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Lacy antwortete nicht. Er stieß sie durch eine kleine Tür unter der Treppe, dann noch durch einen anderen Eingang in die Halle. Sie erkannte den Raum sogleich wieder und wußte auch, daß in der Nähe eine Treppe zu den Gefängniszellen führte. Zuerst dachte sie, daß er sie dort hinbringen würde, aber er führte sie zur Bibliothek. Bellamy, unrasiert und schweißbedeckt, wartete dort auf sie.
Das tödliche Schweigen zwischen ihnen wurde nur von dem Krachen der Schüsse unterbrochen, das gedämpft hierhertönte. Plötzlich näherte sich ihr der alte Mann und packte sie mit beiden Armen an den Schultern.
»Nun sind Sie also doch gekommen, mein liebes Kind,« sagte er. »Sie sind der letzte meiner Gäste – der allerletzte.« – Er lachte ihr ins Gesicht mit einer Freude, die an Wahnsinn grenzte. »Ich habe sie alle geschnappt! Eigentlich hätte ich noch den alten, blinden Kerl, Ihren Vater fangen sollen, obgleich er gar nicht einmal Ihr Vater ist. Aber das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Ich habe alle, auf die es ankommt, in meiner Hand. Alle, die schwätzen können, alle, die mich haßten – sie sind alle hier unten!« Er zeigte auf den Fußboden.
Sie schaute sich nach Lacy um.
»Um Gottes willen, helfen Sie mir,« bat sie ihn. »Mein Vater wird Sie fürstlich dafür bezahlen!«
»Wozu bitten Sie Lacy? Der hilft Ihnen nicht! Ebensogut können Sie sich direkt an mich wenden!« höhnte Bellamy.
Mit einem Stoß rückte er den Schreibtisch zur Seite, zog das Stück vom Parkettboden heraus und öffnete die Tür. Er hatte das Gewehr in die Hand genommen, das so lange an einen Stuhl gelehnt stand, und wies mit der Mündung in die gähnende Öffnung.
»Da hinunter – Sie werden einige Freunde dort finden – gute Freunde – gehen Sie nur hinunter, Valerie! Diesmal mache ich keinen Fehler, und Sie entkommen mir nicht! Zweimal sind Sie mir entwischt, aber das drittemal habe ich Sie sicher!«
Er zeigte wieder auf die Treppe, und sie ging ohne ein Wort hinunter. Er beobachtete sie mit dem Gewehr in der Hand. Plötzlich entdeckte er, daß sich ihre Gestalt gegen einen helleren, erleuchteten Raum abhob.
»Die Tür ist ja offen!« brüllte er. Ein schwacher Geruch von verbranntem Holz drang zu ihm herauf.
Er hatte die Lösung dieses Rätsels sofort erfaßt.
»Die haben du unten das Schloß herausgebrannt? Nun ja, dann haben sie ein wenig mehr Raum zum Krepieren!« sagte er und ließ die steinerne Platte wieder herunter.
Lacy sah, daß er den Parkettboden nicht wieder an seine Stelle brachte.
»Also hier sind sie eingesperrt, Bellamy?« fragte er atemlos vor Verwunderung. »Wer ist denn alles da unten?«
»Julius Savini und seine Frau. Featherstone ist auch da.«
»Featherstone?« sagte Lacy starr vor Staunen. »Wer sind denn die Leute, die uns draußen angreifen?«
»Die Polizei,« entgegnete Bellamy kurz.
Lacy erschrak. Er war eine groteske Erscheinung in seinem schlechtsitzenden grünen Anzug, den er gekauft hatte, um als Grüner Bogenschütze aufzutreten. Es war Bellamys Idee gewesen. Er hatte Lacy ausgeschickt, um Lady's Manor zu beobachten, und auch damals hatte er dieses phantastische Kostüm getragen. An jenem Abend hätte ihn Wood beinahe gefangen, die Erinnerung daran war ihm schrecklich.
»Dann haben Sie mich also beschwindelt – Sie haben doch vorher erzählt, daß das Militär in der Gegend eine Übung abhält! Sie verfluchter, alter Lügner! Wo ist mein Geld? Ich gehe!«
»Auf welchem Weg wollen Sie denn hinausgehen?« fragte Bellamy ruhig.
