Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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49

Spät am Nachmittag stand ein Geheimpolizist, der sich scheinbar langweilte, auf der Commercial Road, als plötzlich ein ihm bekanntes Gesicht unter der Menge auftauchte.

»Lacy, wenn ich nicht irre?« fragte er. Dann verhaftete er seinen Mann ganz ordnungsgemäß.

»Was wollen Sie denn von mir, Johnson? Was soll ich denn schon wieder verbrochen haben?« fragte der Gefangene harmlos. »Ich kann mich nicht besinnen, daß ich etwas angestellt habe, warum mir die Polizei böse sein sollte.«

»Kommen Sie nur ein wenig mit mir,« sagte der Detektiv. Lacy, der nicht ahnte, was ihm bevorstand – sonst hätte er sich mit allen Kräften widersetzt – ging bescheiden und ruhig zur Station. Dort gab er seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß die Polizei unzufrieden mit ihm sei und daß er von nichts wisse.

Captain Featherstone ging zu ihm in die Zelle und fragte ihn möglichst unauffällig aus, ohne den Grund zu verraten, weshalb er verhaftet worden war. Es war für Jim einer der kritischsten Augenblicke seines Lebens. Da er aus Lacy auf diese Weise nichts herausbringen konnte, hatte er einen schwerwiegenden Entschluß gefaßt. Er wußte sehr wohl, daß er dadurch in große Unannehmlichkeiten kommen konnte und seinen Beruf aufgeben mußte, wenn die Sache schief ging. Aber es gab nichts, das er nicht für Valerie Howett hingegeben hätte.

Jim wohnte in St. James Street, die besonders an einem Sonnabend eine der ruhigsten Straßen Londons ist, trotz des großen Verkehrs, der unaufhörlich die Stadt durchflutet.

»Ich werde diesen Mann mit nach Scotland Yard nehmen, um ihn dort zu verhören. Nein, ich brauche Ihre Hilfe nicht, Johnson, ich danke Ihnen. Ich werde dafür sorgen, daß man dem Polizeipräsidenten mitteilt, daß Sie die Verhaftung so gut durchgefühlt haben.«

Lacy wurde zu seinem größten Erstaunen aus der Zelle geholt und in ein vornehmes Auto gebracht, das Captain Featherstone steuerte.

»Sie können sich im Augenblick als nicht verhaftet betrachten,« sagte Jim.

»Wo fahren wir denn hin?«

»Sie kommen mit in meine Wohnung.« Lacy war aufs höchste erstaunt. »Was soll ich denn eigentlich getan haben, Captain?« fragte Lacy neugierig.

»Das werde ich Ihnen bald sagen,« antwortete Jim kurz.

Lacy überlegte alle nur denkbaren Möglichkeiten.

Der Wagen hielt nach einiger Zeit vor einem geschlossenen Laden, über dessen Räumen Jims Wohnung lag. Im ganzen Haus befanden sich keine anderen Mieter, und der Inhaber des Geschäftes wohnte in einer der Vorstädte.

Angus, der Kammerdiener, begrüßte die beiden oben auf dem Treppenabsatz.

»Geben Sie Mr. Lacy etwas zu trinken. Dann bringen Sie den Wagen zur Garage – Sie brauchen nicht wiederzukommen.«

Jim selbst ging in sein Zimmer, zog Rock und Weste aus und legte den Kragen ab. Als er zurückkam, hatte Angus seine Aufträge erledigt und wartete noch.

»Ich sagte Ihnen doch, Sie sollten das Auto in die Garage fahren und heute abend nicht wiederkommen,« wiederholte Jim.

Lacy hielt ein Glas Whisky-Soda in der Hand, wunderte sich über Captain Featherstone und wurde ein wenig unruhig bei seinem Anblick.

»Haben Sie fertig getrunken?« fragte Jim, als sich die Tür hinter Angus schloß. »Nun werden wir einmal in mein Arbeitszimmer gehen.«

Als sie in das große Zimmer eintraten, sah Lacy, daß der Raum mehr einer Turnhalle glich. Kein Teppich lag auf dem Fußboden, und als er sich umschaute, entdeckte er ein Schwebereck und Ringe. Hinten sah er einen Punch-Ball. Jim schloß die Tür hinter sich und lud Lacy zum Sitzen ein.

»Ich weiß nicht, warum Sie die Ärmel so aufgerollt haben, Captain,« meinte Lacy bedrückt.

»Das ist auch nicht nötig, das werde ich Ihnen schon noch erklären. Sagen Sie mir mal erst, wo Miß Valerie Howett ist.«

»Welche Miß, mein Herr?«

Aber kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als er plötzlich die eiserne Faust Jims unter seiner Kinnlade spürte und dröhnend gegen die Wand flog. Jammernd erhob er sich wieder.

»Warum haben Sie das getan? Sie haben mich elend geschlagen und bei Gott –«

»Wo ist Miß Valerie Howett?« fragte Jim ruhig.

»Ich weiß es nicht,« stöhnte Lacy trotzig.

Diesmal war er vorbereitet und versuchte auszuweichen, aber zwei blitzartige Schläge kamen durch seine Deckung, und er fiel wieder krachend zu Boden.

»Stehen Sie auf!« befahl Jim kurz.

