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Jim rief den Inspektor der Flußpolizei herein. Sie steckten die Lampe im Salon an, bevor sie sich an eine weitere Untersuchung machten.
Coldharbour Smith mußte sofort tot gewesen sein. Der Pfeil war durchs Herz gegangen, und zwar mit solcher Gewalt, daß er auch noch das Holz der Rückenlehne durchbohrt hatte.
»Er muß irgend etwas gesehen haben, so daß er nach dem Revolver griff,« sagte Jim. »Wie lange mag er schon tot sein?«
Smiths Hände waren noch warm.
»Er muß getötet worden sein, während wir uns dem Schiff näherten.«
Jim eilte, um den Kapitän zu suchen. Er fand ihn in Tränen, und als er ihm die Tragödie erzählte, brach der Mann in einen Weinkrampf aus.
»Ich wußte, daß eine Dame an Bord war,« schluchzte er. »Aber bei –« und dann nannte er mit unglaublicher Schnelligkeit eine Anzahl von Heiligen – »wußte ich nicht, daß etwas nicht in Ordnung war. Ich bin ein vernünftiger und ruhiger Mann, mein Herr. Wenn ich geahnt hätte, daß die Dame nicht die Frau von Senor Smith war . . .«
»Wo ist sie jetzt?« fragte Jim scharf. »Ich warne Sie – wenn Sie mich hinters Licht führen wollen, werden Sie Vigo so bald nicht wiedersehen!«
In diesem Augenblick legte ein großes Polizeiboot am Schiff an, und gleich darauf waren die Decks mit uniformierten Leuten gefüllt. Der Dampfer wurde vom Kiel bis zum Mastkorb durchsucht, aber Valerie war nicht zu finden.
»Das Deckenfenster im Salon stand weit auf,« berichtete einer der Polizisten. »Das ist sehr merkwürdig in einer solchen Nacht wie heute.«
Jim hatte dies auch bemerkt. Bei der Besichtigung des Bootsdecks fand er eine lange Strickleiter, die scheinbar von einer unkundigen Hand an einer eisernen Stütze befestigt worden war. Obendrein entdeckte der Kapitän auch noch, daß ein Boot fehlte. Es war halb heruntergelassen gewesen, damit Leute darin stehen konnten, um die Schiffswand zu teeren. Jetzt sah man aber, daß die Haltetaue leer in der Luft hingen.
Valerie konnte das Boot nicht allein hinuntergelassen haben, das war Jim klar.
Wo mochte Julius Savini geblieben sein? Der Kapitän gab ihm die Erklärung.
»Der arme Smith hat ihn in dem kleinen Raum eingeschlossen, wo die Ankerketten verwahrt werden, er ist aber entkommen und an Land geschwommen.«
Der Mann, der Julius das Essen brachte, hatte ihn im Wasser schwimmen sehen. Er berichtete auch, daß er mit einem schweren Eisenbolzen nach ihm geworfen habe. Smith hätte er nicht sagen dürfen, daß der Gefangene so entkommen war.
Jim ging zum Salon zurück und ließ noch einige Lampen in den Raum bringen, um eine genaue Untersuchung durchzuführen.
»Das ist ein typischer Mord des Grünen Bogenschützen,« sagte er, als er zu Ende war. »Der Pfeil ist an genau derselben Stelle eingedrungen wie bei Craeger. Nicht einmal einen Fingerabdruck haben wir entdeckt, um den Mörder identifizieren zu können. Henker wäre vielleicht die richtigere Bezeichnung für diesen Mann.«
»Aber wie ist er wieder an Land gekommen?« fragte der Inspektor verwundert. »Wenn er den Fluß nicht ganz genau kennt, kann er sich in einer so nebligen Nacht nicht zurechtfinden.«
Jims Mut sank, als er sich klar machte, daß dasselbe für Valerie galt – es sei denn, daß sie mit dem Grünen Bogenschützen gegangen war.
Wenn erst das Ufer zu sehen war, konnte man sehr leicht landen, denn in dieser Gegend hatte jede kleine Straße, die von den langen Werften herunterkam, am Ende einen Landungsplatz.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Grüne Bogenschütze im Augenblick noch auf dem Fluß, er ruderte wohl durch den Nebel und suchte sich vergeblich zu retten.
Jim ließ eine Polizeimannschaft zur Bewachung des Schiffs zurück, bestieg dann wieder das Motorboot und begann eine systematische Absuchung des Flusses. Nur einmal sahen sie undeutlich durch den Nebel ein Schiff, das langsam den Strom herunterkam und ihnen einen Warnungsruf mit der Sirene gab, als sie fast schon mit ihm zusammengestoßen waren.
»Das ist die ›Gaika‹ – ein Fischdampfer,« sagte der Inspektor. »Wir hätten sie schon vorher am Geruch erkennen müssen.«
Von Zeit zu Zeit ließ Jim den Motor abstellen und sie lauschten, ob sie nicht das Geräusch von Rudern hören könnten. Aber erst als sie in die Nähe des Nordufers kamen, waren ihre Anstrengungen von Erfolg gekrönt.