»Zurück durch Lady's Manor, sobald ich mich umgezogen habe. Ich habe jetzt wirklich genug von Ihnen, Bellamy! Sie sitzen in der Falle drin, aber ich möchte hier nicht gefunden werden. Und wenn ich später gefragt werden soll, um gegen Sie zu zeugen, bei Gott –«
»Dann werden Sie alles sagen.«
Bellamy öffnete seinen Geldschrank, nahm einen Pack Banknoten heraus und warf sie auf die Tischplatte vor ihn hin.
»Da haben Sie Ihr Geld! Sie können sofort gehen! Haben Sie eine Pistole?«
»Natürlich!« schrie ihn Lacy an. »Glauben Sie Schurke denn, daß ich mich in dieses Haus ohne eine Waffe gewagt hätte?«
Als Antwort öffnete Bellamy die steinerne Schwingtür mit dem Fuß.
»Bringen Sie Savini heraus. Er ist nicht bewaffnet, aber er wird sich wahrscheinlich mit allen Kräften wehren.«
Lacy runzelte die Stirn.
»Holen Sie ihn doch selbst herauf!«
»Damit Sie inzwischen der Polizei die Türen öffnen können,« meinte Bellamy höhnisch. »Gehen Sie sofort hinunter! Wovor fürchten Sie sich denn?«
Lacy stand mit der Pistole in der Hand schußbereit. Er war weiß bis in die Lippen.
»Ich tue es nicht,« sagte er heiser, »wenn Sie nicht vorausgehen.«
Bellamy zuckte die breiten Schultern und stieg hinunter, ohne ein Wort zu verlieren. Lacy folgte ihm in einiger Entfernung. Aber Lacy war zu vorsichtig, denn Bellamys Treppe war eng, und wer zuerst unten auf dem Fußboden ankam, konnte sich seitwärts an die Wand neben die Treppe stellen, und als Lacy nach unten kam, fühlte er sich plötzlich am Handgelenk ergriffen. Er versuchte, sich zu halten, aber Bellamy gab ihm einen furchtbaren Tritt in den Rücken, so daß er der Länge nach hinschlug. Mit einem kurzen Ruck entriß ihm der Alte den Revolver, steckte ihn in die Tasche und war im nächsten Augenblick oben. Die Steinplatte schloß sich wieder.
Valerie stand am Eingang des kleinen Ganges durch die Fundamentmauer und wußte nicht, was sie beginnen sollte. Sie war nicht fähig, einen Fuß vor den andern zu setzen, und es kam ihr kaum zum Bewußtsein, daß eine Frauenstimme sie anrief.
»Miß Howett!«
Valerie starrte sie verständnislos an.
»Sind Sie Mrs. Savini?« fragte sie dann mit schwacher Stimme.
Im nächsten Augenblick lag sie in Fays Armen und schluchzte. Fay fühlte, daß sie wie im Fieber zitterte.
»Ist Captain Featherstone hier?«
»Ja, Sie können ihn sehen, aber er ist nicht im selben Raum.«
»Wo ist er denn? Ich muß ihn sprechen.«
Sie achtete kaum auf Julius, obgleich er es war, der ihr das Eisengitter zeigte und Jim Featherstone herbeirief.
»Jim, Jim!« rief sie heftig.
Er war entsetzt, als er ihre Stimme hörte.
»Sind Sie das, Valerie? Ach, mein Gott!«
»Wir werden nicht mehr lange hier sein,« sagte sie. »Die Polizei ist durch Militär verstärkt worden. Sie glauben bestimmt, daß sie ihn fangen werden. Mr. Holland sagt, daß die Burg noch diesen Abend genommen wird.«
»Wie war es nur möglich, daß Bellamy Sie hierherlocken konnte?«
»Der Grüne Bogenschütze hat mich hergebracht.«
»Der Grüne Bogenschütze? Das ist doch unmöglich!«
Sie nickte.
»Es war Lacy.«
»Aber es kann unmöglich Lacy gewesen sein,« sagte er nach einer Pause. »Sind Sie ganz sicher?«
»Ich habe ihm die Maske abgerissen, ich weiß es gewiß.«
»Es ist unglaublich, ich kann es nicht verstehen. Aber im Augenblick ist es ja ganz gleich, wer der Grüne Bogenschütze ist, liebe Valerie. Daß auch Sie noch hier sind, ist das Entsetzlichste von allem.«
»Was beabsichtigt Bellamy wohl? Was könnte er uns denn tun?«
»Ich glaube, daß er etwas Fürchterliches im Schilde führt – aber was es auch sein mag, Valerie, wir müssen ihm stark entgegentreten, beinahe hätte ich gesagt, als brave Engländer, aber ich vergaß im Augenblick, daß Sie Amerikanerin sind. Wir müssen sterben wie gute Angelsachsen, wenn es zum letzten kommt.«
»Besteht denn gar keine Hoffnung, daß wir wieder nach oben kommen?« fragte sie.
