Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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58

Jim Featherstone war im Garten, als Valerie ihm einen Brief brachte, den sie ihm wortlos übergab.

»Meine liebe Miß Howett, als Sie mich damals in der Burg besuchten, fragten Sie mich nach Ihrer Mutter, und ich sagte Ihnen, daß ich nichts über sie wüßte. Zu jener Zeit hatte ich allen Grund, Ihnen nichts über sie mitzuteilen. Aber Ihre Mutter lebt, und wie ich vermute, geht es ihr gut. Wenn Sie mich noch einmal mit Ihrem Besuch beehren wollen, werde ich Ihnen alle möglichen Aufschlüsse geben können. Darf ich Ihnen mein aufrichtiges Bedauern aussprechen, daß Sie kürzlich so unangenehme Erfahrungen gemacht haben? Ich las die ganze Geschichte heute zum erstenmal in der Zeitung.

Mit besten Grüßen

Abel Bellamy.«

Jim las den Brief zweimal durch.

»Das ist ja wieder eine ganz moderne Version von der Fabel mit der Spinne und der Fliege,« sagte er. »Sie haben natürlich nichts Eiligeres zu tun, als zu ihm zu gehen?«

»Ich war schon gespannt, ob Sie das nicht sagen würden – aber trotzdem –«

»Es könnte ja etwas dafür sprechen, das gebe ich zu. Vielleicht will Bellamy sein Gewissen erleichtern, indem er Ihnen alles frei erzählt.«

»Welche Gefahr könnte denn damit verbunden sein?« fragte sie. Aber Jim war in diesem Punkt unerbittlich.

»Als Ihr Freund kann ich Sie nur bitten, nicht nach Garre Castle zu gehen, aber als Polizeibeamter muß ich es Ihnen direkt verbieten,« sagte er halb scherzend. »Bellamy würde zwar am hellen Tage keine Tricks versuchen, aber – eben sehe ich Spike Holland kommen.«

Spike kam eilig durch den Garten. Sein sommersprossiges Gesicht strahlte.

»Savini und seine Frau haben die Burg verlassen, und der Alte wirft seine ganze Dienerschaft auf die Straße,« sagte er atemlos. »Nur sind die Savinis noch nicht aus der Burg heraus. Ich habe das Tor seit heute morgen in aller Frühe beobachtet, denn Julius hatte mir versprochen, mir etwas zu berichten. Und um zehn Uhr erzählte mir Bellamy die Geschichte, daß er die beiden hinausgeworfen hat, weil er sie dabei ertappte, wie sie seinen Geldschrank berauben wollten.«

»Was vermuten Sie?«

»Daß Bellamy lügt. Savini ist noch dort und er und seine Frau unterstützen entweder den Alten dabei, alle Leute an der Nase herumzuführen, oder –«

»Nun?«

»Oder die beiden Savinis sitzen als Gefangene auf der Burg. Ich bin über nichts mehr erstaunt, was sich in Garre ereignet.«

Jim wollte eigentlich am selben Tag zur Stadt zurück, aber er rief statt dessen im Bureau an und ließ sofort Nachforschungen nach Julius Savini anstellen. Als am Nachmittag der Bericht kam, daß weder Julius noch seine Frau gesehen worden war, sandte er den Polizeibeamten von Garre Castle zur Burg, um Erkundigungen einzuziehen. Der Mann kam mit der Nachricht zurück, daß alle Dienstboten, mit Ausnahme des Pförtners und des Chauffeurs Sen, an diesem Nachmittag weggegangen seien. Es waren meistens Leute aus London und sie hatten Garre mit dem Nachmittagszug verlassen. Bellamy hatte großzügig gehandelt und ihnen reichlich Geld gegeben. Von den Savinis hatte er nichts anderes erfahren, als daß er ebenfalls mit seiner Frau die Burg verlassen hätte.

»Das waren alle Informationen, die er mir gab.«

»Wer hat Ihnen denn die Tür aufgemacht?«

»Mr. Bellamy selbst, mein Herr. Als ich wieder wegging, hörte ich, wie er die Tür verriegelte und abschloß.«

Jim konnte nichts anderes tun als ruhig abwarten.

Aber Abel Bellamy konnte nicht warten. Es war nur noch ein Hindernis, das zwischen ihm und der Ausführung seines Planes stand.

Über der Bibliothek von Garre Castle befanden sich Räume, die meistens fensterlos waren. Früher hatten die Gefolgsleute der de Curcys hier gewohnt, aber jetzt wurden sie teils als Abstellraume benützt, teils standen sie ganz leer. In einem dieser Zimmer schlief am Tage ein Mensch mit einem dunklen Gesicht, der böse dreinschaute, und dessen Anwesenheit in Garre Julius längst vermutet hatte.

