Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2

»So – endlich!« sagte Anna.

Sie saß in einem der großen englischen Sessel Constanze gegenüber. Neben ihr stand die große Stehlampe, die ihr Licht nur an die Decke warf und so den großen Raum indirekt und matt erhellte. Diese Beleuchtung gab dem Raum eine besondere Wärme. Die Hauptwand, die weiß gehalten war – nur die Decke war mit schweren dunklen Querbalken durchzogen –, trug als einzigen Schmuck die beiden Hemisphären, die direkt auf die Wand als Fresken gemalt waren. Dieser reizvollen Idee Christians hatte Anna, deren Weg oft in Meilenstiefeln um die Erde ging, besonders begeistert zugestimmt, und dieser hatte einen Maler gefunden, der die Aufgabe besonders wirkungsvoll zu lösen wußte. Man sah die beiden Halbkugeln in der Art alter, Landkarten des sechzehnten Jahrhunderts, und auf den damals unbekannten Meeren grinsten Meerungeheuer, tanzten Delphine, schwebten Schiffe mit geschwellten Segeln. Die Kontinente trugen andere Formen, ein anderes Gesicht.

Die untere Hälfte des großen Raums füllten Bücherborde aus. An den anderen Wänden hingen Masken, Tanzmasken von Eingeborenen, die Anna teils von der Südsee, teils von Mittelamerika mitgebracht hatte.

»Hier kann man stundenlang schauen«, meinte Constanze, die sich wieder erhoben hatte und einen Wandteppich betrachtete.

»Ja – es ist schön geworden, mit Christian läßt sich großartig arbeiten. Er geht auf alles ein, bringt neue Ideen und führt dann alles auf eine überraschende Höhe, die man selbst nicht ahnte.«

»Nun, dafür ist er ja Architekt«, meinte Constanze trocken.

»Na ja – es gibt solche und sonne«, antwortete Anna burschikos. »Christian hat es geschafft, paß mal auf, nun geht es bergauf!«

»Es sieht fast so aus«, sagte Constanze unbestimmt. »Christian hat jetzt so viele Aufträge, daß er vier neue Zeichner eingestellt und zum ersten April ein großes Atelier mit Nebenräumen in der Leopoldstraße gemietet hat.«

»Na siehst du«, erwiderte Anna. Sie sagte es in einem Ton, wie man zu einem Kinde spricht, dem man Mut machen will. »Ja – und Ostern kommt euer Rehlein aus Oberstdorf, und dann solltet ihr ein kleines Häuschen, jedenfalls eine kleine Wohnung in einem der Vororte nehmen, einen Garten für das Kind – Luft – Licht – Sonne.«

»Ach, das ist noch so weit hin – bis Ostern – Es klang, als ob Constanze sagen wollte: na ja, in zweihundert Jahren. Sie hatte sich der Sachen entledigt und den Hut abgenommen. Sie lagen auf der Lehne ihres Sessels. Anna, die unvermeidliche Zigarette in der Linken, horchte auf. Sie liebte Constanze. Ihre Sanftheit war etwas, was die kraftvolle tätige Art Annas ansprach. Sie hatte ihr gegenüber immer das Gefühl einer starken Fürsorglichkeit.

So betrachtete sie die Freundin, die noch vor ihr stand, mit Sorge, und ihr Blick blieb wie immer an dem blonden Haar hängen, das von einem stumpfen Blond war wie mit einem Schein von Zinn, kunstlos und nicht leuchtend. Es war straff nach hinten genommen und in einen festen kleinen Knoten gedreht, der tief im Nacken lag. Das Gesicht war ungepudert und hatte einen sehr lebendigen Ausdruck, obgleich es irgendwie verschlossen blieb. Sie war nicht die Frau, bei der der Mann sofort an die letzte Hingabe dachte, aber eine Frau, bei der ein Mann neugierig wurde und sich fragte: Wie ist dies Wesen, wo liegt der sonderbare Reiz, der ihm eigen?

