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Sie kam unerwartet aus Warschau zurück. Der Rückflug war unerfreulich. Die Maschine bockte, wie es der Pilot nannte. Sie hörte, wie sich die Flugzeugführer über die Wolkenhöhe und Wolkenart, über Bedeckung, Bodenwindstärke und Höhenwinde ernsthaft berieten …
Aber sie landete, wenn auch verspätet und durchgeschüttelt und leicht luftkrank, in München und stand eine halbe Stunde später in Christians Büro, das auf dem Wege zu ihrer Wohnung lag.
Der helle Staubmantel verdeckte ihr Jackenkleid. Im Arm hatte sie einen förmlichen Hügel roter Rosen, die Dr. Reinhardt, der weiß Gott noch auf dem Flugplatz erschienen war, ihr in die Kabine gereicht hatte und die so frisch waren, als ob sie sie soeben erhalten hätte.
Die Anregung der Reise, die bereichernden Eindrücke und Erlebnisse hatten sie derart belebt, daß Christian erstaunt war. Es war eine völlig veränderte Constanze – es war ein junges elastisches Mädchen, eine erfolgreiche Künstlerin, die da stand und sich in ihren Berichten freudig überstürzte – etwas, was Christian noch nie an ihr erlebt hatte.
Einen Augenblick erschien Elena in der Tür. Sie trug einen weißen Kittel und eine Hornbrille und wirkte fremd. Sie war sehr beschäftigt, musterte Constanze – grüßte sie kurz, tat interessiert und fragte Christian sachliche Dinge, ehe sie weitereilte.
»Ich begleite dich, warte einen Augenblick«, sagte Christian und schlüpfte aus dem weißen Mantel.
Er nahm ihre leichte Handtasche, und sie gingen zu Fuß, denn Constanze war lufthungrig nach dem anstrengenden Flug.
Sie gingen darum langsam – der Weg war weit. Constanze berichtete ausführlich: die Eröffnung im Palace Lazeiencki – die Begegnung mit Dr. Reinhardt, die Ausflüge mit Dr. Reinhardt und seiner Schwester, der Auftrag für Dr. Reinhardts Frau, die Einladung nach Mexiko …
»Dr. Reinhardt – Dr. Reinhardt – Dr. Reinhardt«, sagte Christian lächelnd, »wohl eine dolle Eroberung gemacht, kleine Frau?«
»Oh, gar nicht in der Richtung, wie du immer gleich vermutest«, wehrte Constanze ab. Sie wollte die Begegnung mit Dr. Reinhardt in der Beurteilung sehen, die ihr zukam. »Aber paß auf, Christian, jetzt werd' ich arbeiten, arbeiten. Vielleicht bekomme ich da drüben auch noch einen Kundenkreis.«
»In Warschau?«
»Ja, dort auch – ich dachte soeben an Mexiko.«
Ihr war warm geworden. Sie zog den Staubmantel aus, hängte ihn sich über den Arm und nahm den Hut in die Hand. Sie schritt neben ihm her. Das Blond ihres Haares wirkte fast silbern, wenn das verschwommene Licht der Laternen es berührte.
Sie gingen jetzt durch die stillgewordenen schmalen Straßen mit den hohen Häuserfronten – über ihnen ein Stück geschliffener blaugrüner Himmel mit gelben Flecken. Hin und wieder kam ihnen ein einsamer Fußgänger entgegen – ein Wagen, der schläfrig über das Pflaster glitt …
Die abendlichen Straßen, das Stück Himmel, der hallende Tritt an ihrer Seite – die Zukunftspläne, die sie besprachen –, all diese Momente zusammen waren wie eine Melodie, die erklingt und einen an etwas erinnert, ehe die Erinnerung noch selbst klar wird.
Constanze verfiel in Nachdenken, und nun wußte sie es: so waren sie jahrelang abends durch die Straßen gewandert – wenn sie nicht mehr arbeiten konnten –, immer um einen großen Häuserblock herum, und hatten Pläne geschmiedet, ehe sie auseinandergingen.
Und jetzt schmiedete sie wieder Pläne, die aber sie allein betrafen – nur sie und ihre eigene Zukunft.
»Ich bin sicher, Dr. Reinhardt ist in dich verliebt«, sagte Christian … Er hatte die Arme unter den Kopf gelegt und schaute schläfrig zur Decke ihres kleinen Schlafraums empor.
Constanze legte die Bilder und Hefte, die sie von ihrer Reise mitgebracht hatte, auf den Nachttisch und verlöschte das Licht. »Ach Christian, wenn du bloß begriffest, daß ich ein völlig untaugliches Objekt für Liebhaber bin …«, sagte sie im Dunkeln.
In diesem Augenblick sah sie ganz deutlich Anna den Kopf schütteln – na ja – diplomatisch war sie bestimmt nie – sie war zu einfach, ohne jegliche Berechnung.
