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14

Und dann war doch alles getan. Die zwei Handkoffer, die bei Constanzes geringem Kleidervorrat vollauf genügten, waren gepackt. Seifen, Zahnkreme, Filmrollen und andere nötige Kleinigkeiten waren als Vorrat mitgenommen, damit jene Dinge die knappen ausländischen Barmittel nicht belasteten.

Am Sonnabend kam das Rehlein herunter, um Abschied zu nehmen. Constanze ging mit ihm durch den Englischen Garten. Es war ein köstliches Wetter, nachdem es vierzehn Tage mit Kübeln gegossen hatte und die geliebte Stadt grau in grau, nebeldurchtränkt und schmutzig ausgesehen hatte.

Das Rehlein trug schon das blaue Wintermäntelchen und den blauen Filzhut. Es wollte durchaus Muttis Hand halten, was es sonst nie tat. Es war heiter und aufgeregt und neugierig und stellte mit seiner tiefen Kleinmädelstimme tausend Fragen, ohne eine Antwort abzuwarten, und zeigte einen Riesenwunschzettel, was Constanze alles mitbringen müsse.

Im Chinesischen Turm trank Constanze mit ihm Schokolade, und das Rehlein durfte zwei Mohrenköpfe mit Schlagsahne essen – zur Feier des Tages – oder besser gesagt zur Feier des Abschieds: »damit du mich in guter Erinnerung behältst«, meinte Constanze lachend und beobachtete beglückt das strahlende Gesichtchen.

Und dann brachte sie das Kind in den Zug. Es war aber gar nicht so schmerzvoll, wie sie die ganze Zeit über gefürchtet hatte. Die Kleine, die nun schon ein halbes Jahr vom Elternhaus getrennt lebte, wußte ja, daß die Mutter in wenigen Monaten wiederkam. Es spürte vielleicht auch, daß die Mutter heiter und voll Erwartung der Reise entgegensah. Feinfühlig und frühreif, wie das Rehlein war, ahnte es, daß Constanze Kummer trug, und stellte keine Fragen, als Constanze im letzten Augenblick ihm ins Ohr flüsterte: »Rehlein, wenn Mutti wiederkommt, ist sie nicht mehr traurig – wenn vielleicht auch manches anders wird, als es bisher war.« …

Kurz, warm, herzlich wie ihre Freundschaft war der Abschied von Anna. Man vermied das Thema. Anna fühlte, daß Constanze es nicht mehr berühren mochte. Sie zeigte ihre photographischen Aufnahmen von Tetuan und brachte ihr Lektüre über Mexiko. Die stumme starke Umarmung, der Kuß, der erste, den sie sich gaben, sprach genug Liebe und Verständnis aus.

Und dann – es war schon dämmrig – ging Constanze in den Hofgarten, wo sie Robert Flemming erwartete.

Es waren ganz sonderbar warme, ja sommerlich heiße Tage. Merkwürdig und unberechenbar wie das Klima dieser schönen heiteren Stadt. Kein Mensch hatte geglaubt, daß es noch einmal warm würde. Der Herbst hatte wie so oft früh, allzu früh eingesetzt. Es war wochenlang kalt und regnerisch gewesen. Die Frauen trugen schon ihre Pelze oder jene sportlichen oberbayrischen Mäntel. Und nun war über Nacht jene Kältewelle vertrieben, und die Stadt erstrahlte wieder in der wunderbaren Klarheit der Konturen, der stimulierenden Luft, die Constanze immer wieder von neuem entzückte.

Die Tische und Stühle im Hofgarten und vor dem Café Luitpold waren schon seit einer Woche entfernt, da niemand mehr draußen sitzen konnte und kein Mensch mit diesem plötzlichen Wetterumschlag rechnete. Am Morgen waren nun in Eile einige Lastautomobile durch die Ludwigstraße gerollt, und wenige Stunden später hatte der Hofgarten wieder sein geliebtes Gesicht: Hunderte von weißgestrichenen Stühlen und Tischen waren wieder aufgestellt, und wie die Bienen hatten sich die Menschen eingefunden, die dankbar die Wiederkehr der Sonne und Wärme genossen. Fast alle saßen ohne Hut, das Gesicht den Sonnenstrahlen zugewandt, den Körper gelockert, die Beine von sich gestreckt. Constanze hatte dies alles vergnügt und verständnisvoll wahrgenommen, als sie am Morgen mit dem Rehlein durch den Hofgarten gekommen war. Sogar jetzt, da es dämmerte, war es noch sommerlich warm.