»Und was macht deine eigene Arbeit – hast du deine sterile Epoche überwunden?«

»Noch nicht«, erwiderte Constanze und ließ sich in den Sessel gleiten, »ich konnte die ganzen Monate nicht recht arbeiten, es war einfach schrecklich. Alles, was ich entwarf, zerstörte ich wieder, weil es nicht taugte. Ein schlimmer Zustand.«

»Warst du vielleicht zu kritisch?«

»Nein, bestimmt nicht. Man fühlt doch selbst, ob etwas gut ist oder nur Machwerk.«

»Wir alle haben diese schöpferischen Pausen«, meinte Anna tröstend.

»Nein, bei mir hat es besondere – innere Gründe«, sagte Constanze. Ihr Gesicht sah um einen Schein blasser aus als gewöhnlich, ihr Mund größer, die Augen dunkler.

Anna schwieg. Sie mochte nicht fragen. Constanze würde von selbst sprechen, wenn sie bei ihrer verschlossenen Art das Bedürfnis empfand. Bei aller Vertrautheit, die die beiden Frauen ein Jahrzehnt lang verband, war ihr Verhältnis zueinander nie in Vertraulichkeiten ausgeartet.

»Aber – wie konnte ich das bloß vergessen … Hier – was sagst du zu diesem Brief?« Constanze zog hastig den Brief aus ihrer Tasche, der sie so stark beschäftigte, und gab ihn Anna.

»Mein Gott, nun fehlt mir wieder die Brille«, klagte Anna. Sie klopfte mit beiden Händen die Taschen ihres Jackenkleides ab, das sie mit Vorliebe trug. »Du – lies ihn mir vor – ja?«

»Nun – ich kann dir gleich den Inhalt sagen: in Warschau wird am 22. August die internationale Ausstellung für Goldschmiedekunst eröffnet. Die drei Goldschmiede Deutschlands, die eingeladen sind, ihre Arbeiten auszustellen, sind Johann Michaelis, mein Lehrer und wohl der bedeutendste Goldschmied, den wir zur Zeit haben, Carl Messerschmidt und – staune … meine Wenigkeit!«

»Du scherzest – aber Constanze, und das sagst du erst jetzt?« Anna war ganz aufgeregt. Constanze lächelte.

»Aber Constanze, weißt du denn nicht, was das bedeutet, daß du mit dieser Aufforderung an die Spitze rückst, einen Namen erhältst, eine Wertung, die dich mit einem Schlage an eine Stelle hebt, die dir Arbeit, Erfolg und Verdienst sichert?«

Constanze lächelte noch immer. Sie sah in diesem Augenblick wirklich schön aus. Diese Mitfreude beglückte sie.

»Ja, hättest du doch nur vorher ein Wort gesagt – Jobst hätte dich doch in seiner Rede mitfeiern müssen. Nein, wie schade!«

In ihrer spontanen, warmherzigen Art war Anna aufgesprungen. Es war erstaunlich, wie leichtfüßig und behende sie trotz ihrer stattlichen Größe war, neben der Constanze fast zart und gebrechlich wirkte. Sie nahm aus einem Kübel Mimosenzweige und legte sie Constanze in den Schoß. Es wirkte wie eine Huldigung, ohne theatralisch zu sein.

»Was sagt denn Christian dazu? Ist er nicht stolz auf dich?«

Constanze sah in diesem Augenblick wie verfallen aus. So schnell veränderten seelische Vorgänge den Ausdruck ihrer Züge. »Ich habe Christian noch gar nichts gesagt.«

»Gar nichts gesagt!?« Diese Eröffnung sagte Anna mehr, als wenn Constanze ihr etwas anvertraut hätte.

»Aber Constanze«, sagte sie nur, »aber Constanze!«

»Ich denke, er ist mit Gedanken beschäftigt, die ihn wichtiger dünken als diese Mitteilung.« Es sollte vielleicht nicht bitter klingen, klang aber fast hoffnungslos.

Anna stand auf. Sie ging direkt auf Constanze zu und nahm deren Gesicht in beide Hände: »Conny – Liebe, du siehst zu schwarz. Das ist nicht wichtig, nichts anderes als eine der kleinen Verliebtheiten, die Christian trotz aller Liebe zu dir doch schon häufig überkamen – etwas Rausch der Sinne – das Mädel ist schön, jung, klug, zu klug dünkt mich – c'est tout. Nimm dir das bloß nicht so zu Herzen.« Anna sah, daß Constanze nach Worten suchte. Sie war eine Norddeutsche, eine verschlossene Natur. Es war ihr fast unmöglich, über ihre Beziehungen zu Christian zu sprechen.