»Hier ist ein Boot in der Nähe – hören Sie!« flüsterte der Inspektor und beugte seinen Kopf weit vor. Jim hörte auch unregelmäßige Ruderschläge.
»Der versteht sich nicht aufs Rudern, das ist kein Seemann,« sagte der Inspektor. »Mit einem Ruder kommt er immer eher ins Wasser!«
Jetzt konnten sie die Richtung feststellen, aus der das Geräusch kam. Das Motorboot fuhr langsam auf die Stelle zu. Als die Umrißlinien eines großen Warenspeichers durch den Nebel sichtbar wurden, sah Jim auch das Boot. Ein Mann saß darin und ruderte. Er steuerte auf eine der Landungsbrücken zu, die an den Enden der Straßen lagen.
Das Motorboot nahm die Verfolgung mit größter Geschwindigkeit auf, und sie kamen gerade an, als der Mann ausstieg.
»Halt!« rief Jim und sprang mit einem Satz auf den engen Landungssteg.
Der Mann drehte sich um und starrte ihn an.
»Sind Sie nicht Captain Featherstone?« fragte er. Jim war höchst erstaunt, denn er erkannte die Stimme von Mr. Howett.
»Aber . . . Mr. Howett, was machen Sie denn hier?«
»Ich hörte, daß Sie an Bord der ›Contessa‹ gehen wollten und folgte Ihnen,« sagte Howett ruhig. »Ich fand dieses Boot oder richtiger, ich sah einen Mann rudern, als ich mich nach einem Boot umsah und fragte, ob ich es nehmen könnte.«
Das klang sehr merkwürdig, und Jim hätte es sofort als eine Ausrede angesehen, wenn ihm ein anderer das erzählt hätte.
»Haben Sie Valerie gefunden?« fragte Mr. Howett.
»Nein, sie war nicht an Bord. Smith ist tot.«
»Tot? Und Valerie ist nicht an Bord? Wie starb Smith?«
»Er wurde vom Grünen Bogenschützen getötet.«
Mr. Howett antwortete nicht.
»Valerie ist entweder entkommen, oder man hat sie von dem Schiff entführt,« fuhr Jim fort. »Ich gehe nach Scotland Yard zurück – wollen Sie mich begleiten, Mr. Howett?«
Der andere nickte.
»Tot?« murmelte er. »Vollständig tot?«
»Ja, der ist für immer tot.«
Eine Stunde später erreichten sie Scotland Yard, denn sie kamen nur langsam vorwärts, da in der Stadt dichter Nebel herrschte. Im Bureau waren keine neuen Nachrichten eingetroffen. Jim hatte die Aufklärung des Mordes der Flußpolizei überlassen. Aber trotzdem er sehr müde war, machte er doch einen kurzen Bericht, nachdem er Mr. Howett in sein Hotel gebracht hatte.
Alle Stationen suchten nach Valerie, und während er schrieb, wurde er mindestens ein dutzendmal durch die Meldungen unterbrochen, die ihm telephonisch durchgegeben wurden.
Als er fertig war und das Bureau gerade verlassen wollte, wurde ihm Fay Clayton gemeldet.
Sie trat ein, verhärmt und mit geröteten Augen.
»Haben Sie Julius gefunden?« fragte sie.
Jim schüttelte den Kopf.
»Ich hoffe, daß er in Sicherheit ist. Smith hatte ihn an Bord der ›Contessa‹ gefangengesetzt. Das ist ein kleiner Dampfer, der auf dem Fluß verankert lag. Aber allem Anschein nach ist es ihm gelungen, davonzukommen. Sagen Sie mir, Fay, ist Savini ein guter Schwimmer?«
Fay lächelte trotz ihres Kummers.
»Mein Julius kann schwimmen wie ein Fisch,« sagte sie stolz. »Er ist der beste Schwimmer, den Sie jemals sahen, Featherstone. Wenn er mitten im Atlantischen Ozean Schiffbruch litte, würde er an Land schwimmen – aber warum fragen Sie mich das?«
»Weil er über Bord gesprungen ist. Es war etwas neblig, aber wenn er schwimmen kann, ist er ja in Sicherheit.«
Sie wurde wieder unsicher.
»Er wird ertrinken! Warum bemühen Sie sich nicht um ihn, Featherstone? Sie lassen ihn allein im Wasser und niemand sucht nach ihm – das ist Mord!«
Jim klopfte ihr auf die Schulter.
»Julius ist in Sicherheit,« erwiderte er freundlich. »Ich wünschte, ich könnte dasselbe von Miß Howett sagen.«
Er hatte schon auf der Zunge, daß es Julius nicht bestimmt war, zu ertrinken, aber er verschwieg es taktvollerweise. Er erzählte ihr aber von Coldharbour Smiths Tod.