Constanze hatte sich um fünf Uhr mit dem Freunde verabredet, der zwischen zwei Proben auf ein Stündchen kommen wollte, um ihr Lebewohl zu sagen. Sie saß da – die Füße gegen den weißen Tisch gestemmt – wie immer ein wenig müde. Die riesige graue Eidechsentasche, die sie sich für die Reise erstanden hatte und die sie noch wie ein fremder Reisegefährte anmutete, lag ihr im Schoß. Die Tasche trug ein anderes Gesicht als die, die sie jahrelang täglich benutzt hatte. Es war keine kleine, bescheidene, abgeschabte Tasche mit Hausschlüsseln, Börse und Taschentuch. Es war eine große, anspruchsvolle, geräumige Tasche, eine wunderbare Tasche, die wunderbare Dinge barg: einen Paß, Prospekte, Fahrpläne. Ja, es lag sogar etwas darin, was sie mehr amüsierte, als daß es sie kränkte. Christian hatte Elena am Mittag zu Tisch heraufgenommen, weil er noch einiges Eilige mit ihr besprechen mußte. Und da hatte Elena ein Päckchen herausgezogen und es ihr überreicht mit der Bitte, es für die Reise mitzunehmen. Es war eine runde, sehr geschmackvolle Puderdose, und Constanze hatte sich im Augenblick gefragt, was bei Elena größer war, die Verlogenheit oder die Geschmacklosigkeit, sie zu beschenken. Christian hatte dabeigestanden und später erwähnt, wie außerordentlich liebenswürdig und großzügig Elena doch sei. Er sagte es so harmlos und mit Genugtuung, daß Constanze sich wunderte, wie Christian die Raffiniertheit Elenas nicht durchschaute, die sie in seiner Gegenwart beschenkte, um ihm, nicht ihr, zu gefallen.

Constanze sah nach der Uhr, sie zeigte fast sechs. Sie überlegte gerade, ob sie noch warten sollte oder ob ein Mißverständnis in der Verabredung vorlag, als Robert Flemming erschien. Er kam eilig und suchend durch den Hauptweg. Er trug nicht mehr seine oberbayrische Tracht, kam ohne Hut mit Knickerbocker und Sporthemd, das lange rotblonde Haar, das er mit nervöser Handbewegung oft nach hinten strich, lag ungeordnet zur Seite. Er sah abgehetzt aus wie immer, wenn er in der Stadt war.

»Sei nicht böse, Constanzerl, daß ich dich warten ließ, und arg ist's, daß ich nur ein halbes Stünderl Zeit habe. Diese verflixten Proben! Die Meinhardt, die hysterische Gans – verzeih die Ausdrücke –, aber die erschien natürlich wieder eine halbe Stunde später, als die Probe angesetzt war, und ohne die können wir bei der Hauptprobe nichts machen. Sie denkt, sie ist unersetzlich. Das sind wir alle nicht. Sie wird's schon so lange treiben, bis mir der Kragen platzt!«

»Du trägst ja keinen Kragen, Robert«, sagte Constanze lächelnd und legte ihre Hand auf seinen Arm, um ihn zu beruhigen.

Robert Flemming griff zerstreut an seinen Hals, entdeckte das offene Sporthemd und lachte.

»Ach, Constanzerl, wenn ich mit dir zusammen bin, vergeht mir stets mein Ärger.«

»Gut, daß ich dir auch mal etwas sein kann«, sagte Constanze. Es klang glücklich.

»Sein kann? … Ach Constanze, du bist ja gerade die Art Frau, zu der ein Mann hingehen möchte, um seine Sorgen auszupacken. Der Christian – der weiß gar nicht, was er an dir hat.«

»Ach, das weiß er schon – laß bitte –«, wehrte Constanze ab.

Sie schob jeden Gedanken beiseite, der das Problem Christian-Elena heraufbeschwor. Sie wollte nicht mehr grübeln, nicht mehr hoffen, sich nicht ängstigen, nur abwarten …

»Was trinkst du, Constanzerl?«

»Danke, ich hatte schon einen Kaffee – und du?«

»Ein Glas Apfelsaft, bitte«, sagte Flemming zu einer Kellnerin, die an den Tisch kam. Er saß auf seinem Stuhle rittlings, wie er es wohl bei seinen Proben tat. Es genierte ihn nicht, daß noch hier und da vereinzelte Gäste waren.

Es wurde schnell dunkel. Die großen Lampen flammten plötzlich auf. Die paar Menschen verloren sich. Der Hofgarten, der noch vor einer Stunde ein anderes Gesicht getragen hatte, war plötzlich leer. Kellner kamen, nahmen die Decken ab, stellten die Tische schräg, lehnten die Stühle dagegen und gingen fort … Eine Blumenfrau, die noch den ganzen Korb voll Veilchen hatte, kam an ihren Tisch.

Flemming, dem das Ritterliche, das Frauen lieben, eigentlich nicht eigen, suchte eifrig aus dem Korbe einen Strauß. Er legte ihn fast befangen und lächelnd vor Constanze hin. Und diese etwas verlegene Art beglückte sie.

Sie behielt die Veilchen in der Hand und drückte hin und wieder ihr Gesicht hinein, während er sprach.

»Also Constanzerl, wann geht's los?«

»Übermorgen abend.«

»Freust du dich?«

»Hm –«, Constanze schob die eine Schulter hoch – »ja – nein – doch –«, sagte sie und versuchte zu lächeln.

»Es ist gut, daß du für einige Zeit fortgehst«, sagte er zustimmend.

