Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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70

Lacy hatte schon beinahe einen Krampf bekommen, als er plötzlich Schritte im Gang hörte und sich zurücklehnte, obgleich es so dunkel war, daß der alte Bellamy ihn unmöglich sehen konnte. Eine Laterne blitzte auf und der Alte trat über die Holzbalken

»Mr. Bellamy!« flüsterte Lacy erregt.

Bellamy wandte sich schnell um.

»Hallo, wie sind Sie denn hierhergekommen?«

»Um Gotteswillen, seien Sie ruhig,« sagte Lacy. Das Geräusch der Hammerschläge von unten übertönte die Stimmen der beiden.

»Was wollen Sie?« fragte Bellamy leise.

»Lassen Sie mich heraus,« bat Lacy. »Sie haben mich hier auf Posten gestellt. Sie haben eine Pistole unten und wollen Sie sofort niederschießen, wenn Sie sich sehen lassen.«

Der Alte stellte seine Laterne auf den Fußboden, ging zu einer Gaslampe und steckte sie an.

»Mr. Bellamy, lassen Sie mich doch heraus, ich habe Ihnen doch gesagt –«

Jim hatte das Gespräch gehört, eilte die Treppe hinauf und kam gerade an, als Bellamy die Tür öffnen wollte. Jim feuerte zweimal, aber die Schüsse gingen zu hoch. Plötzlich sah er ein blendendweißes Licht.

»Hinlegen!« schrie er, sprang die Treppe hinunter und fiel auf seine Knie, als die erste Explosion ertönte.

Der Schall machte ihn beinahe taub. Eine zweite Detonation folgte. Ein Loch war in das Gewölbe geschlagen, Steine splitterten von allen Richtungen.

»Was ist los?« rief Julius erschreckt.

»Bleiben Sie dort bei der Öffnung,« sagte Jim kurz. »Lacy, kommen Sie hierher. Warum haben Sie mich nicht gerufen, als der Alte kam?«

»Ich habe ihn nicht gesehen –«

»Sie haben ihn gesehen und gehört! Sie versuchten ihn sogar zu bestimmen, daß er Sie herausließ und uns wie die Ratten tötete.«

»Was ist das für ein Geräusch?« fragte Julius furchtsam.

»Es ist so, wie ich erwartet hatte,« sagte Jim düster.

Die Gasflamme am Ende des Gummischlauchs war wieder angesteckt und erhellte den unteren Raum notdürftig.

»Wir haben eine Möglichkeit,« sagte Jim, als sein Blick auf die eiserne Gittertür fiel. Er schlug den Hammer mit aller Kraft gegen die Steine, in denen die Angeln befestigt waren.

Von oben her kam ein andauerndes unheimliches Geräusch.

»Was ist das nur?« rief Lacy. »Was macht der alte Teufel?«

»Das werden Sie gleich sehen,« sagte Jim.

Im nächsten Augenblick strömte ein ganzer Wasserfall mit solcher Gewalt und Heftigkeit die Treppe herunter, daß in kurzer Zeit der ganze Fußboden überflutet war. Jim stand schon bis zu den Knien im Wasser, das jeden Augenblick höher stieg.

»Es ist unmöglich!« sagte er dann. Trotzdem schlug er wie wild mit dem Hammer auf die Steine. Unter seiner fürchterlichen Anstrengung entstand ein Riß in dem einen Stein. Aber es wurde immer schwerer, denn er mußte jetzt durch das Wasser schlagen und die Wucht der Hiebe wurde dadurch fast vollständig aufgehoben. Schließlich gab er es auf.

Julius hatte sich schon hinter die Barrikade in den großen Raum zurückgezogen, auch Lacy war hineingekrochen und hatte sich zu den Frauen begeben. Jetzt sprang noch Jim über die Bettstellen, Sofas und Tische. Die beiden Männer arbeiteten heftig, um das Loch zu verstopfen. Sie suchten vor allen Dingen Betten zu befestigen, um den Andrang des Wassers aufzuhalten.

