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26

Wenige Tage später, als Constanze eines Nachmittags aus der Kathedrale kam und den Zocalo überschritt, um in die Hauptstraße, die Avenida Madero, einzubiegen, sah sie schon von weitem jene Gestalt auf sich zukommen, die Christian glich.

Hartmann erkannte auch sie von ferne und lachte.

»Nicht wahr, heute sehe ich nicht ganz aus wie so ein Minenbandit«, sagte er in der ihm eigenen Art und sah stolz auf seinen Zivilanzug, der sehr neu schien und ihn nicht einmal gut kleidete. Er hatte etwas so Urwüchsiges an sich, daß er in dieser modernen Zivilkleidung eingezwängt wirkte.

»Trinken wir eine Tasse Kaffee zusammen bei Sanborn«, meinte er, »oder müssen Sie nach Hause?«

»Nein, wir essen erst um sechs Uhr.«

»Und wohin sollte es gehen?« fragte er.

Er ging neben ihr her, und sie spürte, wie es ihn freute, ihr begegnet zu sein.

»Ich wollte soeben in einen Film gehen: ›Tormento sobre Mexico‹. Er soll ausgezeichnet sein.«

»›Sturm über Mexiko‹, ja – ja – sagen wir ruhig ›Wetterleuchten über den Anden‹. Ob ich das noch miterlebe, wenn der Sturm über Mexiko ausbricht? Wenn solch dunkle Rassen sich erheben, Menschen, die gleich den Vulkanen unterirdisch lodern, voll dämonischen Hasses – wenn all die niedergehaltene Kraft aufflammt, mein Gott – das muß sein, als ob der Jüngste Tag anbricht.«

»Unausdenkbar ist es«, pflichtete Constanze bei.

»Wissen Sie, wenn der Indianer das Messer im Leibe des Gegners knirschen hört –, das ist für ihn eine Lust, die stärker ist als jede Liebeslust.«

»Ich wünsche Ihnen nicht, daß Sie das miterleben«, unterbrach sie ihn.

»Oh –, ich wünschte es mir«, sagte er lebhaft, »obgleich ich weiß, daß ich dabei zugrunde gehe.«

»Sind Sie ein Abenteurer?«

»Das nicht, aber ich verstehe den Indianer so sehr, daß ich ihm objektiv recht geben muß. Verstehen Sie das?«

»Ich verstehe das schon, aber fürchterlich muß es doch sein: als ob die Erde aufbricht und alles verschlingt.«

»Ja –, so wird es sein … Aber darf ich Sie begleiten? Ich habe nichts weiter vor.«

Sie waren vor dem Lichtspielhaus angekommen, und das Dunkel des kühlen Raumes tat gut nach der blendenden Helle der harten, grellen Straßen …

Der Film war hervorragend, aber gefährlich und aufreizend. Er behandelte das ewige Thema: den unterjochten Indio – die Erhebung des Indio – das befreite Mexiko. Der Film bedeutete nicht eine solche Gefahr, wenn er nicht so künstlerisch gewesen wäre, aber er war hervorragend, hervorragend wie die Fresken jener Maler, die eindringlicher predigen als Worte.

Und wieder im Dämmer des Raumes, da sie das Gesicht des Mannes an ihrer Seite nicht klar zu sehen vermochte, gab sie sich der süßen gefährlichen Täuschung hin, Christian säße neben ihr.

Es war schon dunkel, als sie das Lichtspielhaus verließen. »Schenken Sie mir den Abend«, bat er. »Ich möchte mit Ihnen in einem Tal am Ende der Stadt, in einem berühmten schönen Garten zu Abend speisen. Machen Sie einem Landsmann die Freude.«

»Gern«, erwiderte Constanze, »aber ich will erst Reinhardts anrufen, damit sie sich nicht ängstigen.«

»Ich werde es für Sie tun. Wir fahren gleich nach San Angels Inn, und dort rufe ich an.«

Hartmann hatte nicht zuviel versprochen. Es war ein ungewöhnlich schönes Fleckchen Erde, zu dem er sie führte. Ein ehemaliges Kloster im spanischen Missionsstil mit einem herrlichen Garten war zu einem Hotel umgebaut. In dem Patio, der noch den spanisch-klösterlichen Zauber trug, nahmen sie Platz.

»Ich habe versprochen, Sie sound and safe abzuliefern«, sagte er fröhlich, als er aus der Telefonzelle kam. Er sagte dies »heil und gesund« mit leichtem, liebenswürdigem Spott, als ob sie sich mit ihm in eine Gefahrenzone begäbe.