Lacy war ein berufsmäßiger Dieb, der sich nicht viel Gedanken machte. Reue kannte er nicht, und seitdem er in Garre war, trug er eine ziemliche Gleichgültigkeit zur Schau, von der Bellamy jedoch keine Notiz nahm.

Der letzte der Dienstboten war kaum außer Sicht, als Lacy die Tür zur Bibliothek öffnete, ohne vorher anzuklopfen, und einfach zu seinem Herrn hineinging. Er hatte eine von Bellamys Zigarren im Munde. Die Hoffnung auf einen baldigen großen Erfolg hatte schon bessere Leute wie Lacy verdorben.

»Na, sind alle weg, Alter? Ich soll nun wahrscheinlich alles für Sie tun, was in meinen Kräften steht, wie? Aber glauben Sie ja nicht, daß ich jetzt noch den Diener spiele!«

»Habe ich Sie darum gefragt?« brummte Bellamy.

Lacy nahm die Zigarre aus dem Munde und schaute sie mürrisch an.

»Das ist keine von Ihren besten, Abel,« sagte er vorwurfsvoll. »Sie hätten sich im Traume nicht einfallen lassen, dem armen alten Smith Zigarren wie diese anzubieten! Und wenn ich nun sozusagen auch noch die Arbeit von Smith übernehmen soll, dann müssen Sie mich etwas besser behandeln.«

»Da steht eine Kiste Zigarren auf dem Tisch,« sagte der Alte. »Was wollen Sie denn, Lacy?«

»Ich wollte mal mit Ihnen reden,« antwortete der Mann und setzte sich bequem in Bellamys Armsessel. »Ich weiß noch nicht recht, was Sie vorhaben. Meinen Sie, daß ich für immer hier auf der Burg bleiben soll?«

»Wollen Sie nicht mit Featherstone abrechnen?«

Als Bellamy diesen Namen erwähnte, wurde Lacy ärgerlich und wütend.

»Ich werde ihn mir an einem der nächsten Tage kaufen,« stieß er zwischen den Zähnen hervor, »und ich werde ein Hühnchen mit ihm rupfen!«

»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen,« sagte Bellamy. »Sie werden ihn zu sehen kriegen.« Und mit einem Stirnrunzeln fügte er hinzu: »Dann können Sie ja das Hühnchen mit ihm rupfen.«

Lacy rauchte unentwegt und schaute mit düsteren Gedanken dem Rauch seiner Zigarre nach, der zur Decke emporstieg. Bellamy beobachtete ihn forschend.

»Was soll ich denn nun für Sie tun?« fragte Lacy plötzlich.

»Helfen Sie Sen.« Lacy schnitt eine Grimasse.

»Ich habe niemals in meinem Leben mit einem Chinesenhund zusammengearbeitet,« erwiderte er. »Das fällt mir auch jetzt nicht ein.« Lacy war in aufsässiger Stimmung. Für gewöhnlich hatte Bellamy kein langes Federlesen mit ihm gemacht, aber gerade jetzt begegnete er ihm mit erstaunlicher Milde.

»Wann ist Julius fortgegangen?«

Bellamy hatte sich auf seinen Schreibtisch gesetzt und schaute langsam eine Anzahl von Rechnungen durch, die Julius unerledigt zurückgelassen hatte. Zuerst schien er die Frage nicht gehört zu haben und erst als Lacy sie wiederholte, bekam er eine Antwort.

»Heute morgen.«

Lacy rauchte schweigend weiter und überlegte sich scheinbar allerhand.

»Ich denke, das war nicht richtig, daß Sie Julius haben gehen lassen. Er ist doch solch ein Kerl, der Sie sofort anzeigt, bevor Sie noch wissen, was los ist. Das hat mich sehr in Erstaunen gesetzt – solche riskanten Sachen haben Sie früher nicht gemacht! Da ist Julius und seine Frau und dann bin ich da – wir alle wissen von Ihren Geheimnissen. Nehmen Sie nun einmal an, einer von uns würde zur Polizei gehen, das würde Ihnen doch verdammt unangenehm sein.«

»Über Julius mache ich mir nicht die mindesten Sorgen und Ihretwegen erst recht nicht.«

Auf dem Tisch standen zwei Telephone. Die eine Leitung führte zu dem Pförtnerhaus. Plötzlich summte der eine Apparat und unterbrach Lacys Auseinandersetzungen.

»Ein Herr ist hier am Pförtnerhaus und wünscht Sie zu sprechen,« hörte Bellamy die Stimme des Portiers.

»Sagen Sie ihm, daß ich niemand empfange,« antwortete Bellamy grob. »Wer ist es denn?«

»Er sagt, daß er sich erkundigen wollte, ob die Burg verkauft wird.«

»Die ist doch überhaupt nicht zu verkaufen, Sie Dummkopf! Wer ist es denn?«

»Mr. John Wood. Er sagt, daß er direkt von Belgien gekommen ist, um Sie zu sprechen.«


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