»Ich glaube nicht, daß wir etwas damit erreichen,« sagte Jim und trat einen Schritt zurück. Er war von Kopf bis zu Fuß naß. »Der Alte hat die Hauptrohre der Wasserleitung gesprengt.«

Das Wasser drang bereits in den inneren Raum vor, aber dank der Barrikade sickerte nur wenig durch.

Jim wußte, daß der Druck um so stärker wurde, je höher das Wasser im Innern des anderen Raums stieg. Und damit wurde natürlich auch die Gefahr immer größer.

Wie lange mochte das Wasser noch steigen? Er machte eine schnelle Schätzung nach den Wassermengen, die bis jetzt zugeströmt waren. Er glaubte, daß es höchstens noch zwei Stunden dauern könnte, bis das Wasser die Decke erreichen würde.

»Es ist vielleicht besser, wenn wir hinausgehen und auf die Treppe unter der Bibliothek steigen,« sagte er. »Valerie und Fay gehen ganz nach oben, dann kommen Sie und Lacy, und ich werde eine Stufe unter Ihnen stehen. Es ist das nichts Besonderes von mir, denn Sie sind kleiner, und wir werden auf diese Weise alle ziemlich gleich hoch stehen.«

Seine Vorsichtsmaßregeln waren gerechtfertigt. Er drehte noch alle Gasflammen aus, bevor er zu ihnen kam. Kaum hatte er den großen Raum verlassen, als mit einem furchtbaren Krachen die Barrikade einstürzte, mit der die Öffnung verstopft war. Das Wasser reichte ihm schon bis zu den Knien, bevor er die Treppe erreichte.

»Warum haben Sie denn das Licht ausgemacht?« fragte Lacy ärgerlich. »Nun müssen wir im Dunkeln sterben!«

»Wenn Sie die Lichter anlassen, müssen Sie erst recht im Dunkeln sterben, mein alter Freund,« sagte Jim. »Wir brauchen doch die übrigbleibende Luft notwendig genug für uns. Das steigende Wasser würde die brennenden Lampen auslöschen, und wir könnten in ein paar Minuten Gas atmen.«

Er stand auf der fünften Stufe von unten, aber er fühlte schon, wie das Wasser seine Füße erreichte. Fünf Minuten später waren sie schon vollkommen bedeckt. Er wartete, bis die Flut an seine Knie reichte, bevor er die nächsthöhere Stufe emporstieg.

»Valerie, komm zu mir!«

Sie tastete sich in der Dunkelheit zu ihm, und er legte seinen Arm um sie. Er war jetzt auf der höchsten Stufe, auf die er steigen konnte. Das Wasser hatte ihn noch nicht erreicht, aber er brauchte nicht lange zu warten. Er hatte so nasse Füße, daß er nicht mehr erkennen konnte, wie hoch das Wasser stand, bis er mit seiner Hand nach unten faßte und fühlte, daß es bereits über seine Knie ging. Die Flut schien plötzlich schneller zu steigen.

»Savini, geben Sie mir den Hammer, ich werde versuchen, gegen die Steintür zu schlagen, die über uns ist.«

»Ich habe ihn nicht mitgenommen, er ist unten geblieben.«

Eine schreckliche Stille trat ein.

»Ich glaube nicht, daß wir viel hätten erreichen können – das Schloß wird nicht leicht aufzubrechen sein.«

Das Wasser reichte nun schon bis zu seiner Brust, aber die Luft war noch rein, und man fühlte noch keinen Druck. Aber was würde geschehen, wenn das Wasser die Luftschächte erreichte. Jim wagte nicht daran zu denken.

Die Flut stieg höher und höher. Jim küßte Valerie.

»Das ist ein sonderbarer Tod,« sagte er leise, als er fühlte, daß das Wasser sein Kinn berührte.


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