»Nein,« sagte Jim eindringlich. Es war besser, daß sie es wußte. »Wie hat der Grüne Bogenschütze Sie denn hergebracht? Die ganze Burg ist doch von Polizei abgesperrt?«
»Wir kamen durch einen unterirdischen Gang, der Lady's Manor mit der Burg verbinden muß. Ich habe immer vermutet, daß er existierte.«
»Ich auch, nachdem Sie mir erzählt hatten, daß die Diener über einen Liebesweg sprachen. Außerdem erklärt der Name Ihres Hauses den Zusammenhang. Lady's Manor ist das Haus, das ein de Curcy für seine Geliebte baute. Diese Liebeswege waren in alten Zeiten zwischen verschiedenen Häusern nicht so selten. Durch diesen Gang ist auch der Grüne Bogenschütze gekommen, und nun erklärt sich auch, warum Sie ihn in Lady's Manor in der Nähe sahen. Er war damals auf seinem Weg zu der Burg.«
»Aber Sie vergessen, daß ich ihm auch draußen im Park begegnet bin.« Jim erinnerte sich wieder daran.
Julius, der einen Augenblick weggegangen war, kam mit einer wichtigen Nachricht wieder.
»Lacy ist auch hier unten?« fragte Jim überrascht.
»Der Alte hat ihn eben die Treppe hinuntergeworfen, und Fay wäscht seine Wunden gerade aus. Er trägt das Kostüm des Grünen Bogenschützen.«
»Lacy? Wie entsetzlich!« flüsterte Valerie ängstlich. »Jim, können Sie nicht durch diese Öffnung kommen?«
»Julius wird Sie schon beschützen, ängstigen Sie sich nicht,« antwortete Featherstone, aber er war von seinen Worten nicht überzeugt. »Später kann ich vielleicht durchkommen, liebe Valerie. Ich habe schon zwei Eisenstäbe aus dem Zement herausgeschlagen. Ich habe nämlich dem Alten den Hammer weggenommen, er ist mir schon sehr nützlich gewesen.«
Er fing wieder an zu hämmern.
Valerie wandte sich an Julius.
»Ist er schwer verwundet?« fragte sie.
»Nein, er ist nur auf den Kopf gefallen und blutet etwas. Er ist der einzige Körperteil an Lacy, den man unmöglich verwunden kann, selbst wenn man mit einem schweren Wagen darüberfährt. War er es nicht, der Sie von Lady's Manor weggebracht hat? Ich hörte eben, wie Sie es Featherstone erzählten. Es ist schließlich ganz gut, daß er die Treppe herunterfiel. Ich fand eine brauchbare Waffe bei ihm, die er unter seinem Kostüm versteckt hatte. Die können wir gut gebrauchen.«
Julius zeigte mit Stolz seinen Fund.
»Natürlich hatte ich sofort den richtigen Gedanken, ihn zu durchsuchen. Aber außer der Pistole hatte er nichts bei sich,« sagte er dann laut. »Er hat mir gesagt, daß Bellamy ihm ein Paket Banknoten gegeben hätte. Entweder bildet er sich das ein, oder der Alte hat sie ihm wieder weggenommen, als er mit ihm handgemein wurde. Bellamy verschwendet kein Geld, und damit hat er auch wohl recht.« Er klopfte unbewußt auf seine volle Brusttasche.
Valerie fand Fay damit beschäftigt, einen einfachen Verband um Lacys Kopf zu legen. Er bot einen lächerlichen Anblick. Sein grasgrünes Kostüm war zerrissen, mit Blut befleckt und schmutzig.
