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33

Noch liegt ein bleiches Licht über den ganzen Himmel gebreitet, das hin und her schwankt. Nur noch wenige Augenblicke, und wie mit einem Schlage ist es taghell. Und gleich darauf wird die Sonne groß und gewaltig über dem Horizont stehen …

Constanze spürt im Halbschlaf befangen den Kopf an ihrer Schulter … Einen Augenblick denkt sie halbbewußt: ach, ich bin wieder daheim – alles andere war ein wilder, phantastischer Traum – dies Mexiko – und Wellen des Schlafes spülen sie davon … Aber dann wird sie plötzlich ganz wach und liegt einen Augenblick wie in einem Boot, die Arme wie Ruder an sich gezogen, und läßt sich treiben … und nun weiß sie alles.

Neben ihr ruht nicht Christian, der sie heute nacht in die Gärten der Liebe führte. Willig war sie ihm gefolgt auf jene Wege, die gleich dieser anderen Erde wildere Blüten zeigten, Höhen mit vulkanischen Ausbrüchen, tiefere Abgründe und andere Ausblicke. –

Sie vernimmt noch seine Stimme an ihrer Schulter, ehe er einschlief: Liebstes – du bleibst doch bei mir – versprich es mir, nicht wahr, du bleibst …

Aber nun ist der Trank des Vergessens verflüchtet, und sie ist wach und von seltsamer Klarheit.

Dies ist nun nicht mehr Christian, der neben ihr liegt und dessen Atem ihre Schulter streift. – Heute nacht war er es, und darum beging sie keinen Betrug ihres Herzens, aber jetzt – wenn er erwacht – ist es ein Fremder. Und wenn er sie dann erneut in seine Arme nimmt, wird er zum Geliebten …

Und auf einmal weiß sie, daß sie dasselbe getan, was sie forttrieb von Christian. Aber der Mann konnte wohl in den Armen der Frau eine Geliebte erleben, nicht aber die Frau in den Armen eines Geliebten den Gefährten vieler, vieler Jahre.

Constanze preßt die Lippen zusammen. Sie fühlt sich plötzlich alt, uralt, tausend Jahre alt und so müde. Sie weiß nur das eine: sie muß darum fort, ehe er erwacht.

Sie erhebt sich. – Einen Augenblick, während ihre Hand über ihn greift, um sich aufzustützen, schwebt sie über ihm – schimmernd – ernsthaft in der Dunkelheit …

»Ach, Liebes«, hörte sie ihn murmeln – und schon gleitet sie zu Boden – schon hat sie sich eingehüllt und tritt auf das Dach.

Nur noch wenige Augenblicke, und die blutige Sonnenkugel erhebt sich über der Erde. Ein neuer Tag beginnt. Ein neuer Tag beginnt und ist doch eingebettet in die Zeitlosigkeit dieser Welt.

Drüben liegen noch massig, weißschultrig, lastend die Vulkane wie drohende urweltliche Tiere in verhaltenem Schweigen …

Die Treppen, über die Constanze hinab in ihr Zimmer schreitet, sind noch in die schwarzen Tücher der Nacht gehüllt.


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