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Zweites Kapitel

Mit was für Völkern die Römer zu kämpfen hatten, und wie hartnäckig diese ihre Freiheit verteidigten.

Nichts erschwerte den Römern die Überwindung der Nachbarvölker und teils auch der entfernten Länder mehr als die Freiheitsliebe, die damals viele Völker besaßen, und die Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Freiheit verteidigten. Nur durch außerordentliche Tapferkeit konnten sie unterjocht werden. Denn aus vielen Beispielen ersieht man, welchen Gefahren sie sich zur Behauptung oder Wiedererlangung ihrer Freiheit aussetzten, und wie grausam sie sich an denen rächten, die sie ihnen geraubt hatten. Auch lernt man aus der Geschichte, welchen Schaden Völker und Städte durch die Knechtschaft erleiden. Zu unsrer Zeit gibt es nur ein Land, von dem man sagen kann, daß es freie Städte hat; Deutschland. Vgl. Buch II, Kap. 19. zu alter Zeit aber gab es in allen Ländern sehr viel freie Völker. In der Zeit, von der wir jetzt reden, gab es von den Apenninen, die Toskana von der Lombardei trennen, bis zur äußersten Spitze Italiens viele freie Völker, wie die Etrusker, die Römer, die Samniter und viele andre. Von keinem hört man, daß es Könige hatte, außer Rom und bei den Etruskern Porsenna, von dem die Geschichte nicht sagt, wie sein Stamm erlosch. Man sieht jedoch deutlich, daß Etrurien zu der Zeit, als die Römer Veji belagerten, frei war. Ja, es liebte seine Freiheit so sehr und haßte den Fürstennamen derart, daß es nach vielen Beratungen beschloß, die von Veji erbetene Hilfe abzuschlagen, solange die Vejenter, die zu ihrer Verteidigung einen König eingesetzt hatten, unter diesem König blieben. Denn die Etrusker hielten es für unbillig, das Vaterland derer zu verteidigen, die sich schon selbst einem andern unterworfen hatten.

Die Ursache dieser Freiheitsliebe der Völker ist leicht einzusehen. Die Erfahrung zeigt, daß die Staaten nie größer und reicher wurden, außer wenn sie frei waren. Es ist in der Tat wunderbar, zu welcher Größe Athen sich in den 100 Jahren emporschwang, als es sich vom Joch des Pisistratos befreit hatte. Eigentlich seiner Söhne Hipparch (514 v. Chr. ermordet) und Hippias (510 vertrieben). Das Allerwunderbarste aber ist der Aufstieg Roms, nachdem es seine Könige verjagt hatte. Die Ursache ist leicht einzusehen. Nicht das Wohl des Einzelnen, sondern das Gemeinwohl ist es, was die Staaten groß macht. Ohne Zweifel wird für dies Gemeinwohl nur in Republiken gesorgt, denn dort geschieht alles, was zu seiner Förderung dient, wenn es auch zum Schaden dieses oder jenes Einzelnen gereicht. Es sind so viele, die dabei gewinnen, daß sie es auch gegen den Willen der Wenigen, die darunter leiden, durchsetzen können. Das Gegenteil geschieht unter einem Fürsten. Was ihm nützt, schadet meist dem Staate, und was dem Staate nützt, schadet ihm. Sobald also in einem Staat eine Tyrannenherrschaft auf die Freiheit folgt, ist das kleinste Übel, das daraus entspringt, daß er nicht mehr vorwärts kommt, nicht mehr an Macht und Reichtum zunimmt. In den meisten Fällen, ja immer wird er zurückgehen. Gesetzt auch, er geriete unter die Herrschaft eines tapferen Mannes, der durch Mut und Waffenglück sein Gebiet erweitert, so hätte doch nicht der Staat den Vorteil davon, sondern er allein. Denn er kann die Braven und Guten unter den Bürgern, über die er sich zum Tyrannen aufgeworfen hat, nicht belohnen, wenn er nicht in stetem Mißtrauen gegen sie leben will. Für diesen Gedankengang vgl. den Xenophon zugeschriebenen Dialog »Hiero«, V; Sallust, Catilina, VII; Aristoteles, Politik, VIII, 9, 8; Herodot, III, 80. In Buch III, Kap. 20, verlangt Machiavelli dagegen, der Fürst solle die Liebe seiner Untertanen erwerben. Er kann die eroberten Städte nicht der Hauptstadt, deren Tyrann er ist, unterwerfen oder ihr zinsbar machen, denn ihre Macht zu vergrößern liegt nicht in seinem Vorteil, vielmehr muß er den Staat in Zersplitterung erhalten, so daß jede Stadt und jede Provinz ihn als Oberhaupt anerkennt. So hat er allein Vorteil von seinen Eroberungen, und nicht das Vaterland. Will man dies durch eine Menge andrer Gründe bestätigt finden, so lese man Xenophons Abhandlung über die Tyrannei. Der genannte Dialog »Hiero«.

