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Zwölftes Kapitel

Ein kluger Feldherr soll seine Soldaten soviel wie möglich in die Notwendigkeit versetzen zu kämpfen, sie dem Feinde aber benehmen.

Wir haben schon andernorts dargelegt, wie nützlich für alle menschlichen Handlungen die Notwendigkeit ist und zu welchem Ruhme sie schon geführt hat. Wie einige Moralphilosophen gesagt haben, hätte der Mensch mit seinen Händen und seiner Zunge, den beiden edelsten Werkzeugen seines Ruhmes, nichts so Vollkommenes hervorgebracht, noch wären seine Werke zu solcher Höhe gediehen, hätte ihn die Not nicht dazu gezwungen. Die Feldherren des Altertums kannten die Kraft der Notwendigkeit und wußten, wie sehr sie das Gemüt der Soldaten in der Schlacht anfeuert. Darum taten sie alles, um die Soldaten in diese Notwendigkeit zu versetzen und sie dem Feinde zu benehmen. Sie öffneten ihm häufig einen Ausweg, den sie ihm verschließen konnten, und verschlossen den Ihrigen einen Weg, den sie ihnen offenlassen konnten. Wer also will, daß sich eine Stadt hartnäckig verteidigt oder daß ein Heer im Felde standhaft kämpft, muß vor allem danach trachten, den Kämpfern diese Notwendigkeit einzuprägen. Ebenso muß ein kluger Feldherr, der eine Stadt erobern will, die Leichtigkeit oder Schwierigkeit ihrer Eroberung nach der Kenntnis der Notwendigkeit bemessen, die die Einwohner zur Verteidigung zwingt. Findet er diese Notwendigkeit zwingend, so möge er die Einnahme für schwer halten, andernfalls für leicht. Daher kommt es, daß Städte nach ihrer Empörung schwerer zu erobern sind als bei ihrer ersten Einnahme. Denn das erstemal haben sie sich vor keiner Strafe zu fürchten, weil sie niemand beleidigt haben, und ergeben sich leicht. Haben sie sich aber empört und glauben sie, dadurch jemand beleidigt zu haben, so fürchten sie die Strafe und sind schwer zu erobern.

Solche Hartnäckigkeit entsteht auch bei benachbarten Fürsten und Republiken aus dem natürlichen Haß, der von ihrer Herrschsucht oder ihrer Eifersucht auf ihre Freiheit kommt, zumal bei Republiken, wie die in Toskana sind. Dieser Wettstreit und dies Widerstreben haben einer von ihnen die Eroberung der andern stets erschwert und werden es auch in Zukunft tun. Wer daher die Nachbarn von Florenz und Venedig betrachtet, wird sich nicht, wie viele, wundern, daß Florenz für seine Kriege mehr ausgegeben und doch weniger erobert hat als Venedig. Das kommt bloß daher, daß die Nachbarstädte Venedigs sich nicht so hartnäckig verteidigten wie die von Florenz, weil alle gewohnt waren, unter einem Fürsten und nicht frei zu leben. Wer aber zu dienen gewohnt ist, macht sich oft wenig daraus, den Herrn zu wechseln, ja, häufig wünscht er es sogar. Obwohl also Venedigs Nachbarn mächtiger waren als die von Florenz, konnte es sie doch schneller unterwerfen als Florenz, das von freien Städten umgeben war.

