage an alle Polizeistationen Englands senden.«

Sie drehte sich noch einmal um, nachdem der Wagen abgefahren war, und sah, daß er ihr nachschaute.

Er wartete, bis das Auto außer Sicht gekommen war, dann wandte er sich um und ging durch den Park zurück. Trotz der späten Jahreszeit war es ein warmer Tag, und auf den breiten Wegen bewegte sich eine bunte Menschenmenge.

Seine Gedanken waren mehr mit dem Problem von Valerie Howett als mit der Aufklärung des Mordes beschäftigt, der an diesem Tag das Hauptgesprächthema Londons war. Trotzdem er alle Zusammenhänge zu verstehen glaubte, war ihm doch die Anwesenheit Valeries in Creagers Pflanzung äußerst unangenehm.

In Wirklichkeit hatte er sie überhaupt nicht dort gesehen, er hatte sie nur bemerkt, als sie hineinging, und als sie wieder herauskam. Alles, was sie in der Zeit zwischen drei Uhr nachmittags und acht Uhr abends getan hatte, als sie aus ihrem Versteck wieder herauskam, wußte er nicht. Er hoffte, daß sie ihm alles erzählen würde, wenn er sie mit der Mitteilung überraschte, daß er sie beobachtet hatte. Auch glaubte er, daß seine amtliche Stellung, die er ihr verriet, Eindruck auf sie machen würde. Aber statt dessen war sie nur noch verschlossener geworden.

Er wußte von Howett, daß sie jemand suchte. Wer diese Persönlichkeit war und unter welchen Umständen sie verschwand, war ihm noch ebenso unklar wie früher. Er hatte zwei Monate fieberhafter Tätigkeit hinter sich, während der er diese schöne junge Dame beobachtet hatte. Ihr rastloser Forschungstrieb hatte sie manchen Weg geführt, dessen Gefahren sie nicht ahnte. Wer war diese Mrs. Held und weshalb suchte Valerie sie?

Er kannte Mr. Howett genau und war ihm sowohl diesseits wie jenseits des Atlantischen Ozeans begegnet. Er war Witwer und aus seiner Ehe war nur ein Kind hervorgegangen. Hätte Valerie eine Schwester gehabt, dann wären diese Nachforschungen etwas Selbstverständliches gewesen. Aber wer konnte denn Valerie Howett so wichtig sein, daß sie das Geld mit offenen Händen ausgab und diese gefährlichen Streifzüge wagte, die selbst ihm einen Schauder einjagten, wenn er daran dachte. Es konnte keine gewöhnliche Freundin sein, und es wäre alles verständlicher gewesen, wenn es sich um einen Mann gehandelt hätte.

Er überlegte sich dieses Problem immer wieder, aber er kam keinen Schritt weiter. Unerwartet sah er plötzlich eine alte Freundin, und sofort waren alle Gedanken an Valerie verschwunden. Er ging mit schnellen Schritten quer über den Rasen und trat auf eine elegant gekleidete Dame zu, die langsam spazieren ging und einen kleinen Hund an der Leine führte. In ihrer äußeren Erscheinung glich sie vollkommen den vornehmen Damen, die in einer Straße in der Nähe des Parks wohnten.

»Ich dachte schon, ich hätte mich geirrt,« sagte Jim liebenswürdig. »Wie geht es Ihnen, Fay?«

Sie schaute ihn verständnislos an und hob ihre sorgfältig nachgezogenen Augenbrauen.

»Ich fürchte, daß ich nicht den Vorzug Ihrer Bekanntschaft habe,« sagte sie kühl und sah sich um, als ob sie einen Polizisten suchte.

Jim Featherstone amüsierte sich so sehr über sie, daß er zuerst nicht sprechen konnte, weil er sonst laut hätte lachen müssen.