Es ist also kein Wunder, daß die alten Völker die Tyrannen mit solchem Haß verfolgten und das freie Staatsleben liebten, ja daß schon der Name Freiheit von ihnen so hochgeschätzt wurde. Als Hieronymus, Hieros Neffe, Der Sohn Hieros II. (269-216 v. Chr.). Er wurde 215 mit seiner ganzen Familie umgebracht. Vgl. Livius XXIV, 21. in Syrakus ermordet worden war und die Nachricht zu seinem Heere kam, das nicht weit von Syrakus stand, entstand zuerst eine Empörung, und es ergriff die Waffen gegen seine Mörder. Als es aber erfuhr, daß man in Syrakus die Freiheit ausrief, ward es durch den Zauber dieses Wortes vollkommen beruhigt, ließ den Zorn gegen die Tyrannenmörder fahren und sann nur auf die Wiederherstellung der freien Verfassung. Es ist auch kein Wunder, daß die Völker außerordentliche Rache an denen nehmen, die sie der Freiheit beraubt haben. Von den vielen vorhandenen Beispielen will ich nur eins aus der griechischen Stadt Korkyra anführen. Die obige Bluttat (nach Thukydides IV, 47 f.) fand 423 v. Chr. statt. Zur Zeit des peloponnesischen Krieges war Griechenland in zwei Parteien gespalten, die athenische und die spartanische. So bildete sich in vielen Städten, die im Innern gespalten waren, gleichfalls eine athenische und eine spartanische Partei. Als nun in Korkyra der Adel die Oberhand erlangt und dem Volke die Freiheit geraubt hatte, riß die Volkspartei mit Hilfe der Athener von neuem die Gewalt an sich, bemächtigte sich aller Adligen, schloß sie allesamt in ein Gefängnis ein und nahm je acht bis zehn auf einmal heraus, unter dem Vorwand, sie nach verschiedenen Orten in die Verbannung zu schicken, ließ sie aber unter grausamen Martern hinrichten. Als das die noch Übriggebliebenen merkten, beschlossen sie, soviel in ihren Kräften stand, diesem schmählichen Tod zu entgehen. Sie bewaffneten sich so gut sie konnten und verteidigten den Eingang des Gefängnisses. Das Volk aber, das sich auf den Lärm hin zusammenrottete, riß das Dach des Gebäudes ein und begrub sie alle unter den Trümmern. Viele andre, gleich schreckliche und denkwürdige Fälle ereigneten sich noch in Griechenland. Man sieht also, wie wahr es ist, daß der Raub der Freiheit viel blutiger gerächt wird als der Versuch, sie zu rauben.

