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32

Als Hartmann kam, war es schon Abend. Er sah, daß etwas Unwiderrufliches geschehen, spürte, daß eine große Veränderung mit Constanze vorgegangen war. Daß sie nur scheinbar so leichtfüßig, elastisch, geschlossen neben ihm herging. Daß sie in Wirklichkeit einem verlorenen, verwehten Blatt glich …

»Wir wollen etwas gehen«, bat sie.

Nun gingen sie schon seit einer Stunde durch die abendlichen Straßen. An der Humboldtakademie vorbei, die endlose Via 16 septembre entlang, durch die schmalen hohen Gassen an spanischen alten Kirchen vorbei, an düsteren Palazzi.

Über ihnen hing ein Stück obsidianfarbener Himmel, schaukelten nahe, große einsame Sterne.

»Sie sollten sich ins Bett legen«, sagte er plötzlich und blieb stehen. Sie stand da, wie er sie das erstemal auf der Mine gesehen hatte, in dem grauen Leinenkleid mit dem bunten Seidentuch um den Hals geknotet.

Auch sie verhielt ihren Schritt und sah zu ihm empor. Um sie lag der betörende Hauch einer zarten Hilflosigkeit, die ihn erschütterte …

»Sie sollten zu Bett gehen«, wiederholte er, und eine verhaltene Zärtlichkeit schwang in seinen Worten. »Sie brauchen Ruhe –«

»Ich kann nicht ins Bett gehen«, sagte sie, »ich kann es nicht. – Bitte, gehen Sie noch ein wenig mit mir.«

Sie sah seinen besorgten Blick und schritt weiter. Er war unschlüssig. Fragen mochte er nicht. Und sie verharrte in ihrer verschlossenen Art, die sie immer gezeigt hatte.

Er hatte den Wunsch, sie bei den Schultern zu nehmen und zu sagen: Kind – um Gottes willen, sag, was ist geschehen, sprich dich aus, befreie dein Herz. Aber das hätte er zu anderen Frauen gesagt, nicht zu dieser Frau. Sie erschien ihm stets wie von einer perlmutternen Schale umgeben.

»Ich muß morgen frühzeitig nach Pachuca«, sagte er. Er sagte es nur, um etwas zu sagen.

»Ja«, sagte sie. Dann schwieg sie wieder.

»Ich bin nur hereingekommen, weil Reinhardts mir auf meinen Anruf sagten, Sie wohnten hier in der Isabelle. Nun, nächsten Sonnabend hoffe ich rechtzeitig kommen zu können.«

»Sieht es ernst auf der Mine aus?«

»Nein, ich denke nicht. Aber solche Ausbrüche sind unberechenbar. Die Indios werden kommunistisch verhetzt.«

»So?« sagte sie. Es klang höflich, uninteressiert.

Auf einmal spürte sie, wie er seinen Arm unter ihren Ellenbogen schob … »Kommen Sie«, sagte er, »setzen wir uns ein wenig in diese Caféteria. Wir können nicht die ganze Nacht durch diese schlafenden Straßen wandern.«

Die Tür stand offen. Es saßen nur wenige Menschen an den kleinen Tischen mit den Marmorplatten, die alle dasselbe Gesicht trugen, ob sie in Mexiko oder Warschau, in München oder New York standen: fleckig – grau – mit Kaffeeringen beschmutzt.

»Was wollen wir trinken?« fragte er.

Auch er war verändert. Das knabenhafte, ungebändigte Wesen hatte einer gewissen warmen Behutsamkeit Platz gemacht.

»Kaffee«, bat sie. Sie sah so müde aus.

»Keinen Kaffee«, sagte er diktatorisch. »Dann schlafen Sie gar nicht.«

»Zwei Dinge fehlen mir noch zu meinen mexikanischen Erlebnissen«, sagte sie und versuchte zu scherzen. »Ich habe noch keine Pulque probiert und habe noch nicht das südliche Kreuz gesehen.«

»Das soll beides heute nacht geschehen«, sagte er wie zu einem Kind, dem man einen Wunsch erfüllen will, um es wieder fröhlich zu machen.

