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8

Es waren wunderbare Tage, die diesem Vormittage folgten. Sie waren wie glückliche Kinder, unbeschwert, lächelnd. Dr. Reinhardt beichtete Constanze, er sei froh, daß die Fremdenzimmer seiner Schwester zufällig besetzt gewesen seien durch einen vor wenigen Tagen erkrankten Logierbesuch, der gerade abreisen wollte und den man doch nicht fortlassen konnte.

»Wissen Sie, ich hatte Angst, Kasimir Sobienski gar zu häufig zu begegnen. Ich betone nochmals, er ist ein absoluter Gentleman, aber – na ja – Sie wissen – Politik – und ich kann nun einmal meinen Mund nicht halten. Ich errege mich … Und Paula ist ganz polnisch geworden, ihre zwei kleinen Kinder sind mir ganz fremd, sprechen kein Wort Deutsch.«

»Und Ihre arme Mutter?«

»Sie ist sehr, sehr krank – länger als hin und wieder eine halbe Stunde darf ich nicht an ihrem Bett sitzen.«

»Traurig –«

»Ja, trauriger, als Sie vielleicht ahnen«, meinte Reinhardt ernst. »Wenn sie stirbt, lösen sich hier für mich die letzten Bande.«

Aus all diesen Gründen konnte Constanze es sich erklären, daß Dr. Reinhardt soviel freie Zeit für sie übrig hatte. Einen Nachmittag trank sie Tee im Palais Sobienski … später wollte Dr. Reinhardt ihr noch Schloß Wilanow, eine der Hauptsehenswürdigkeiten Warschaus, zeigen.

Das Palais Sobienski war ein Patrizierhaus am Stare Miasto, dem Altmarkt. Reinhardt hatte nicht zuviel gesagt, als er Constanze riet, die Einladung seiner Schwester anzunehmen.

Der Altmarkt machte dank seiner Geschlossenheit einen wirkungsvollen Eindruck. Die schmalen, hohen Häuser waren zumeist aus dem 16. Jahrhundert und gehörten noch heute den Familien Barycska, Giza, Fugger – hier Fukier genannt –, den Drewnos und Kaleckis und wie sie sonst noch alle hießen. Die Häuserfassaden waren schmal, meist dreifenstrig. Vierfenstrige Fassaden waren nur den Adelsfamilien gestattet, zu denen die Sobienskis rechneten. Das Schöne war, daß diese Häuser am Stare Miasto reich dekoriert, bemalt und vergoldet waren – was teils auf italienischen, teils auf niederländischen Einfluß zurückzuführen war. Ein Diener führte Constanze durch ein reich geschmücktes Portal und einen gewölbten Flur von geringer Breite. Seitwärts lag der Treppenaufgang, der an den Wänden alte Stiche, Stadtbilder Warschaus, zeigte. Das Haus trug in allem und jedem den Ausdruck hoher Kultur. Kasimir Sobienski sammelte Inkunabeln der Stadt Warschau, wodurch er die Sammlungen seiner Vorfahren noch vergrößerte.

Der Diener ging lautlos voran. Das ganze Haus war mit alten Teppichen förmlich ausgeschlagen. Er führte Constanze über eine steinerne Wendeltreppe in einen winzigen Garten hinab, der hinter dem Hause lag. Das Eigenartige dieses Gartens war nicht der Garten selbst, der, lieblich und gepflegt, nichts Besonderes bot, sondern die hohen kalkweißen Mauern, die ihn von allen Seiten umgaben und von so grotesker Höhe waren, daß sie Gefängnismauern glichen.

Paula Sobienska stand unter einem Gartenschirm und reichte ihren Gästen den Tee. Es waren unerwartet Freunde vom Lande hereingekommen. Man sprach Französisch mit Rücksicht auf Dr. Reinhardt und Constanze, die die Landessprache nicht verstanden.

Constanze hielt Ausschau nach dem vielbesprochenen Kasimir Sobienski, aber er war nicht zugegen.

Der Tee war sehr korrekt – sehr formell – sehr langweilig.

Reinhardt schaute hin und wieder verzweifelt auf die weißen hohen Mauern, die hart umrissen sich gegen einen unwahrscheinlich blauen Himmel abhoben. Er rutschte hin und her, spielte nervös mit seinem Einglas und sah mit leichter Grimasse zu Constanze hin, als ob er sagen wollte: Mein Gott, wie drücken wir uns hier am besten …?

Constanze war entzückt von der Grazie und Eleganz der Polinnen. Sie waren mit ungewöhnlichem Geschmack gekleidet und gepflegt, als ob ihr ganzer Daseinszweck nur darin bestände, schön zu sein. In den Formen üppig, wirkten sie doch schlank und hochgewachsen. Das dunkle Haar war von weißen, flachen, breitrandigen Hüten bedeckt. Dunkle, leidenschaftliche oder verträumte Augen lagen darunter wie verschattet. Sie waren alle geschminkt, aber ihr Make up war diskret, unauffällig, bildhaft. Ihre slawische Anmut war durch französische Eleganz, von französischem Scharm unterstrichen.

Es war ein so ganz anderer Frauentypus als der, den Constanze kannte, die sich wie ein fremder Vogel vorkam und nicht ahnte, daß Reinhardt gerade seine Betrachtungen über sie selbst abschloß: Sie trägt alle Kennzeichen der guten Rasse: Gang, Gelenke, schmale Kopfform, gestreckte Hüften – ach, diese Polinnen können mir gestohlen bleiben …

Aber auch Paula Sobienska war schön. Sie trug ein malvenfarbenes Kleid, etwas so Einmaliges von raffinierter Eleganz, wie es sich nur Paris ausdenken konnte. Das schlicht gearbeitete Kleid war bedruckt mit den feinen Schriftzügen berühmter Liebender. Von weitem sah das Kleid aus, als ob es mit zarten Ornamenten bedeckt sei, aber in der Nähe konnte man deutlich die leidenschaftlichen Beteuerungen der Liebe entziffern. Sätze von Dumas, Worte Victor Hugos, Gestammel Balzacs und anderer. Ja, Paula Reinhardt, die Deutsche, hatte ihr Deutschtum völlig verloren, war untergetaucht in einer fremden Kultur. Sie trug das Kleid mit derselben Grazie wie ihre Freundinnen, hielt mit derselben Anmut die Tasse ihren Gästen hin.

Die Unterhaltung plätscherte an der Oberfläche. Man sprach von Paris, von Toiletten, Reisen.

Constanze war einsilbig, auch der französischen Sprache nicht so mächtig.

»Verzeih, Paula, wir dürfen doch gehen?« meinte Reinhardt.

Er stand etwas unmittelbar auf und sprach deutsch. Das Deutsche klang hart und fremd in dieser Umwelt. Constanze spürte, Reinhardt fühlte sich hier nicht wohl …

»Ich möchte Frau Andergast noch Wilanow zeigen, ich fürchte, es wird sonst zu spät.«

»Selbstverständlich, Otto, ich denke, Iwan wartet auch schon draußen mit dem Wagen.«

»Danke, mein Kind«, er beugte sich über ihre Hand und verbeugte sich vor den Gästen …


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