Wenn ich nun über die Ursache nachdenke, weshalb die Völker des Altertums mehr Freiheitsliebe besaßen als die jetzigen, so glaube ich, es ist die gleiche wie bei der Kraftlosigkeit der jetzigen Menschen, nämlich die Verschiedenheit unsrer Erziehung und der Erziehung der Alten, die in der Verschiedenheit der Religion liegt. Denn da unsre Religion uns die Wahrheit und den wahren Weg gezeigt hat, läßt sie uns die weltliche Ehre geringer schätzen. Die Heiden hingegen schätzen sie sehr hoch und hielten sie für ihr höchstes Gut, und darum waren sie kühner in ihren Taten. Das läßt sich aus vielen ihrer Einrichtungen erkennen. Man braucht nur die Pracht ihrer Opfer mit der Demut der unsern zu vergleichen, bei denen mehr Feinheit als Pracht herrscht und keine furchtbare oder kraftvolle Handlung vorkommt. Dort aber kamen zur Pracht und Großartigkeit der Zeremonien noch blutige und grausame Opferbräuche. Eine Menge von Tieren wurde abgeschlachtet, und die Menschen wurden durch dies furchtbare Schauspiel auch kühn und furchtbar. Die alte Religion sprach überdies nur Männer voll weltlichen Ruhmes heilig, wie Feldherren und Staatenlenker. Unsre Religion hat mehr die demütigen und beschaulichen Menschen als die tätigen selig gesprochen. Sie hat das höchste Gut in Demut, Entsagung und Verachtung des Irdischen gesetzt; jene setzte es in hohen Mut, Leibesstärke und alles, was den Menschen kraftvoll machte. Verlangt auch unsre Religion, daß man stark sei, so will sie doch, daß man diese Stärke im Leiden und nicht in kraftvollen Taten äußert. Diese Lebensweise scheint also die Welt schwach gemacht und sie den Bösewichtern zur Beute gegeben zu haben. Die können ungefährdet über sie schalten, denn sie sehen ja, daß die große Mehrzahl der Menschen, um ins Paradies einzugehen, mehr darauf bedacht ist, Beleidigungen zu ertragen als zu rächen. Scheint aber die Welt auch weibisch geworden und der Himmel keine Blitze mehr zu haben, so kommt dies doch zweifellos mehr von der Erbärmlichkeit derer, die unsre Religion mehr zum Vorteil des Müßiggangs als der Tatkraft ausgelegt haben. Denn bedächten sie, daß die Religion den Kampf für die Größe und Verteidigung des Vaterlandes zuläßt, so sähen sie auch ein, daß wir die Pflicht haben, es zu lieben und uns zu seiner Verteidigung tüchtig zu machen. Unsre Erziehung also und die falsche Auslegung der Religion sind schuld daran, daß es nicht mehr soviel Republiken gibt wie in alter Zeit und daß man mithin bei den Völkern auch nicht mehr soviel Freiheitsliebe findet wie damals. Ich möchte freilich noch eine nähere Ursache dafür in der Herrschaft der Römer finden, die durch ihre Waffen und ihre Größe alle Republiken und alle bürgerliche Freiheit zerstört haben. Obwohl sich dies Reich später auflöste, haben sich doch die Städte und Völker mit geringen Ausnahmen nicht wieder zusammentun noch sich freie Verfassungen geben können.

