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»Das Haus eines Grandseigneurs«, sagte Constanze, als sie mit Dr. Reinhardt durch das Haus schritt. »Ich habe noch nie diesen Ausdruck gebraucht, weil ich ihn noch nie empfunden habe.«
»Welch starke Einfühlung Sie haben«, meinte Reinhardt, der ihr in den Wagen half, »ein im 17. Jahrhundert in Warschau weilender Franzose schrieb: Ne soyez point surpris si la ville Varsovie est si petite, car toute sa grandeur consiste en ses faubourgs, où logent les grands seigneurs, tous dans superbes chateaux.«
»Mein Französisch ist etwas mangelhaft, bitte wiederholen Sie noch einmal«, sagte Constanze etwas verlegen.
»Nun – er meinte dasselbe wie Sie. Er fand, daß der Zauber Warschaus nicht in der kleinen Stadt läge – es war damals wirklich nicht mehr als eine Kleinstadt –, sondern in den wunderbaren Schlössern, in denen die Grandseigneurs lebten. Sie müssen Wilanow sehen, dann verstehen Sie immer mehr, was den Reiz Warschaus ausmacht.«
»Es ist unendlich gütig von Ihnen, daß Sie mir diese Tage so reich gestalten«, sagte Constanze dankbar.
»Wie lange können Sie bleiben, gnädige Frau?«
»Morgen muß ich fort.«
»Morgen?« Er war ehrlich erschrocken.
»Ja, die Tage fliegen –«
»Leider. Können Sie nicht noch einige Tage zugeben? Es wäre wirklich nett.«
»Mit Freuden, es geht aber wirklich nicht.« Sie sprach von dem Geburtstag des Rehleins, und daß sie das Kind nicht enttäuschen könne.
Er saß verstummt. »Schade«, sagte er dann – »schade –« weiter nichts …
Ja, dachte Constanze, es ist gar nicht, als ob wir uns erst drei Tage kennen, wir sind wie alte gute Bekannte. Sie sah ihn nachdenklich von der Seite an …
»Da sind wir«, sagte Dr. Reinhardt, »warten Sie, Iwan!« Er ging voraus in seiner lebendigen, leichtfüßigen Art. »Hoffentlich ist das Schloß noch nicht geschlossen! Iwan, kommen Sie einmal!« rief er vom Schloßportal. »Sagen Sie bitte dem Wärter, der soeben schließen will, daß er ein gutes Trinkgeld bekommt, wenn er noch eine halbe Stunde wartet.«
Iwan kam und übersetzte. Er war offensichtlich stolz, daß er den Dolmetscher spielen durfte … Aber welche Gründe vorlagen, daß der Wärter nicht eine halbe Stunde warten konnte, war er doch nicht in der Lage zu übersetzen …
»Es geht nicht – es geht nicht«, sagte Iwan auf französisch … Das war alles.
»Schließlich ist es auch gleichgültig, welchen Grund sie uns angeben, um uns nicht hineinzulassen«, sagte Reinhardt ärgerlich. »Aber ich werde Ihnen noch den Park zeigen, ehe ich Sie ins Hotel bringe. Wann fahren Sie morgen?«
»Mein Flugzeug verläßt Warschau-Okecie zehn Uhr vierzig. Ich habe keinen direkten Anschluß in Posen.«
Sie waren seitlich um das Schloß gegangen und betrachteten von außen dieses Glanzstück der polnischen Barockarchitektur. An der Gartenfront standen vereinzelte Oleanderbäume. Ein rundes Wasserbecken mit rosa Wasserrosen, große Beete mit purpurnen, exotisch wirkenden Blüten lagen wie blutige Flecke auf dem Abhang. Eine schmale, elegante, niedrige Steinbrüstung teilte die Terrasse von dem tieferliegenden Park, der an einem steilen Abhang mit uralten mächtigen Bäumen sich in der Tiefe verlor. Es war schon etwas dämmrig. Die müden schrägen Strahlen der Nachmittagssonne streiften die silbrigen Sträucher, die jetzt wie lackiert wirkten.
»Setzen wir uns ein wenig auf diese niedrige Brüstung, von hier hat man einen köstlichen Blick«, schlug Reinhardt vor.