»Ich stehe nicht auf,« sagte der Mann und strich über sein zerschlagenes Gesicht. »Ich werde Sie dafür anzeigen, Featherstone –«

»Stehen Sie auf,« wiederholte Jim, »und glauben Sie nicht, daß ich Sie nicht schlagen kann, wenn Sie sitzen. Stehen Sie auf!«

»Ich will Sie in der Hölle sehen,« grollte Lacy und sprang auf, als Jims Schuhe ihn berührten. »Das werde ich Ihnen heimzahlen, bei Gott! Dafür sollen Sie büßen, Featherstone! Das werde ich am Montag Ihren Vorgesetzten berichten!«

»Wenn Sie dann noch am Leben sind!«

Lacy schaute ihn ängstlich an und sah den düsteren Blick, der Jims Worten Nachdruck gab.

»Ich kann Ihnen nur sagen –« schon hob er wieder die Hand – »daß ich Sie hier auf dem Fußboden fessele und Ihnen mit glühenden Eisen die Fußsohlen kitzle, bis Sie mir das verraten, was ich wissen will.«

»Sie werden mich doch nicht foltern!« schrie Lucy entsetzt auf. »Das können Sie doch nicht – das dürfen Sie nicht! Das ist gegen das Gesetz!«

»Bellamy hat mir neulich gesagt, daß er an die wohltuende Wirkung der Folter glaubt,« sagte Jim. »Damals hielt ich ihn für einen Unmenschen, aber ich sehe jetzt doch, daß er in gewissen Fällen recht hat. Seien Sie sicher, daß ich Ihnen das Fleisch von den Knochen herunterschäle, wenn Sie mir nicht bald sagen, wo Valerie Howett ist.«

Lacy starrte ihn einen Augenblick fassungslos an, dann sprang er mit einem gellenden Schrei zur Tür. Aber Jim stieß ihn wieder mit der Faust zurück.

Aber die Verzweiflung gab Lacy Mut, er griff seinen Gegner an. Jim holte kurz aus und brachte ihn mit einem Stoß vor die Brust zur Erde. Lacy schnaufte.

»Sagen Sie mir, wo Valerie Howett ist, dann bekommen Sie sogar noch tausend Pfund zur Belohnung von mir.«

»Ich sage es Ihnen auch nicht für eine Million,« keuchte Lucy. »Die können Sie doch nicht kriegen, Sie Schwein! Smith hat sie –«

Jim hatte ihn mit der Faust am Genick gepackt, hochgehoben und schleuderte ihn jetzt wie eine Puppe gegen die Wand.

»Möchten Sie gerne noch etwas weiterleben, Lacy?« Jim sprach nicht laut, aber seine Stimme zitterte. »Haben Sie nicht Freunde, nicht eine Frau, die Sie gerne wiedersehen möchten?«

»Ich will sterben, bevor ich Ihnen das sage,« stöhnte Lacy.

»Sie werden krepieren, nachdem Sie es mir gesagt haben,« rief Jim und streckte ihn mit einem Faustschlag mitten ins Gesicht wieder zu Boden. Mit festem Griff riß er Lacy die Kleider vom Leibe, der den brutalen Mann entsetzt anstarrte.

»Ich will es Ihnen sagen,« brüllte er dann. »Sie ist an Bord der ›Contessa‹.«

»Sie lügen, dort ist sie nicht.«

»Ich schwöre es Ihnen, Captain, wir waren zusammen an Bord, als Sie gestern abend das Schiff durchsuchten. Wir waren in der Kammer für die Ankerketten versteckt. Sie wollte schreien, aber Smith hielt ihr den Mund zu. Ich kann es Ihnen auch beweisen, denn ich hörte Ihre Stimme, als Sie in die Nähe kamen und sagten, daß sie nicht dort wäre.«

»Stehen Sie auf,« sagte Jim barsch und zeigte auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich. Wann waren Sie zuletzt an Bord der ›Contessa‹?«

»Ich bin gestern abend von dort fortgegangen, ich fühle mich an Bord der kleinen Schiffe nicht wohl –«

»War die Dame denn noch dort?«

»Jawohl.«

»Wo ist sie? In welchem Teil des Schiffes wird sie versteckt?«

»Coldharbour Smith hat alles für sie vorbereitet. Die ›Contessa‹ soll Rum nach Amerika bringen – Smith ist eigentlich der Eigentümer. Er hat auch den Befehl gegeben, daß die Feuer unter den Kesseln gelöscht werden sollten, und daß das Schiff ein oder zwei Tage lang im Pool vor Anker bleiben soll, bis die Geschichte vorüber wäre.«

Jim schloß die Türe auf und brachte Lacy wieder ins Wohnzimmer.

»So, nun trinken Sie Ihren Whisky aus.«

»Sie werden mich doch nicht anzeigen, Captain – nachdem Sie mich so behandelt haben?«

»Wenn das wahr ist, was Sie sagen, dann werden Sie nicht unter Anklage gestellt. Aber nun trinken Sie Ihren Whisky. Ich werde Sie die Nacht über gefangenhalten. Wenn Ihre Aussage stimmt, lasse ich Sie nach einigen Stunden frei. Sollten Sie aber gelogen haben, dann werde ich Sie mir kaufen und noch einmal unter vier Augen mit Ihnen reden.«

Lacy sagte nichts mehr.

Auf dem Weg nach Scotland Yard kühlte Lacy seinen geschwollenen Kopf.

»Haben Sie Julius Savini gesehen?« fragte Jim.

»Julius hat nichts mit der Sache zu tun,« sagte der andere verächtlich.

»Ich vermute aber, daß er sehr viel mit der Sache zu tun hat,« entgegnete Jim.


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