»Fay, Fay,« sagte er vorwurfsvoll. »Steigen Sie doch von Ihrem hohen Postament herunter und seien Sie menschlich. Wie geht es denn all den guten Leuten Ihrer vornehmen Bekanntschaft? Jerry ist, soviel ich weiß, noch im Gefängnis, und die übrigen verbergen sich in Paris, nicht wahr?«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Mein Gott, Featherstone! Es ist wirklich schlimm, daß eine Dame nicht einmal mit ihrem Hündchen ein wenig spazieren gehen kann, ohne von einem Oberspitzel angepöbelt zu werden!«

»Ihre vulgäre Ausdrucksweise ist wirklich schlimm,« erwiderte Featherstone in guter Laune. »Ich hörte jüngst eine Neuigkeit von Ihnen, die mich sehr in Erstaunen setzte.«

Sie schaute ihn an. Argwohn und Mißfallen sprachen aus ihrem Blick.

»Was haben Sie denn gehört?«

»Man erzählte mir, Sie hatten sich verheiratet und sich kirchlich und zivil trauen lassen. Wer ist denn der glückliche Mann?«

»Sie träumen,« sagte sie verächtlich. »Die Beamten von Scotland Yard glauben nur zu gern alles Böse von anderen Leuten. Nein, ich bin nicht verheiratet, Featherstone, obgleich ich nicht weiß, was passieren würde, wenn Sie mich so sehr in die Enge treiben. Ich habe immer eine Schwäche für Ihren Typ gehabt. Ich liebe diese Leute besonders, sie sind nicht so schlau wie die häßlichen.«

Sie schaute ihn unter dunklen Augenlidern verheißungsvoll an.

»Was sagen Sie dazu, Featherstone?« meinte sie halb spöttisch.

»Ich möchte Sie nicht gern enttäuschen, Fay, aber ich müßte doch erst meine Familie um Rat fragen. Aber im Ernst, wer ist denn der glückliche Mann?«

»Es gibt wirklich niemand auf der Welt, der gut genug für mich ist. Ich bin schon seit langem zu diesem Schluß gekommen.«

Sie gingen langsam zusammen weiter. Für alle Leute war er ein eleganter Herr und sie eine Dame aus den besten Ständen, die sich angenehm miteinander unterhielten.

»Wie geht es denn diesem Mischling, dem Sekretär des alten Bellamy?« fragte er obenhin. Sie wurde rot.

»Woher haben Sie denn den Ausdruck ›Mischling‹?« fragte sie scharf und aggressiv. »Wenn Sie damit Mr. Savini meinen, der zufällig mein Freund ist, so möchte ich Ihnen doch sagen, daß er aus einer sehr guten ›alten‹, portugiesischen Familie stammt. Vergessen Sie das nicht, Featherstone! Ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich dazu komme, mich mit einem Polizeibeamten in der Öffentlichkeit zu zeigen.«

»Tut mir leid,« murmelte Featherstone. »Ich hätte mich natürlich auch daran erinnern sollen, daß man einen Eurasier niemals einen Mischling nennt. Nebenbei bemerkt, fängt er an, sich jetzt ganz ehrenhaft zu benehmen, wie ich gehört habe?«

Die gereizte junge Dame wandte sich jetzt plötzlich zu ihm. Ihre Augen blitzten wütend auf.

»Mr. Featherstone,« sagte sie hitzig, »ich habe keine Lust, weiter zuzuhören, wie Sie über meinen Freund sprechen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie jetzt Ihrer Wege gingen.«

Jim Featherstone sah sie nachdenklich an.

»Man sollte doch wirklich glauben, daß Sie mit dem netten Julius verheiratet wären. Wenn das tatsächlich der Fall ist, so darf ich wohl meinen herzlichen Glückwunsch aussprechen.«

Aber sie hatte sich schon umgedreht, bevor er den Satz beendet hatte. Sie ging zornig fort und schleifte das widerstrebende Pekinghündchen hinter sich her.

Zum zweitenmal in den letzten zehn Minuten wandte sich Jim Featherstone um und sah gedankenvoll hinter einer Frau her.

Später ging er ins Carlton-Hotel, um die Bekanntschaft mit dem Freund Fay Claytons zu erneuern, aber Julius hatte das Hotel bereits mit seinem Herrn verlassen und sich nach Garre Castle begeben.


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