Greift also ein Feldherr, um auf das vorhin Gesagte zurückzukommen, eine Stadt an, so muß er sich auf alle Weise bemühen, sie der Notwendigkeit der Verteidigung zu entheben, und damit ihre Hartnäckigkeit brechen. Fürchtet sie Strafe, so verspreche er Verzeihung; fürchtet sie für ihre Freiheit, so sage er, daß er nichts gegen das allgemeine Wohl plane, sondern nur gegen den Ehrgeiz einiger Bürger. Das hat manche Unternehmung und Städteeroberung erleichtert. Obwohl solche Vorwände besonders von klugen Männern leicht durchschaut werden, lassen sich die Völker doch häufig dadurch täuschen, da sie nach dem augenblicklichen Frieden lechzen und die Augen vor jeder, unter großen Versprechungen gelegten Schlinge verschließen. Durch diesen Kunstgriff wurden zahllose Städte unterworfen, auch Florenz in der letzten Zeit. S. Lebenslauf, 1512. Die Liga hatte Florenz die Bedingung gestellt, daß die Medici als einfache Bürger, die unter den Gesetzen lebten, zurückkehren sollten, was natürlich nicht gehalten wurde. Ebenso erging es dem Crassus und seinem Heere. Obschon er die leeren Versprechungen der Parther durchschaute, die nur den Zweck hatten, seinen Soldaten den Gedanken an die Notwendigkeit der Verteidigung auszutreiben, konnte er sie doch nicht standhaft erhalten, da sie durch die Friedensangebote der Feinde verblendet waren, wie man es ausführlich in seiner Lebensgeschichte findet. Plutarch, Crassus, 30. Die Samniter waren, den Vertragsbedingungen zuwider, auf Anstiften einiger Ehrgeiziger in das Gebiet der römischen Bundesgenossen eingebrochen und hatten geplündert, dann aber Gesandte nach Rom geschickt, um um Frieden zu bitten, und sich erboten, die Beute zurückzugeben und die Urheber der Unruhen auszuliefern. Da die Römer darauf nicht eingingen und die Gesandten ohne Hoffnung auf einen Vergleich nach Samnium zurückkehrten, hielt Claudius Pontius, der damalige Anführer des samnitischen Heeres, eine denkwürdige Rede, worin er den Soldaten bewies, daß Rom durchaus Krieg wollte. Obwohl sie selbst Frieden wünschten, zwinge sie also die Notwendigkeit zum Kriege. Iustum est bellum, sagte er, quibus necessarium, et pia arma, quibus nisi in armis spes et. Livius IX, 1 (321 v. Chr.). (Ein notwendiger Krieg ist auch gerecht, und heilig sind die Waffen, wenn nur in den Waffen das Heil liegt.) Auf diese Notwendigkeit gründete er mit seinen Soldaten die Hoffnung auf Sieg.

Um nicht nochmals auf diesen Gegenstand zurückzukommen, will ich hier auch die denkwürdigsten römischen Beispiele anführen. Gajus Manilius stand 480 v. Chr. Bei Livius II, 47, heißt der Konsul Gnejus Manlius. mit einem Heere gegen Veji im Felde. Als nun ein Teil des feindlichen Heeres in die Verschanzungen des Manilius eingedrungen war, eilte er mit einer Abteilung zu Hilfe und besetzte alle Ausgänge des Lagers, damit die Feinde nicht entfliehen konnten. Als diese sich aber eingeschlossen sahen, fochten sie mit solcher Wut, daß sie den Manilius erschlugen und alle übrigen Römer niedergemacht hätten, wenn ihnen nicht die Klugheit eines Tribunen einen Ausweg eröffnet hätte. Hieraus ersieht man, daß die Vejenter, als die Not sie zum Kampfe zwang, auf das tapferste fochten, sobald sich aber ein Ausweg zeigte, waren sie mehr auf die Flucht als auf Kampf bedacht.

Die Volsker und Aequer waren in das römische Gebiet eingefallen und die Konsuln wurden ihnen entgegengeschickt. Während der Schlacht geriet das volskische Heer unter Vectius Messius zwischen seine von den Römern eroberte Verschanzung und das andere Römerheer. Als Messius sah, daß ihm nur die Wahl blieb, zu sterben oder sich mit dem Schwert einen Weg zu bahnen, rief er seinen Soldaten zu: Ite mecum, non murus, nec vallum, sed armati armatis obstant. Virtute pares, necessitate, quae ultimum ac maximum telum est, superiores estis. Livius IV, 28 (431 v. Chr.) (Folgt mir nach! Keine Mauer, kein Wall, sondern Bewaffnete stehen Bewaffneten gegenüber. An Tapferkeit seid ihr ihnen gleich, durch die Not, die letzte, stärkste Waffe, überlegen.) So nennt Livius die Not ultimum et maximum telum. Vgl. auch Seneca, De Clementia; Xenophon, Hipparchici, IV, 13.

Als Camillus, der klügste aller römischen Feldherren, mit seinem Heer schon in Veji eingedrungen war, wollte er die völlige Einnahme erleichtern und die Feinde nicht zur äußersten Notwehr treiben. Er befahl daher so laut, daß alle Vejenter es hören konnten, keinem Unbewaffneten etwas zuleide zu tun. Alle warfen die Waffen weg, und die Stadt wurde fast ohne Blutvergießen genommen. Dies Verfahren wurde später von vielen Feldherren befolgt.


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