»Ich weiß – ich weiß, was du denkst, Anna. Christian ist um die Vierzig, ein kritisches Alter, ein kritisches Alter für die Männer …« Constanze sprach leise, fast atemlos. »Du hast recht. Ich habe kleine Affären schon des öfteren miterlebt, – ich sage miterlebt, denn seine Offenheit in diesen Dingen, seine Ehrlichkeit nahm wiederum auch jede Bitterkeit. Du verstehst – ich wußte ja, all das, was da vorging, berührte sein Verhältnis zu mir nicht im geringsten. Kleine Verliebtheiten eines Mannes, der Erfolg bei Frauen hat – eine Künstlernatur. Seine noch immer knabenhafte, natürliche Art begeistert viele. Aber dieses Mal, glaube es mir, Anna, dieses Mal wird es ernst! Er liebt Elena, er möchte loskommen von mir – mag es sich nicht eingestehen, hängt noch an mir – weiß auch, daß er das Rehlein dann verliert – daß …«

»Aber Conny, Conny, um Gottes willen, du siehst ja Gespenster! Du bist überarbeitet –«

Constanze lachte. Ihr Lachen tat weh. »Ich überarbeitet? Ich kann ja nicht einmal arbeiten – alle Gestaltungskraft ist mir abhanden gekommen, ich habe Aufträge und kann sie nicht mehr ausführen!«

Sie schluchzte … In all den Jahren, die sie sich kannten, hatte Anna die Freundin niemals weinen sehen. Sie wirkte wohl zart, fast gebrechlich, aber wie eine federnde Klinge, elastisch und von ungeheurer Tragfähigkeit. Und nun sah sie, hörte sie dies trockne, herzzerbrechende Schluchzen. Es erschütterte sie.

»Glaube mir doch, Conny – ich bin sicher – du siehst die Dinge übersteigert. Sprich dich mit Christian einmal aus! Du wirst sehen …«

Constanze sah auf, sie hatte plötzlich das Gesicht eines Kindes, das sich verirrt hat: »Aber ich kann nicht mit Christian sprechen – ich bring' das nicht fertig. Wenn er nicht zu mir kommt … ich bin zu stolz.«

»Du sollst ihn auch nicht direkt fragen, aber irgendeine Situation wird es ergeben.«

Constanze sah auf ihre Hände, die nervös an dem Seidentuch zerrten. »Und dann noch eins«, sagte Anna, die auf und ab ging, »glaub' mir, man hat ja auch seine Erfahrungen gesammelt: zeig ihm nicht zu sehr, wie du an ihm hängst!«

»Ich kann nicht geizen, kann nicht Theater spielen«, sagte Constanze verzagt.

»Nein, aber jetzt mußt du es. Ruf Robert Flemming an – den Runge – weiß Gott wen. Christian soll etwas eifersüchtig werden. Paß mal auf, das ist oft die beste Medizin und bringt die gewünschte Krise.«

Constanze lächelte ungläubig: »Diese Mittel, verzeih, sind zu billig. Christian würde nie eifersüchtig sein. Er weiß, ich bin ein untaugliches Objekt für andere Liebhaber.«

»Schlimm genug«, sagte Anna. Es klang etwas zynisch; sie meinte es aber gut. »Er weiß doch, wie sehr sich andere Männer für dich interessieren«, beharrte Anna, die in diesem Augenblick keinen anderen Ausweg wußte.

»Er würde es doch nicht glauben, auch wenn alle Momente dafür sprächen«, warf Constanze ungetröstet ein. »Er weiß, daß ich nie einen anderen Mann geliebt habe und nie einen anderen Mann lieben werde – trotzdem und dennoch.«

Bei den letzten Worten blieb Anna stehen: »Nie einen anderen Mann geliebt?« Sie wiederholte die Worte und betonte jedes einzelne. »Auch nicht, eh du Christian kennenlerntest?«

»Nein, Anna –«. Constanze sah auf, ihre Augen hatten in dem Augenblick etwas unendlich Unberührtes.