Sie setzten, vielmehr hockten sich beide auf die zierliche durchbrochene Balustrade und sahen hinab …
Constanze hatte für den Tee im Palais Sobienski ein silbergraues, sportlich gearbeitetes Seidenkleid mit weißem rundem Kragen und weißen Manschetten angezogen. Sie hatte es sich für diese Reise arbeiten lassen. Ein hellgrauer, seidenartig wirkender Staubmantel lag ihr über den Schultern. Auch ihr Hut war grau – ein helles weißliches Grau, das sommerlich wirkte.
Sie nahm den Hut ab und legte ihn neben sich.
»Wie nett«, sagte Reinhardt in einer vertrauten Weise, »wie nett, nun sehe ich auch einmal, wie Sie in Wirklichkeit aussehen. Im Hut sieht jede Frau jedesmal anders aus. Stimmt's?«
Constanze lächelte: »Es mag sein. In München gehe ich auch oft ohne Hut. Mir fällt es direkt schwer, an all das zu denken« –, und sie legte ihre schmale, sehr ausdrucksvolle Hand auf das neue Kleid.
»Aber Sie sehen reizend darin aus«, erlaubte er sich zu sagen, »vor allem bewundere ich schon den ganzen Nachmittag die Brosche, mit der Sie den Kragen geschlossen halten. Ist das auch eigene Arbeit?«
»Natürlich, es freut mich, daß sie Ihnen gefällt. Es ist nichts weiter als eine große viereckige, glattgeschliffene Koralle, die ich auf eine Goldplatte setzte. Den schmalen Rand umgab ich mit Granulationen. Sehen Sie –, auch meine Manschettenknöpfe sind so gearbeitet, nur etwas kleiner.«
»Nein, wie bezaubernd! Würden Sie mir die Brosche einmal in der Nähe zeigen?«
»Gern.« Constanze nahm die Brosche ab und reichte sie ihm.
»Ach, das sind ja Ornamente!« rief Reinhardt überrascht. »Jetzt seh ich es genau. Am oberen Rand sieht man Vogelschwingen, an den Seiten Palmen, unten Fische und in der einen oberen Ecke eine kleine Sonne. Das ist wirklich bezaubernd! Das reine Südseeparadies! Wie kamen Sie darauf?«
»Wie kam ich darauf«, wiederholte Constanze und rückte näher … »ja, wie soll man das erklären? Das war einmal so eine Eingebung, unbewußte Sehnsucht in die Ferne – mein Vater war vierzig Jahre Seemann.«
»So – so –, wie interessant. Sagen Sie, gnädige Frau –, mir kommt ein Gedanke. Wollen Sie bitte einen Schmuck für meine Frau arbeiten, den ich ihr bei der Geburt unseres zweiten Kindes schenken will? Schon in der Ausstellung kam mir dieser Gedanke.«
»Oh, wie gerne«, erwiderte Constanze erfreut. Sie hielt die Brosche noch in der Hand und bemühte sich, sie wieder zu befestigen.
»Aber, verzeihen Sie die Frage, Herr Doktor – es ist keine Neugier – wie sieht Ihre Gattin aus? Jede Frau verlangt einen anderen Schmuck.«
»Richtig – richtig«, sagte Reinhardt überrascht. Constanze spürte, er hatte Kultur, viel künstlerisches Verständnis. Es war schön, für solche Menschen zu arbeiten.
Wie jedem wirklichen Künstler stand ihr die Freude, das Verständnis des Kaufenden über dem finanziellen Gewinn.
Reinhardt tastete seine Brusttaschen ab und zog ein kleines Amateurbild hervor. »Hier«, sagte er.
»Ich sehe zu wenig – blond?«
»Ja, blond und klein. Sie hat die zierlichste Figur und den leichtesten Gang, den ich bei einer Frau sah.«
»Sehen Sie, Herr Doktor –, da paßt Koralle nicht. Da würde ich Türkisen nehmen, schöne geschliffene Türkisen und platinfarbenes weißliches Gold.«
»Herrlich –«. Reinhardt erfaßte es sofort.