»Aber erst – was werden wir speisen?«

»Das mexikanische Essen kann ich nicht vertragen«, sagte Constanze entschuldigend, »es ist mir zu scharf.«

»Das wollte ich meinen – die Zunge, der Gaumen liegen dabei im Fegefeuer, dazu gehört auch ein mexikanischer Magen. Bleiben wir also bei der amerikanischen Küche, die ja vorzüglich ist. Beginnen wir also mit einem Fisch.«

Er sagte dies alles in einer fröhlichen, lebendigen Art, die sich auf Constanze übertrug.

»Wie schön dieser Abend –, welch netter Gedanke von Ihnen«, sagte sie beglückt.

Sie betrachtete ihn. – Der Schein der Tischlampe beleuchtete sein Gesicht. Er sah in der Nähe gar nicht so jung aus, wie sie in Pachuca gemeint hatte.

»Was denken Sie?« fragte er in neckendem Ton. »Sie dachten etwas, was mich anging.«

»Ja –«, sagte sie etwas verlegen.

»Darf ich es nicht wissen – ist es – – so schlimm?«

»O nein«, wehrte sie ab. »Ich darf es schon sagen – ich überlegte, wie alt Sie sein möchten … Sie sind so schwer zu schätzen.«

»Raten Sie – – –«

»Nun gut – in Pachuca dachte ich einige dreißig Jahre und heute – heute denke ich – älter – viel älter.«

»Ja, zweiundvierzig – also ein alter Knabe«, sagte er scherzend.

»Das hätte ich kaum gedacht. Also etwas älter als mein Mann.«

»Ach ja – Sie haben einen Mann«, meinte er, »das vergißt man.«

»Warum vergißt man das?« meinte Constanze belustigt.

Der Kellner kam und brachte den Fisch, legte ihn auf, bediente sie und enthob ihn damit der Antwort …

Aber er nahm das Gespräch wieder auf: »Ja – als ich Sie sah, dachte ich, Sie seien unverheiratet. Ich weiß nicht – Sie wirken unverheiratet.«

»Also wie ein altes Mädchen«, meinte sie vergnügt.

»Nun, gnädige Frau, Sie wissen, daß ich das nicht meine. Ich möchte keine banalen Komplimente machen. Aber – so eine alleinreisende junge schöne Frau …«

»Ich bin nicht so jung, wie ich aussehe«, unterbrach Constanze ehrlich, »ich bin schon sechsunddreißig Jahre.«

»Wie nett Sie das sagen. Es ist ja auch gleichgültig, wie alt eine Frau ist. Die Wirkung ihres Wesens, ihr Scharm und Aussehen ist das Wesentliche. Es ist zu eigenartig, eine Amerikanerin oder Engländerin würde nie ihr Alter nennen – ja nicht einmal ihre eigenen Kinder dürfen es wissen.«

»Ich habe das nie verstanden«, sagte Constanze. »Mein Leben war auch zu ernst, zu schwer – ich habe keine Zeit gehabt, über solche Dinge nachzudenken …«

Hartmann sah auf. Er betrachtete sie, als ob er sie von neuem erblickte – – – das blasse Gesicht, olivenfarben überhaucht, die grauen ernsten Augen.

»Wie mögen Sie ohne Hut aussehen?« sagte er plötzlich.

Sie lachte. – »Hier«, sagte sie unbekümmert und nahm den Hut ab. Sie legte ihn auf die Balustrade und sah Hartmann an. Er sah das straff nach hinten genommene Haar, das in der Beleuchtung wie eine silberne Kappe wirkte, die schön geformten Ohren, den schmalen Halsansatz …

»Also noch schöner«, sagte er ernst.

Sie wurde verlegen – wollte den Hut wieder aufsetzen … Er wehrte ab: »Bitte nicht, bitte nicht, ich bin nämlich wahnsinnig verliebt in Sie –«

Es kam so unmittelbar – es kam, als ob etwas aus ihm herausbräche, das er nicht mehr zu unterdrücken vermochte.

»Aber Sie kennen mich ja viel zuwenig«, sagte sie ausweichend. Sie spürte, daß sie errötete, und ärgerte sich.

»Um sich in Sie zu verlieben, braucht man keine Stunde.« Er schob den Teller von sich und beugte sich vor.

Sie vernahm die erregte Leidenschaft in seiner Stimme …

»Das dürfen Sie aber nicht«, meinte sie und lehnte sich ein wenig zurück.

»Warum darf ich das nicht?« fragte er fast schroff.