»Das sagt Anna auch.«

»Und wie sind deine Pläne?«

»Pläne? –«

»Du mußt dir doch irgendwelche Pläne gemacht haben?«

»Ach, Robert, Pläne sind immer sinnlos. Es kommt immer, immer anders …«

Und auf einmal sagte Constanze, – und sie fühlte, daß es im Widerspruch stand zu dem, was sie noch soeben betont hatte: »Ich glaube – ja, Robert, – ich glaube – ich komme nicht mehr zurück.«

»Aber Constanzerl, ich bitt' dich!«

»Ja, Robert, es wird nie wieder solchen Abend – solche Aussprache – solch Beisammensein zwischen uns geben wie heute …«

»Aber Constanze … mein Gott – höre, Constanze – gut, nehmen wir an, zwischen dir und Christian kommt es zu einer Trennung. Du wirst doch, auch wenn du dann in Berlin lebst, hin und wieder hierherkommen. Und dann werden wir im Hofgarten wieder sitzen. – Sicher ist es anders, aber zwischen uns bleibt es dasselbe.«

»Natürlich, Robert«, sagte Constanze und versuchte sich zu fangen. »Es überkam mich nur so …«, und sie wiederholte seine letzten Worte: »zwischen uns bleibt es dasselbe.«

»Vielleicht bleibt es auch nicht dasselbe«, sagte Flemming plötzlich und beugte sich vor.

»Ich versteh dich nicht, Robert«, sagte Constanze völlig unbefangen und sah ihn an.

»Das Wissen um die Vergänglichkeit alles Irdischen und darum auch aller menschlichen Beziehungen läßt Hoffnungen erstehen«, sagte er ernst.

Sie verstand ihn noch immer nicht. Sie saß vorgebeugt und dachte angestrengt nach.

Er schaute sie unverwandt an, als ob er sich ihr Gesicht noch einmal einprägen wollte, das ihn nun für so lange Zeit verließ. Ihre Augen lagen im Schatten des großen Hutes. Er sah nur die schmalen Umrisse ihrer Gestalt.

»Du erinnerst mich sehr an Maina«, sagte er ernst.

Nun verstand sie ihn. Aber sie war so sehr Frau, daß sie es vermochte, ihn glauben zu machen, sie begreife ihn nicht.

»Darum versteh' ich dich vielleicht auch so gut«, sagte sie ablehnend und sanft: »also auf weitere Freundschaft – wie es auch kommen mag.« Und sie streckte ihm die freie Hand hin, die er einen Augenblick länger behielt, als ihr lieb war.

»Ich müßte längst gehen, man wird auf mich warten«, sagte er und stand auf.

»Also auf Wiedersehn«, sagte Constanze und versuchte auch diesem letzten Zusammensein die Schwere zu nehmen.

Sie standen einander gegenüber. Sie sieht zierlich und irgendwie hilflos aus – man sollte sie vielleicht doch nicht so weit reisen lassen, dachte er plötzlich.

»Ich danke dir für alles, was du mir gegeben hast«, sagte er.

»Was konnte ich dir geben«, sagte sie, benommen und seltsam entrückt … »eine Erinnerung, nicht mehr …«

»Doch mehr – viel mehr«, sagte er kühn, »es ist auch ein wenig Hoffnung dabei – – –«

Sie schaute zu ihm auf: »Ich dachte, Robert, du wünschest mir und Christian, daß wir uns wiederfinden …?«

»Das tu ich auch«, antwortete er, »aber, wie du selbst sagst, alles kommt oft anders, als man wünscht. Ich spann nur Gedankenfäden – –« Er sprach nicht zusammenhängend.

Sie wußte, was er meinte.

Einen Augenblick dachte sie, daß sie Robert hätte lieben können, wenn sie Christian nicht begegnet wäre – erkannte, was sie ihm bedeutete, was er ihr war.

Ich möchte, ich könnte ihm etwas schenken, dachte sie gequält …

Nur wenige Augenblicke blieben ihnen noch, da sie dem Ausgang zuschritten.

Es war dunkel geworden. Die große Ecklaterne beleuchtete sein Gesicht, während das ihre durch die Krempe des Hutes im Schatten verblieb. Sie legte plötzlich ihre Hand auf seinen Arm, als ob sie ihn zurückhalten wollte.

Verwundert blickte er auf sie herab. – Doch ehe er begriff – noch eine Frage stellen konnte, hatte sie ihre Hände auf seine Schultern gelegt, und ein flüchtiger Kuß – leicht wie die Schwingen eines Falters – berührte seine Lippen.

Ehe er, überwältigt ob dieser Gabe, etwas zu sagen, sie zurückzuhalten vermochte, sah er sie schon eilends dahinschreiten.

Constanze ging schnell und wiederum ruhigen Schrittes. Doch plötzlich blieb sie stehen, als ob sie etwas vergessen hätte. Sie betrachtete nachdenklich die Veilchen, die sie noch immer in der Hand behielt, und suchte mit Bedacht eine besonders schöne Blüte heraus, die sie behutsam zwischen die Blätter ihres Passes legte. Dann wandte sie sich um …

Über den hohen Bäumen des Hofgartens sah sie den Orion erstrahlen. Er stand tief und sank abwärts gen Westen.


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