»Oh – ich hätte schon eine Idee – eine Idee, die mir schon lange vorschwebt …«
»Und die wäre?«
»Eine Kette aus größeren weißgoldenen Kugeln, abwechselnd mit Kugeln aus geschliffenen Türkisen. Die Goldkugeln müßten belebt werden durch Granulationen, die wie meine Brosche in der Entfernung ornamental wirken, in der Nähe aber trägt jede einen altdeutschen Spruch: ›Bete und arbeite‹, ›Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen‹, ›Früh gefreit, hat noch niemand gereut‹ – usw. …«
»Köstlich!« unterbrach Reinhardt sie begeistert. »Ich bin überzeugt, die Arbeit wird schon so, wie ich sie mir wünsche.« Er schien aufrichtig angetan. »Übrigens, gnädige Frau, Sie müßten den ausgegrabenen Schmuck der alten Azteken im Nationalmuseum von Mexiko sehen. Ja, daß ich daran noch nicht dachte –, der würde Ihnen Anregungen geben in einer Weise, wie Sie sie noch nie erfahren haben! Gerade, wo Sie von Türkisen sprechen. Der Schmuck ist pures weiches Gold, mit Türkisen verarbeitet. Aber das Großartige, das Einmalige sind die Formen und die Ornamente.«
»Und wie sind die?« Constanze war ganz Ohr …
»Ach, gnädige Frau, – wie soll ich die beschreiben! Da müßte ich Ihnen einen stundenlangen Vortrag über die Mayakulturen halten, über die Azteken, über Huitzlipochtli, über Quetzalkoatl, die gefiederte Schlange, über Netzahualcoyotl, den aztekischen Sängerkönig und anderes.«
»Mein Gott, diese Namen!« entsetzte sich Constanze.
»Ja, sehen Sie, das hängt alles so eng zusammen, – ach, wie schade, daß ich Ihnen das nicht zeigen kann …«
Er scheint richtig betrübt, dachte Constanze erfreut und beobachtete ihn. Es war ein merkwürdiges Gesicht. Als sie ihn zuerst sah, war ihr der müde Ausdruck aufgefallen. Aber der verwischte sich, sobald er sprach. Es war das Gesicht eines geistig sehr stark arbeitenden Menschen, das in der Ruhe und Entspannung einen müden Ausdruck annahm. Er trug denselben weiten Reisemantel, in dem sie ihm das erstemal begegnet war, und hielt wie sie seinen weichen Filzhut in der Hand.
»Ja, schade, daß man so etwas nie sehen kann …«
»Und dann in New York – im Metropolitan-Museum müßten Sie den prähistorischen indischen Schmuck sehen. Gott, was Sie alles sehen müßten!« sagte Reinhardt emphatisch.
»Das wäre schon herrlich. Man müßte einmal eine internationale Ausstellung veranstalten, nicht von modernem Schmuck, sondern Arbeiten alter, verschollener Kulturen. Merkwürdig, daß man nie darauf kam«, verwunderte sich Constanze.
»Nun, ich glaube, diese Dinge sind zu kostbar und einmalig, als daß sie ein Staat ausleiht.«
»Mag sein …«
»Aber, gnädige Frau – allen Scherz beiseite, kommen Sie einmal zu uns herüber, besuchen Sie uns – ja wirklich –, lachen Sie nicht, ich meine es ernst. Meine Frau fühlt sich einsam, heimwehkrank. Ich kann diese ehrenvolle Berufung zur Humboldtakademie nicht ohne weiteres aufgeben … Meine Frau lebt direkt auf, ist wieder die alte, sobald wir deutschen Besuch haben. Es ist leider selten genug.«
»Aber Dr. Reinhardt, das ist leider ganz ausgeschlossen.«
»Warum ausgeschlossen«, beharrte Reinhardt. »Sie sagten, daß Ihr Kind zur Zeit in einem Heim ist, Ihr Gatte stark beschäftigt, Sie haben Erfolg, neue Eindrücke fördern Ihre zukünftige Arbeit. Sie bringen Anregungen in Hülle und Fülle zurück, wirklich Anregungen genug für ein ganzes Leben – so empfänglich, wie Sie sind … Nun? –«
Constanze schüttelte lächelnd den Kopf: »Das ist unglaublich verlockend. Aber lachen Sie mich ruhig aus, lieber Doktor, doch dieser Vorschlag bedeutet für mich dasselbe, als wenn Sie zu mir sagten: Fahren Sie mit mir in die Stratosphäre.«
Nun lachte er auch, herzlich, aber nicht überzeugt …
»Aber ich bitte Sie, in vierzehn Tagen sind Sie von Hamburg aus in Vera Cruz, wo ich Sie abhole und Ihnen die Tropen zeige …«
»Hören Sie auf«, flehte Constanze.
