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Bellamys Gesichtsausdruck änderte sich.
»Sagen Sie ihm, er möchte heraufkommen.« Dann legte er den Hörer auf den Tisch und sah sich nach Lacy um. »Sie können währenddessen hinausgehen. Es wird gleich Besuch hier sein.«
Lacy erhob sich widerwillig.
»Mir gefällt die ganze Sache hier nicht mehr,« sagte er. »Ich muß mich verstecken und in dunklen Löchern schlafen, seitdem ich hier bin. Mir wächst die Sache allmählich zum Halse heraus.«
Bellamy antwortete ihm nicht, sondern beobachtete ihn nur mit seinen kühlen, grauen Augen. Lacy verließ den Raum, aber er fühlte sich nicht wohl und wußte selbst nicht warum.
Sen öffnete die Tür und führte den Besucher in die Bibliothek. Bellamy stand an den Kamin gelehnt, hatte die Hände auf dem Rücken und den Kopf auf eine Seite gelegt. Diese Haltung nahm er häufig ein. Er sprach auch kein Wort, bis Sen sich entfernt hatte und der Besucher direkt vor ihm stand.
»Mr. Wood?« brummte er.
»Ja, das ist mein Name. Ich habe doch die Ehre mit Mr. Bellamy? Ich habe gerüchtweise gehört, daß Sie die Burg verlassen und verkaufen wollen.«
»Nehmen Sie Platz,« unterbrach ihn der alte Mann.
»Ich ziehe es vor zu stehen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Sie haben also gehört, daß die Burg verkauft werden sollte? Wer hat Ihnen denn diese Tartarennachricht erzählt? Ich beabsichtige nicht, Garre Castle zu verkaufen. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Warum wollten Sie es denn kaufen?«
»Ich habe von verschiedenen Seiten große Summen erhalten, um ein Kinderheim in England zu gründen,« entgegnete Mr. Wood. Seine ernsten Augen beobachteten gespannt das Gesicht Bellamys. »Und ich dachte mir, daß die Burg, wenn man sie modern einrichtete, ein sehr geeigneter Platz hierfür wäre. Es gibt hier viele große Räume, die, soviel ich weiß, niemals von Ihnen benutzt werden, und abgesehen davon ist ja genügend Land vorhanden, daß man Erweiterungsbauten aufführen könnte –«
»Aber ich verkaufe nicht.«
John Wood verbeugte sich zum Abschied und wollte gerade gehen, als Bellamy ihn wieder anredete.
»Mir kommt Ihr Name so bekannt vor, Mr. Wood – möglicherweise irre ich mich, aber ich glaube mich zu entsinnen, daß Sie einen Verwandten von mir kennen.«
»Meinen Sie Ihren Neffen?« fragte John Wood ruhig.
Bellamy nickte.
»Ja, wir waren in derselben Fliegerstaffel.«
»Er ist wohl gefallen? Sind Sie sicher, daß er getötet wurde?«
»Sein Name stand in den Gefallenenlisten, und ich habe sein kleines Vermögen geerbt.«
»Glauben Sie nicht, daß er noch am Leben ist? Es kommt doch so häufig vor, daß Leute, die im Krieg als tot oder gefallen gemeldet wurden, später noch sehr lebendig waren.«
»Die amerikanischen Armeebehörden sind aber sehr gewissenhaft in ihren Berichten. Sie haben sich große Mühe gegeben, alle gemeldeten Todesnachrichten genau nachzuprüfen. Außerdem hat auch die deutsche Regierung seinen Tod bestätigt.«
Bellamy dachte nach.
»War mein Neffe ein mitteilsamer Mensch? Hat er Ihnen irgend etwas über –« er suchte nach Worten – »über seine eigene Vergangenheit mitgeteilt?«
»Er hat niemals darüber gesprochen.«
»Hm!« sagte Bellamy und schien beruhigt zu sein. Er begleitete Mr. Wood zur Tür und sah ihm nach, als er den Fahrweg entlangschritt, um die Ecke der Sträucher bog und bei dem Pförtnerhaus verschwand. Dann ging er zur Bibliothek zurück und fand dort Sen damit beschäftigt, ein Tablett auf den Tisch zu stellen. Als er näherkam, reichte ihm der Chinese ein Stück Papier.
»Keine Milch,« stand darauf.
»Ist keine mehr im Vorratsraum?«
Sen schüttelte den Kopf.
»Es muß doch kondensierte Milch dort sein,« brummte Bellamy. »Ich werde selbst gehen und nachsehen.«
Bei dieser Gelegenheit machte er eine wichtige Entdeckung.
Als es dunkel wurde, schickte er Lacy mit dem Auto nach London, um Einkäufe zu machen.
*
Jim Featherstone machte einen Spaziergang durch die Hauptstraße, als er einen Mann bemerkte, der aus der Torfahrt von Garre Castle herauskam. Er hatte ihn nur kurz gesehen, aber sofort erkannt, und entschuldigte sich bei der Dame, die er begleitete. Er ging schnell vorwärts und überholte Mr. John Wood gerade, als er in den altertümlichen Omnibus steigen wollte, der die Verbindung zwischen Garre und der nächsten Eisenbahnstation aufrechterhielt.
»Ich bin hierhergekommen, um Garre Castle zu kaufen,« erklärte ihm Wood nach der ersten Begrüßung.
Jim mußte lachen.
»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie wirklich die Absicht hatten – Miß Howett, darf ich Ihnen Mr. John Wood vorstellen? Er ist hierhergekommen, um Garre Castle zu kaufen, aber wie ich vermute, hat er keinen Erfolg gehabt. Was halten Sie nun von Bellamy, nachdem Sie ihn aus nächster Nähe gesehen haben?«
»Er besitzt gerade kein sehr angenehmes Äußere,« sagte Mr. Wood lächelnd.
