Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am nächsten Morgen war die Eröffnung der Ausstellung. Man war einer sehr glücklichen Idee gefolgt: den Palace Lazejencki, das zauberhafte Barockschloß, hatte man als Raum erwählt. Für jede andere internationale Ausstellung wäre dieses Schloß zu wenig umfangreich gewesen, doch Goldschmiedearbeiten beanspruchen wenig Platz, erfordern aber einen würdigen Rahmen.
Einen würdigeren hätte man auch nicht finden können als jenes Lustschloß Augusts des Starken, das da in einem ausgedehnten Park mit uralten Bäumen am Abhang des Warschauer Plateaus zwischen zwei verträumten Teichen lag.
Ein ungewöhnlich schmaler, beängstigend großer Herr mit Spitzbart und lebhaften Gesten eröffnete die Ausstellung mit einer Ansprache, von der Constanze, die etwas abseits der eleganten Gesellschaft gegen eine Glasvitrine lehnte, kein Wort verstand.
Sie hielt Ausschau nach Kollegen, aber sie wußte ja, daß Johann Michaelis krank war und darum abgesagt hatte. Endlich entdeckte sie Carl Messerschmidt aus Köln. Er war aber mit befreundeten Italienern in eifrigem Gespräch, und da sie sich überhaupt kaum kannten, fühlte sich Constanze, schon durch die Laute einer ihr fremden Sprache, weiterhin einsam und wandte sich nun den Vitrinen zu, um die Arbeiten anderer Nationen zu betrachten.
Ihre Vermutung, daß der Vergleich ihrer Arbeiten mit denen anderer Künstler ihr manche Anregung und wertvolle Aufschlüsse geben könnte, fand sie bestätigt. Sie wurde besonders von den belgischen und russischen Arbeiten gefesselt, die mit ungeheuer sparsamen Mitteln nach einer anderen Ausdrucksform suchten. Es blieb dahingestellt, ob ihr Weg glücklich zu nennen war – immerhin war es aber ein neuer Weg, der beschritten wurde; man stand in den Anfängen, aber neue Ideen brachten den Beweis für den Aufschwung und die schöpferischen Kräfte eines Volkes.
»Ah, gnädige Frau, da haben wir Sie ja – guten Morgen!«
Schon der Klang der deutschen Sprache ließ sie aufhorchen, und noch erfreuter war sie, daß die Anrede ihr galt und sie sich dem liebenswürdigen Reisegefährten und seiner Schwester gegenüber sah.
»Darf ich vorstellen: Paula Sobienska – nicht wahr – Sie staunen«, sagte Dr. Reinhardt und lachte etwas spitzbübisch, »daß wir Sie gleich überfallen? Heute morgen äußerte meine Schwester den Wunsch, an der Eröffnung der Ausstellung teilzunehmen. So berichtete ich ihr von unserer Begegnung. Auch deutete ich Ihnen ja gestern schon an, wie sehr ich mich gerade für Goldschmiedekunst interessiere … Also, bitte, gnädige Frau, seien Sie unser liebenswürdiger Cicerone – führen Sie uns, wir folgen.«
Er sagte dies alles sehr leicht, sehr vergnügt – man hatte gar nicht das Gefühl, einander fremd zu sein.
Constanze ging voran … »Bitte – erst einmal Ihre eigenen Arbeiten!« bat Dr. Reinhardt.
»Sie stehen sehr gut«, erwiderte Constanze glücklich und ging quer durch den kleinen Oberlichtsaal.
»Ich brauche Ihnen wohl nichts zu erklären?« meinte sie bescheiden und betrachtete kritisch ihre eigenen Arbeiten, die sehr wirkungsvoll aufgestellt waren.
»Sie überschätzen mich«, sagte Reinhardt, »zum Beispiel … ist diese Cloisonné-Arbeit auch von Ihnen?«
»Natürlich«, sagte Constanze.
»So vielseitig?«
»Oh, das ergibt sich durch die Arbeit.«
»Sehen Sie, das verstehe ich nicht recht, wie Sie diesen Zellenschmelz herstellen?« Er zog ein Einglas heraus, das er vor das linke Auge hielt, und lehnte das Gesicht gegen die Scheibe der Vitrine.
»Einen Augenblick, bitte – ich habe den Schlüssel …« Constanze öffnete den Glasschrank und hob eine silberne Tafel heraus, die eine Apostelgestalt in Zellenschmelz trug. Es war ein köstliches Stück. Die Gestalt des Heiligen stand reliefartig auf einer mattgehämmerten, sehr dünnen Silberplatte.