»Nun gerade nicht – gut, und dann bleiben Sie ein bis zwei Monate bei uns in Mexiko und sind also in drei Monaten – wenn es so eilt – wieder zurück. Überlegen Sie es sich in Ruhe. Sie sind uns bestimmt jederzeit herzlich willkommen, auch später, aber ich denke, jetzt würde es besonders schön für Sie sein, denn wenn ich zurückkomme, haben wir wieder Frühling. Wir haben eigentlich ewigen Frühling.«
»Ach, Herr Doktor, es ist ungeheuer verlockend, aber unmöglich … Meine häuslichen Verhältnisse – ich kann Ihnen das nicht so erklären – erlauben es zur Zeit nicht.«
»Schade – wirklich schade«, sagte Reinhardt. Er war sichtlich enttäuscht. »Ich dachte, ich könnte schon heute meiner Frau schreiben, daß Sie kommen.«
»Ich fürchte, wir müssen aufbrechen«, sagte Constanze bedauernd und warf noch einen Blick in den verdämmernden Park. »Sie kommen sonst zu spät zum Essen.«
Es war sehr kühl geworden. Ein unfreundlicher, staubiger, aber merkwürdig warmer Wind schlug die Wipfel der Bäume. »Steppenwind von Rußland …«, sagte Reinhardt und zog den Hut etwas tiefer in das Gesicht.
»Lachen Sie ruhig, wenn ich so hartnäckig bin«, fuhr er fort, »aber es würde mich ungemein interessieren, wie Mexiko auf Sie wirkt. Ich meine nicht die schwimmenden Gärten von Xochimilco, die Pyramiden von Tetuhúan und all das, was jeder Reisende sieht, sondern ich wüßte gern, wie die Atmosphäre auf einen so feingestimmten Menschen wirkt, wie Sie es sind. Ich muß das näher erklären. Sehen Sie, – Mexiko ist ein grandioses, ein wunderbares, ein furchtbares, ein unheimliches Land. Es hat etwas Vorweltliches an sich – diese sechs- bis achttausend Meter hohen Vulkane, die primitiven Indios – achtzig Prozent der Bevölkerung sind noch reine Indios – viele Gegenden sind noch unerforscht. Es soll mehr als dreißig Indianersprachen geben. Das Volk ist trotz der kümmerlichen Zivilisation in den Städten noch auf einer Stufe verblieben, wie Cortez es vor vierhundert Jahren antraf, als die Altäre vom Blute der Geopferten rauchten. Die kommunistische Regierung versucht einen gewaltigen, aber unmöglichen Sprung. Sie will diese Primitiven, die gerade die Grenze des Bewußtseins erreicht haben, deren Denkweise uns zum Teil noch völlig verschlossen ist, deren Logik uns fremd, in wenigen Jahrzehnten über tausend Jahre Entwicklung hinüberreißen und in eine moderne kommunistische Staatsbildung hineinpressen. Meines Erachtens ein Unding.«
»Diese Entwicklung mitzuerleben, muß sehr interessant sein«, warf Constanze ein.
»Unbedingt, – aber das meinte ich nicht, als ich davon sprach, daß ich wissen möchte, wie Mexiko auf Sie wirkt. Wie soll ich es Ihnen erklären? Es gibt für die meisten Weißen, soweit ich es in den vielen Jahren beobachten konnte, nur zwei Lebensmöglichkeiten: entweder man sieht wie ein Reisender, wie ein Fremder im tiefsten Sinne unbeteiligt in diese Welt – und das tun fast alle Weißen, die zum größten Teil Amerikaner sind und dort ihre Geschäfte machen – oder man dringt ein in jene Welt des Huitzlipochtli und Quetzalkoatl und – zerbricht …«
Constanze wandte ihm ihr blasses Gesicht zu. »Ich verstehe nicht ganz«, murmelte sie befremdet.
»Ja, sehen Sie, das ist das Unerklärliche dieses Indianerkontinents, das ebenso wie Peru noch nicht ganz erforscht ist. Die Atmosphäre ist so stark, so aufzehrend – sie verschlingt den, der sich ihr mit dem Wunsch nähert, sie zu erfassen.«
»Dann ist es ja schon gut, daß ich nicht komme«, sagte Constanze und versuchte zu lächeln.
