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Vierzehntes Kapitel

Die Römer legten die Auspizien je nach der Notwendigkeit aus. Sie wahrten klüglich den Schein, die Religion zu beobachten, auch wenn sie sie notgedrungen nicht beobachteten, und wenn jemand sie in vermessener Weise mißachtete, bestraften sie ihn.

Die Augurien bildeten nicht nur, wie oben gesagt, die Hauptgrundlage der altheidnischen Religion, sondern sie waren auch die Ursache des Gedeihens der römischen Republik. Daher sorgten die Römer mehr für sie als für irgendeinen andern Brauch. Sie bedienten sich ihrer bei den Konsulwahlen, beim Beginn der Feldzüge, beim Auszuge der Heere, vor den Schlachten und bei jeder wichtigen bürgerlichen oder kriegerischen Handlung. Nie hätten sie einen Feldzug unternommen, ohne die Soldaten zu überzeugen, daß ihnen die Götter den Sieg verhießen. Unter den übrigen Wahrsagungen hatten sie bei den Heeren gewisse Auspizien, die sie Pullarien nannten. So oft sie dem Feind eine Schlacht liefern wollten, mußten die Pullarier ihre Auspizien anstellen. Fraßen die Hühner, so focht man mit guten Vorzeichen, fraßen sie nicht, so gab man den Kampf auf. Gebot jedoch die Vernunft, etwas auszuführen, so wurde es auch bei ungünstigen Auspizien unter allen Umständen ausgeführt; nur wandte und deutete man die Sache so geschickt, daß sie nicht unter Mißachtung der Religion zu geschehen schien.

Diesen Kunstgriff benutzte der Konsul Papirius bei einer Entscheidungsschlacht mit den Samnitern, durch die diese für immer geschwächt und niedergebeugt blieben Lucius Papirius Cursor schlug die Samniter 293 v. Chr. bei Aquilonia. Vgl. Livius X, 38 ff. Papirius stand in seinem Lager den Samnitern gegenüber, und da ihm der Sieg gewiß schien, wollte er eine Schlacht liefern. Er befahl also den Pullariern, ihre Auspizien anzustellen, aber die Hühner wollten nicht fressen. Da nun der Vorsteher der Pullarier die große Kampflust des Heeres und die Siegeszuversicht des Feldherrn und der Soldaten sah, wollte er dem Heere die Gelegenheit zu einer glänzenden Waffentat nicht nehmen und meldete dem Konsul, die Auspizien seien günstig. Als Papirius nun das Heer in Schlachtordnung aufstellte, sagten einige Pullarier zu den Soldaten, die Hühner hätten nicht gefressen, und diese teilten es dem Neffen des Konsuls, Spurius Papirius, mit, der es dem Konsul berichtete. Der versetzte rasch, er solle sich um sein Amt kümmern; für ihn und das Heer seien die Auspizien günstig. Hätte der Pullarier gelogen, so würde er selbst den Schaden davon haben. Damit nun der Erfolg der Voraussage entspräche, befahl er den Legaten, die Pullarier ins vorderste Treffen zu stellen. Beim Anrücken gegen den Feind fiel der Vorsteher der Pullarier durch Zufall, vom Speer eines römischen Soldaten getroffen. Auf diese Nachricht rief der Konsul, alles gehe gut und mit der Gunst der Götter, denn durch den Tod dieses Lügners sei ihr Zorn gesühnt und das Heer von aller Schuld gereinigt. Indem er so seine Absichten mit den Auspizien in Einklang zu bringen wußte, konnte er eine Schlacht wagen, ohne daß das Heer die Verletzung der religiösen Vorschriften merkte.

Umgekehrt verfuhr Appius Claudius Pulcher in Sizilien während des ersten punischen Krieges. Im Begriff, mit dem Karthagischen Heer zu kämpfen, Publius (nicht Appius) Claudius Pulcher wurde 249 v. Chr. in der Seeschlacht bei Drepana von den Karthagern geschlagen. ließ er die Pullarier ihre Auspizien anstellen, und als sie meldeten, daß die Hühner nicht fräßen, rief er: »Laßt sehen, ob sie nicht trinken wollen!« Er ließ sie ins Meer werfen, schlug die Schlacht und verlor sie. Dafür wurde er in Rom bestraft, Papirius aber geehrt, nicht, weil der eine geschlagen worden war und der andre gesiegt hatte, sondern weil der eine klug gegen die Auspizien gehandelt hatte und der andre vermessen. Diese Einrichtung hatte ja auch keinen andern Zweck, als daß die Soldaten vertrauensvoll in den Kampf gingen, denn aus solchem Vertrauen entspringt fast immer der Sieg. Der gleiche Brauch herrschte aber nicht nur bei den Römern, sondern auch bei andern Völkern, wofür ich im folgenden Kapitel ein Beispiel anführen will.


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