»Das Verfahren ist ganz einfach«, erklärte sie, »sehen Sie: ich arbeite zunächst diese silberne Tafel und setze die ornamentale figürliche Silhouette mit einem ein Millimeter hohen Silberblech, das hochkantig ist, flüchtig auf die Platte. So entsteht der Umriß für das Emaillebild. Diesen löte ich dann fest auf den Untergrund. Schön – und nun fülle ich die einzelnen Felder dieses stabilen leeren Zellengerüstes mit Emaille aus.«
»Und die Emaille?«
»Ja, die Emaille bereite ich aus Emaillepulvern. Ich fülle die Zellen damit aus und glühe die Arbeit in meinem Ofen in einer Hitze, die Gewähr gibt, daß der Schmelz weder an Farbe einbüßt noch zerspringt.«
»Mein Gott – wie schwierig. Wie hoch ist die Hitze?«
»Das ist verschieden. Das muß man ausprobieren.«
»Also eine mühselige Arbeit?«
»Ja, eine mühsame – eine herrliche Arbeit«, sagte Constanze strahlend.
»Wofür ist diese Platte?«
»Es ist ein Teil eines silbernen Kirchenschreins für eine oberbayrische Kirche.«
»Oh, Paula, das würde Marianne interessieren, meinst du nicht auch?« bedauerte Dr. Reinhardt.
Paula Sobienska – Constanze übersah noch nicht, wie Dr. Reinhardt zu dieser polnischen Schwester kam – nickte: »Ja, Otto, sehr – sehr.«
Constanze betrachtete die junge Frau. Merkwürdig – sie sah wenig deutsch aus: hochbeinig, schmalhüftig und dunkel, stellte sie schon allein in der französischen Eleganz einen anderen Frauentyp dar. Sie schien bedeutend jünger als der Bruder zu sein.
»Haben Sie etwas vor?« fragte Dr. Reinhardt, nachdem sie die Ausstellung, die nicht sehr groß war, aber dafür nur Qualitätsarbeit bot, besichtigt hatten.
»Ich hatte die Absicht, mir die Stadt anzusehen«, sagte Constanze und zog einen kleinen Reiseführer aus ihrer Tasche.
»Das können Sie bequemer haben, gnädige Frau. Wir besprachen es schon, daß wir, falls wir Sie treffen würden, Ihnen Warschau zeigen möchten … Der Wagen meiner Schwester steht draußen.«
»Aber ich bitte Sie –«, meinte Constanze etwas verlegen. »Sie sind hier zu Besuch Ihrer Frau Schwester – und nun …«
»Oh – Sie sind eine Deutsche«, sagte Paula liebenswürdig, »eine Landsmännin, wir sind glücklich, wenn wir Ihnen etwas zeigen können.« Sie sprach ein merkwürdiges Deutsch: ein klares, etwas hartes Hochdeutsch mit rollendem R …
»So – nun also los, Paula – wohin geht es zuerst?« fragte Reinhardt und schlug die Zipfel seines Reisemantels über die Knie zusammen. Er saß neben Constanze. Es war ein kühler Morgen mit einer blassen Sonne, die sich mühselig durch die Wolken schob. Paula Sobienska saß vorn am Steuer, neben ihr ein Chauffeur. Constanze sah einen Mantel mit Silberknöpfen, die ein Wappen trugen.
Wie schön, dachte Constanze, daß sich nun alles so erfreulich gestaltet …
Der elegante Wagen fuhr durch die Allee dem Parkausgang zu.
»Gnädige Frau sind Münchnerin?«
»Ja – nein, das heißt eigentlich Norddeutsche, aber ich lebe seit meinem zwanzigsten Jahre in München, bin dort verheiratet, mein Mann ist Architekt.«
»Meine Frau ist Münchnerin. Sie leidet sehr an Heimweh, kann sich gar nicht in Mexiko einleben.«
»Sie ist nicht mitgekommen?«
»Nein, sie erwartet ein Kindchen. Sie ist sehr zart. Ich wagte nicht, sie auf diese lange, reichlich beschwerliche Reise mitzunehmen, obgleich es mir besonders unangenehm war, sie gerade jetzt in ihrem Zustand fast zwei Monate allein zu lassen. Sie ist für diese Zeit meiner Abwesenheit bei Freunden in Cuernavacca.«
»Cuernavacca?«
»Dort liegt der Landsitz des Kaisers Maximilian in der Nähe von Mexiko City. Wohlhabende Weiße haben dort ihre Landsitze.«
»So«, sagte Constanze höflich. Es war eine so ferne, ihr unbekannte Welt …
Reinhardt schien zu erkennen, daß Constanze die Zusammenhänge nicht verstehen konnte. »Ich muß Ihnen einiges von uns sagen«, meinte er mit dem ihm eigenen liebenswürdigen Humor, »sonst wissen Sie gar nicht, welche Räuberbande Sie hier entführt.«
Constanze lachte.