»Nun, wundern würde ich mich nicht«, sagte das andere Bett …
Sie fühlte plötzlich das nagende, herzbeklemmende Gefühl, daß sie schon seit Monaten jeglicher zärtlichen Begegnung mit Christian ausgewichen war, seitdem sie vermutete, daß er Elena liebte …
»Ich begreife wirklich nicht«, hörte sie Christian murmeln, »daß du dich niemals in einen anderen Mann ernsthaft verliebt hast.«
»Ihr Männer begreift oft die einfachsten Dinge nicht«, bemerkte sie mit leichtem Hochmut. Es klang ganz hell und klar.
Sie war gar nicht müde. Sie richtete sich plötzlich im Bett auf, zog das eine Bein unter ihren Körper, stützte ihren Ellbogen auf die Knie und legte ihr Gesicht in die geöffnete Hand wie in eine kühle Schale.
Sie empfand eine unerklärliche Unruhe im Blut und den starken, fließenden, verströmenden Wunsch, daß er sie in die Arme nehmen möchte und sie sich in ihm vergraben könnte, um alle Schmerzen auszulöschen.
Im Dunkel der Nacht sah sie die schöne Form seiner Stirn, die Ader an der Schläfe, die manches Mal hervortrat, wenn er erregt war …
Mir ist alles an ihm lieb, dachte sie fast zornig …
»Ach Conny«, sagte die Stimme neben ihr … Er seufzte: »Ach Conny – gib mir mein Plätzchen – nichts weiter – –«
Ihr Herz klopfte, es tat fast weh. Sie ließ sich langsam zurückgleiten und legte seinen Kopf auf ihre schmale Schulter, die sich ihm als ein ovales Kissen darbot …
Das ja, dachte sie verängstigt, aber nichts weiter – –
»Ach Conny …«
»Sprich nicht –«, sagte sie ernst. »Du sollst jetzt gar nicht sprechen.«
Er legte sich zurecht, wühlte seinen Kopf in ihre kleine Schulter und atmete tief. – Sein Haar fiel ihr über das Gesicht, aber sie regte sich nicht …
»Du bist so gut zu mir«, sagte er dankbar.
Sie spürte plötzlich, daß er sich langsam zu ihr hinüberschob und auf eine Antwort ihres Körpers wartete. Aber trotz aller Sehnsucht, die in ihr aufgespeichert war, antwortete sie nicht. Ihre Augen blickten sehr wach. Sie lag wie ein Wächter, der bereit ist, jeglichen Übergriff abzuwehren.
Ach, wie quälend kann eine Ehe sein, wenn es keine Ehe mehr ist, dachte sie plötzlich sehr klar – sehr nüchtern.
»Ach Conny –«, sagte Christian plötzlich. Seine Stimme klang jetzt nicht mehr schläfrig, sondern sehnsüchtig – fordernd.
Und plötzlich lag sie in seinen Armen. Sie erschrak über die Heftigkeit, mit der er von ihrem Mund Besitz ergriff, der sich ihm nicht öffnen wollte und sich doch sehnsüchtig ergab.
Er küßte sie wild, hemmungslos, gedankenlos, ohne auf eine Antwort zu warten … Sie hörte sein Herz dumpf und hart schlagen. – Sie lag unbeteiligt – erschreckt – und fühlte sich ihm zum ersten Male fremd, ganz fremd – – –
Es war nicht Christian, der sie küßte. Nie war er ihr jemals fremd erschienen. Sie gehörte zu den kühlen und doch sensitiven Frauen, bei denen selbst in der Hingabe die Bewußtheit nie völlig aussetzt, und darum erkannte sie plötzlich wie hellsichtig, daß dieser elementare Ausbruch – diese scheinbar gedankenlose Besitznahme, die sie gleichsam ausschaltete, etwas Neues, ganz anderes zu bedeuten hatte: er umarmte Elena – – –
An eine Frau in Leidenschaft denken und sich einer anderen geben war aber ein Betrug gegen die heiligsten Gesetze. Sich den Liebkosungen Christians ausgeliefert zu sehen und zu erkennen, daß sie einer anderen galten, verursachte in ihr darum einen Zusammenbruch …
Sie legte den Kopf zur Seite, völlig fassungslos, und mit Mühe unterdrückte sie einen Schrei …
Aber es klang doch wie ein verwundeter Laut, der ihn erweckte.
»Conny – um Gottes willen«, sagte er erschreckt.
Er griff nach der Lampe, die aufflammte, und betrachtete ihr schönes blasses Gesicht, das von Melancholie überschüttet war. Sie lag da, als ob sie gekreuzigt wäre.
»Ach Conny – um Gottes willen – sag –«, wiederholte er.
Er erkannte, daß etwas geschehen war, das sie zerbrochen hatte. Aber sie war unfähig, ihm die Erklärung zu geben.
Er drang in sie, aber sie hielt die Augen geschlossen und den Mund zusammengepreßt, als ob sie das Geheimnis dieser Nacht nicht preisgeben durfte, um nicht etwas Unwiderrufliches auszusprechen … Dinge der Liebe hatten ihre eigenen Gesetze.
Sie war stets ein wundersames Instrument unter seiner Berührung gewesen, und aus seinen Liebesstunden kannte er den ekstatischen Ausdruck ihrer brechenden Augen, wenn sie sich ihm ergab. Aber heute nacht? –
Es war etwas Unwiderrufliches geschehen. Er fühlte, er durfte nicht in sie dringen …