Valerie nahm ein mehr als gewöhnliches Interesse an diesem eigenartigen Mann. Sie hatte sich selbst schon eingestanden, daß es seine prächtige Liebhaberei war, die sie so für ihn einnahm. Aber wenn sie ehrlich gewesen wäre, hätte sie noch zugeben müssen, daß es seine bedeutende Persönlichkeit war, die schon einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte, bevor sie noch ein Wort mit ihm gewechselt hatte.
»Kehren Sie wieder zu Ihren kleinen Kindern zurück, Mr. Wood?« fragte sie.
»Noch nicht, ich habe noch viel in England zu erledigen, bevor ich heimfahren kann. Interessieren Sie sich für meine Liebhaberei?« fragte er und seine Augen leuchteten auf.
»So sehr, daß ich wünschte, Sie würden mir alles darüber erzählen. Würden Sie nicht mit uns speisen, Mr. Wood?«
Er zögerte.
»Ja,« sagte er schließlich und entschuldigte sich schnell wegen seiner Unhöflichkeit.
Als sie an dem Tor der Burg vorbeikamen, wandte er sich nach dem Gebäude um.
»Schauen Sie sich nach dem bösen Riesen um?« fragte sie.
»Ich erwarte nicht, ihn zu sehen, aber wenn ich diese Burg hätte, würde ich auf jedem Turm die amerikanische Flagge hissen. Vermutlich ist Abel Bellamy ebensowenig patriotisch als menschenfreundlich.«
Während des ganzen Weges nach Lady's Manor unterhielt sich Valerie anregend mit John Wood. Jim fühlte, daß er im Augenblick überflüssig war und das war eine unangenehme Erkenntnis.
Als sie bei Tisch saßen, schien es, als ob Valerie den Fremden schon ihr ganzes Leben lang gekannt hätte. Und wenn sie sich an Jim wandte, so war es nur, um eine Bestätigung für etwas von ihm zu erhalten, was Wood eben gesagt hatte.
Schon das allein hätte genügt, Captain Featherstone zu bedrücken, aber es kam noch das merkwürdige Verhalten Mr. Howetts dazu, der während der ersten Zeit des Essens ein tödliches Schweigen beobachtete und nicht einmal von seinem Teller aufsah. Er war doch sonst ein Mann, der gewöhnt war, Gäste bei sich zu sehen, der großes öffentliches Ansehen genoß und Gelassenheit und Gleichmut besaß. Selbst sein schlimmster Feind hätte ihn nicht der Teilnahmslosigkeit und Schüchternheit bezichtigt. Aber jetzt war er merkwürdig zurückhaltend, und erst als Spike auf der Bildfläche erschien, der seinen Bekannten auch begrüßen wollte und die Unterhaltung sich um Bogenschießen drehte, begann er zu sprechen.
Jim war überrascht, daß er von sich aus die Frage wieder anschnitt. Er schien dem Zeitungsmann eine Antwort auf seine Frage geben zu wollen, die er damals im Speisesaal des Carlton-Hotels an ihn gerichtet hatte.
»Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß ich mich für diesen Sport interessiere, aber solche Zufälligkeiten finden Sie alle Tage. Wenn Sie zum Beispiel ein Buch aufschlagen und irgendeinen technischen Ausdruck finden, den Sie früher niemals gesehen oder angewandt haben und wenn Sie dann in einem Wörterbuch seine Bedeutung nachsehen, so treffen Sie dasselbe Wort in den nächsten zwölf Stunden wieder!«
»Als ich noch ein junger Mann war und noch so gute Augen wie Sie besaß, interessierte ich mich sehr für das Bogenschießen. In meinem Heimatdorfe waren wir ungefähr ein halbes Dutzend Jungens, die für sich selbst so eine Art Robin-Hood-Bande gründeten. Sie wurde allerdings aufgelöst, nachdem wir verschiedene Fenster zerschossen hatten. Damals hielt man mich für den besten Bogenschützen in unserem kleinen Kreis. Später habe ich diese Fähigkeit weiter entwickelt, bis ich einen gewissen Ruf darin erhielt. Und als ich wohlhabend wurde, nahm ich den Sport wieder auf und wurde Mitglied in einer Gesellschaft in Philadelphia. Aber mein schlechtes Sehvermögen bildete allmählich ein unüberwindliches Hindernis. Vor fünfzehn Jahren ging ich nach Deutschland, um einen bekannten Augenspezialisten aufzusuchen. Auf meiner Rückreise kam ich durch London mit der neuen Brille – es ist diese hier –« er nahm sein Glas ab und schaute nachsinnend darauf – »Ich las die Bekanntmachung in der Zeitung, daß ein Preisschießen für Bogenschützen stattfinden sollte, und da ich gerne mein neues Augenglas prüfen wollte, meldete ich mich und so kam es, daß ich wieder einen Bogen in die Hand nahm.«
»Das Gespräch scheint auf den Grünen Bogenschützen zu kommen,« meinte John Wood lächelnd. »Ist er in der letzten Zeit gesehen worden? In Belgien lese ich nur selten englische Zeitungen.«
Die Unterhaltung wurde nun allgemein. Valerie bekam durch vorsichtige und taktvolle Fragen heraus, daß Mr. Wood einen freien Abend hatte und brachte es durch dauernde Querfragen fertig, daß Mr. Howett ihn einlud.
Jim ging nachdenklich nach Hause. Er war zu welterfahren, um traurig zu werden oder der Eifersucht Ausdruck zu geben, die zweifellos sein Herz beschlichen hatte.