Constanze nippte an dem molkigen Getränk.

»Es ist angenehm und erfrischend«, lobte sie und trank hastig.

»Trinken Sie nicht so schnell«, warnte er. »Der Trank ist gefährlich …«

»Er nimmt den Kummer von der Seele«, zitierte sie und versuchte zu lachen, aber ihre Stimme klang brüchig.

»Sind Sie auch schon soweit«, sagte er, beugte sich über den Tisch und sah sie ernst an.

»Ja, ich bin nun auch soweit«, sagte Constanze und nahm das Tuch von ihren Schultern. Ihr Ton war ihm fremd. Er betrachtete sie unverwandt.

»Ja – er nimmt den Kummer von der Seele«, sagte sie mit seltsamer frivoler Fröhlichkeit, die ihn erschreckte.

»Aber Constanze – Liebes«, sagte er und legte seine Hand auf die ihre.

Sie sah darauf nieder – Christians Hand. Ja – sein Mund glich auch dem Christians. – Man brauchte gar nicht mehr die Augen halb zu schließen, um sich zu sagen, das ist Christian, der da sitzt – der wieder bei dir ist … Sie konnte sich jetzt auch leicht vorstellen: wir sind ja nur wie so häufig durch die schlafenden Straßen gegangen, begleitet vom hallenden Klang der eigenen Tritte … Und nun sitzen wir beisammen. – Es war auch nicht viel anders als an den kleinen Marmortischen im Hofgarten. – Man brauchte nur – ja, man brauchte nur noch ein wenig mehr von dieser milchigen Flüssigkeit zu trinken.

»Mein Mann hat eine Geliebte«, sagte sie plötzlich. Der Trank hatte die Bänder ihrer Beherrschung gelöst. »Ja, mein Mann hat eine Geliebte und will sie heiraten.« –

Hartmann saß wie gelähmt. Also – das war das Rätsel, das sie umgab …

»Wir alle machen etwas Ähnliches durch«, hörte sie Hartmann behutsam sagen. Aber es klang fern – sehr fern.

»Ich will darum abreisen«, sagte sie in einer plötzlichen Klarheit. »Ich will – ich muß ein neues Leben mit meinem Kinde aufbauen …«

»Wir werden noch über alles sprechen, wenn Sie ruhiger sind«, hörte sie ihn sagen. »Tun Sie bitte nichts Übereiltes. Ich bin nächsten Sonnabend wieder hier … Constanze – Liebstes –«

Er ergriff spontan ihre beiden kalten Hände und zog sie zu sich hinüber. Ihre Hände gingen zur Ruhe unter dem sanften Druck der seinen. Sie fanden Schutz, Trost, Wärme, Liebe, Vereinigung. – Sie hatte ein merkwürdiges doppeltes Bewußtsein, als säße sie hier – und in München.

»Du mußt schlafen«, hörte sie ihn wie durch einen Nebel sagen. Er erhob sich. – Sie zitterte. – Es waren nur wenige Schritte bis zum Hotel …

Das große Tor stand die ganze Nacht offen. In der weiten Halle mit den roten Ledersesseln war kein Mensch, die Uhr zeigte fast eins.

In der Portierloge saß ein Angestellter, ein Mestize. Aber er schlief, hörte nicht, wie sie auf den Fahrstuhl zugingen.

»Erster Stock«, sagte Constanze mechanisch. Die Tür fiel ins Schloß … Der Fahrstuhl flog empor, der Zeiger zog langsam seine Bahn – erster – zweiter – dritter – vierter Stock … Jetzt mußte gleich das Dach kommen.

Constanze stand mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt und sah verwirrt Christian vor sich, der von dem matten Deckenlicht des Fahrstuhls beleuchtet vor ihr stand.

Sie schaute ihn an: ihr Gesicht war von durchsichtiger Blässe und tragischer Schönheit.

»Ich will dir heute nacht das südliche Kreuz zeigen«, sagte er … und nahm sie in seine Arme. –


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