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Doña Malintzin des Gonzales – ihr Name klang wie Musik, ihre Anmut war Rhythmus, und ihre Stimme war strömend und zart wie ein leiser Fluß. Auch sie mußte Gefallen an Constanze gefunden haben, denn nur wenige Tage nach ihrem Besuch in Guadalupe rief Malintzin an und bat um ihr Kommen.
Und da Constanze völlig gefangen war von der Atmosphäre jenes Hauses, von der fremden indianischen Kultur, die bei des Gonzales in solcher Blüte zum Ausdruck kam, so ging sie nur allzugern in das Haus des Malers.
Nicht immer trug nun Malintzin das festliche Gewand der Indianerinnen der westlichen Tropen. Aber nie war sie in europäische Kleidung gehüllt. In dem weiten dunklen Rock, der weißen Bluse und den Sandalen saß sie im Patio oder auf dem Dach und webte.
Unter einem hauchfeinen Rebozo schimmerten die blauschwarzen Flechten. Sie webte auf uralte indianische Weise, und Constanze konnte stundenlang hinter ihrem Rücken stehen und zusehen, wie die braunen Finger die Fäden entwirrten und zusammenschlugen und wie wunderbare alte Muster zu neuem Leben erwachten.
Auch Juarez des Gonzales sah man im eigenen Heim nie mehr in europäischer Kleidung, die er nur anlegte, wenn er zur Stadt fuhr. Im Haus und bei der Arbeit in der Werkstatt trug er die Tracht der Peone: weiße weite Baumwollhosen und eine blusenförmige Jacke. An den nackten Füßen Sandalen, mit roten Lederstreifen befestigt. Aber oft trug er auch kein Hemd. Der nackte bronzene Oberkörper stand wunderbar belebt und warm gegen die weißen kalkigen Wände des Raumes oder gegen die tönende Klarheit des türkisfarbenen Himmels, wenn er auf das Dach kam, wo Constanze am liebsten mit Malintzin saß …
Über Constanze kam meist eine wohltuende Entspannung, wenn sie auf dem Dach saß und einsank in das Bild, das durch den blauseidenen Rahmen in unveränderter, vorweltlich anmutender Schönheit ihr entgegentrat. Hier war Tag um Tag dasselbe Licht, dieselbe Wärme und Klarheit. Hier brach Tag um Tag zur selben Zeit die Nacht über die Erde – hier war Zeit ohne Zahl.
»Ich wünsche mir so sehr ein Kind«, klagte Malintzin eines Tages. »Indianische Frauen gebären oft fünfundzwanzig bis vierzig Kinder, und mir bleiben sie versagt.« Es kam wie eine schwere Klage über ihre Lippen.
»Sie sind noch so jung«, versuchte Constanze zu trösten.
»Nein, ich erwartete ein Kind, stürzte aber, war sehr krank. Juarez will mit mir in die Staaten fahren zu berühmten Ärzten, vielleicht können sie mir helfen. Hier sagt man mir, es sei hoffnungslos.« – Sie brachte es hervor wie ein Wesen, das schwere Schuld trug.
»Ich sehe nie Liebespaare«, sagte Constanze versonnen und tat einen großen Gedankensprung.
»Sie werden schon manche gesehen haben, ohne es zu wissen«, sagte Malintzin, immer noch den Kopf über ihre Arbeit gebeugt. »Das Liebeswerben geht ohne ein gesprochenes Wort vor sich. Ein Indio sieht ein Mädchen, das ihm gefällt. Er umkreist es tagelang in großer Entfernung. Mag sie ihn nicht, so geht sie fort. Bleibt sie, so werden von Tag zu Tag die Kreise enger. Dann eines Tages hockt sie sich auf einen Abhang und er mit dem Rücken an Rücken zu ihr. So sitzen sie tagelang stumm wie Vögel … Dann, eines Abends, sind sie ganz glücklich, weil sie wissen, daß sie sich gefunden haben. Sie schluchzen und stöhnen, und dann sagt sie, ihm ganz verfallen: Du darfst es tun … Am anderen Tag geht er zu ihrem Vater mit einem Geschenk –, dann ist sie seine Frau.«
»Und wenn er sie nicht mehr liebt – eines Tages – oder eine andere liebt?« fragte Constanze.
Malintzin sah auf, sah sie an mit dem undurchdringlichen dunklen Blick. »Wir sind nicht so – sind nicht so wie die Weißen«, sagte sie scheu.
»Aber wenn eine – sagen wir eine Frau – untreu wird?« beharrte Constanze. »Es kann doch einmal geschehen – sie mag von irgendeinem Mann, der Gefallen an ihr findet, verführt werden.«
Malintzin legte den Rahmen aus der Hand: »Ja, es soll wohl mal geschehen, aber es gibt Stämme – viele Stämme, die dann die Frau töten.«
»Die Frau töten?« fragte Constanze entsetzt.
»Ja –, der Stamm tötet sie. Sie flüchtet sogar meist zu ihrem eigenen Mann, der sie ja liebt und der sie trotzdem noch schützen und verbergen will.«
»Ja, aber, wenn er ihr verzeiht?«
»Sie verfällt dem Gesetz indianischen Blutes«, sagte Malintzin. »Sie muß sterben.« – – Malintzin hüllte sich in ein abweisendes Schweigen. Constanze sah, sie wollte nicht mehr darüber sprechen.