»Das hat er verdient,« sagte sie schnell. »Der Mann war zu schlecht, um leben zu können, Featherstone. Er war ein abscheulicher Kerl. Aber Sie glauben doch nicht etwa, daß Julius ihn umgebracht hat?« fragte sie plötzlich. »Julius würde Bogen und Pfeil überhaupt nicht erkennen, wenn er sie sehen würde.«
Jim beruhigte sie darüber, daß auf Julius nicht der leiseste Verdacht fallen könnte. Dann schickte er sie nach Hause.
Die Autobusse und Untergrundbahnen gingen zu dieser Nachtstunde nicht mehr, und sie konnte auch keinen freien Wagen entdecken. So ging sie zu Fuß, obwohl es ihr Mühe machte, den Weg zu finden. Es war weit nach zwei Uhr, als sie müde und mit wunden Füßen den Hausblock erreichte, in dem ihre Wohnung lag. Vor der Tür hielt ein Auto, und sie erinnerte sich, daß dieser Wagen ein paar Minuten vorher an ihr vorbeigefahren war.
Im Schatten des Hauseingangs stand ein Mann. Sie erkannte sofort Abel Bellamy.
»Ich möchte ins Haus,« brummte er. »Einer meiner Freunde wohnt hier. Ich wußte nicht, daß die äußere Haustür nachts geschlossen wird.«
»Sie können nicht hereinkommen, Mr. Bellamy,« sagte sie böse. »Nachdem Sie meinen Mann so behandelt haben, wundere ich mich wirklich, daß Sie noch die Kühnheit haben hierherzukommen, obendrein zu einer solchen Stunde!«
Er schaute sie wild an.
»Ach so, Sie sind die Frau . . . Mrs. Savini? Ich bin hierher gekommen, um Ihrem Mann etwas mitzuteilen.«
»Das können Sie mir auch sagen. Und sagen Sie es schnell, denn ich bin sehr müde.«
»Ich habe entdeckt, daß dreitausend Dollars aus meinem Geldschrank gestohlen sind, und ich werde ihn verhaften lassen! Das ist alles, was ich zu sagen habe, Mrs. Savini.«
Sie packte ihn am Arm, als er sich umwandte, um zu gehen.
»Warten Sie! Das ist eine Falle, aber Sie sind ja viel zu gerissen, um ihm einen Ausweg gelassen zu haben. Kommen Sie herein und erzählen Sie mir alles.«
Er folgte ihr die Treppe hinauf in die Wohnung.
»Kommen Sie hier herein.« Sie drehte das Licht im Wohnzimmer an.
»Mein Gott, sehen Sie hübsch aus,« sagte sie, als sie sein häßliches Gesicht in der Nähe betrachtete.
»Ich soll wohl auch noch schön sein,« sagte er unwirsch und setzte sich auf einen Stuhl.
»Nun, was ist das für eine Geschichte mit dem Diebstahl, Mr. Bellamy? Ich bin davon überzeugt, daß Julius es nicht getan hat, denn er ist nicht von der Sorte.«
»Was, der wäre nicht so?« fragte er ärgerlich. »Das wissen Sie doch ganz genau. Aber immerhin, ich werde ihn nicht zur Anzeige bringen – und ich habe auch kein Geld eingebüßt. Aber ich möchte einmal mit Ihnen sprechen – junge Frau.«
»Na, das ist aber doch ein starkes Stück,« fuhr sie ihn an. »Sie lügen mich an, um ins Haus zu kommen – jetzt können Sie aber machen, daß Sie verschwinden, sonst werde ich sofort der Polizei telephonieren.«
Einen Augenblick trafen sie seine kalten Blicke, und unter diesem unheimlichen Einfluß verflog ihr Mut.
»Das werden Sie nicht tun! Ich muß Julius sprechen.«
»Er ist nicht hier.«
Der alte Mann sah sich um.
»Schauen Sie doch einmal in der Wohnung nach.«
Sie zögerte.
»Sehen Sie doch nach,« sagte er noch einmal, und sie ging aus dem Zimmer. Sie wußte nicht, warum sie die Tür zu dem früheren Zimmer Jerrys öffnete, vielleicht weil sie am nächsten lag. Sie machte Licht an und blieb erstaunt stehen. Julius lag auf dem Bett, schmutzig, ohne Kragen, unrasiert, aber er schlief fest.
Zuerst wollte sie ihren Augen nicht trauen, aber dann sprang sie mit einem Schrei auf ihn zu, nahm ihn in ihre Arme, weinte vor Freude und drückte ihr Gesicht an seinen schmutzigen Anzug. Julius erwachte langsam und blinzelte in dem Licht.
»Fay, du bist hoffentlich nicht böse . . . ich sagte ihr, sie sollte in dein Zimmer gehen.«
Fay eilte in ihr eigenes Schlafzimmer und sah, daß eine Frau in ihrem Bett lag. Sie erkannte sie sofort.
Valerie bewegte sich im Schlaf und seufzte, und Fay Clayton, so böse und niederträchtig sie auch manchmal sein konnte, beugte sich über sie und küßte sie auf die Wange.