Wie dem aber auch sei, jedenfalls fanden die Römer auf jedem Fleckchen Erde einen Bund wohlbewaffneter Republiken, die ihre Freiheit auf das hartnäckigste verteidigten. Ohne seltene, ausnehmende Tapferkeit hätten sie diese also nie überwinden können. Ich will nur das Beispiel der Samniter anführen, das bewundernswürdig ist. Wie Livius gesteht, waren sie so stark und ihre Waffen so mächtig, daß sie den Römern bis zur Zeit des Papirius Cursor, des Sohnes des ersten Papirius, 46 Jahre Widerstand leisteten, nachdem sie so viele Niederlagen erlitten hatten, so viele Städte zerstört und ihr Land so häufig verwüstet war. Lucius Papirius Cursor war 324 v. Chr. Diktator im zweiten Samniterkrieg; sein gleichnamiger Sohn schlug die Samniter 293 bei Aquilonia im dritten Samniterkrieg entscheidend. Vgl. Buch I, Kap. 15. Unser Staunen wächst, wenn man das Land, das so viele Städte und Menschen zählte, jetzt fast wüst und leer sieht; aber damals herrschte so viel Ordnung und Kraft darin, daß es nur durch römische Tapferkeit überwunden werden konnte. Und es ist leicht einzusehen, woher diese Ordnung kam und woraus der jetzige Verfall herrührt: damals war es frei, jetzt lebt es in Knechtschaft. Wie oben gesagt, machen alle Städte und Länder, die in jeder Hinsicht frei sind, die größten Fortschritte. Dort sieht man die größte Volkszahl, weil die Ehen freier und begehrenswerter sind. Jeder zeugt gern soviel Kinder, als er ernähren zu können glaubt, denn er braucht ja nicht zu fürchten, daß ihm sein Erbteil genommen werde, und er weiß, daß sie als Freie und nicht als Sklaven geboren werden, ja daß sie durch ihre Tüchtigkeit zur höchsten Würde gelangen können. Dort vermehren sich die Reichtümer, die Früchte des Ackerbaues und des Gewerbefleißes in größerem Maße. Jeder vermehrt gern seinen Besitz und sucht Güter zu erwerben, die er, wenn er sie erworben hat, genießen zu können glaubt. Die Bürger wetteifern in der Vermehrung des eignen und öffentlichen Wohlstandes, und beides wächst in staunenswerter Weise.

Das Gegenteil von alledem tritt in Ländern ein, die in Knechtschaft leben. Der gewohnte Wohlstand fehlt ihnen um so mehr, je härter ihre Knechtschaft ist. Die härteste aller harten Knechtschaften aber ist die Unterwerfung unter eine Republik; denn erstens ist sie von längerer Dauer und gewährt daher weniger Hoffnung, sie loszuwerden, und zweitens hat die Republik das Bestreben, zur Vergrößerung ihres eignen Staatskörpers alle andern zu entnerven und zu schwächen. Das tut kein Fürst, der ein Land unterwirft, wenn er nicht ein Barbar, ein Länderverwüster und Zerstörer jeder bürgerlichen Ordnung ist, wie die orientalischen Herrscher. Hat er aber menschliche und natürliche Gefühle, so liebt er seine untergebenen Städte meist gleichmäßig und läßt ihnen alle ihre Gewerbe und fast alle ihre alten Einrichtungen. Wenn sie also auch nicht wachsen können wie freie Städte, so gehen sie doch auch nicht zugrunde wie in Knechtschaft befindliche. Mit Knechtschaft meine ich hier, wenn Städte von einer fremden Macht unterjocht werden, denn von der Dienstbarkeit unter einem ihrer Bürger sprach ich schon oben. Buch II, Kap. 2.

Erwägt man also alles Gesagte, so wird man sich über die Macht der Samniter während ihrer Freiheit so wenig wundern wie über ihre Schwäche, als sie in Knechtschaft gerieten. Livius bezeugt dies an mehreren Stellen, besonders wo er vom Kriege mit Hannibal spricht. Hier erzählt er, daß die Samniter, als sie durch die römische Besatzung von Nola hart gedrängt wurden, den Hannibal durch Gesandte um Hilfe bitten ließen. 215 v. Chr. Vgl. Livius XXIII, 42. In ihrer Rede sagten die Gesandten, sie hätten hundert Jahre lang mit ihren eignen Soldaten und eignen Anführern gegen die Römer gekämpft und oftmals zwei konsularischen Heeren und zwei Konsuln standgehalten; nun aber seien sie so weit gesunken, daß sie sich kaum einer kleinen römischen Besatzung in Nola erwehren könnten.


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