»Aber das sagt nicht, daß du nicht heute einen anderen Mann kennenlernst und es dich packt. Solche Dinge sind unberechenbar, stärker als wir, – schicksalhaft! Niemand kann sagen: ich kann nie einen anderen lieben.«

Komisch – überlegte Constanze –, da sind wir gute Freunde seit so vielen Jahren und im tiefsten, letzten Sinne wissen wir so wenig voneinander. Ich weiß nichts von Anna. Welche Stürme mochte ihr starkes Herz kennen, von denen niemand etwas ahnte. Sie betrachtete die Freundin, als ob sie sie zum ersten Male sähe – dies lebendige, starke Frauenwesen mit dem Haar, das weißgepudert schien, die dunklen, intelligenten Augen, die soviel Wärme ausstrahlten. Im letzten tiefsten Sinne war doch jeder allein. Welche Wandlungen des Herzens mochte der Gefährte durchmachen, von denen man nichts wußte? Waren wir nicht ständiger Entwicklung unterworfen – schicksalsbedingt –, wie Anna ganz richtig sagte? Konnte es nicht möglich sein, daß sie jetzt auf dieser Lebensstufe Christian nicht mehr das bot, dessen er bedurfte? Wurde er vielleicht nur schuldlos-schuldig? Nichts ließ sich erzwingen, am wenigsten Gefühle des Herzens, der Sinne. Was war Liebe überhaupt? Hieß es hier nicht abwarten, wie sich alles entwickeln würde? Bedeutete vorgreifen hier nicht alles zerstören? Wußte sie denn, ob er nicht auch litt? Liebte sie ihn nicht gerade, weil seine ehrliche, großzügige Art, sein Mut, seine Lebensbejahung sie, die Ernste, Gebundene immer von neuem mitriß! Wie oft hatte sie gesagt: Christian, eigentlich passen wir nicht zusammen: du stürmst – ich schreite. Und er hatte lachend erwidert: Ja, so ist's, und deswegen passen wir so gut zusammen: du fällst mir in den Zügel, das ist oft nötig, du wirkst überlegt und bedachtsam, wenn ich die Wolken von den Himmeln reißen will …

Diese Gedanken kamen Constanze wie Sturzwogen, während sie die Freundin beobachtete, die versonnen, ja besorgt auf und nieder schritt.

Constanze erhob sich: »Ich denke, ich muß Geduld haben und abwarten, wenn es mir auch noch so schwer ankommt. Doch bin ich nicht die Frau, die einen Mann festhält, der von ihr fortstrebt. Verstehst du das, Anna?«

Anna blieb stehen: »Das versteh' ich schon. Ich überlege auch nur, wie man die letzte Entscheidung günstig beeinflussen kann und so, daß Christian Sorge hat, dich zu verlieren.«

»Bloß nicht verreisen«, unterbrach Constanze sie, obgleich Anna den Vorschlag gar nicht machen wollte. »Ich brauche mein Heim, meine Arbeit.«

»Nimm Bezug auf die Ausstellung in Warschau. Sag ihm, daß du dich mit dem Gedanken trägst, eine Werkstätte in Berlin aufzumachen, da du den Eindruck gewonnen hättest, Elena bedeute ihm soviel – sag so etwas nach dieser Richtung. Dann vergibst du dir nichts, nichts deinem Stolz, wie du es nennst. Dann muß er sich entscheiden; liebt er dich mehr als Elena, so wird ihn die Sorge packen, dich zu verlieren. Und das wird die Entscheidung herbeiführen.«

»Laß es mich überdenken«, erwiderte Constanze.

»Selbstverständlich«, stimmte Anna zu. »Du weißt ja, wie das so ist: man nimmt sich vor, dies und das zu sagen, kommt dann die Unterredung, so ergibt sich alles anders, weil man ja nie vorher weiß, was der andere einwendet.«

»Hältst du Elena für einen wertvollen Menschen?« fragte Constanze.