»Ich hatte eine Menge Geld, als ich hier hinfiel,« sagte er, »ich kann es aber nicht mehr finden. Geld hat doch keine Beine – es kann doch nicht weglaufen!«
»Wenn Sie Geld bei sich gehabt hätten, würden Sie es jetzt auch noch haben,« erwiderte Fay ruhig. »Und ich habe früher Geld gehabt, das viel schneller weglief als die Flugpost bei günstigem Winde. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß mein Julius es Ihnen weggenommen hat?«
»Ich weiß nicht, ob ich Julius beschuldigen soll, aber er hat auch meine Pistole geholt – ebensogut kann er auch das Geld genommen haben!«
»Die Pistole war eben da, aber das Geld nicht. Es ist doch eigentlich unklug, Leute anzuklagen, die Ihnen helfen und Sie verbinden. Wahrscheinlich hat Bellamy Ihnen das Geld wieder weggenommen.«
»Warum hat er denn aber nicht meine zweite Pistole genommen?« fragte Lacy folgerichtig. »Die wäre ihm doch sicher wichtiger gewesen. Wo ist sie denn?«
»Julius hat sie,« antwortete Fay. »Und Julius wird sie auch behalten!« fügte sie nachdrücklich hinzu.
»Was will denn der Alte hier mit uns machen? Er kann uns doch nicht in alle Ewigkeit hier sitzen lassen? Wo kann ich schlafen?«
»Entweder auf oder unter der Treppe.«
»Sind denn keine Betten hier unten?« fragte Lacy aufsässig.
»Hier ist ein Steinbett,« sagte Fay ironisch. »Und da können Sie auch schlafen. Und wenn Sie sich nicht fügen wollen, dann werden Sie schon zur Vernunft gebracht werden. Sie sind ein ganz gemeiner Kerl, Sie haben Miß Howett aus ihrem Hause weggebracht – wenn Featherstone Sie kriegt –«
»Ist der hier?« fragte Lacy erschrocken.
»Im Augenblick noch nicht, aber er ist auf der anderen Seite des Eisengitters.«
»Hoffentlich bleibt er auch dort!«
Julius und Jim lösten sich während des ganzen Abends bei den Arbeiten am Eisengitter ab.
Kurz vor neun konnten sie mit vereinten Kräften das Gitter ausbrechen, und Jim kam durch die Öffnung. Als er Valerie sah, nahm er sie ohne ein Wort und ohne Entschuldigung in die Arme und küßte sie leidenschaftlich.
Sie verloren keine Zeit mit Fragen und Erklärungen, Jim hatte seinen Entschluß Savini mitgeteilt, und Julius war der selben Ansicht. Sie nahmen den Diwan von der Wand und brachen die Füße ab. So war er schmal genug, daß sie ihn durch die Öffnung schaffen konnten, obgleich sie dabei den kostbaren Bezug zerrissen.
»Wozu geschieht denn das? Wollen Sie vielleicht den anderen Raum möblieren?« fragte Fay.
»Dort wird noch allerhand passieren,« antwortete Jim. »Den Tisch kann ich auch gebrauchen,« meinte er dann. Gleich darauf schlug er mit seinem Hammer alle Beine ab und reichte sie Julius. »Sie können hier helfen, Lacy!« rief Jim und Lacy beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen.
»Was soll ich tun, Captain?« fragte er.
»Gehen Sie diese Treppe hinauf. Sobald Sie Bellamy sehen, rufen Sie und machen, daß Sie wieder herunterkommen! Also los, marsch nach oben!« Jim nahm ihn am Ohr, führte ihn hinauf und stellte ihn direkt hinter der vergitterten Eisentüre auf. Er konnte gerade über die aufgeschichteten Balken hinwegsehen. »Sobald er kommt, rufen Sie laut! Verstanden?«
»Ja!« sagte Lacy unwillig. »Glauben Sie, ich bin so schrecklich dumm?«
»Ich möchte Ihnen jetzt nicht sagen, was ich von Ihnen denke.«
Jim wandte sich ab, ließ den Mann auf seinem Posten zurück und ging wieder zu Julius.
»Ich bin allerdings nicht sicher, ob unsere Vorsichtsmaßregeln etwas nützen werden. Wenn wir nur ein paar Nägel hätten!«
Er errichtete eine Barrikade um die Öffnung in der Wand, aus der das Eisengitter herausgebrochen war. Fay unterstützte ihn dadurch, daß sie den Gummischlauch wieder an einem der Gashähne befestigte und ihm bei der Arbeit leuchtete. Tische und Betten wurden zu der Barrikade gebraucht, und während die anderen unten rastlos arbeiteten, saß Lacy oben am Eingang der Treppe und gab sich seinen Gedanken hin. Er verabscheute Bellamy, aber sein Haß gegen den Mann, in dessen Gesellschaft er durch diesen Zufall geraten war, kannte keine Grenzen.