»Weil – weil ich verheiratet bin«, sagte sie. Es klang kindlich. Er lachte. Es klang fast böse.

»Verheiratet? Und haben Mann und Kind und sind in einem anderen Erdteil?«

»Sie wollen damit sagen ›vogelfrei‹?« sagte Constanze hochmütig. Ihr Gesicht nahm jenen verschlossenen Ausdruck an, der ihn verwirrte.

»Nein«, meinte er einlenkend, »das wollte ich keineswegs damit sagen. Ich wollte damit nur ausdrücken, daß Ihre Ehe – nun – daß in Ihrer Ehe etwas nicht stimmt.« – Nun wurde er verlegen …

»Und?« beharrte sie unbarmherzig.

Er sah mit gesenktem Kopf zu ihr hinauf. – Ihr Gesicht lag nur wenige Handbreit von ihm entfernt, das Gesicht mit den seltsamen langen Wimpern, die von der gleichen stumpfsilbernen Farbe waren wie ihr Haar und ihrem Gesicht etwas Berückendes gaben …

Sie war blaß geworden. Ihre sanften grauen Augen blitzten.

»Und – und daß Sie Ihren Mann sicher nicht mehr lieben – – –«

»So –«, sagte Constanze. Ein leichtes Zittern überflog ihren blassen Mund.

»Und wenn Sie sich irren – völlig irren?«

»Dann bitte ich um Verzeihung«, sagte er. Er reichte ihr spontan die Hand über den Tisch – Christians Hand. Ihr schwindelte … Sie konnte sie nicht verweigern. In seinem ganzen Wesen lag etwas Ehrliches, Gerades, Zuverlässiges. Sie legte flüchtig ihre Hand in die seine, und plötzlich fühlte sie diese erfaßt, und ein Strom lebendigen blühenden Lebens überflutete sie.

Nur das nicht, dachte sie erschreckt und entriß ihm förmlich die Hand.

Er sah sie an – wie erwachend – bemüht, sie zu enträtseln.

»Auf gute Kameradschaft!« sagte sie. Es klang gewollt, es klang künstlich.

Aber er war ritterlich – er half ihr.

»Auf gute Kameradschaft für die Tage in Mexiko«, sagte er und hob das Glas. Es war ein spanischer Wein, der ins Blut ging.

»Schenken Sie mir die Wochenenden«, bat er, »ich bin dann immer in Mexiko-City und kann Ihnen viel Schönes zeigen … und ich verspreche Ihnen auch, ich werde nie mehr etwas sagen.«

»Das kann ich nicht«, erwiderte Constanze noch befangen. »Es wäre sehr schön –, aber Sonnabend, Sonntag sind die Tage, die Dr. Reinhardt mir widmet und anscheinend gern widmet – Sie verstehen.«

»Ja«, sagte er. Es klang enttäuscht … Dann kam ihm der Gedanke: »Gnädige Frau, mir kommt eine glückliche Idee – lachen Sie nicht – glücklich für uns beide. Ich habe – ja lachen Sie ruhig – ich habe noch ungefähr zehn Tage Urlaub. Ich verbringe ihn gewöhnlich am Pazifik – oder in den Tropen, auf der Jagd, irgendwo –. Es wäre schön, wenn ich Ihnen in jener Zeit Mexiko zeigen könnte. In einer Weise, wie Sie es allein nie sehen, nie wagen können. Wie denken Sie darüber?«

»Oh, es wäre sehr verlockend«, sagte Constanze. Es klang zögernd, unschlüssig. Eine gewisse Befangenheit schwang in ihren Worten.

»Sie brauchen sich nicht zu ängstigen«, sagte er und lachte. Ein leichter Spott lag in diesen Worten.

»Ich ängstige mich nicht«, sagte sie. Ihr Gesicht trug wieder den verschlossenen Ausdruck, den er so sehnsüchtig zu durchbrechen suchte.

»Ja –, Sie sind eine mutige Frau«, neckte er. Er saß da, das brennende Zündholz in der Hand, und brannte jetzt eine Zigarette an. Er tat einen tiefen Zug, der wie ein Aufseufzen klang. – Dann sah er auf – fragend, da sie immer noch schwieg.

Er glich nun einem Reiter, einem vorzüglichen Reiter, der sein Pferd zu zügeln wußte.

»Ich verspreche Ihnen, daß ich nie über meine Gefühle mit Ihnen sprechen werde. – Genügt das?«

»O ja«, sagte Constanze leise – »dann ja – –«


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