»Ja, sehen Sie, meine Familie ist deutsch. Wir stammen von einem Gut bei Posen … Ich studierte Kunstgeschichte, bin Archäologe, begleitete Wiegand bei seinen Ausgrabungen –. Ja, ja, gucken Sie ruhig – solch alter Knabe bin ich schon.«
»Oh, das dachte ich nicht – ich war allerdings überrascht. Sie sehen –«
»Ich weiß schon, was jetzt kommt: Sie sehen wie dreißig und auch wie fünfzig Jahre aus …?«
»Ja«, bestätigte Constanze amüsiert.
»Na, sehen Sie – also ich habe Ihre Gedanken richtig erraten. Ich bin, weiß der Himmel, schon Ende Vierzig. Kurz und gut, ich bin deutsch, ganz deutsch. Sie verstehen, ich konnte unmöglich in Posen bleiben, als es polnisch wurde. Meine Mutter wollte sich aber von ihrem Gut nicht trennen. Sie war eine fabelhafte Frau, aber sie hing mit Leib und Seele an ihrer Scholle. Es waren bittere Kämpfe, die da ausgefochten wurden. Meine drei Brüder und ich bekannten uns bei den Wahlen zu Deutschland, meine Mutter blieb mit dem Nachkömmling« – Reinhardt zeigte dabei auf Paula Sobienska – »meiner damals zehnjährigen Schwester, auf dem Gut. Aber die Schwierigkeiten und Kämpfe hörten nicht auf. Meine Mutter war nicht mehr jung. In all den Verwicklungen und unerfreulichen Auseinandersetzungen mit dem polnischen Staat lernte sie den Bankier Kasimir Sobienski kennen, der sie unvoreingenommen beriet und ihr in vornehmer Weise freundschaftlich zur Seite stand. Ihm verdankte sie es, daß das Gut – heute heißt es, Gott sei's geklagt, Dobresca – ihr erhalten blieb …« Die letzten Worte sprach er leise.
»Wissen Sie« – er lehnte sich hinüber zu Constanze – »es ist ja verständlich, daß Paula, die einen Polen heiratete – ja, Kasimir Sobienski, über zwanzig Jahre älter als sie, ist ihr Gatte geworden –, anders fühlt und denkt als ich. Mein Schwager ist ein grundvornehmer Mann. Aber Sie verstehen, gnädige Frau, er ist Pole, und wenn wir zusammen sind, geraten wir nach zehn Minuten in politische Gespräche, und dann gibt's Funken …«
Constanze lachte.
»Ach, gnädige Frau, es ist gar nicht so lustig. Ich finde, nichts trennt heute mehr als Politik. Meine Mutter – sie wohnt bei meiner Schwester – ist seit kurzem schwer krank, krebskrank. Sie hatte den einzigen Wunsch, ihre Söhne noch einmal zu sehen. Und Sie verstehen jetzt – darum kam ich so schnell herüber, wie ich konnte. Ich hatte meine Mutter und Schwester fünf Jahre nicht gesehen. Ich fahre in ungefähr acht Tagen schon wieder über Gdingen, den polnischen Hafen bei Danzig, nach Vera Cruz. Ich kam mit Ihnen aus München, wo ich die Verwandten meiner Frau kurz besuchte und gleich …«
»Otto, du zeigst der gnädigen Frau rein gar nichts«, sagte Paula Sobienska über die Schulter gewandt ein wenig ärgerlich, »du redest dauernd!«
»Du hast wie immer recht, Schwesterherz«, sagte Reinhardt liebenswürdig und sichtlich erschrocken, »verzeihen Sie, gnädige Frau, meine Schwester hat wirklich recht. Da sitzen Sie neben einem Kunsthistoriker, und er zeigt Ihnen nichts, sondern macht in Familiengeschichte.«
»Das gehört mit zu Warschau und war doch sehr interessant«, sagte Constanze freundlich.
Man kam an dem einfachen Landhaus Joseph Pilsudskis vorbei … »Wollen wir nicht aussteigen?« meinte Paula Sobienska. »Es wird Sie begeistern. Es ist so würdig und einfach und hat soviel Atmosphäre.«
»Das stimmt«, meinte Reinhardt und half Constanze aus dem Wagen.
»Und dann machen wir eine kleine Rundfahrt, damit Sie das königliche Schloß an der Weichsel sehen, das Brühlsche Palais, Schloß Ujazdow, Park Natolin, Jablonna.«
»Um Gottes willen, Paula –, das alles heute vormittag?«
»Wir werden sehen –«, meinte die junge Frau und stieg in eleganter Leichtfüßigkeit die Stufen zu dem schlichten Landhaus Joseph Pilsudskis hinauf …