»Die Gefahr würde Ihnen nicht in dem Maße drohen«, meinte Reinhardt. »Es ist nur eine Gefahr für die, die dort immer oder viele, viele Jahre leben müssen. Wir Männer werden schon fertig, aber meist nur in dem Maße, wie ich eben erwähnte: man bleibt außerhalb und schaut alles an wie ein grandioses Schauspiel; aber die weißen Frauen gehen fast alle an Mexiko zugrunde, besonders wenn sie Kinder gebären, sich einleben wollen, sich in die Natur einfühlen möchten.«
»Und Ihre Frau?«
»Ja, da ist dieselbe Tragödie. Sie fühlt diese starke unheimliche Welt, die sie mit Fängen umschließt. Sie krankt an dem Lande, sie haßt es. Ich will darum nur so lange bleiben, bis ich meine Arbeit dort drüben beendet habe.«
»Wie merkwürdig – ganz verstehe ich das alles nicht«, sagte Constanze.
»Das können Sie auch nicht, hier in Ihrer europäischen Welt und Kultur und vor allem mit Ihrer Denkweise. Genügt es Ihnen, wenn ich Ihnen sage, daß ich fast keine Ehen von Weißen dort drüben erlebt habe, wo diese Tragödie nicht eintrat – daß die Frau diese Welt nicht tragen, ertragen konnte.«
»Sonderbar –«
»Nun, und da wünsche ich mir, daß eine so stark empfängliche Natur wie die Ihre sich einmal vorurteilslos und geöffnet dem allen erschließt. Sie wissen ja, daß Sie in Kürze zurückkehren; so würde es keine seelische Gefahr für Sie bedeuten.«
»Ja, ich verstehe. Schade – wirklich bedauerlich. Seien Sie überzeugt, ich käme unendlich gern. Aber sehen Sie, da ist schon Hotel Europejski …«
»Ach ja – und ich habe nichts ausgerichtet … aber«, und nun stand er vor ihr, den grauen Hut in der Hand, »jetzt heißt es wirklich: Abschied nehmen.« Sie standen sich einen Augenblick schweigend gegenüber … Constanze wollte sagen: Es war wirklich schön, daß ich Ihnen begegnete, aber sie dachte, alles klingt jetzt phrasenhaft …
Als ob Reinhardt, der sie einen Augenblick betrachtete, ihre Gedanken erriete, sagte er: »Nicht wahr – keine Phrasen –, es war sehr, sehr schön.«
»Ja sehr, und Sie wissen, wie dankbar ich stets sein werde, wenn ich an diese Tage zurückdenke und an unsere Begegnung.«
Ach – nun sage ich doch solch banales Zeug, dachte Constanze ärgerlich, ich finde doch nicht das, was ich ihm sagen möchte. Sie reichte ihm die Hand, die er in der seinigen hielt. »Ja, und da Sie nicht kommen«, versuchte er zu scherzen, »wie wird es mit dem Schmuck für meine Frau?«
»Ich schicke Ihnen die Entwürfe, die Berechnung, die Farbeffekte, und Sie geben mir Bescheid.«
»Schön – schicken Sie es Luftpost, dann sind die Briefe in ungefähr zehn Tagen in Mexiko. Es existiert seit kurzem ein Flugdienst mit Europa.«
»Und wenn Sie einmal aus Mexiko wieder nach München kommen, dann vergessen Sie mich nicht.«
»Ach, wie könnte ich –, aber wann ich zurückkomme – ach du lieber Gott, da können Jahre darüber hingehen.«
»Und heute Pläne machen – wo die Welt brennt« … fügte Constanze hinzu. Sie sah jetzt sehr ernst, sehr traurig aus: »aber ich sage: dennoch.«
»Ja, dennoch!« sagte er warm und beugte sich über ihre Hand.
Constanze wartete, bis der Wagen abfuhr. Sie sah, wie er noch einmal die Hand zum Gruß hob, dann schritt sie durch die Drehtür, der ein kleiner Page mit schiefaufgebundenem Käppchen einen heftigen Stoß gab, so daß Constanze fast in die Halle stolperte.
Sie blieb einen Augenblick stehen, schaute mit nachdenklichem Blick vor sich hin und strich sich eine weißblonde Haarsträhne, die der Wind gelöst hatte, nach hinten. Da entdeckte sie, daß sie noch den Hut in der Hand hielt. Seit Wilanow hatte sie ihn nicht wieder aufgesetzt. Mein Gott, ich bin ja nicht in München, dachte sie erschreckt und musterte die elegante Umwelt, die die Drehtür unaufhörlich auswarf oder verschluckte: was wird Iwan wohl von mir gedacht haben!