Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundvierzigstes Kapitel

Die Übertretung eines gegebenen Gesetzes ist ein schlechtes Beispiel, zumal wenn der Gesetzgeber sie selbst begeht. In einer Stadt täglich neue Unbill zu begehen, ist für ihren Herrscher äußerst schädlich.

Als der Vergleich geschlossen war und Rom seine alte Verfassung wieder erhalten hatte, Vgl. Livius III, 55 ff. lud Virginius den Appius vor das Volk, um seine Sache zu verteidigen. Er erschien in Begleitung vieler Adliger. Virginius befahl, ihn ins Gefängnis zu werfen. Appius begann zu schelten und an das Volk zu appellieren. Virginius sagte, er sei nicht wert, daß ihm das Recht der Berufung zuteil werde, das er selbst abgeschafft habe, noch daß er das von ihm beleidigte Volk zum Verteidiger habe. Appius erwiderte, man dürfte das Recht der Berufung nicht verletzen, das man mit solchem Eifer eingeführt hätte. Trotzdem wurde er eingekerkert und entleibte sich vor dem Gerichtstage selbst. Obwohl Appius durch sein verbrecherisches Leben jede Strafe verdient hatte, war es doch politisch falsch, die Gesetze zu verletzen, besonders das eben gegebene. Denn ich glaube nicht, daß man ein übleres Beispiel in einer Republik geben kann, als ein Gesetz zu machen und es nicht zu befolgen, zumal wenn der Gesetzgeber es selbst übertritt.

Florenz hatte nach 1494 S. Lebenslauf, 1494. seine Verfassung mit Hilfe des Mönches Girolamo Savonarola erneuert, dessen Schriften seine Gelehrsamkeit, Klugheit und Geisteskraft dartun. Unter andern Bestimmungen wurde zur Sicherung der Bürger ein Gesetz erlassen, daß gegen Urteile der acht Männer und der Signoria in Staatsverbrechen Berufung beim Volk eingelegt werden könne. Dies Gesetz hatte Savonarola seit langer Zeit in Vorschlag gebracht und nur mit großer Mühe durchgesetzt. Kurz nach seiner Bestätigung wurden fünf Bürger S. Kap. 7, Anm. 21. wegen Staatsverbrechen von der Signoria zum Tode verurteilt. Als sie aber Berufung beim Volk einlegen wollten, schlug man dies ab und übertrat somit das Gesetz. Das brachte den Mönch mehr um sein Ansehen als irgendein andrer Vorfall. Denn war die Berufung an das Volk nützlich, so mußte er sie jedem zugute kommen lassen; war sie es nicht, so durfte er sie nicht durchsetzen. Die Sache fiel um so mehr auf, weil der Mönch in allen Predigten, die er nach dem Bruch des Gesetzes hielt, niemals dessen Übertreter verdammte, noch den Bruch entschuldigte, als ob er die Tat, weil sie ihm gelegen kam, nicht verdammen wollte und sie auch nicht entschuldigen konnte. Das offenbarte seinen ehrgeizigen und parteiischen Sinn, brachte ihn um seinen Ruf und zog ihm viele Vorwürfe zu.

Sehr schädlich ist es auch für einen Staat, wenn man jeden Tag durch neue Unbill, die man diesem oder jenem zufügt, immer neuen Unwillen bei den Bürgern erweckt, wie es in Rom nach der Zeit der Dezemvirn geschah. Denn alle Dezemvirn und andre Bürger wurden zu verschiedenen Zeiten angeklagt und verurteilt, so daß der größte Schrecken unter dem Adel herrschte. Er glaubte, diese Hinrichtungen würden nie ein Ende nehmen, bis der ganze Adel ausgerottet wäre. Livius III, 58 f. Großes Unheil wäre daraus in Rom entstanden, hätte nicht der Tribun Marcus Duillius durch ein Edikt vorgebeugt, wonach ein Jahr lang keinem erlaubt sein sollte, einen römischen Bürger vorzuladen oder anzuklagen, was den ganzen Adel beruhigte.

Man sieht daraus, wie schädlich es für eine Republik oder für einen Fürsten ist, die Gemüter der Untertanen durch fortwährende Strafen und Unbill in Angst und Bangen zu halten. Es gibt gar kein verderblicheres Verfahren, denn fürchten die Menschen erst um ihr Leben, so suchen sie sich auf alle Weise vor der Gefahr zu sichern, werden kühner und scheuen sich weniger vor Umwälzungen. Darum muß man entweder nie einen verletzten oder das ganze mit einem Mal abmachen, dann aber die Menschen wieder beruhigen und ihnen Grund geben, ihre Furcht zu verbannen.


 << zurück weiter >>