»Wertvoll? Ich kenne sie so wenig, sie ist mir nicht sehr sympathisch. Diese kalten, grauen Augen …«

»Mein Gott«, lachte Constanze, »blaue, sehr schöne Augen hat sie.«

»Nun siehst du, schon da gehen unsere Urteile auseinander. Aber ich glaube, ein Mann verliebt sich nie, weil eine Frau wertvoll ist, wie du vielleicht meinst. Da spielen andere Momente die Hauptrolle – mein Gott, dann ist der Mann wie ein Amokläufer – blind, taub – unbelehrbar. Er dichtet dem Wesen all das an, was er in ihm zu sehen wünscht. Objektive Beurteiler stehen hilflos dabei, können nichts von all dem entdecken, und zumal eine Frau kann das nicht. Frauen können die Beurteilung von Frauen durch Männer überhaupt nicht ermessen!«

»Du bist sehr weise, Anna.«

»Mein Gott, das ist nicht weise«, meinte Anna trocken. »Das kannst du tagtäglich beobachten. Die nettesten Männer haben oft die minderwertigsten Frauen. Da klingen Momente mit, die wir nicht sehen.«

»Dann kann man nur wünschen, daß ihnen die Blindheit erhalten bleibt«, erwiderte Constanze. Es klang resigniert. »Aber was ist dann Liebe, Anna?«

»Ach, Conny, da fragst du mich zuviel. Liebe ist wohl das, was ein jeder einzelne darunter versteht.« –

»Und Elena«, begann Constanze von neuem, »wie beurteilst du sie in ihrer Einstellung zu meinem Mann?«

»Wie ich schon sagte, Elena liegt mir nicht. Sie ist in meinen Augen das, was ich einen Nachkriegstyp nenne. Die heutige Jugend ist gottlob schon wieder anders. Sie besitzt nicht das, was ich als Grundbedingung eines anständigen Charakters ansehe: Ehrfurcht – Ehrfurcht vor der Ehe, die sich zwei Menschen aufgebaut haben, – Ehrfurcht vor den Beziehungen zweier Menschen, von denen sie weiß, daß sie ungewöhnlich fest, gut, ehrlich sind, – die kaltblütig mit kantigen Ellbogen all dies beiseite schiebt, dich und das Rehlein, und nun die Früchte ernten will, die dir unter Sorgen und Hingabe und Selbstlosigkeit in zehn Jahren erwuchsen. Ich mag mich irren, aber ich sehe sie so.«

»So sehe ich sie auch«, sagte Constanze. Sie sagte es so tonlos, daß Anna es kaum vernahm: »Ich habe immer gedacht, ich sei voreingenommen und darum urteilslos und ungerecht.«

»Sie hätte Christian nie und nimmer geheiratet«, fuhr Anna erregt fort, »wenn sie ihn als unbekannten, mittellosen jungen Mann kennengelernt hätte, wie du es tatest. Sie ist nicht die Erste und wird nicht die Letzte bleiben, die einfach den ›erfolgreichen Mann‹ heiraten will, in eine gesicherte Position' kommen möchte, die die ältere Gefährtin des Mannes kaltblütig verdrängt, die Gefährtin, die Jahre der Unsicherheit, des Aufbauens und der Entbehrungen mit ihm getragen hat. Sieh dir Ehen berühmter Männer an, da findest du es häufig genug. Diese Art Frauen sind gefährlich, denn sie sind berechnend. Und Frauen wie du, Constanze, die nichts nehmen, sondern nur immer geben wollen, sind solchen Gegnerinnen nicht gewachsen.«

»Das fühle ich selbst; würdest du«, sagte Constanze plötzlich zögernd – sie zog langsam die Jacke an und nahm ihren kleinen Hut in die Hand, »würdest du deinen Mann aufgeben, wenn du glaubst, daß er eine andere liebt?«

»Liebstes Kind«, sagte Anna und blieb vor ihr stehen: »Es läßt sich wohl nie eine Formel, nie ein Vergleich für eine menschliche Beziehung aufbringen. Ich kann mir vorstellen, daß ich heute mein Haus für immer verlasse – noch ehe ein Wort gesprochen ist, und kann mir wiederum denken, daß ich hier sitze und warte – Ewigkeiten warte, bis der Mann, den ich liebe, den Weg zu mir zurückgefunden hat. Verstehst du mich?«

»Ja«, sagte Constanze, »und ich danke dir, Anna, daß ich so mit dir reden konnte.«


 << zurück weiter >>